60. LUST, Juni/Jukli 00

Gita Tost ist tot
Gita Tost, die Kreativlesbe ihrer Wahl, wird nicht mehr singen, texten, lesen, lachen, ärgen, dichten, anecken, provozieren... Gita hat sich in der Nacht vom 12. auf 13. Januar eine Mahlzeit aus Knollenblätterpilzen gekocht ... tja.
... dies schrieben uns “wehmütig und traurig” Uta Keppler und Gitta Schürk.
Wer war Gita Tost?
Sie ist Jahrgang 1965, geboren in München. In “patriarchalischen Sinne” ist sie geschieden, hat einen Sohn. Ihr Hauptaufenthalt war in Bayern, nahe Regensbug. Seit 1994 ist sie freischaffende Autorin und Liedermacherin, von ihrer Ausbildung her M. A. der Anglistik und der Sprachwissenschaft mit Schwerpunkt Computerlinguistik.
Seit 1991 ist sie aktiv in der Frauenbewegung und langjährige Mitarbeiterin im Frauenzentrum Regensburg. Sie arbeitet vor allem zum Thema “Sexualisierte Gewalt gegen Frauen und Mädchen” und “Lesbische Mütter”. Sie ist musikalische Autodidaktin. 1998 Gründung des Musikkabarett-Duos Schall & Rauch zusammen mit Gitta Schürk.
Seit 1980 veröffentlicht sie englisch- und deutschsprachige Lyrik und Kurzprosa in deutscher und US-amerikanischen Literaturzeitschriften und Anthologien. Sie veröffentlicht das Mißbrauch-Märchen “Wen, Do und der Dieb” im Verlag Dona Vita, Berlin. 1993 deutsche Lyrik in Namenlos, Schriftenreihe zur Selbsthilfe (Wildwasser Darmstadt) Seit 1993 jährlich Gedichte in Anke Schäfers Lesbenkalenderin. “Lesbischer Sex - Ein Tabu muß ans Tageslicht” im Lesbenjahrbuch 1995 (Hgin: A.Schäfer/K.Lahusen). 1995 - 97 Artikel, Glossen, Lyrik und Kurzprosa in verschieenen Frauen- un Lesbenpublikationen. 1997 Lyrik in der Anthologie “Raus aus der Kiste” des Lesart e.V. - “Lyrik und andere Ungereimtheiten” und “Der Traumfrau neue Kleider” im Selbstverlag. 1998 Kurzgeschichte “Selbstmord” in der Anthologie “Ent/d-Schlüsse” (Hgin: Matina Müller). 1999 Veröffentlichung des Buches “FreiSchwimmerin. Lust- und Grau(s)zonen lesbischer Sexualität” (Ulrike Helmer Verlag, Königstein)
Von ihr stammen Lesbenlieder, Lieder gegen die sexualisierte Gewalt (CD: Bittersüß - Gesänge für Überlebende”), Songwritting für Ophelia Kaa (CD “Wir sind das Land”) und Madame Furiosa, SCHALL & RAUCH (CD “Alles wird gut - laß uns den bach runtergehen!”). Auf zahlreichen Tourneen stellte sie ihre Arbeiten vor.
Und ist sie bekannt als Mitgründerin der Schlampagne (http://www.schlampagne.de), die sich für die Gleichstellung aller Lebensweisen und Abschaffung der Eheprivilegien einsetzt. Wir haben eine engagierte Mitstreiterin in diesen Zielen verloren. (Red.)

“Damit wir (Uta Keppler und Gitta Schürck) als Erbinnen den kulturellen Nachlass von Gita Tost behalten und verwalten können und vor allem ihren letzten noch nicht veröffentlichten Gedichtsband “Die Trau!mfrau” verlegen können, bitten wir um Spenden von Menschen, die uns mit diesem Anliegen unterstützen wollen. Konto: Brigitta Schürck, Stichwort: Gita Tost Stiftung, Kontonummer 880012224, Blz.: 750 500 00 Sparkasse Regensburg”

“Ich bin dem Tod begegnet und habe von ihm die Neugier aufs Leben gelernt.” (Wandspruch)
“Meine Berufung als Feministin. Kreativ muss ich sein, um mit diesem Beruf eine Existenzform zu finden.” (Interview Berliner Lesbenzeitschrift UKZ)

“Ich bin der Mensch, der von allen, die ich kenne, am allermeisten versucht, nach ihren Idealen zu leben.” (Zitat)

“Fast jeden erdenkbaren Mist hab ich erlebt: Sexuelle und psychische Folter durch den Vater von klein auf, eine Mutter, die – noch nicht volljährig – von ihren Eltern verheiratet wurde (...), einen vergewaltigenden Ehemann, psychosomatischen Schmerzen bei Sex, Flashbacks und Panikattacken ... (...) meine Neugierde und Sehnsucht ruhen und rasten nicht, bis sie herausgefunden haben, was hinter dem Horizont liegt. (Freischwimmerin, S. 254 f.)

“Träumereien? Vielleicht. Aber mit einem Traum beginnt die Wirklichkeit. (Das ist altes Hexenwissen. Auch das holen wir und zurück! Und welche genauer hinsieht, entdeckt: diese Wirklichkeit hat schon ein Stück begonnen. Oder auch: nie aufgehört” (Schlampagnen-Zeitung)

“Ganztags leben statt halbtags arbeiten” (Titel ihres Forschungsprojektes)

“Wenn du es nicht schaffst, einfach da zu sein, dann geh‘. Es ist dein gutes Recht. Glaube nicht, dass du dadurch ihren Schmerz verschlimmerst. Glaube nicht, dass du dadurch ihren Schmerz nicht verschlimmerst, Du bist nicht für die Überlebende verantwortlich. Wenn sie sich wirklich umbringen will, wird sie Wege finden, so oder so. Es ist nicht deine Aufgaben, sie um jeden Preis daran zu hindern.” (Freischwimmerin, S. 197)

“Nur tote Dichterinnen haben Aussicht auf Erfolg.” (Testamentausschnitt)

“Sicher ist nur dieser Augenblick und der goldene Schimmer deiner Haut” (Lied Rauhnacht, Schall & Rauch Duo)

“Könnte ich die Freiheit fangen
diese flüchtige Idee
Würd ich mich in Federn kleiden
Ließe mich auf Winden treiben
Sänge zarte Poesie
Könnte ich die Schönheit fangen
Die aller Beschreibung trotzt
Ließe ich dies hilflos stammeln
Würde Freudentränen sammeln
Spräche deinen Namen bloß
Könnte ich die Liebe fangen
Dieses wunderferne Land
Ließe ich die Worte schweigen
Würde ich meine Seele zeigen
Hätt‘ ich einmal sie gekannt”
(Gedicht Irrealis aus Die Traumfrau)