78. LUST, Herbst 03
 
Bücher
Nicht nur die Buchmesse ist ein Grund, sich im Herbst um Bücher zu kümmern. Und auch der Literaturnobelpreis ist nicht unbedingt ein Grund. Auch die vermutliche guten Verkaufsabschlüsse auf diversen Messen können kein ausschließlicher Grund sein. Man kann in Büchern auch lesen. Und der Herbst ist die Zeit, wo man sich auch mal schön zuhause in einen gemütlichen Stuhl setzen kann, den Rechner und die Glotze ausmachen kann, ruhige klassische Musik anmachen kann, wo man sich mal wieder in Literatur vertiefen kann. Und da gibt es auch das eine und andere. Wir zeigen hier nicht nur Neuerscheinungen auf, sondern auch Bücher aus unserem Fundus, die wir bisher noch nicht besprochen hatten.

Das kurze Leben der Jüdin Felice Schragenheim
mit dem Untertitel “Jaguar”, Berlin 1922 – Bergen-Besen 1945, zur Geschichte “Aimée & Jaguar”. Diese dokumentarische Erzählung, zusammengefasst von Erica Fischer, erschienen im Deutschen Taschenbuch Verlag (dtv), 200 Seiten, kostet 25,- EUR. ISBN 3-423-30861-3.
Diese dokumentarische Erzählung beschreibt das Leben von Felice Schragen-heim und liefert dazu Dokumente in Form von Urkunden (Geburtsurkunde, Schulzeugnisse usw.), Fotos und von Felice selbst verfassten Gedichten. Sie beschreibt, dass Felice in einer liberalen und sozialistischen Familie aufwächst, die sich mit gleichgesinnten Freunden umgibt. Dazu gehören auch der Schiftsteller Leon Feuchtwanger und seine Schwester Henny. Die Eltern, beide Zahnärzte, betreiben eine Zahnarztpraxis in Berlin, die in der jüdischen Bevölkerung Berlins einen Namen hat.
Felice hat noch eine ältere Schwester, Irene. Sie wird 1926 eingeschult, Felice 1928. Beide verlieren ihre Mutter, die 1930 bei einem Autounfall ums Leben kommt. Zwei Jahre später heiratet Albert Schragenheim, der Vater seine Sprechstundenhilfe Käthe Hammerschlag. Die beiden Geschwister Irene und Felice haben ihre Probleme mit ihrer Stiefmutter, die sich eher mondän gibt. Nach der Machtübernahme Hitlers 1933 werden Zahnarzt-Verbände geschlossen, soweit es sich um sozialistische Verbände handelt, bei den Standesvertretungen wird der Vorstand ausgetauscht, so dass sozialistische und jüdische Ärzte vom Vorstand ausgeschlossen werden. Desweiteren werden ihnen ihre Leistungen nicht mehr erstattet.
Am 16. März 1935 klingelt es bei Dr. Schragenheim an der Wohnungstür. Er ist so erschreckt, dass er tot umfällt. Felice und Irene sind 13 und 15 Jahre alt.
Nach Beendigung der Schule kann Irene Verwandte in Stockholm besuchen. Sie wechselt später ihren Wohnort nach England über. Felice musste die Schule im November 1938 ohne Abitur verlassen. Sie hat dies später nachgeholt, aber es war nicht offiziell an der Schule. 1939 beginnt Felice einen Englisch-Kurs in einer jüdischen Privatschule, der von der Universität Cambridge organisiert wurde.
Auf Seite 69 wird beschrieben, dass die erklärte “Judenpolitik” des Deutschen Reiches bis in den Sommer 1941 die Auswanderung betreibt, allerdings wird die Übersiedlung in die USA immer schwieriger, da ausländische Schiffslinien kein deutsches Geld mehr annehmen. So sitzen viele Juden in den Transitländern fest.
Ihre erste lesbische Romanze hat Felice mit “Mutti” Luise Selbach Diese Frau ist für sie Mutter und unerreichbar Umschwärmte. Sie ist die Mutter ihrer Schulfreundin Olga. Olga und ihre Geschwister versuchen Felice ihre Schwärmerei auszureden, aber die Mutter fühlt sich auch geehrt. Sie ist für Felice aber auch ein Ärgernis, die als Halbjüdin nicht zu ihrem jüdischen Anteil stehen kann.
In der Zeit vom Anfang Oktober 1941 bis Oktober 1942 wird Felice über das Arbeitsamt für Juden als Drahtarbeiterin für Flaschenverschlüsse bei der Firma Sommerfeld zwangsverpflichtet. In dieser Zeit, genau ab dem 17. September 1941 müssen alle Juden über sechs Jahren den gelben Judenstern tragen. Felice tut dies auch, verdeckt ihn aber öfter durch Manteltragen oder Tasche. Beides ist verboten.
Die ersten Transporte nach Theresienstadt werden vorbereitet. Die Großmutter Hulda Karewski, 74jährig, und deren Bruder Julius Philipp, 78jährig, werden mit dem 38. Altentransport nach Theresienstadt deportiert. Felice, die zu dieser Zeit bei der Großmuter wohnt, gelingt es, ihre Sachen aus der versiegelten Wohnung heruszuholen. In der Wohnung der Großmutter hinterlässt sie noch einen Abschiedsbrief und bereitet so ihr Untertauchen vor. Als auch sie ihren Deportationsbescheid bekommt, trennt sie den Judenstern ab und taucht endgültig unter. Ihre Wertsachen stellt sie bei Freunden unter, zu denen auch die Buchhändlerin Inge Wolf gehört.
Anfang Oktober 1942 beginnt Inge Wolf ihr hauswirtschaftliches Pflichtjahr bei Lilly Wust. Lilly behauptet, sie könne einen Juden von weitem riechen, also mussten Inge, die übrigens lesbisch war und Felice die Probe aufs Exempel machen. Felice verliebte sich in die Mutter von vier Söhnen, deren Mann Nazi und bei der Wehrmacht war. Lilly Wust erwidert Felices Gefühle. Sie fühlte sich bei Felice mehr aufgehoben als bei ihren männlichen Verehrern, die sie neben ihrer Ehe hatte. Felice blieb öfter mal von Lilly weg, dies beunruhigte sie sehr und sie verlangte eine offene, ehrliche Antwort, die ihr Felice dann auch gab, nämlich dass sie untergetauchte Jüdin war. Lilly wollte jetzt erst Recht mit Felice zusammenleben. Sie besuchen gemeinsam den Luftschutzkeller, durch ihre fröhlich-burschikose Art kann sie Menschen für sich begeistern.
Es gibt eine Frau, vor der sich alle in Berlin lebenden Juden fürchten müssen. Das ist Stella Kübler, mit dem Spitznamen “jüdische Loreley”, da sie rotblondes Haar hat, und alle, die sie aufspürt, verrät, um den Preis, selbst in Freiheit zu bleiben. Beinahe wären Felices Freunde in ihre Falle geraten. Es gelingt den Freunden nur duch heftiges Gerangel zu entkommen. Sie entfernen sich mit der U-Bahn und kommen wieder zurück, um Felice zu warnen. Da Stella die Beschreibung der beiden Männer, es sind Gerd Ehrlich und sein Freund Ernst Schwerin, mit Bild duch die Gestapo veröffentlichen lässt, bleibt beiden nur die Flucht aus Berlin. In einer nächtlichen Diskussion entscheidet sich Felice bei Lilly zu bleiben.Innerhalb von vierzehn Tagen wird die Flucht über die grüne Grenze in die Schweiz vorbereitet. Diese Flucht ist auch gefährlich, weil die Schweizer Grenzpolizei gefasste Flüchtlinge direkt an die deutsche Grenzpolizei übergeben. Den beiden Männern gelingt die Flucht.
Felice bleibt zurück und rückt noch näher an Lilly heran. Am 12. Oktober 1943 wird Lilly Wust von ihrem Mann, Unteroffizier Günther Wust, in Ungarn geschieden.
Felice lebt vom Verkauf von Wertsachen ihrer Familie. Von den Lebensmitteln kann sie über die großzügige Zuteilung an Lilly mit profitieren, das Mutterkreuz in Bronze im August 1942 verliehen, verhilft ihr auch zu diesen Zuteilungen.
Im Sommer 1944 findet Felice eine Stelle als Sekretärin bei der Essener Nationalzeitung. Sie tritt dort als Frau Wust mit zwei kleinen Kindern auf. Die beiden älteren Söhne leben außerhalb Berlins auf dem Land. Sie erfährt bei der Zeitung, dass die Allierten informiert sind. Felice denkt, dass Ende 1944 auch der Nazistaat am Ende wäre.
Für Felice kam es anders. Am 21. August 1944 fahren Aimee und Jaguar mit den Rädern an die Havel. Als sie zurückkommen wartet schon die Gestapo auf sie. Felice wurde von einer Klassenkameradin zuerst erpresst und später angezeigt. Nach diesem 21. August beginnt Lilly Tagebuch zu schreiben. Am frühen Morgen des 8. September 1944 wird Felice in das “Altersgetto” Theresienstadt transportiert. Es ist der vorletzte Transport von Berlin. Am 9. Oktober 1944 wird Felice nach Auschwitz gebracht. Von dort aus in einem einwöchigen Fußmarsch nach Groß-Rosen und von dort ins Frauennebenlager Kurzbach, 25 km von Breslau entfernt (auf S. 177 befindet sich eine Karte über die genannten Lager). Groß-Rosen ist nach Ravensbrück und Stutthof das drittgrößte Frauenlager. Hier erkrankt Felice an Scharlach und wird nach Trachenberg ins Krankenhaus gebracht. Hier kann sie mit Hilfe des polnischen Hausmeisters Briefe verschicken und Päckchen und Briefe empfangen. Ende Januar 1945 wurden die Häftlinge des Frauenlagers (es gab von Groß-Rosen mehrere Nebenlager) auf Fußmärschen ins Innere des Reiches getrieben, unter anderem auch nach Bergen-Belsen. Auf Seite 188 ist zu lesen: “Nach den Unterlagen von Martin Feuchtwanger, Tel Aviv, starb Felice im März 1945 in Bergen-Belsen. Der offizielle Totenschein nennt als Todesdatum den 31. Dezember 1944, als Todesursache „Embolie‘.”
Dieser von Erica Fischer zusammengetragene Bildband enthält Dokumente, Zeugnisse, Todesaufzeichnungen von Felices Großmutter aber auch von Felice selbst, Briefe von Irene an Felice und von Felice an Irene, Briefe an Lilly von Felice und vor allem Gedichte, die Felice seit ihrer Schulzeit auch für Schulfreundinnen geschrieben hat, dann Irene und später für Lilly, auch aus dem KZ Groß-Rosen. Kurze historische Hinweise und die Zeit dokumentierende Fotos beleuchten den Alltag der noch in Berlin verbliebenen Juden. Deswegen empfehle ich dieses Buch, nicht zuletzt weil eine lesbische Beziehung beschrieben wird. (rs)
 
Planerin 2004
Der Buchkalender “Planerin 2004” wird von dem Verein “Terre des Femmes – Menschenrechte für die Frau” herausgegeben, 210 Seiten, 12,- Euro, ISBN 3-936823-00-6.
Diese Planerin enthält drei unterschiedliche Kalendarien: die Jahresübersicht für 2004, den Monatskalender, jede Seite für einen Monat und die Wochenübersicht. Nach jedem Monat in der Wochenübersicht ist ein Porträt zu Frauen und zu Frauenprojekten zu finden. Die Inhaltsangaben zu diesen Porträts ist auf dem 1. Umschlag zu finden. Zu Jahresanfang wird z.B. der Lesbenchor “Melodiva” aus München vorgestellt. Diese Wochenübersicht endet mit dem 09.01.2005. Danach folgt die Jahresübersicht auf 2005, die sich über zwei Seiten erstreckt. Danach folgt Werbung zu Zeitschriften und Musik und Reise und Bildung.
Auf Seite 160 befindet sich die Deklaration der Frauenrechte und die Frage “Sind Menschenrechte auch Frauenrecht?” Die Deklaration beginnt mit der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte zu Beginn der Französischen Revolution 1789 und endet mit den Ergebnissen der UN-Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking. Danach folgt von S. 164 bis S. 179 die Chronik des Vereins “Terre des Femmes” für die Zeit von 1981 bis 2003. Auf S. 180 werden die Aktionen zum 8. März (Weltfrauentag) und zum 25. November (dieser internationale Tag steht für “Nein zu Gewalt an Frauen”) aufgeführt. Nach dem Menstruationskalender, mehreren Studenplänen und den Ferienkalendern Deutschlands, Österreichs und der Schweiz ist ein umfangreicher Adressenteil zu finden. Zuerst die Dachorganisationen, hier ist auch der Lesbenring zu finden. Als Untergruppen sind Migrantinnenvereine, religiöse und kirchliche Frauenvereinigungen, sowie Berufsverbände und Frauenarchive genannt. Erst folgen Adressen von internationalen Frauenorgansisationen. Darauf folgen Adressen von Frauengesundheitszentren und von Frauenhäusern. Sowie Notruf-Telefone auch von Wildwasser e.V. Zum Schluss sind Vorwahlnummern für das europäische Ausland und die USA angegeben, sowie die Postgebühren zu finden, eine Aufforderung an Firmen und für Produkte zu werben und zusätzlicher Raum für Notiven, neben dem herausnehmbaren Adressenteil im hinteren Umlagteil.
Ich halte diesen Buchkalender “Planerin 2004” für praktisch und durchaus gut gebräuchlich. Er lässt im Wochenkalendarium täglich Platz für eigene Eintragungen und Notizen. Hinter jedem Monat gibt es ein Porträt, dass sowohl Gruppen als auch Einzelpersonen darstellt, so nach dem Februar auf S. 42/43 Ute Ranke-Heinemann, die in ihrem Beitrag die Sexualmoral der katholischen Kirche anprangert, indem sie aber auch in der 2003 verfassten 23. Neuauflage des Buches “Eunuchen für das Himmelreich” schreibt: “Der Papst hat sich auf allen verweisten Bischofssitzen geklont – inzwischen sind alle Hirten Männer und alle Frauen Schafe – der Vatikan ist ein frauenfeindliches Terrarium mit vielen Homosexuellen”. Ich frage mich, wann ein Mann homosexuell ist. Ist er es, wenn er homosexuelle Neigungen in sich unterdrückt oder ist er es, wenn er homosexuelle Handlungen an sich und oder auch an anderen vornimmt? Aber die Debatte um solche Themen macht ja auch den Planer interessant, dass Informationen weitergegeben werden, nicht zuletzt auch in dem umfangreiche Adressenteil. (rs)
 
“Sternzeichen-orientiertes Kalendarium”
Hat der/die(?) Women Mail Order herausgegeben (Postfach 201723, 56017 Koblenz). Es ist ungefähr ein Monatskalender, aber eben nicht an den Monaten, sondern den Sternzeichen orientiert. Der DIN-A-5-große Kalender lässt sich so aufklappen, dass zwei DIN-A-5-große Blätter senkrecht untereinander hängen. Oben die gezeichneten Stenzeichen und unten die Möglichkeit, im Kalendarium z.B. die Geburtstage lieber Freundinnen einzutragen. Er kostet 6,80 Euro. Da keine Wochentage im Kalendarium angegeben sind, ist er relativ zeitlos und lässt sich so viele Jahre benutzen, wie man die gezeichneten Sternzeichen mag. Claudia Künzl hat die Sternzeichen “weiblich” gezeichnet.
Also, uns gefallen die Zeichnungen nicht so sehr. Die Motive lassen keine durchgängige Interpretationslogik erkennen. Mal ist das Sternzeichen (beim Skorpion) so interpretiert, dass ein ganz normaler Skorpion auf dem Mädchenkörper sitzt. Mal sind die gezeichneten Mädchen selber das Symbol wie beim Zwilling, von hinten sind es zwei gleich aussehende Mädchen, die sich umarmen. Bei “Löwe” kniet ein nacktes Mädchen neben einer dösenden Löwin mit Jungen. Da die Zeichnungen technisch auch nicht so doll sind, lassen wir es lieber. Wir würden uns diesen Kalender nicht aufhängen. (rs/js)
 
Als die Götter irrten
Heißt ein Roman von Uwe Kranz, erschienen im Schardt Verlag. Als ich las, dass der Autor sich um SF und Astronomie beschäftigte, als Heilpraktiker arbeitete und Anhänger verschiedener asiatischer Methoden ist, befürchtete ich, dass es sich um ein langweiliges und esoterisches Machwerk handeln könnte. Das Buch hat 184 Seiten und kostet 24,80 DM, ach ja, es ist 2.000 erschienen. ISBN 3-89841-016-1
Das Buch besteht aus drei Teilen. Im ersten Teil erfahren wir von einer Welt, die harmonisch scheint, wo junge Männer allerlei Genüsse miteinander erleben, aber andererseits auch mit jungen Frauen. Es scheint eine harmonische heile Welt zu sein, in der sie leben, doch der Ich-Erzähler zweifelt immer mehr daran, dass alles in Ordnung ist. Langsam erinnert er sich daran, dass er vorher in einer anderen Welt gelebt hatte. Im zweiten Teil weiß er, dass er zu einer Gruppe von Wissenschaftler gehörte, die im Auftrag des Militärs etwa 20 cm große Menschen in einem künstlichen Biotop auf einem Asteroiden entwickelten, um diese als besonders raffinierte Waffe einsetzen zu können. Es ist dann von einem karrieregeilen Wissenschaftler ermordet worden, aber hat mit seiner Identität in einem der kleine Menschen überlebt. Der dritte Teil handelt davon, dass sich eine heimliche Befreiungsguerilla der kleinen Menschen entwickelt hat, zu der er nun gehört, die den Krieg gegen die Wissenschaftler führt, mit dem Ziel, die heile Welt auf de Asteroiden zu ihrem selbstverwalteten Heimatplaneten zu machen. Die Geschichte ist ganz anschaulich geschrieben und interessant zu lesen. (js)
Super Paradise
Heißt der Band 2 der Serie Dicke Dödel von Ralf König, erschienen bei MännerschwarmSkript. 197 Seiten zu 12,50 Euro, ISBN 3-982983-69-5
Dass man Ralf König hier nicht vorstellen muss, setze ich voraus. Gibt es einen Unterschied zu früheren Bänden seiner Comics? Nein und Ja.
Es geht wieder um den schwulen Alltag einer bestimmten und weit verbreiteten Szene. Es geht um die Reise nach Mykonos, um feste und wechselnde Beziehungen, um Sex in verschiedenen Variationen. Wir lesen von Wunschträumen und Erfüllungen, die nicht ganz so stattfinden wie erträumt. Wir lesen hier aber auch von der Beerdigung eines an Aids verstorbenen Freund in einem spießigen Heten-Umfeld, und die Angst vor Aids. Wir lesen hier Debatten über Lebensqualität und Lebenssinn. Und insofern sind die Comics von ihm eben nicht nur oberflächliche Unterhaltung. Und deshalb ist (nicht nur) dieser Band sehr empfehlenswert. (js)
 
Boys will be Boys
nennt Joe Phillips seinen bei Bruno Gmünder erschienene Band mit bunten Zeichnungen. Der Band (17,5 X 24 cm) hat 64 Seiten und kostst 14,95 Euro, ISBN 3-86187-283-8
Also die Lebenslust schwuler ausgelassener Jugendlicher wird hier in Bilder gefasst, die so manchem Jugendlichen sicherlich gefallen. Nun ist es ja so, dass man alles malen kann, was mach so haben möchte. Der Verlag schreibt: „Kein anderer Zeichner hat in den letzten Jahren das Lebensfgefühl der jungen schwulen Generation besser getroffen (...) Muskelbepackte Jungs mit Smartface, die sich raufen, umarmen, küssen und das Leben genießen.“
So sind die nachwachsenden Schwulen? Wirklich? Nun gut, kann ja vielleicht sein. (js)

Die Cola-Trinker
Heißt ein Gedichtsband von Gedichten, die Thomas Böhme 1980 bis 1999 geschrieben hat, und zwar in der DDR. Dieser vorliegend Band, der bei MännerschwarmSkript 2000 erschienen ist, fasst Gedichte aus unterschiedlichen Veröffentlichungen des Lyrikers zusammen. Der Band hat 183 Seiten und kostet 36 DM. ISBN 3-928983-87-3
Wer sind die Cola-Trinker? Na? Die Boys natürlich, genauer: die Jungs. Die kurzen Prosa-Texte und die Gedichte drehen sich recht intensiv, auch wenn Anspielungen auf die aktuelle und vergangene Szene das sind, um die vergötterten Jungs. Und die Vergötterung scheint der Versuch eines Ausweges aus der Sehnsucht zu ein, die sich wohl nicht oder nur selten erfüllt. Auch Todessehnsucht fühle ich in den Zeilen der Sehnsucht. Lyrik, von Prosa durchbrochen, dreht sich um ein ewiges Thema. Anspielungen auf historische Vorbilder sind vorhanden.
Der Verlag schreibt über das Buch: “Die Cola-Trinker” dokumentiert die Entwicklung eines faszinierenden Autors. Im unaufgeregten Literaturbetrieb der DDR konnte Böhme starke Wurzeln austreiben, die bis heute die lust- und anspruchsvollen Ausschweifungen seiner Phantasie sicher tragen. Handwerklich “altmodisch”, klopft Böhme große Traditionslinien darauf ab, wie viel modernes Leben sie verkraften. Zur Freude des Lesers verkraften sie einiges.
Wer sich in die Abgründe dieser Lyrik begebnen will, dem sei dieser Gedichtsband anempfohlen. (js)
 
Make Love and War
Nennt Jürgen Elsässer sein Buch in Anlehnung an den 68er Pazifistenspruch: Make Love, not War, das bei Pahl-Rugenstein (Nachfolger) erschienen ist. 144 Seiten zu 14,50 Euro, ISBN 3-89144-295-5
Die Überschriften zu den einzelnen Kapiteln lassen erkennen, mit welchem Biss Jürgen Elsässer relativ pauschal mit “den Achtundsechzigern” aufräumt:
Vorwirt: Der neunjährige Krieg, wie die Grünen lernten, die Bombe zu lieben. Der Tag von Perl Harburg; Die Lügen der grünen Bellizisten nach dem 11. September. Osama Bin Joschka, Wie die Achtundsechziger Afghanistan befreiten. Das neue Reich und seine Stämme, Die grünen Pläne für eine Neuordnung der EU. Testfeld Mazedonien, Fischer und Solana: Zwei Achtundsechziger in Deutsch-Südost. Der Kolonialismus der Armani-Intellektuellen, Die ökonomischen Gründe des grünen Kriegskurses. Väter und Söhne, Biographische Hintergründe des grünen Kriegskurses oder: Vive la differance! Wie die Grünen Amerika entdeckten, Die Verwechslung von Universalismus und Multi-Kulti, von Zivilisation und Imperialismus. Oma Künast fährt im Kälberstall Motorrad, Wahr ist, was gut für uns ist – wie die Grünen Kampagnen machen. Nachwort: Make Love not War, Was tun gegen androgyne Androiden und grüne Männchen? Anhang: Der lange Marsch in den Arsch – Elsässers beste Glossen aus den 90er Jahren. In diesem Buch zu lesen macht Spaß. Und der Verfasser sticht gekonnt in alle wunden Stellen, die wir ja auch kennen. Also: lesen! (js)
 
Mein schwules Auge
heißt der erste Band einer Serie von Bänden, die sich an den schwulen Bertrachte und Leser richten, erschienen im Konkrsbuch Verlag Claudia Gehrke. Das „Heimliche Auge“ ist ein erotisches Jahrbuch, das kein Trennung in der menschlichen Sexualität vornimmt. Zum 3. mal schon erschien das „Lesbische Auge“ und nun also der 1. Band des schwulen Auges. 250 Fotos, Viele Texte auf 256 Seiten zu 15,50 Euro, ISBN 3-88769-181-4
Eine erotische geschichte nach der anderen. Und sie lassen die Vielfalt schwulen Erlebens erkennen, oft auch nur die lustvoll beschriebene schwule Sehnsucht. Klaus Berndl erzählt die Verführungsgeschichte „Wie Pin-Lao zum Mönch wurde“. Ralf von Galen beschreibt als Ich-Erzähler in seinem „Umgelegt“, wie er in einem türkischen Imbiss von einem kräftigen türkischen Jüngling zu seiner Freude vergewaltigt wurde. Eine Schüler-Lehrer-Geschichte wird von „Robin“ beschrieben, der als Ich-Erzähler den Schüler darstellt. Uli Meyer beschreibt Mangas und die erotische schwule Literatur in Japan. Interviews, Gedichte, Bilder unterbrechen die Serie der erotischen Kurzgeschichten. „Du spürst, dies ist dein letzter, nicht, weil der Welt die Jünglinge ausgehen, sondern dir die Kraft. Du weißt nicht, wie viel Zeit dir noch bleibt, im Grunde kümmert dich diese Frage nicht. Vor dem Tod hast du keine Furcht, weil auch dein Leben dir nie Leid bereitet hat. Nur eines hoffst du: dass er nicht von dir gehen möge.“ Dies schreibt Arthur Knebel im „Selbstgespräch eines Alchimisten“. Das Buch ist, was seine Autoren und Themen betrifft, ein bisschen berlinlastig. Vielleicht wäre es eine gute Idee, die nachfolgenden Bände in anderen Regionen entstehen zu lassen. Wir lesen von Gerp Fischer „Im Doppelpack“ von einem verheirateten Beamten in mittlerem Alter, der sich heimlich wie eine Frau kleidet. „Mit den Fingerspitzen der anderen Hand fuhr ich ihn an der leicht behaarten Naht zwischen Sack und Arschloch entlang. Dabei wird Sven immer ganz verrückt. Er wand sich unter meinen Händen und säufzte und stöhnte himmlich“, lese ich in „Wahre Lust“. „Der Fotograf“ benutzt das fotografieren zur Kontaktaufnahme, wie Andreas Marber beschreibt. Elmar Kraushaar schreibt: „Dabei ist die großflächige Inszenierung der Homoehe nicht weiter als ein Schwindel, hinter der sich die Angst verbirgt und die Unentschlossenheit. Homosexuelle wollen nicht wirklich heiraten. Die Zahl derer, die es bislang dennoch hinter sich gebracht haben, ist so gering, dass das statistische Bundesamt noch nicht einmal angefangen hat, sie zu zählen. Aber wie sollten Homosexuelle sonst ihr Zusammenleben regeln? Antworten sind schwer zu finden, stattdessen gibt man vor, die beste Idee dafür sei noch immer die der anderen, der Heterosexuellen. Und außerdem vergeben die dafür ganz viele Sympathiepunkte.“ Eike Stedefeldt argumentiert ähnlich und meint, dass das Bild schwuler Männer das ausklammert, was sie schwul sein lässt, ihre Sexualität. Dabei kritisiert er die Politik des LSVD.
Dieser erste Band ist gelungen und stellt schon jetzt ein interessantes und wichtiges Diskussionsforum dar, wobei die unterschiedlichen Formen schwulen Lebens und Erlebens zum Ausdruck kommen. Er ist frech, lustvoll, geistvoll und unbedingt zu empfehlen. (js)