- 87. Ausgabe, Sommer-LUST 06
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- Thema 2006: Privatsache!
Das 32. OPEN OHR Festival setzt sich unter dem Titel Privatsache!
mit der Grundfrage nach der Grenzziehung zwischen privater und
öffentlicher Sphäre auseinander - eine Frage, der sich
eine Gesellschaft immer wieder aufs Neue stellen muss. Was geht
alle an und was betrifft nur den Einzelnen - Entscheidungen,
die auch jede/r Einzelne für sich selbst treffen muss, wenn
es darum geht, die eigenen Grenzen zu ziehen oder sich aktiv
ins öffentliche Leben einzuschalten.
Mit der Trennung zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit
manifestiert sich eine Grundfeste menschlicher Existenz in einem
demokratischen Rechtsstaat. Eine Reihe von Gesetzen sichert dem
Menschen einerseits den Schutz seiner Privatsphäre und andererseits
seinen Anspruch auf die Teilnahme am öffentlichen Leben
und die Teilhabe an gemeinschaftlichen Gütern.
Drei aktuelle Entwicklungen bringen diese Grundfeste jedoch zunehmend
ins Wanken: Das Recht auf einen persönlichen Schutzraum
wird gegenwärtig sukzessive durch staatliche Zugriffe unterspült.
Gleichzeitig ist zu beobachten, dass es im Zeitalter der Massenmedien
in Mode gekommen ist, das Privateste zu kommerzialisieren und
für zwei Minuten medialer Aufmerksamkeit zu verramschen.
Schließlich ist auf der staatlichen Ebene eine fortschreitende
Privatisierung ehemals als öffentlich betrachteter Angelegenheiten
zu beobachten.
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- Diese Entwicklungen stellen die Grenzziehung
zwischen Privatem und Öffentlichem auf eine neue und weitreichende
Art und Weise zur Disposition. Umso seltsamer mutet es an, dass
eine grundsätzliche Debatte über das sich drastisch
verändernde Verhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit
fehlt; eine Debatte über unseren Umgang mit Individuumsrechten
auf der einen Seite sowie öffentliche Angelegenheiten und
öffentliche Kontrolle auf der anderen Seite. Dies liegt
möglicherweise daran, dass die Medien, die selbst die treibende
und profitierende Kraft wenigstens einer dieser drei Entwicklungen
sind, kaum Interesse an einer selbstkritischen Reflexion haben.
Umso mehr ist es geboten, dieses Thema auf dem OPEN OHR zu verhandeln!
Das 32. OPEN OHR als öffentlicher Raum der kritischen Auseinandersetzung
stiftet zum großen Lausch- und Diskussionsangriff an, um
das Verhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit neu
zu verorten zweier Sphären, deren Funktionen sich
grundlegend unterscheiden.
Gratwanderung
Das Verhältnis zwischen der privaten und der öffentlichen
Sphäre hat schon in der griechischen Polis für Gesprächsstoff
gesorgt. In unterschiedlichsten Epochen und Kulturen haben sich
Menschen damit auseinandergesetzt und darüber gestritten,
wo die Grenze zwischen Privatem und Öffentlichem verläuft,
was Innen und was Außen seinen Platz hat.
Aus heutiger (und eurozentristischer) Sicht ist das Private ein
autonom abgrenzbarer Rückzugsraum, in dem wir vor dem unerwünschten
Eingriff und Zugriff des Staates sowie anderer Menschen geschützt
sind. In dieser Sphäre können wir weitgehend frei entscheiden,
wen wir an unserem Leben teilnehmen und teilhaben lassen
und welche mehr oder weniger spektakulären Dinge wir alleine
oder mit anderen hinter verschlossenen Türen machen möchten.
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- Das Private kann sich in den eigenen vier
Wänden, in Hotelzimmern und Campingzelten, aber auch im
Briefkuvert oder im Kopf abspielen. Es gibt uns die Möglichkeit,
uns vom permanenten Bewährungsdruck in der Öffentlichkeit
zu erholen, Abstand zu nehmen und die eigenen Werte, Wünsche
und Ansprüche zu reflektieren. In diesem Sinne stellt die
Privatsphäre die Ressourcen bereit, die wir für die
aktive Teilhabe am öffentlichen Leben brauchen.
Im Gegensatz zum geschützten Privatbereich ist die Öffentlichkeit
ein allgemein zugänglicher Raum. Ob im Wohnblock oder weltweit
- Öffentlichkeit ist allgegenwärtig: im Sportverein,
im Beruf, in den Medien oder in gesellschaftlichen und politischen
Institutionen. Und Öffentlichkeit ist unkontrollierbar,
da eine prinzipiell unbegrenzte Zahl von Menschen an öffentlichen
Ereignissen und Geschehnissen teilhat. Sobald wir in die Öffentlichkeit
treten, müssen wir mit einer erhöhten Aufmerksamkeit
und Beurteilung rechnen und stehen somit unter Bewährungsdruck.
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- Allerdings bietet uns der öffentliche
Raum die Chance, uns vor anderen zu beweisen, uns ein Denkmal
zu setzen oder - im besten bürgergesellschaftlichen Sinne
- im Kleinen oder im großen Ganzen ins gesellschaftliche
und politische Geschehen einzugreifen. Denn vor allem ist der
öffentliche Raum das Forum, in dem sich die Mitglieder einer
Gesellschaft sozial und politisch engagieren und auseinandersetzen
und um die besten Konzepte zur Regelung gemeinsamer Angelegenheiten
ringen.
die Grenzen setzt der Mensch sich selbst
Die unterschiedlichen Funktionen des Privaten und des Öffentlichen
bedeuten auch, dass sich Veränderungen in der Grenzziehung
zwischen Privatem und Öffentlichem auf die einzelnen Individuen
und auf die gesamte Gesellschaft auswirken. Die Grenze zwischen
den beiden Sphären ist einem Prozess permanenten Wandels
unterworfen, der sich mal langsam und mal schleunig (zurück-)entwickelt.
Treibende Kraft hierbei ist das menschliche Handeln. Im Grunde
ist jeder Mensch - wenigstens in Hinblick auf die Abgrenzung
der eigenen Privatsphäre - Teil dieses Prozesses.
Menschen tragen aber auch über ihre Eigenschaft als Privatperson
hinaus Verantwortung für die Grenzziehung zwischen Privatheit
und Öffentlichkeit - ob in der Rolle des/der StaatsvertreterIn,
des/der MedienmacherIn oder als Bürgerbewegte. So kann die
Staatsgewalt Gesetze erlassen (oder selbst untergraben), die
die Privatsphäre schützen, verletzen oder verändern.
Medien tragen durch die Ignoranz oder die Thematisierung von
sozialen Problemen zur Beibehaltung oder Neudefinition der Grenze
zwischen Privatheit und Öffentlichkeit bei. Bürgerinitiativen
oder Selbsthilfebewegungen demonstrieren private Missstände
im Licht der Öffentlichkeit. All diesen Akteuren ist gemein,
dass sie durch ihr individuelles oder kollektives Handeln Einfluss
auf das Verhältnis zwischen Privatem und Öffentlichem
nehmen.
Über das menschliche Handeln hinaus gibt es noch weitere
Einflussfaktoren. Sowohl der technologische Fortschritt und die
damit verknüpfte beschleunigte Verbreitung von Informationen
als auch die Globalisierung haben uns vielschichtige Einblicke
in die Lebenswelten anderer Kulturen eröffnet. Nicht zuletzt
diese drei Einflussfaktoren haben dazu beigetragen, dass die
Grenze zwischen öffentlichem und privatem Raum in beide
Richtungen und in rasantem Tempo immer durchlässiger wird.
Schaut mich an
Die Inflation des Privaten in der medialen
Öffentlichkeit
Einen großen Meilenstein in dieser Diskussion setzte die
Frauenbewegung der 70er Jahre mit ihrer Forderung Das Private
ist politisch!. Hintergrund dieses Postulats war die Tatsache,
dass bestimmte soziale Missstände wie bspw. die Vergewaltigung
in der Ehe als Privatsache deklariert und damit einer
öffentlichen Diskussion und Sanktionierung entzogen wurden.
Ein zentrales Anliegen war es darum, private Ungerechtigkeiten
öffentlich an den Pranger zu stellen und der Verschleierung
von Menschenrechtsverletzungen im privaten Raum ein Ende zu setzen.
Der Prozess der Enttabuisierung des Privaten hat jedoch auch
eine Kehrseite: die fortschreitende unreflektierte Veröffentlichung
von privaten und sogar intimen Inhalten bis hin zu ihrer vollständigen
Trivialisierung. Begünstigt wird diese Entwicklung von der
zunehmenden Verbreitung und Ausdifferenzierung der Massenmedien:
Klatschblätter schauen per Homestory oder ganz ohne Einladung
durchs prominente Schlüsselloch und geben - völlig
frei von jeder Ironie - wenige Seiten später Tipps, was
zu tun ist, wenn der/die Ex-FreundIn stalkt.
In besonders inflationärer Weise betreibt das Medium Fernsehen
die Kommerzialisierung von privaten Inhalten. So werden etwa
unter dem Deckmantel des fairen Schlagabtauschs die
tatsächlichen oder konstruierten Einzelschicksale von Talkshowgästen
bei Vera am Mittag und ihrer TV-Verwandtschaft zur
Unterhaltungsware. Öffentliche Vaterschaftstests (wie steht
es da eigentlich um die Persönlichkeitsrechte der betreffenden
Kinder?) sind nur ein Kassenschlager im medialen Gemischtwarenladen.
Der vorgebliche Anspruch der TalkshowmacherInnen - aufzuklären,
transparent zu machen und unterschiedliche Lebenswelten abzubilden
- scheitert schon an der fehlenden gesellschaftskritischen Einordnung
und Bewertung der Themen.
Unter den privatheits-pimpenden Massenmedien nimmt
das Internet eine Sonderstellung ein, weil es dem webfähigen
Individuum erlaubt, Inhalte selbst zu gestalten und öffentlich
zugänglich zu machen. Eine wachsende Zahl an UserInnen nutzt
das neue Medium, um sich in Form von persönlichen Homepages
und Blogs selbst darzustellen. Nie zuvor war es so leicht und
gab es so vielfältige Möglichkeiten, eine so breite
Öffentlichkeit für Privates zu erhalten.
Was jedoch aus dem Bewusststein gerät: wer sich in die mediale
Öffentlichkeit begibt, der geht ein hohes Risiko ein, die
Interpretationshoheit über die eigene Person und über
das eigene Leben zu verlieren.
Woher kommt überhaupt das Interesse an den Privatangelegenheiten
anderer und warum erscheint es so reizvoll, sich vor einem völlig
unbekannten Publikum zu entblößen? Mögen sich
die Motive bei Prominenten und Privatpersonen auf die generelle
Sucht nach öffentlicher Aufmerksamkeit und finanzielle Interessen
beschränken, kommt in Hinblick auf PolitikerInnen noch ein
weiterer wichtiger Beweggrund hinzu, der Faktor Macht: Zum Zweck
der Machtgewinnung bzw. des Machterhalts werden politikfremde,
private Inhalte instrumentalisiert. Was gern als zeitgemäße
Transparenz und Authentizität präsentiert wird, ist
in der Mehrzahl der Fälle nichts anderes als eine Strategie,
die Gunst des Wahlvolks zu mehren, um in der Parteizentrale,
am Kabinettstisch oder im Wahlkampf zu punkten. Doch nicht immer
geht die Rechnung auf, wie der Fall des plantschenden Rudolf
Scharping zeigt, dem die Öffentlichkeit den Freischwimmerschein
verweigerte.
Über die Gefährdung von Persönlichkeitsrechten
Einzelner hinaus hat die Überschwemmung der Öffentlichkeit
mit privaten Inhalten noch eine weitere, auf der gesellschaftlichen
Ebene dramatische Komponente: Die Entpolitisierung der öffentlichen
Meinungsbildung. Sie zeigt sich im Boom von Infotainmentsendungen,
in feuilletonistischen Betrachtungen über die weiblichen
oder männlichen Attribute einer Bundeskanzlerin und fand
einen ihrer vorläufigen Höhepunkte im Amtsenthebungsverfahren
gegen Bill Clinton.
Schaut euch um
Der Eingriff des Staates in die Privatsphäre
Mit der 1983 geplanten Volkszählung geriet der Staat durch
die massive Erhebung persönlicher Daten und den Eingriff
in die private Sphäre eines jeden Bürgers/einer jeden
Bürgerin in die Kritik. Eine flächendeckende Anhäufung
von Daten sollte Aufschluss geben über die demografische
und soziale Zusammensetzung des westdeutschen Volkes. Die Angst,
überwacht und vollkommen ausgeleuchtet und somit zum gläsernen
Menschen zu werden, der dem allwissenden Staat
ausgeliefert ist, war die Folge. Als Reaktion darauf erließ
das Bundesverfassungsgericht das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung, wonach jede/r BürgerIn das Recht
hat, grundsätzlich über die Preisgabe und Verwendung
seiner/ihrer persönlichen Daten zu bestimmen. An der vier
Jahre später tatsächlich durchgeführten Volkszählung
nahmen dann erstaunliche 99% der Bevölkerung bereitwillig
teil.
Die Errungenschaft der informationellen Selbstbestimmung wird
kaum zwei Jahrzehnte nach ihrer gesetzlichen Verankerung mit
Füßen getreten und es regt sich nichts: Im Zuge der
Terroranschläge vom 11. September 2001 wurde ein Gefährdungsszenario
entfaltet, das umfassende Datensammlungs- und Überwachungsmaßnahmen
zur Konvention für weite Teile der Gesellschaft werden ließ.
Die nachvollziehbare Befürchtung weiterer Anschläge
wurde zu einem generellen Klima der Angst übersteigert.
Verschärfte Sicherheitsmaßnahmen - die letztlich nichts
anderes waren als Übergriffe des Staates in die Persönlichkeitsrechte
seiner BürgerInnen - wurden von der Bevölkerung sogar
als beruhigend empfunden. Zu nennen sind hier beispielsweise
die verstärkte Videoüberwachung auf Bahnhöfen
und Flughäfen, die erhöhte Präsenz von (Zivil-)
Polizei, die umfangreichere Telefonabhörung, die Speicherung
von Mobiltelefondaten, die Rasterfahndung und Islamistendatei,
der biometrische Reisepass sowie die Durchsuchung von sämtlichen
E-Mails nach Code-Wörtern.
Doch nicht nur der Staat, sondern auch Wirtschaftsunternehmen
springen auf den Zug der technischen Innovationen auf und entlocken
ihren KundInnen per Payback-Anreizen und Preisausschreiben persönliche
Daten. Diese werden für die Erstellung von individuellen
Kundenprofilen genutzt und an Dritte weitergegeben und -verkauft.
In besonders eklatanter Weise wird diese Vorgehensweise bei der
Vergabe der WM-Tickets praktiziert. So mussten die Fußball-Fans
bei der Registrierung für ein Ticket im Internet zahlreiche
persönliche Daten, wie sogar die Personalausweisnummer,
herausgeben. Die Rechtfertigung dieser Praxis mit Sicherheitszwängen
wird allein schon dadurch demaskiert, dass die erfassten Daten
erst ein Vierteljahr nach dem Abpfiff des Endspiels gelöscht
werden.
Verursacht durch kommerzielle Erwägungen oder durch Gründe
der Sicherheit der Kontrollverlust über die informationelle
Selbstbestimmung beeinträchtigt nicht nur das einzelne Individuum.
Die Neujustierung der Grenze zwischen Privatheit und Öffentlichkeit
gefährdet auf der gesellschaftlichen Ebene das Weiterbestehen
des demokratischen Rechtstaates. Ein gefährliches Paradoxon
stellt hierbei die Tatsache dar, dass im Namen der Verteidigung
des Rechtstaates eben dieser zersetzt wOpen Ohr
In jedem Jahr wird in Mainz auf der Zitadelle das Open Ohr Festival
veranstaltet, und in jedem Jahr wird es unter ein politisches
Thema gestellt, dem, wie Ihr hier seht, eine umfangreiche Analyse
vorangegangen ist. Und das war auch in diesem Jahr so. Wir waren
anwesend und haben uns hier auch in diesem Jahr wieder Anregungen
für die politische Arbeit der ROSA LÜSTE und die Themen
der Zeitschrift LUST geholt wird.
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- Schaut, wo ihr bleibt
Die Privatisierung
öffentlicher Aufgaben
Eine Veränderung in erodierendem Ausmaß erfährt
das Verhältnis zwischen Privatem und Öffentlichem auch
durch die massive Privatisierung vormals als gesamtgesellschaftlich
erachteter Angelegenheiten. So werden Aufgaben wie die Bereitstellung
von Bildungsangeboten, Gesundheitsdiensten und die Alterssicherung
an das Individuum delegiert. Für den Bildungsbereich bedeutet
das beispielsweise, dass studierende MitbürgerInnen fortschreitend
schlicht und ergreifend zu Bildungskundschaft deklassiert werden.
Als KundInnen verhalten sie sich marktgerecht und wählen
aus den bestehenden Angeboten das ihnen in Bezug auf das Preis-Leistungsverhältnis
als das am günstigsten Erscheinende aus.
Einen weiteren Aspekt dieser Entwicklung bildet die Vielzahl
an Privatisierungen ehemals staatlicher Unternehmen. Die Aufgabe,
die Grundversorgung der Bevölkerung mit Dienstleistungen
von Telekommunikation bis Mobilität zu sichern, wurde sukzessive
veräußert. Auch der/die normale VerbraucherIn spürt,
wenn Portokosten und Bahnpreise permanent steigen oder die zuvor
erschwingliche Mietwohnung durch eine - als Folge der Privatisierung
einer kommunalen Wohnungsbaugesellschaft - aufgezwungene Sanierungsmaßnahme
unbezahlbar wird.
Die fortschreitende Privatisierung schließt auch die Delegierung
von Teilen des staatlichen Gewaltmonopols an private Sicherheitsfirmen
ein. Diese erfahren einen nie gekannten Boom und die Frage beunruhigt,
wie lange es dauern wird, bis wir auch in der BRD die Etablierung
einer privaten Gefängnisindustrie für selbstverständlich
halten, wie sie in den U.S.A. längst existiert. Als Begründungen
und Rechtfertigungszusammenhänge für die genannten
Privati-sierungstendenzen werden vor allem mangelnde Finanzierbarkeit,
die Ineffizienz des Staates und die Schwerfälligkeit der
Bürokratie angeführt.
Vor dem Hintergrund dieser Begründungen und flankiert von
der herrschenden neoliberalen wirtschaftswissenschaftlichen Lehre
werden Privatisierungen als alternativlos verkauft. Absurd wird
es, wenn die Privatisierung mit den damit einhergehenden individuellen
Gestaltungschancen schmackhaft gemacht werden soll und
Menschen, bei denen es gerade so zum Leben reicht, aufgefordert
werden, für´s Alter privat vorzusorgen. Das Prinzip
der gesellschaftlichen Solidarität wird sukzessive abgelöst
durch das Marktprinzip, in dessen Rahmen Privatpersonen auf der
Basis ihrer individuellen Interessen und Ressourcen entscheiden
und handeln. Letztlich geht es bei dieser Verschiebung der Grenzen
zwischen privaten und öffentlichen Angelegenheiten um nichts
Geringeres als um die fortschreitende Aufkündigung des contrat
social, um die Ablösung eines positiven Politikverständnisses,
in dem mündige BürgerInnen durch gemeinsame öffentliche
Interessen miteinander verbunden sind, ihre gemeinsamen Angelegenheiten
öffentlich regeln und für eine Gleichverteilung menschenwürdiger
Lebenschancen aller einstehen.
Im Fadenkreuz der Öffentlichkeit belagern wir die Zitadelle!
Das OPEN OHR bietet die einzigartige Verknüpfung von Privatleben
zwischen Zeltstangen und öffentlichem Diskurs auf Drususstein,
Mauer & Co! Auf der Zitadelle werden vier Tage lang das Verhältnis
von Privatem und Öffentlichem öffentlich zur Diskussion
gestellt. Anstatt StellvertrerInnen-Diskussionen à la
Christiansen und Illner zu führen, melden sich OPEN OHR-BesucherInnen
selbst zu Wort, fechten Kontroversen aus und lassen sich ihre
Lust am Streiten nicht von einer vermeintlichen Öffentlichkeit
streitig machen.
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