99. Print-Ausgabe, Sommer-LUST 09
 
Religionen, Glauben und verborgene Religiosität
Als Lesben und Schwule erleben wir die Religionen zumeist als Organisationen, die uns das Leben schwer machen und uns diskriminieren. Manchen von uns geben sie dennoch spirituell etwas. Als häufig auch religionsfreie Menschen sind wir doch oftmals erstaunt, was man in wiederkehrenden Wellen und Zeitgeistströmungen die Menschen Glauben machen kann.

Da kann man sich nur hilflos gegenseitig anschauen und dann die Schultern zucken. In den Medien wird zwar behauptet, der Hang zur Religiosität würde nachlassen, doch kann man dies durchaus anzweifeln, wenn man genauer hinschaut.
 
1. Unser Anliegen
Die Verfolgung und Verurteilung der Menschen, die sich als homosexuell empfindend erkennen und nach längeren Mühen akzeptieren und leben, geschieht überwiegend durch Mitmenschen und Organisationen, die feste und wissenschaftlich nicht überprüfbare Vorstellungen darüber haben, was gut, moralisch beziehungsweise schlecht und unmoralisch und daher zu Verurteilen sei.

Solche Organisationen und Menschen sind überwiegend offen oder subtil religiös. Oder es sind angeblich wissenschaftlich vorgehende Menschen oder Organisationen, und die betreiben dies gar nicht wissenschaftlich, sondern derart dogmatisch, dass es ebenfalls pseudoreligiös anmutet, das wird im allgemeinen „ideologisch” genannt.

Ideologische „Wissenschaftler“ gehen nicht wisseschaftlich vor, sie wollen nicht herausfinden, wie es sich verhält, sondern wollen belegen, dass es sich so verhält, wie es der Ideologie (oder den wirtschaftlichen bzw. politischen Interessen) entspricht. Dafür werden sie meist gut bezahlt. Für die Prozesse der Gesellschaft haben ideologische wie religiöse Eiferer die gleiche Funktion.

Für uns als Lesben und Schwule bleibt es sich ja gleich, ob wir im religiösen Sinne als sündig gelten und daher verfolgt werden, oder pseudoreligiös beziehungsweise pseudowissenschaftlich als „krank” erklärt werden und deshalb „geheilt” bzw. verfolgt werden, was für unser tägliches Leben aufs Selbe rauskommt.

Dogmatiker bzw. Eiferer unterschiedlicher Richtung bezeichnen ja immer alle Abweichungen von dem, was sie als normal ausgeben, als krank oder sündhaft. Dahinter stehen oft politische und/oder wirtschaftliche Interessen.

Wenn diese dann noch einigen Einfluss in der Gesellschaft bekommen oder gar auf die staatliche Gesetzgebung, Rechtsprechung und Starfverfolgungsbehörden, dann sieht es aber für uns böse aus.

Besonders in wirtschaftlich schlechten Zeiten steigt die Gefahr, dass Fundamentalisten unterschiedlicher Art Einfluss gewinnen. Und das strahlt dann natürlich bis in die Szene hinein und beeinflusst auch Menschen in der Szene zum eigenen Nachteil, was sie noch nicht wissen.
 
2. Religionen und Medien
Wenn die Medien verbreiten, dass die Religion zurückgeht, dann nicht deshalb, um sich über zunehmende Skepsis gegen gefährliche oder sku-rile Meinungsführer zu freuen, sondern meist um dies zu beklagen. Es wird der Verlust von Werten beklagt. Doch wirklich, was man von so manchen Religionsführern mit ernstem Gesicht intellektuell zugemutet bekommt, das sind keine Werte sondern das ist schon sehr bizarr.

In den Medien wird also beklagt, dass Religiosität in der Bevölkerung zurückgehen würde. Ist diese Klage-These überhaupt richtig und wenn sie richtig wäre, was wäre daran überhaupt schlimm?

Unser Grund die Thesen der Medien anzuzweifeln ergibt sich aus 4 derzeit überall zu beobachtenden Bereichen.

1. Die größere Beschäftigung in der Gesellschaft und den Medien mit Religion(en).
2. Aggressiveres Vorgehen unterschiedlicher religiöser Organisationen.
3.Zunahme subltiler Formen der Religiosität
4. Was als Religion angesehen wird.
 
2.1. Die größere Beschäftigung in der Gesellschaft und den Medien mit Religion(en).
Es sind nicht nur die fundamentalistischen ReligionsführerInnen, die eine verbrecherische bzw. terroristische Politik machen und die in den Medien und der Gesellschaft eine zunehmende Beschäftigung mit religiösen Themen hervorrufen. Diese aber auch.

Es ist schon deutlich, dass zum Beispiel die mörderischen Aktivitäten und Ansschläge der von Indien gesteuerten Mönchs-Clique um die „Tibetische Exilregierung” im Vorfeld der olympischen Spiele in Peking besonders in den westlichen Industriestaaten mit großem Wohlwollen schöngeredet wurden und zu einem buddhistischen Mönchsboom in den Medien führten. Der vom chinesischen Kaiser verliehene Titel „Dalai Lama” für den in seinem Auftrag verschiedene Provinzen verwaltenden Führer einer Mönchsekte wird von dem Führer der in Indien ansässigen „Exilregierung” über einige Provinzen des Vielvölkerstaates China noch immer benutzt. Freilich benutzt er ihn nun für die angestrebte Führerschaft über die nationale Minderheit der Tibeter sowie die Führerschaft über möglichst viele buddhistische Klöster in Indien, Nepal und China. Hier wird der westlich-romantische Asienkult als politischer Druck gegen China benutzt.

Die religiös-politischen Kampagnen, Anschläge und terroristischen Handlungen islamistischer Fundamentalisten führt auch dazu, dass bei uns zwischen Islam und Islamismus unterschieden wird, und dass man sich nun in den Medien genauer und wohlwollend mit dem Islam beschäftigt.
Dennoch ist der Islam bei uns nun häufiger in den Medien, und die Islamisten sind es auch. Das Schlagwort „Islamophobie” greift sowohl antiislamische christliche Eiferer an wie homosexuelle Opfer migran-tischer Jugendcliquen oder Atheisten, die es ablehnen, überhaupt eine Religion für gut zu empfinden.

Katholiken und Evangelikale treten ebenfalls wieder deutlicher mit eher fundamentalistischen Positionen in die Öffentlichkeit. Auch die orthodoxen Christen treten deutlicher hervor seit die Sowjetunion nicht mehr existiert, und zwar immer wieder im Zusammenhang mit nationalistischen und sogar faschistischen Zusammenhängen. Diese tauchen in unseren Medien auf, wenn es z.B. um die Demonstrationen in Moskau gegen Homosexuelle geht, wo sie zusammen mit russischen Nazis gegen Homosexuelle auftreten oder wenn der Metropolit von Moskau gestorben ist. Ansonsten sind sie eher in den Ländern des Ostens in den Medien präsent.

Zwar ist der Einfluss der Evangelikalen auf die Weltpolitik nach dem Ende Bushs verheerender Präsidentschaft nicht mehr so sehr in den Medien deutlich, doch gibt es auch in Deutschland eine zunehmende Menge evangelikaler Christen und Organisationen, die mit angeblich wissenschaftlichen Belegen Schwule „heilen“ also an ihre Dogmen anpassen wollen. Auch tritt der deutsche Papst im Blätterwald an, besonders, wenn es gegen Schwule geht, und sozusagen im Schlepptau bisweilen mitgemeint aber nicht mitgenannt auch gegen Lesben.

Wenn der Papst in Afrika gegen Kondome auftritt, ist er in den Medien. Das richtige Mittel gegen Aids sei Treue (bei Heterosexuellen) und Enthaltsamkeit (bei Schwulen). „Homoehe” ist ein Thema, mit dem der Vatikan zum Sturz von Regierungen beitragen kann (so geschehen in Italien) und Sex ist nur in der Ehe akzeptabel, ohne zu sündigen, also schwule Katholiken, lebt enthaltsam.

Und weil Religionen über deren Politik ständig in den Medien sind, bringt man sie nun auch in die Medien, wo sie ein weniger dummes oder gefährliches Bild abgeben.

Religionen sind aber auch aus anderen Gründen in den Medien, nämlich wenn größere religiöse Massenveranstaltungen stattfinden oder wenn in heimatbezogenen Filmen über Traditionen die Rede ist. Letztlich auch, wenn es um menschliche Schicksale geht, wo mittels Religionen beziehungsweise Priestern, Pfarrern oder wie sie heißen mögen, Trost oder Beistand in der Denke der jeweiligen Religion gespendet wird.

Letztlich wird auch über religiöse Organisationen berichtet, die Schulen, Krankenhäuser, Pflegeheime usw. unterhalten und im religiösen Sinne führen, die jedoch durchaus weltlich und zwar durch von allen aufgebrachten Steuern finanziert werden.

Letztlich gibt es noch Spielfilme und Serien bei denen Pfarrer und Nonnen usw. die positiven Zentralfiguren darstellen.
 
2.2. Agressiveres Vorgehen der religiösen Organisationen.
Vielleicht hat es ja damit zu tun, dass aggressives Vorgehen unter den unterschiedlichen Religionen ansteckend ist. Denn schließlich haben ja alle Religionen das Bestreben, auf die Staatsmacht auf die eine oder andere Art Einfluss auszuüben. Und das geht sanft oder mit größerem Druck auf den Staat aber auch auf viele gesellschaftliche Organisationen und Institutionen.

In der Gesellshaftspolitik und in den Gesellschaftswissenschaften versuchen die unterschiedlichsten Religionen, Land zu gewinnen und Schlüsselstellungen zu besetzen. Und das geht bis in die Bereiche der Naturwissenschaften und der Gesundheitspolitik hinein.

Was wären denn die unterschiedlichen Religionen ohne Staatsmacht? Sie wären ein Angebot, die Welt und das Leben zu sehen und zu verstehen beziehungsweise freiwillig zu gestalten. Und wir hätten die Wahl: nämlich ob wir dies so oder so sehen möchten beziehungsweise können, weil wir es für glaubwürdig halten oder eben nicht.

Doch so ist es eben nicht. Immer drängen sie in die Staatsmacht, weil das ja auch ihr Ursprung ist. Religionen waren früher die ideologische Rechtfertigung der politischen Herrscher, sie gehörten zum Überbau des Gesellschaften und waren mit Herr-schaftsinsignien versehen.

Frühere antike Herrscher ließen sich gleichzeitig zu einem Gott erklären und anbeten. Später dann waren sie Verwandte von Heiligen oder göttlichen Menschen oder Stellvertreter irgerndeines Gottes. Dann wurden, und das scheint noch immer Brauch in Monarchien zu sein, von Gott eingesetzt.

Das ist deshalb in den Demokratien weitgehend vorbei, weil die moderne Wirtschaft und Industie es notwendig machen, dass die Untertanen nun auch gewisse Zusammenhänge durchschauen.
 
Sonst wären sie nämlich nicht in der Lage, ihre Arbeit in der Arbeitswelt zu verrichten. Und es ist vorbei, weil die althergebrachten Heilslehren trotz angepasster Moderation zur Lösung des Alltages ebensowenig taugen wie deren Dogmen zur Erklärung der Zusammenhänge.

Zum Beispiel bei den Tagungen der Therapeuten und Psychologen. Da versuchen die Vertreter der „Heilung” von der Homosexualität ihre Positionen als eine von mehreren Möglichkeiten akzeptieren zu lassen. Dies ist aber nicht akzeptabel, denn die Norm zur Heterosexualität ist eine gesellschaftliche und keine gesundheitliche Norm, die ihren Ursprung in der Religion, und hier ganz besonders im Christentum hat und nicht in einer Erkrankung.

Es hat viele Auseinandersetzungen gekostet, Homosexualität international nicht mehr als Geisteskrankheit anzusehen sondern als ein Menschenrecht, und nun das. Es versuchen hier die Evangelikalen wieder Land zu gewinnen, die ja mit dem „Kreationismus” überhaupt versuchen, religiöse Ansichten einer Schöpfung der Arten als Wissenschaft auszugeben. Immer wieder versuchen sie in allen Bereichen, die denkbar sind, Positionen zu beziehen.

In einer multikulturellen Gesellschaft, wie es tatsächlich die Bevölkerung von Berlin ist, versucht der Senat von Berlin, in den Schulen durch den obligatorischen Ethik-Unterricht für alle Schüler im Sinne der Menschenrechte zu einem Mindestmaß von Mitmenschlichkeit zwischen den Religionen und Kulturen einen gangbaren Weg zu finden.

Hier im Ethikunterricht konnte, angesichts der zumnehmenden gewalttätigen Übergriffe auf Einrichtungen und Menschen der homosexuellen Subkultur, auch einigermaßen sachlich über unterschiedliche Lebensformen unterrichtet werden. Unterricht in den Religionen war/ist freiwillig, und das gefiel den religiösen Organisationen nicht, sie wollen die Unterstützung des Staates für ihre Anliegen. Der Staat soll Religionen obligatorisch machen.

Dagegen versuchte sich die Initiative Pro-Reli durch eine Volksabstimmung durchzusetzen, dass die Schulkinder jede/r in seiner/ihrer Religion Religionsunterricht erhalten soll, Ethik als eine unter Vielen. Und die Initiative Pro-Reli, die mit allen Mitteln der Demagogie arbeitet, setzt sich aus der katholischen, der evangelischen Kirchen, einigen islamischen und jüdischen Organisationen und auch aus kleineren religiösen Gruppen zusammen. Die Initiative Pro Ethik erstattete Anzeige gegen unbekannt, da in vielen Gebieten Berlins am Wochenende 18. und 19. April 2009 flächendeckend Plakate von Pro Ethik entfernt wurden, an deren Stelle nun Plakate von Pro Reli hingen. Reste der zerstörten Plakate und Kabelbinder an den Masten waren noch vorhanden.

In der aggressiven Polemik dieser Pro-Reli-Initiative, die vor Verleumdungen nicht zurückschreckte, sehe ich den in der Überschrift zu diesen Artikel Zusammenhang bestätigt. Diese Initiative hat allerdings dieses Mal keine Mehrheit für ihr Verlangen erhalten. Warum auch? Und löst sie sich nun auf? Wie wird es weiter gehen? „Wir haben die Stadt ein ganzes Stück bewegt. Wir alle haben erlebt, dass Berlin über Gott und die Welt gesprochen hat – eine Stadt, die immer als Hauptstadt der Atheisten bezeichnet worden war.“ Christoph Lehmann: auf der Wahlparty von Pro Reli.

Wenn Ethik obligatorisch ist, dann sind Religion und Religionsunterricht doch nicht verboten, sondern in den Bereich der Freiwilligkeit angesiedelt. Und das ist doch eigentlich völlig in Ordnung.
 
2.3. Zunahme subtiler Formen der Religiosität
Das Wesen von Religionen ist nicht nur der politische Machtwille ihrer Organisationen und Führer, es ist auch der spezielle Blick auf das Leben und die Welt.

Wesen, die außerhalb der Naturgesetze stehen, können Wunder vollbringen, von denen ein Mensch vielleicht träumt. Diese Sichtweise außerhalb der naturgesetzlichen Grenzen findet sich neuerdings gehäuft in vielen Filmen und Serien. Man kann deutlich sehen, dass solche Filme und Serien zunehmen, in denen alte Bücher Zauberkräfte haben, alte Kulturen, beziehungsweise die Schamanen oder Priester der alten Kulturen über außergewöhnliche Kräfte verfügen, die es zwar in so manchen Glaubensvorstellungen gebe kann, die es aber in unserem naturwissenschaftlich erkannten Leben nicht gibt.

Es ist dies die Sichtweise, wie eine über allen Menschen stehende Macht letztlich das Geschick der Menschen insgesamt und des Einzelnen lenkt, beurteilt und verurteilt. Diese Macht belohnt dann und bestraft, und die Religionsführer bemühen sich, in den Gesetzen der Staaten Belohnungen für Wohltaten im religiösen Sinne unterzubringen, und oft werden von den Menschen als Wohltaten empfundene Sachverhalte später religiös als gute Taten gewertet. Und die Religionsführer bemühen sich, Strafen für Verhaltensweisen einzuführen, die im Sinne der Religionen schlechte Verhaltensweisen sind, wie zum Beispiel Homosexualität, und diese werden mit wirklichen Missetaten auf gleiche Stufe gestellt.
 
Zum Schutz der Religionsführer gibt es in vielen Ländern auch gesetzliche Strafen dafür, dass man diew Religionen anzweifelt und die Handlungen der Religionsführer kritisiert. Manchmal ist in den Medien diese Macht über die Menschen, an die wir glauben sollen, auch eine böse Macht. Die wird dann aber unter Zuhilfenahme der vorherrschenden Religion, die die gute Macht verkörpert, besiegt.

Da gibt es „alte Weissagungen”, die sich natürlich positiv erfüllen. Und Helden in den Filmen und Serien verfügen zufällig über Merkmale, von denen von Alters her gesagt wird, dass sie das Volk oder die Welt retten werden, was sie dann auch können und machen.

Übrigens, der Böse oder der Trottel, der dafür in den Filmhandlungen bestraft wird, ist immer der Skeptiker, der an solche uralten Mysterien aus gutem Grund nicht glauben kann. Er ist aber außedem noch ein fieser Mensch, so dass ihn der arglose Konsument den Tod wünscht.

Es ist sehr schade, dass das Gegenteil von Mythen und Aberglaube, nämlich die Aufklärung, kaum mehr in den Medien in Erscheinung tritt und schon gar nicht positiv dargestellt wird. Und da könnte es schon viel Stoff geben, nämlich wie Menschen durch Religionen oder Ideologien zu ihrem Nachteil ge- und verführt werden, und dass es zu ihrem Vorteil ist, wenn sie daran nicht mehr glauben unbd sich glücklich davon lösen.

Letztlich könnte es auch Filme usw. darüber geben, wie die Religionsführer mit vielerlei Tricks versuchen, die Aufklärung zu verhindern.

Und die Welt sollte nicht durch das Altertum und immer von Oben bevormundet werden, sondern durch demokratische und mitmenschliche Umgangsformen sowie Aufklärung und Menschenrechte in bessere Zustände geraten. Das wäre doch wirklich ein guter zu verfilmender Stoff, oder?
 
2.4. Was als Religion angesehen wird
Also was ich unter 2.3. beschrieben habe, betrifft ja das Religiöse an sich und beschränkt sich nicht auf eine der Religionen. Und so manche/r religiöse LeserIn dieses Beitrages mag einwenden, dass es sich dort in der Filmen usw. um Aberglaube und Spukgeschichten handeln würde, nicht aber um die wahre Religion. Doch das Subtile ist, dass die Denkweisen, die hier unterstellt und erzeugt worden, mit den Denkweisen religiöser Menschen übereinstimmen. Darin liegt der Erfolg.

Ich habe hier also das Prinzip religiösen Denkens aufzeigen wollen: was gilt, war schon immer so und kommt von dem über den Menschen Stehenden, kommt von oben.

Aber was ist denn eine Religion und was eine Sekte? Und was ist Glaube und was ist Aberglaube?

Zwar bauen alle Religionen, soweit ich es weiß, auf das oben beschriebene religiöse Denken auf.
Doch beharrt nahezu jede Religion darauf, dass nur sie die einzige wahre Religion ist, die anderen sind eher abergläubig oder tragisch von falschen Religionsverkündern verführt worden. Das bedeutet jedoch nicht, dass die religiösen Organisationen durchaus zusammenarbeiten können, wenn es darum geht, das Böse zu bekämpfen, nämlich die Aufklärung.

Und so sind oft die schlimmsten Verfolger von Anhängern einer Religion die Anhänger einer anderen Religion. Das könnte daher kommen, dass die weltliche Herrschaft in früheren Zeiten sich als Gott über das Volk stellte.

Der Herrscher war also auch gleichzeitig Gott. Seine Priester waren die ideologischen Überwacher des Volkes in diesen Ländern. Später trennten sich in einigen Ländern Staatsmacht und Priesterschaft.

Dann, später, war das Oberhaupt nicht Gott, jedoch von Gott eingesetzt. Jedoch war ein Mensch, der einer anderen Religion angehörte, dann auch ein Staatsfeind. daher war es wichtig, dass es immer die eine Religion wäre und nicht eine andere. Und die jeweils andere kann ja nicht richtig sein, wenn die eigene schon richtig ist. Daran glauben die Religiösen noch heute.

Dass es religionsfreie Menschen geben könnte, das kommt einem religiösen Menschen natürlich nicht in den Sinn. Er glaubt ja dann, und der angeblich religionsfreie Mensch glaubt an etwas anderes, zum Beispiel „glaubt er“ dann an „die Wissenschaft“. Alleine die wissenschaftliche Forschon als „die Wissenschaft“ zu benennen hat etwas Religiöses.
 
3. Was wäre daran so schlimm, wenn Religionen wirklich an Einfluss verlieren würden?
Ich bejahe die Auffassung, dass eine zwischenmenschliche Ethik zu den wichtigsten Errungenschaften der menschlichen Spezies gehört. Das Faustrecht und das „Recht des Stärkeren” sind auch bisweilen für die jeweilige Obrigkeit ein Ärgernis, und nicht nur für die einfache Bevölkerung. Der Zusammenbruch ethischer Grundlagen in der Bevölkerung während der Nazizeit und das systematische Zerstören dieser ethischen Grundlagen seitens der daran profitierenden Obrigkeit, hat uns alle belehrt, dass die Verteidigung ethischer Grundlagen genauso wichtig ist wie die Verteidigung demokratischer Verhältnisse.

Die Grundlagen eines Verhaltenskodex‘ sind im übrigen nicht nur in den Hochkulturen mit ihren Gottheiten, sondern bei so manchen Naturvölkern mit ihren Naturgöttern beobachtet worden. Man kann solche Grundlagen auch bei höheren gesellschaftsbildenden Tiergemeinschaften erkennen.

Keine „Götter” bzw. Religionsapparate oder irgendwelche weltlichen Obrigkeiten (was lange Zeit in der Entwicklung menschlicher Kulturen identisch war) sind im Grunde dazu nötig, sondern nur die menschliche Fähigkeit, vernünftig zu handeln, zum gemeinsamen Vorteil.

Was der Gemeinschaft und den in ihr lebenden Menschen nützlich war, war auch vernünftig. Zum Tragen kommen solche ethische Strukturen aber im wesentlich dann, wenn sie durch die Gemeinschaft auch sanktioniert werden, wenn also die Abweichung davon zur Ächtung durch die Gemeinschaft führt.

Die jeweiligen Obrigkeiten waren natürlich nicht an einer allgemeinen humanen Ethik interessiert, die hauptsächlich auf zwischenmenschliche Vernunft, Gleichberechtigung und Selbstbestimmung aufbaut. Ziel war ihnen natürlich, dass ihre eigenen wirtschaftlichen und Machtinteressen im Mittelpunkt der ethischen Vorgaben für das Volk stehen: Pflichbewusstsein und Treue gegenüber der Obrigkeit. Und dies erfolgreich zu vermitteln, das geht am besten, wenn man den Untertanen Glauben machen kann, diese Reglungen kämen von einem überirdischen Wesen.

Die Priester der Obrigkeiten bzw. Religionen müssen nun gar keine neue Ethik erfinden, sondern nur die vorhandene derart modifizieren, dass sie hierarchisch strukturiert ist, um somit sie die Kontrolle über die Sprachreglungen und Sanktionen bekommen.

Priester können sogar die in der Gesellschaft vorhandene Ethik zugunsten der Bevölkerung erweitern, indem sie die Strukturen durch ethische Regeln aus anderen Ländern ergänzen, wenn ihnen dies letztlich nützlich erscheint. Insofern sie die Menschen weiterbringen, sind ihre Verkündungen von den Inhalten her nicht deshalb abzulehnen, weil sie mit religiöser Sichtweise durchzogen sind.

Wichtig ist den Religionsführern jedoch, dass nicht die menschliche Vernunft als Urheber der Ethik angesehen wird, und die egoistischen Interessen der Oberschicht werden hinter „Gottes Gebote” bzw. „Gottes Wille” getarnt, damit die Untertanen sie freiwillig befolgen. Im übrigen ist das soziale Leiden im religiösen Sinne nicht etwa eine Folge.der Herrschsucht und Ausbeutung der oberen Schichten, sondern eine Prüfung, und wenn Du sie bestehst, wirst du belont, nachdem Du gestorben bist.

Die Bestrafung von Menschen, die sich an die Regeln nicht halten, geschieht allerdings nicht erst nach dem Tode und wird von der gesellschaftlichen Ächtung weg hin zu einer Gerichtsbarkeit gebracht, die den Interessen der Obrigkeit dient, also angeblich der ganzen Gesellschaft und Gottes Geboten.

Einerseits werden überall dort, wo es den Religiösen möglich ist. die Menschen gestraft und geächtet, die sich nicht an die genaue Auslegung der jeweiligen Religion halten, und das kann alle die treffen, die den religiösen Machthabern im Wege sind.

Andererseits haben die religiösen Führungskräfte in so ziemlich alle Religionen sich Möglichkeiten geschaffen, selber nicht so genau nach diesen Regeln leben zu müssen.

Zum Beiuspiel darf ein Budhist kein Wesen töten. Aber die Oberschicht kann dennoch töten lassen, durch die Mönchsoldaten der Dalei Lama, die auch Foltern dürfen usw. wie es unter der düsteren Verwaltung des Dalei Lama dort, wo er es konnte, auch geschehen ist. Fleisch wollten sie schon essen, die hohen Herren, und so ließen sie eine muslimische Minderheit (zum Beispiel in Tibet) leben, die ihnen schlachten sollten.

Der Stör im kaspischen Meer zum Beispiel, aus dem sich der teuerste Kaviar gewinnen lässt, darf von iranischen Fischern nicht gefischt und schon gar nicht gegessen werden, auch der Kaviar, weil nach den Aussagen des Propheten der Stör ein unreiner Fisch ist, da er keine Schuppen hat. Unter der Herrschaft der Mullhas wollen sich diese das Geschäft mit diesem kostbaren Gut aber nicht nehmen lassen, und so setzte Komenhi islamische Wissenschaftler ein, die tatsächlich herausfanden, dass der Stör in der Nähe der Ohren miktoskopische Schuppen hat. Und so war das Geschäft gerettet. Und die Fastenzeit der Christen war für die Mönche auch gerettet, denn der Biber schwimmt ja im Wasser, folglich kann er als Fisch definiert werden, und der Braten war gerettet.

Religionen können so lange überleben, wie man sie aufgrund geänderte Verhältnisse immer wieder umdeuten kann, damit sie auch passen. Dies trifft besonders auf die großen Weltreligionen zu, die auch heute noch starken Einfluss in der Politk haben.

Das Abnehmen der Religionen und der religiösenWerte in der Gesellschaft wird in den Medien also beklagt. Würde aber die Religiosität in der Bevölkerung nachlassen, dann wäre nicht die Ethik grundsätzlich in Gefahr, sondern nur der Zweck der Gesellschaftsordnung würde vielleicht bei weltlichen ethischen Fragen ganz aus dem Augen verloren werden: der Dienst der Gesellschaft an der Oberschicht.

Wäre die Ethik nichtreligiös, ist nicht gesagt, dass sie egalitär, sozial, demokratisch würde. So wie unter religiösen Dogmen könnte sie durch-aus ebenfalls religionsähnlich Züge aufweisen und den einfachen Menschen eher nicht dienen.
 
4. Eine nichtreligiöse Ethik
Die Auffassung, dass ethische menschliche Umgangsformen ihren Ursprung in den jeweiligen Religionen haben, ist eine religiöse Auffassung. Allerdings wurden sie lange Zeit in den Religionen transportiert und modifiziert. Diese Auffassung des religiösen Ursprungs der Ethik verdreht die Tatssachen, denn die Religionsverkünder haben gierig alle menschlichen ethischen Konstruktionen an sich gebracht und zum Teil in ihre jeweiligen Religionen integriert. Dadurch wurden ihre religiösen Konstruktionen aufgewertet und die Fähigkeit des Menschen, eine weltliche humane Ethik zu entwickeln, vor der religiösen Verkündung abgewertet. (js)
 
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