88. Ausgabe, Herbst-LUST 06
 
Wie das internationale Fußballfest, die Weltmeisterschaft, nachträglich von rechten PolitikerInnen und JourbalistInnen benutzt wird, einen „neuen, gesunden Nationalismus“ zu erzeugen.
 
Zm Thema: Ausführungen der BILD-"Zetung"
 
Dies ist ein Leserbrief an das LUSTBLÄTTCHEN
Hallo Ihr vom LUSTBLÄTTCHEN-LUST-Team, Hallo Thomas, Renate, Joachim,
ich möchte Euch berichten, dass ich mir am Donnerstag auf Frequenz 92,5 eine „schwule Radiosendung“ (Gayhört) anhörte.
Ein Ronny und ein Rolf plauderten zwischen Musikstücken über die Fußballweltmeisterschaft und über die schönen Beine der Fußballer usw., als würden schwule Männer nicht an den Spielen selber Interesse haben. Die Art der Gespräche erinnerte mich an die versteckten und verklemmten plüschigen Lokale der 50er Jahre. Hat sich denn nichts in den ganzen Jahren seither getan?
Das war oberpeinlich und wirft ein seltsames Bild auf Menschen unserer Szene. Ich bin auch ein schwuler Mann und fühlte mich hier absolut nicht vertreten.

Dann lobten die beiden Moderatoren abwechselnd, wie schön es sei, dass man nun wieder ohne Probleme und ganz offen konservativ und deutsch sein könne, dass man ohne immer mit Nazis verglichen zu werden, die deutsche Fahne schwenken und die deutsche Nationalhymne, alle 3 Strophen, singen könne. Die beiden ersten Strophen seien doch verboten, wandte einer der beiden ein, das sei nicht richtig, erklärte der andere, denn das drei-strophige Lied sei nicht die Nationalhymne, sondern das „Lied der Deutschen“, und dessen 3. Strophe sei die Nationalhymne.

Und um zu beweisen, dass das „Lied der Deutschen“ nicht verboten sei, spielten sie es in dieser „schwulen Sendung“ ab, alle 3 Strophen: also „Deutschland Deutschland über alles, über alles in der Welt ...“.

Das war keine schwule Sendung, sondern etwas ganz anderes. Es schien mir, dass jetzt der Korken aus einer Flasche gezogen wurde, und nun können alle nach Herzenslust nationalistisches Getöse als „normalen Patriotismus“ verkaufen. Wissen die beiden denn nicht, dass die 1. Strophe von den Nazis als Nationalhymne benutzt wurde? Oder wollten sie das nicht wissen? Und dass die Schwulen in dieser Zeit in die Konzentrationslager mussten, auch wenn sie solche Lieder auf den Lippen hatten? Dieser deutsche Patriotismus hat seine Vorgeschichte, den mörderischen deutschen Nationalismus, das darf nicht vergessen werden. Manfred K. Mainz
 
Die Nationalhymne

Hallo Manfred,
vielen Dank für Deinen aufschlussreichen Brief, in dem Du Deine Gefühle beim Hören einer Radiosendung beschriebst. Diese Gefühle gerade bei dieser Radiosendung, kann ich absolut gut nachvollziehen.

Sicher, Homosexualität ist kein politisches Programm, aber als homosexueller Mensch sollte man vielleicht doch ein bisschen Feingefühl haben, wenn man glaubt, anderen etwas sagen zu müssen.

Die Pferdehändler nennen untereinander das Pferd einen Esel, wenn sie es kaufen wollen und den Esel ein Pferd, wenn sie ihn verkaufen wollen. Aber gemeinsam müsen sie dennoch dafür sorgen, dass der Pferdehandel unbehindert vonstatten gehen kann.

Diese Grenze wurde hier wohl deutlich überschritten. Ob den beiden nicht in den Kopf gekommen ist, dass vielleicht auch Menschen zugehört haben, die in der Nazizeit verurteilt oder verfolgt wurden? Nicht nur dem Manfred kommt es sauer hoch, wenn hier ein spezieller deutscher Nationalismus schrttweise erneuert werden soll.

Unserer Szene konnte eigentlich bisher nichts besseres passieren, als eine Zeit der Skepsis gegenüber nationalistischen Ritualen, mit denen so leicht feiernd über die Schicksale der Opfer hinweggerollt werden kann.
Es grüßt Dich, Joachim

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