- 87. Ausgabe, Sommer-LUST 06
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- Kommentar der Gruppe ROSA LÜSTE zum Thema des Open Ohr
Festivals
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- Das Private ist politisch
Einen großen Meilenstein in dieser Diskussion setzte
die Frauenbewegung der 70er Jahre mit ihrer Forderung Das
Private ist politisch!. Hintergrund dieses Postulates war
die Tatsache, dass bestimmte soziale Missstände wie bspw.
die Vergewaltigung in der Ehe als Privatsache deklariert
und damit einer öffentlichen Diskussion und Sanktionierung
entzogen wurden. Ein zentrales Anliegen war es darum, private
Ungerechtigkeiten öffentlich an den Pranger zu stellen und
der Verschleierung von Menschenrechtsverletzungen im privaten
Raum ein Ende zu setzen, schreibt die Projektgruppe zum
Thema Privat.
Die Aussage war richtig, fand ich als schwuler 68er Mann, sah
aber auch die Gefahren, denn es gab noch immer den § 175
StGB und eine Öffentlichkeit, die lustvoll und sensationsgeil
hier Privates aufdecken wollte, freilich nicht aus dem Grunde,
an homosexueller LUST teilzunehmen, sondern so ganz nebenbei
unsere bürgerliche Existenz, unser privates Leben zu zerstören.
Und wir linken schwulen Männer verstanden auch die Ablehnung
der traditionellen Schwulenszene uns gegenüber, wenn wir
die schlimmsten Befürchtungen der sensationsgeilen Spießer
bestätigten und uns über die Spießer lustig machten.
Wir sind angeblich keine richtigen Männer? Gut, dann laufen
wir im Fummel umher. Wir haben angeblich keine Scham? Gut, dann
demonstrieren wir offen knutschend unsere Homosexualität.
Unsere Strategie ging aus dem Verborgenen in die Öffentlichkeit.
Unterstützung erhielten wir linken schwulen Studenten von
den Sexualwissenschaftlern, allen voran Martin Dannecker und
Rüdiger Lautmann. Der Erziehungswissen-schaftler Helmut
Kentler: Man darf nicht vergessen, das war die Zeit der Sexrevolte
und der öffentlichen Aufklärung, zum Beispiel Oswalt
Kolle. Hier entwickelte sich etwas, das hatte Kinsey schon Jahre
früher in den USA unterstützt. Und daher war das damals
die genau richtige Strategie der linken schwulen Studenten, die
ihr Schwulsein öffentlich machten.
Ja, verstehen konnte man die Schwulen in den Lokalen, die keine
Studenten waren, sondern im Berufsleben standen und viel zu verlieren
hatten, das sie entsetzt meinten: Ihr lenkt doch die Aufmerksamkeit
nur auf uns. Man konnte es aber nicht selber nachvollziehen,
denn unsere Erfahrungen waren anders. Es entstand beim Outing,
wie das heute heißt, das Gefühl einer größeren
individuellen Freiheit. Und weil die Teilnehmer-Innen der Sexrevolte,
die ja eine ganze Generation Jugendlicher ergriffen hatte, experimentierfreudiger
wurden, erweiterten sich unsere realen Möglichkeiten der
spontanen Kontaktaufnahme.
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- Freilich, auch unter den linken Studenten gab es Vorbehalte
gegen uns, und so mancher von ihnen glaubte, sich ständig
öffentlich distanzieren zu müssen, damit er nicht selber
vor den Frauen, denen er imponieren wollte, in Verdacht geriet.
So frei waren wir dann auch nicht. Das Ulkige stellte sich ein:
die linken Frauen, die ohnehin bisweilen Schwierigkeiten mit
der sexuellen Befreiung ihrer Sexpartner hatten, die auch die
homo-sexuellen Seitensprünge so mancher ihrer Sexpartner
nicht mochten, diese linken Frauen suchten sich die bürgerlichen
Schwulen aus, die sich als bürgerlich moralisch gaben, und
in dieser Anpassung Anerkennung erhofften. Die linken Frauen
versuchten, selber an diese Moral zu glauben, um sie freundlich
zu tolerieren. Und diese angepassten Schwulen, wie wir sie nannten,
die hielten sie uns linken wilden Schwulen vorwurfsvoll als leuchtende
Beispiele vor die Nase: Es gibt auch noch anständige Schwule.
Na prima. Schluss mit lustig? Zum Teil vielleicht ja schon.
Und es ist ja wahr. Wenn die Studienzeit vorbei ist, was ist
dann? Dann will man doch auch das Erlernte zum Gelderwerb benutzen.
Dann hat man KollegeInnen, die als sexuell eher Unterdrückte
nach Sensationen bei anderen suchen, um sich dann über die
Leute herzumachen, bei denen sie etwas entdeckten, das im Karrieresinne
nutzbar gemacht werden konnte.
In Bezug auf den heute neu zu beobachtenden Trend, sich in den
Medien und im Internet zu entblößen, schreibt das
Veranstalterteam: Was jedoch aus dem Bewusststein gerät:
wer sich in die mediale Öffentlichkeit begibt, der geht
ein hohes Risiko ein, die Interpretationshoheit über die
eigene Person und über das eigene Leben zu verlieren.
Ja, die Interpretationshoheit, die hatten wir linken StudentInnen
in unseren Reihen und übertrugen sie zu deren Entsetzen
auf die anderen Teile der Gesellschaft, die sich verschreckt
einigelten und vorübergehend verstummten.
Die eher konservativ bürgerlichen Kräfte, die klerikalen
Tugend-Macht-Gewinnler sind aber noch da und lauern auf ihre
Chancen, mittels Moral die Bevölkerung wieder zu disziplinieren.
Daran ändert auch nicht, dass in Talkshows massenhaft das
Innere von Sexbeziehungen nach außen getragen wird, und
dort einem vor Doppelmoral triefenden sensationslüsternen
Publikum ausgeliefert wird, mit der entsprechenden doppelmoralischen
Inter-pretationshoheit der Claqueure.
Über die Gefährdung von Persönlichkeitsrechten
Einzelner hinaus hat die Überschwemmung der Öffentlichkeit
mit privaten Inhalten noch eine weitere, auf der gesellschaftlichen
Ebene dramatische Komponente: Die Entpolitisierung der öffentlichen
Meinungsbildung. Sie zeigt sich im Boom von Infotainmentsendungen,
in feuilletonistischen Betrachtungen über die weiblichen
oder männlichen Attribute einer Bundeskanzlerin und fand
einen ihrer vorläufigen Höhepunkte im Amtsenthebungsverfahren
gegen Bill Clinton, schreibt das Team.
Richtig wird hier analysiert, dass es eben auf den Zeitgeist,
auf das gesellschaftspolitische Umfeld ankommt, wie wirkungsvoll
es sein kann, das Private nach außen zu tragen. Wenn es
nicht in einem politisch sinnvollen Zusammenhang nach außen
getragen wird, haben die Doppelmoralapostel die Interpretationshoheit,
und gerade die Doppelmoral bezüglich dem Privaten bringt
die Gewinne und Einschaltquoten bei den Medien.
Das ist meine Privatsache, sagt so manche Lesbe und sagt so mancher
Schwuler, wenn man sie oder ihn fragt, ob sie oder er denn auch
all diese moralischen Statements selber einhält, mit denen
sie/er vorwurfsvoll die anderen in der Szene kritisiert. Die
Doppelmoral ist also auch hier deutlich vorhanden, der Wille,
sich selber kritisch zu hinterfragen oder sich hinterfragen zu
lassen, ist nicht mehr zu erkennen. So kann man keine Offensiver
gegen die immer stärker werdende Moralisierung und Funktionalisierung
des Privaten führen.
Wenn aber nahezu die gesamte Gesellschaft z.B. antihomosexuelle
verhetzt zu sein scheint, wenn die Staatsorgane, die religiösen
Führer und der Nazi-Sumpf gemeinsame Sache machen, dann
ist das Private für Lesben und Schwule derart unerträglich,
derart voll von kleinen und großen Tragödien des Lebens,
wie es immer noch in vielen Ländern ist, offensichtlich
auch in Russland. Was will man dann erreichen, wenn man das Private
in die Öffentlichkeit bringt, die auch noch die Deu-tungshoheit
hat und zu nutzen weiß. Dann macht es wohl keinen Sinn,
sich zu zeigen.
Schwule Männer und lesbische Frauen sind aber nicht nur
am Schutz ihrer Privatsphäre interessiert, denn wie soll
man denn andere Lesben und Schwule finden, in einer Zeit, in
der sich die Szene von den Lokalen und anderen Treffpunkten ins
Internet verlagert?
Im Internet erleben wir eine derartige Öffentlichkeit des
Privaten, dass die unterschiedlichsten Anbieter von kostenlosen
öffentlichen Chat-Einrichtungen die sogenannten Schwulen-Seiten
geschlossen haben und immer wieder auf der Suche nach Ersatzseiten
sind. Denn Männer wissen ganz genau, dass ein bisschen Schwanzwedeln
andere Männer überzeugen, kann, die an Männersex
interessiert sind, dass damit die üblichen Alters- und Gewichtangaben,
die als selbstverschuldete szeneinterne ideologische Barrieren
fungieren, leicht übersprungen werden können.
Das wissen auch die Betreiber der Gay-Seiten. Bei diesesen Seiten
ist das öffentliche Schwanzwedeln zwar möglich, doch
ist eine solche Kontaktaufnahme mit der Kamera dann nicht mehr
kostenlos, was meist damit begründet wird, dass die Jugend
geschützt werden soll. Die besonders jungen Männer,
die sich tatsächlich auf eine solche Seite begeben, sind
häufig an kostenpflichtigen realen Kontakten interessiert.
Meist begegnen sich hier die Partner von cam zu cam, bringen
sich so, jeder für sich, zur Entspannung, was zumindest
den Vorteil hat, wirklich safe zu sein. Es gibt auf Lesbenseiten
ähnliches. Und es gibt auf Hetenseiten auch eine ganze Fülle
solcher Seiten, wobei besonders hier auch viele weibliche Prostituierte
den Männern gefällig sind.
Hier wird das Öffentlichmachen des Privaten nicht als störend
oder problematisch empfunden, obwohl ja doch jemand für
eine schöne Sache, über die wir alle genügend
verfügen, kassieren kann. Natürlich kostet das Betreiben
solcher Seiten auch Geld, und sie müssen ja auch zur Verfügung
stehen, um genutzt werden zu können.
Szene im Internet, Homo-Ehe, Privatheit von Lesben und Schwulen
sind ja gesellschaftlich eher erwünscht, denn so kann die
gelebte Homosexualität wieder aus der Kultur des Sexuellen
der Menschen verdrängt und auf die Subkultur der Lesben
und Schwulen reduziert werden, eine Form der Sexualität,
bei der im Prinzip die Doppelmoral völlig sinnlos ist, weil
es für sie ohnehin keine andere Begründung als die
schiere Lust gibt.
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