- 99. Print-Ausgabe, Sommer-LUST 09
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- Prostitution
Der Unterschied zwischen freizügiger Sexualität und
Prostitution besteht darin, dass die Sexualität für
die beiden (oder mehr) beteiligen Partner das Argument zum lustvollen
Handeln ist. Bei der Prostitution geht es der/dem Prostituierten
im wesentlichen oder ausschließlich um die Bezahlung für
eine Dienstleistung.
Es handelt sich hierbei schlicht um eine Erwerbstätigkeit,
und diese gehört zur Gruppe der Dienstleistungen. Die Berufstätigen
in diesem Gewerbe arbeiten nicht in der Verwaltung als Bürokräfte,
sondern deren Tätigkeit gehört zu den körperlichen
Arbeiten. In diesem Gewerbe gibt es selbständig Arbeitende
oder Betriebe mit mehreren ArbeitnehmerInnen.
Es gibt steuerzahlende angemeldete kleine und große Betriebe
und es gibt einen weiten Bereich von Schwarzarbeit.
Wie in vielen Gewerben gibt es hier auch illegale Betriebe. Illegal
heißt, dass hier die ArbeitnehmerInnen Illegales tun oder
auf illegale Weise beschäftigt werden. Und wie in vielen
Gewerben gibt es hier auch Sklavenarbeit und im Umfeld davon
auch Meschenhandel.
Im Bereich der Kinderarbeit im Sexgewerbe sowie im Menschenhandel
(z.B. Frauenhandel) versteht es sich von selber, dass wir von
den Staaten (Regierungen) erwarten, hiergegen wirkungsvoll einzuschreiten.
Ob der Staat generell gegen das Sexgewerbe vorgehen soll, darüber
wird gestritten. Und die Strafgesetze sind innerhalb der EU uneinheitlich.
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- Das Schweden-Norwegen-Modell
In Schweden und neuerdings auch in Norwegen ist Prostitution
verboten. Bestraft werden aber nicht die AnbieterInnen dieser
Dienstleistungen, sondern die Nutznießer, die Freier und
in ganz kleinem Rahmen die Freierinnen.
Der Hintergrund dieser Gesetzgebung besteht aus 3 Faktoren. Zum
einen ist dies der evangelischen Religion geschuldet, die überwiegend
moralisch argumentiert. Diese Argumentation bekam in den späten
60er und den 70er Jahren Unterstützung aus der politischen
Linken, die das Argument tragfähig hielt, dass es bei der
Prostitution um eine marktwirtschaftliche Ausbeutung von Menschen
handelt, also um eine Ausbeutung der überwiegend weiblichen
aber auch männlichen Prostituierten.
Hinzu kam dann in den 80er und 90er Jahren die feministische
Diskussion. Hier wurde vorgebracht, dass es sich im wesentlichen
um die Ausbeutung und die Entwürdigung der Frau als Objekt
zugunsten des Lustgewinnes des Mannes handeln würde. Das
gilt zwar nicht für Stricher, aber auch dort sind ja die
Täter überwiegend Männer.
Was hat die Gesetzgebung auf dieser Basis gebracht? Der Markt
ausländischer Prostituierter ist in Schweden und Norwegen
weitgehend zum Erliegen gekommen.
Die Prostitution selber hat nicht abgenommen, aber die Zentren
der Prostitution haben sich verlagert. Sie sind in die anonymen
Vorstädte und in kleine Wohnungen der großen Hochhaussiedlungen
gezogen. Es sind völlig neue Kommunika-tionswege zum Anwerben
von Freiern entstanden.
Da Prostitution ja verboten ist, existieren auch keine Hilfen
wie Sozialversicherungen oder Ausstiegsmodelle für die vielen
Frauen und verhältnismäßig wenigen Männer,
die diesem Gewerbe nur eine Zeitlang nachzugehen wünschen.
Es gibt auch keinen Schutz vor Übergriffen in diesen kleinen
Wohnungen.
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- Das England-Deutschland-Modell
Gegen die linke und die feministische Argumentation (siehe Schweden)
wandten sich in Großbritannien und Deutschland Selbsthilfeeinrichtungen
der Sexarbeiterinnen und auch der Sexarbeiter.
In Deutschland traten Vorsitzende des Verbände HWG (Huren
wehren sich gemeinsam) und Hydra auf und stritten für das
selbstbestimmte Recht auf diesen Broterwerb.
Sie verlangten, durch größere gesellschaftliche Anerkennung
diesen Beruf grundsätzlich aufzuwerten und so die illegalen
Bereiche zu isolieren. Dadurch versprachen sie sich bessere Arbeitsbedingungen
mit der Möglichkeit auf Sozialversicherung und Ausstiegshilfen
für Berufs-wechslerInnen sowie das Zurückdrängen
von Zuhältern.
Was ist daraus geworden? Prostitution ist teilweise als Beruf
anerkannt. Es sind auch tatsächlich Bordelle mit Sozialversicherung
entstanden.
Doch die HGW gibt es nicht mehr und so ist die gegenseitige Hilfe
der SexarbeiterInnen nicht mehr überall vorhanden.
Oft ist durch Zuzug von Sexar-beiterInnen aus dem Ausland sowie
durch SchwarzarbeiterInnen eine Zuhälter begünstigende
Konkurrenz entstanden. Auch Menschenhandel existiert und wird
nicht immer polizeilich aufgedeckt.
In den größeren Städten gibt es Einrichtungen
für Prostituierte Frauen und für Stricher mit der Möglichkeit
sich zu duschen, medizinische Untersuchungen vorzunehmen und
mit der Möglichkeit, sich von SozialarbeiterInnen beraten
zu lassen, einschließlich von Ausstiegsprogrammen.
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- Vergleich der Modelle
Das England-Deutschland-Modell wäre dem Schweden-Modell
vorzuziehen, weil es nicht mit dieser unrealistischen Doppelmoral
einhergeht und die SexarbeiterInnen im Prinzip aufgewertet.
Das würde stimmen, wenn es nicht den Menschenhandel geben
würde, der die tiefste Erniedrigung für die Opfer der
Sklaverei bedeutet.
Einerseits haben wir weibliche und männliche Prostituierte
kennen gelernt, die uns erklärt haben, dass sie in einem
Arbeitseinsatz von einigen Stunden so viel verdienen könnten,
wie andere Arbeitnehmer in einer Woche.
Sie sehen es überhaupt nicht ein, einem solchen anderen
Beruf nachzugehen. Sie beklagen nur einige Umstände ihrer
Erwerbsarbeit
Tatsache ist, dass Prostitution immer existiert, es fragt sich
also deshalb, unter welchen Bedingungen.
Auch ein behinderter Mann erklärte mir, dass er überhaupt
gar keinen Sex erleben könnte, wenn er den möglichen
Partner nicht durch einen zusätzlichen Anreiz dazu bringen
könnte, sich trotz seiner Behinderung auf ihn einzulassen.
Wie aber können die Arbeitsbe-dingungen so verbessert werden,
dass nicht Frauenhandel und Sklaverei und schon gar keine Kinderarbeit
in diesem Gewerbe möglich sind? Dies hat wohl etwas ganz
allgemein etwas mit dem Umgang zwischen den Menschen zu tun.
Prostitution allgemein
Wer Prostitution als eine unwürdige und daher abzuschaffende
Er-werbsmöglichkeit von Frauen und jungen Männern ansieht,
sollte nicht vergessen, wie viel Entwürdigung ArbeitnehmerInnen
in allerhand anderen Berufszweigen hinzunehmen gezwungen sind.
Diesem Argument folgend käme nur auf die Arbeitsbedingungen
an.
Aber die Welt ist, wie sie ist, und die Arbeitsbedingungen könnten
umso besser sein, als diese Tätigkeiten legal wären
und aus der Schmuddelecke herauskämen. Das würde allerdings
bedeuten, Sex auch aus der Schmuddelecke herauszubringen und
die Sexarbeiter-Innen mit z.B. Friseuren oder Masseuren von ihrem
Image her gleichzustellen.
Wer die Prostitution moralisch verurteilt, hat vielleicht ein
Modell im Kopf, unter welchen Bedingungen Sex nicht unmoralisch
wäre.
Nun gehören sowohl zur heterosexuellen wie zur homosexuellen
Prostitution die Freier, und das sind in beiden Fällen in
ihrer Mehrzahl heterosexuell verheiratete Männer.
Die Mehrzahl der Kunden von den Strichern sind also die moralichsten
bzw. angepasstesten der Männer mit homosexuellen Neigungen.
Die Mehrzahl der Kunden von weiblichen Prostituierten sind ebenfalls
verheiratete Männer, die ihre Ehefrauen nicht mit Sexpraktiken
quälen wollen, die sie nicht mögen, und die auch nicht
das Risiko einer parallelen Nebenbeziehung eingehen wollen.
Die Moral der heterosexuellen Ehe hat eben ihre Opfer,
sozusagen. Lebenslange sexuelle Brisanz anei-nander für
zwei Menschen entspricht eben nicht gerade der Natur der menschlichen
Sexualität.
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- Abgrenzungen?
Wer zum Beispiel einen weiteren Anreiz bietet, als nur seinen
mehr oder weniger erotischen Körper, der begibt sich schon
einen Schritt in die Freierrolle. Und in die Rolle der Prostitution
begibt sich z.B. auch, wer sich aushalten lässt.
Das Promi-Luder ist eigentlich auch ein(e) Prostituierte(r),
allerdings auf hohem Niveau. Und in so mancher Ehe, wo ein Partner
alleine für den Wohlstand sorgt, der andere eher fürs
beziehungsinnere Klima, da ist die Grenze zur Prostitution nur
mehr schwer auszumachen.
Damit soll nicht mehr und nicht weniger gesagt werden, als dass
die Prostitution nicht den Gegensatz zu anderen Sexverhältnissen
der Gesellschaft darstellt. (js)
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