Grußwort zur 67. LUST

Es ist für die LUST-AbonnentInnen sicherlich eine Plage, dass wir immer nach dem angekündigten Erscheinungstermin erscheinen. Uns ist es ja auch etwas peinlich. Aber es ergibt sich immer gerade gegen Ende der Vorbereitungszeit, dass neue Themen auftauchen, die wir für so wichtig halten, dass wir sie auf jeden Fall berücksichtigen wollen. Schließlich muss man dann ja zwei Monate warten, bis die nächste Ausgabe erscheint.
Dieses Mal ist die LUST politischer als sonst. Das hat etwas mit unserer Präsenz bei den diversen CSDs im Rhein-Main-Gebiet zu tun, bei denen wir mit einem Infostand anwesend waren. Unsere Fragebogenaktion hat uns viel Spaß gemacht, aber natürlich auch viel Arbeit. Obwohl ich Urlaub hatte und damit auch etwas mehr Zeit, hat die Arbeit einfach überwogen. Vielleicht klappt es ja das nächste Mal, dass wir die Zeit einhalten können. Aber wenn es vor der Entscheidung steht, einige Tage später zu kommen oder auf einen wichtigen Artikel zu verzichten, entscheiden wir uns für den Artikel, hoffentlich mit Eurem Einverständnis,doch davon gehen wir aus.
Die Riester-Rente und der Artikel in der 66. LUST dazu sowie die Geschäftsinteressen mehr oder weniger unabhängiger Finanz- und SteuerberaterInnen führten dazu, dass wir einen ganz interessanten Beitrag in dieser Ausgabe nicht veröffentlichten, sondern dies in der nächsten Ausgabe zusammen mit anderen Meinungen dazu tun wollen. Die Aussagen ergänzen oder widersprechen sich gegenseitig, und da ist es besser, wenn wir die Meinungsvielfalt dazu dokumentieren. Einen zusätzlichen Rentenvertrag (zur gesetzlichen Rente) schließt man schließlich für sehr lange Zeit ab und da will alles gut durchdacht werden. Noch einmal schlage ich Euch vor, noch keine Verträge mit Versicherungen abzuschließen, die Euch möglicherweise viele Jahre binden, bevor nicht eine „Riester-Kommission“ die Pakete überprüft. Nur solche Verträge gelten als „Riester-Rente“, die nach der Überprüfung als steuerlich begünstigt anerkannt werden. Es geht schließlich darum, dass die betreffenden dann auch eine Rente erhalten und nicht ihr Leben lang für eine zweifelhafte Spekulation sparen.
Was unseren Infostand in Wiesbaden, Frankfurt und Mainz betrifft, so haben wir dort viele Beispiele von latentem und offenem Rassismus und Faschismus auchin unserer eigenen Szene beobachten können. Aber wir erlebten auch, und das waren die meisten Meinungsäußerungen uns gegenüber, viel Sympathie, Solidaritätsbekundungen und sehr viel sehr gute und anregende Gespräche. Dass in unserer Szene nationalistische, rassistische und auf andere Weise menschenverachtende Stimmungen existieren, ist kein Wunder, denn wir leben ja auf keiner Insel. Und unsere gesamte Gesellschaft bewegt sich inhaltlich, also im Denken, nach rechts. Viele bemerken es nicht, wählen Grüne oder SPD, doch sie vertreten dabei (wie die beiden genannten Parteien auch) Positionen, die man vor einigen Jahren noch für rechts gehalten hat. Und man hätte es nicht für möglich gehalten, dass dies alles heute stattfindet.
Offensichtlich ist dies aber nicht nur in Deutschland so. Nationalistische und religionsfundamentalistische Strömungen führen die Menschen von der Aufklärung weg in finstere Denkabgründe des Mittelalters. Nicht zu fassen, dass es dies mit moderner Technologie geben kann. Afghanistan jedoch beweist, dass auch das Rückentwickeln der Technologie denkbar ist. Hier regt man sich zwar darüber auf, dass eine Buddhastatue gesprengt wird und dass die Taliban das Missionieren in eine andere Religion mit der Todesstrafe bedrohen. Den demütigenden Alltag der Menschen übersieht man vollkommen. Besonders demütigend muss dies für die Frauen sein, die während der prosowjetischen Regierungszeit Schulen und Universitäten besuchten, Berufe erlernten und für einen eigenen Lebensunterhalt sorgen konnten. Nun dürfen sie nicht einmal lesen, Radio und Fernsehen gibt es nicht mehr und sie müssen tief verschleiert sein, wenn sie es überhaupt einmal wagen, ihr Haus zu verlassen.
Jugoslawien mit seinen nationalistischen und religiös motivierten Kriegen, die die ganze Region ins Chaos stürzen können, sollte eine Warnung sein. Zum Beispiel für Palästina bzw. Israel, das meiner Meinung nach kurz vor einem Krieg steht, der mit dem gegenseitigen Willen zur Vernichtung des jeweils anderen ganzen Volkes geführt zu werden droht.
In einer sehr informativen Rundfunksendung äußerten sich Professoren der Politik und der Soziologie zu den Kriegen. Es scheint so zu sein, dass wir es mit einer neuen Welle ethnischer, nationalistischer und religiöser Kriege zu tun haben, die im Gegensatz zu Kriegen zwischen Armeen immer stärker in Richtung auf Auslöschung ganzer Völker gehen.
Zusehen, was da auf uns zukommen könnte, ängstlich in die Vergnügungsgesellschaft zu fliehen, kann doch nicht der Weg für uns sein. Natürlich kann man nicht sehr viel ausrichten. Aber viele können jeder ein bisschen ausrichten, und das wird dann auch recht viel. Wobei? Beim Aufhalten von nationalistischer und religiöser Demagogie, dem Schlimmeres folgen könnte, in unserem eigenen Umfeld. Wir von der LUST jedenfalls sehen dies so und versuchen unseren Beitrag zu leisten. Das also ist der Grund, warum diese Ausgabe politischer als die vorherigen ist.
Die Urlaubszeit ist vorbei. Der Alltag holt uns wieder ein. Wir sollten darauf achten, dass wir trotz Alltag und Sorgen ein wenig Menschlichkeit, oder nennen wir es Mitmenschlichkeit, um uns herum bewahren können. Nicht nur, weil es richtig und moralisch wäre, weils besseer aussieht oder ankommt, sondern weil wir es selbst brauchen.
Es grüßt Euch, auch im Namen der anderen Lüstlinge, Euer
Joachim von der LUST