88. Ausgabe, Herbst-LUST 06
 
„Und ganz Deutschland muß nach der WM endlich zur No-Go-Area werden. Für all die Miesmacher, die alles besser wissen und nix besser können!“
In der BILD vom 05.07.06 schrieb der Kommentator Jörg Quoos den von uns in der Überschrift zitierten Satz. Er meint u.a.: „Was war das für ein Genörgel ... Die WM wird zu teuer! Die Stadien sind gefährlich! Ausländische Fans sind bei uns nicht überall sicher – Deutschland als No-Go-Area! So versauten uns die Berufspessimisten noch kurz vor der WM die Laune.“
 
Was sind denn nun die No-Go-Areas?
Nehmen wir das politisch unverdächtige Wikipedia-Lexikon:
„Der Begriff No-Go-Area bzw. Gefahrenzone bezeichnet Örtlichkeiten, meist Stadtviertel, in denen die öffentliche Ordnung durch den Staat nicht mehr garantiert werden kann. Gewalttätige Auseinandersetzungen sind hier häufig an der Tagesordnung, die Polizei steht den Randalierern und Verbrechern häufig weitgehend machtlos gegenüber oder wagt sich von sich aus nicht in die entsprechenden Bezirke. (...)
Eine andere Form von No-Go-Areas bezieht sich nicht auf die Polizei, die sich nicht in diese Gebiete wagt, sondern auf sogenannte national befreite Zonen, in denen das Straßenbild so sehr von Rechtsradikalen geprägt wird, dass sich etwa Ausländer und Angehörige linker Gruppen nicht öffentlich zeigen können, ohne gewalttätige Übergriffe zu riskieren. (...)
In Deutschland gibt es vor allem in ostdeutschen ländlichen Gebieten oder Kleinstädten bzw einigen Stadtteilen solche auch als Angsträume bezeichneten No-Go-Areas, in denen ausländische Besucher aber auch deutsche Bürger stark gefährdet sein sollen. Es sind eine Reihe von Todesfällen und zahlreiche lebensgefährliche Verletzte zu verzeichnen. Die afrikanische Gemeinde in Berlin will ausländische Besucher wie Asiaten, Afrikaner, Amerikaner, Südeuropäer und Israelis in Deutschland besser vor rassistischen Übergriffen schützen und zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006 eine Karte mit den No-Go-Areas in Deutschland vorlegen. Bekannt ist, dass es vergleichbare Karten bei den Wirtschaftsverbänden in den USA und in Japan bereits seit vielen Jahren gibt und eine Grundlage für Standortentscheidungen ausländischer Investoren bilden.“
 
Und was sind für BILD nun die Miesmacher?
Es sind wohl die Leute, die andere vor den gefahren in den Regionen warnen oder sie gewarnt haben, dass sie dort nämlich ihres Lebens nicht sicher sind und dass dort auch mit Hilfe von der Polizei nicht gerechnet werden kann.
 
Und was ist dagegen zu sagen?
BILD meint: „Die Deutschen haben es allen Nörglern und Bedenkenträgern kräftig gezeigt!

Noch nie hat sich Deutschland so fröhlich präsentiert wie in den vergangenen 26 Tagen. Als ob die WM eine graue Staubschicht vom Land geblasen hätte, leuchtet und strahlt plötzlich alles viel kräftiger. Sogar unsere schwarz-rot-goldene Flagge!

Auch der letzte Griesgram muß jetzt zugeben: Deutschland ist liebens- und lebenswert. Das Land ist wunderschön und steckt voller Chancen.“

Ja und? Was hat diese deutschtüm-elnde schwärmerische Romatik mit der berechtigten Kritik an den Verhältnissen zu tun? Ein Griesgram ist also einer, der Kritik an den Zuständen übt, beispielsweise an dem ständigen Lohn- und Sozialabbau, den Enteignungen ganzer Schichten der Gesellschaft, dem alltägliche Rassismus usw.
 
Wie soll es den Kritikern der Verhältnisse ergehen?
„Deshalb muß die Party jetzt weitergehen! Aufbruchstimmung, Selbstvertrauen, die gute Laune – all das müssen wir in den Alltag retten.
Es ist genau der Schwung, den wir für die schwierigen Aufgaben der Zukunft so dringend brauchen.
Und ganz Deutschland muß nach der WM endlich zur No-Go-Area werden. Für all die Miesmacher, die alles besser wissen und nix besser können!“

Und was eine No-Go-Area ist, haben wir geklärt, nämlich ein Gebiet, in dem die Kritiker dieser Zustände ihres Lebens nicht sicher sind und auch die Polizie ihnen nicht hilft.
 
Und das meinen andere:
„Bild“ verordnet National-Geilheit

Das ARD-Kulturmagazin „Titel, Thesen, Temperamente“ über die „schwarz-rot-geil“-Kampagne der „Bild“-Zeitung:
“Mit Autoaufklebern soll gegen „Nörgler“ und „Miesmacher“ zu Felde gezogen werden. BILD fordert: „Ganz Deutschland muss zur No-Go-Area werden. Für all die Miesmacher, die alles besser wissen und nichts besser können“. [Dem Frankfurter Schriftsteller Matthias] Altenburg geht das zu weit. (…)

„Es wurde gewarnt davor, bestimmte Gegenden zu betreten, wenn man eine andere Hautfarbe hat.
Dass das nun von der Bildzeitung ausgerechnet umgedreht wird und gesagt wird, alle, die sagen, es gibt in diesem Land Ausländerfeindlichkeit, es gibt Frem-denhass, es gibt Übergriffe und nicht zu wenige, dass die plötzlich irgendwo hingeschickt werden sollen, wo kein anderer anständiger Deutscher sich aufhält.“

Marcel Reich-Ranicki: „Worte wie Miesmacher, wie Nörgler sind im Dritten Reich vor allem von Göbbels verwendet worden. Ich würde empfehlen, auf diese Vokabeln eher zu verzichten oder vorsichtiger zu verwenden.“
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