96. Print-LUST, Herbst 08
 
Sexuelle Hilfsmittel
Ringe, Dildos in unterschiedlichen Formen, aufblasbare Puppen, Potenzmittel; Bilder, Hefte und Filme; sind diese Mittel nützlich, hilfreich oder sind sie entbehrlich und nur ein „Geschäft anstatt“?
 
Die beiden hier verlinkten Interviews sind Teil dieses Artikels. Das eine Interview von S. 10 mit Gabi und Marion von der Erotik-Boutique SHE! steht vor diesem zusammenfassenden Artikel, das andere von S. 13 mit Torsten von dem Pornoladen Adam & Eva, beide in Wiesbaden, ist nach diesem Haupt-Artikel in der Print-LUST zu lesen.

Als die DDR aufgrund eines Versehens von Schabowski die Grenzen aufmachte, stürmten die DDR-BürgerInnen in Westberlin vielleicht das Schöneberger Rathaus, um sich dort die Freiheitsglocke anzusehen?

Nein, sie stürmten die Pornoläden, vor denen lange schamlose Schlangen neugieriger DDR-BürgerInnen den Verkehr blockierten.
Bepackt mit großen Tüten kehrten sie dann nach einigen Stunden zurück in ihre Wohnungen in Berlin oder Umland der „Hauptstadt der DDR“. Ab diesem Termin sah man in ganz Westdeutschland Trabbis über die Autobahnen und Straßen fahren, und das Begrüßungsgeld landete sehr schnell in den jeweils vorhandenen Pornoläden und anderswo.

Nun kann man nicht sagen, dass es in der DDR geschlechtslos zuging, weshalb man dort „notgeil“ gewesen wäre, eher hatte man dort ein deutlich freieres Verhältnis zum Sex als in dem durch den Kircheneinfluss prüderen Westdeutschland, trotz Sexrevolte.

Also um ein „Geschäft anstatt“ geht bei den „sexuellen Hilfsmittel“ nicht wirklich. Ein Geschäft natürlich, denn wir leben ja in der Marktwirtschaft und da gibt es eben (nur) vorrangig das, was einen Marktwert hat.

Warum haben diese Artikel einen Marktwert? Ich denke, weil es sie gibt und sie (teilweise) ganz gut anwendbar sind. Es sind dies nun nicht Mittel der Moralerziehung und nur wenig zur Emanzipationsförderung, sondern für jeden zusätztliche Angebote. Sie sind ein Markt, weil sie Möglichkeiten bieten, die sexuelle Vielfalt zu erhöhen, und zwar jedem/jeder nach seiner/ihrer Facon.

Bei Männern scheint es grundsätzlich unverblümter zuzugehen als bei Frauen, besonders bei den Westfrauen, was sich sowohl in den beiden besuchten Läden wie den Antworten im Interview zeigt. Natürlich kann man das nicht generalisieren, weil es überall Ausnahmen gibt, doch der Trend ist erkennbar. Warum denn auch nicht?

Männer und Frauen sind nun mal in der Regel von ihren anerzogenen Rollen her und daher ihrem Wesen nach recht unterschiedlich.
Daher gilt wohl bei den Heten der Spruch „Gegensätze ziehen sich an“ oder auch „Gegensätze ergänzen sich“ und bei den Lesben und Schwulen eher „die Verschiedenen langweilen sich, die Gleichen verstehen sich“.

Das Sortiment von Erotik-Läden, die als Zielgruppe eher die Frau haben beziehungsweisen den frauenverwöhnenden Mann, ist so aufgestellt, dass ein erotisches liebevolles Aufeinanderzugehen gefördert wird.

Das eher den Mann und seine Bedürfnisse ansprechende Sortiment in einem sogenannten Pornoladen will da eher auf direktere Weise wirksam werden, als auch, wenn gar kein/e PartnerIn vorhanden ist und dennoch sexuelle Lust vorhanden ist und erlebt werden will.
Anders ausgedrückt: im Frauenladen geht es um das Atmosphärische und dann natürlich auch um des Direkte, im Männerladen geht es um das Direkte und das Vollziehende.

In beiden Läden wird betont, dass auch das andere Geschlecht angesprochen ist und auch KundInnen zu finden sind. Das zeigt, dass solche geschlechtsspezifischen Zuordnungen für einen Teil der KundInnen entbehrlich sind, dass das für sie eher eine Geschmacksfrage ist.

Dass sich Frauen für ihren Mann erotisch und schön machen wollen, ist völlig in Ordnung und liegt durchaus in der Natur der Sache und im Wesen der Geschlechtsrollen, wenn eben beide heterosexuell sind, und dass sich frau für ihre Frau erotisch anziehend macht, soll auch vorkommen, wenn vielleicht auch mit anderen Mitteln, oder eben doch den gleichen? Das herauszufinden war uns in den Interviews nicht möglich. Tatsächlich wird hier natürlich ein klassisches und archaisches Bild von den Geschlechtsrollen und den Beziehungsmustern gezeichnet.

Dass sich Mann für seine Frau erotisch macht, zeigt sich danach wohl eher in seinen vorerotischen Umgangsformen, also eher subtil. Wenn sich Mann für seinen Mann scharf macht, zeigt sich allerdings auch hier in direkteren und drastischeren Bahnen, kann man annehmen.

Bei Erotik und Sex geht es dem Wesen nach darum, sich selbst und gegenseitig Genuss zu verschaffen, und das verläuft nun mal nicht immer politisch korrekt, wenn schon die gesamte Gesellschaft in ihrer Bipolarität eben nicht politisch korrekt ist. Das eine scheint die Folge aus dem anderen zu sein, die sexuellen Umgansformen also die Folge der gesellschaftlichen Umgangsformen, in denen eben auch noch archaische Vorstellung dominieren.

Und so ist es dann kein Wunder, wen rollentypisch in dem einen Laden von erotischer Faszination gesprochen wurde, aber eben auch von direkten Erfüllungen und im anderen Laden deutlicher ausgesprochen wurde, dass es hier auch um Märkte geht, um das Befriedigen vorhandener Bedürfnisse im Rahmen marktwirtschaftlicher Parameter.

Und so schließt sich hier in unseren Überlegungen der Kreis mit den sexuell gar nicht prüden DDR-Bür-gerInnen, die schon längst der Faszination marktwirtschaftlicher Strukturen erlegen waren, sie jedoch noch nicht kannten, mit den westlichen BürgerInnen, die moralische bzw. religiöse Vorbehalte haben und sich beim Betreten solcher Läden bewusst sind, etwas verruchtes zu tun.

Doch bei beiden taucht dann wohl nach einiger Zeit des selbstverständlichen Umgangs mit Hilfsmitteln in ihrer Direktheit doch die Erkenntnis auf, dass doch gar nichts dabei ist.

Wir Älteren müssen zugeben, dass wir diese Selbstverständlichkeit trotz sexueller Revolte noch nicht so verinnerlicht haben wie die nachwachsenden Jugendlichen. Und wie das bei Jugendlichen heute eben anders ist als bei uns in unseren anerzogenen Strukturen, zeigt sich, dass es hier doch gar kein Problem gibt: die Leute machen eben, wozu sie Lust haben und kaufen daher das, wovon sie sich Lust versprechen beziehungsweise Lust und Anregung erwarten können.

In sexuelle Zusammenhängen mehr Probleme zu sehen als in anderen gesellschaftlichen Zusammenhängen, ob da nicht doch die anerzogene Moral statt der befreite Mensch erkennbar ist? (js)

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