- 98.Print-Ausgabe, Frühling 09
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- Der neoliberale Sozialstaat
Ist nun alles besser oder eher schlechter
geworden? Und für wen? Und bei uns im Lande? Gibt es denn
einen neoliberalen Sozialstaat?
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- Einleitung
Liberalismus ist die bürgerliche Freiheitsideologie gegen
den monarchischen Staat, der in Ansätzen auch Fürsorgestaat
sein konnte (in Deutschland durch Bismarcks Sozialgesetze, um
damit Front gegen die stärker werdenden Sozialdemokraten
zu machen).
Liberalismus setzt auf die Kraft des Marktes gegen staatliche
Reglementierungen, nach dem Motto dem Tüchtigen
gehört die Welt. Der Wirtschaftsiberalismus ist (von
den USA ausgehend) in der Weltwirt-schaftskrise 1929 schon einmal
in die Krise seiner eigenen Begrenztheit geraten.
Der Neoliberalismus, darüber haben wir schon sehr viel geschrieben,
wendete sich auch gegen all die staatlichen Sozialprogramme (Stichwort
Deregulierung), um wieder auf die Kraft der Märkte zu setzen.
Das führte aber durch den kapitalistischen internationalen
Finanzmarkt letztlich zur schrittweisen Vernichtung der wirtschaftlichen
Grundlagen, aus dem die Gewinne großer Kapitalgesellschaften
stammen.
Dies geschieht nun nicht deshalb, weil einzelne Heuschrecken
sich destruktiv verhalten, sondern aus der Logik des neoliberalen
marktwirtschaftlichen Erfolges heraus.
Gewonnenes Kapital muss wieder gewinnbringend investiert werden,
denn sonst verzehrt es sich selber. Und wenn nun schon überall
dort, wo sich Gewinne realisieren lassen, größtmögliche
Kapitalmengen investiert sind, werden neue Anlagemöglichkeiten
gesucht.
Dies geschah auf mehrfachen, besonders auf zweierlei Wegen:
1. im Sozialabbau, denn in den gesetzlichen umlagefinanzierten
Finanzkassen sowie in den staatlichen Sozialprogrammen kreisen
Gelder, die direkt wieder in den Konsum gehen, ohne dass von
ihnen vorher eine Rendite abgezweigt werden. Daher das systematische
Schwächen der gesetzlichen Sozialversicherungen und zum
Ausgleich private Versicherungen, die den Investoren eine Rendite
ermöglichen.
2. Die massenhafte Vergabe von Krediten in bislang noch nicht
erschlossene Bevölkerungsschichten nach dem Modell der Schneeballsysteme,
wobei die Realisierung der Gewinne in Form von Zinsen an den
wirtschaftlichen Grenzen dieser Bevölkerungsschichten massenhaft
scheiterten.
3. Es sollte vielleicht auch noch die Strategie benannt werden,
die ganze Wirtschaftsbereiche plattmachte: Das Aufkaufen kleiner
und großer Unternehmen auf Kredit, das schnelle Weiterverkaufen
dieser Unternehmen mit Gewinn, wobei die Unternehmen selber mit
den Kaufkrediten belastet wurden.
Das alles führte dann also zu der Kapitalkrise,
von der so viel in den Medien die Rede ist, und nun soll plötzlich
der Staat sich weiter verschulden, um die nicht mehr realisierbaren
Gewinne dennoch weiter fließen zu lassen.
Und diese Kredite müssen ja nun letztlich auch in irgend
einer Form wieder abgelöst werden, und dazu gibt es gar
keine anderen Pläne als die Ankündigung der Kanzlerin,
dass sich die Bevölkerung auf schwierige Zeiten
einzustellen habe.
- Ende des Neoliberalismus?
In der Dezemberausgabe der Zeitschrift Sozialismus
geht es hauptsächlich um diese Wirtschaftskrise, die all
ihre Befürworter derzeit wortkarg macht. Wirtschaftsprofessor
Kirchhoff, dessen neoliberale Phantasien für eine schwarzgelbe
Bundesregierung unter Merkel der Kanzlerin dann doch keine parlamentarische
Mehrheit schaffte, der neoliberale Friedrich März, der das
Ziel hatte, mit den Sozialversicherungen auch die Gewerkschaften
abzuwickeln usw.
Ist der Neoliberalismus nun am Ende? Eine Ideologie, die
Eigentum für alle proklamiert und damit endet, dass Immobilienbesitzer
mit Zwangsversteigerungen aus ihren Häusern vertrieben werden,
die Marktsteuerung predigt und zum Kollaps der Märkte führt,
die Reichtum verspricht und Verschuldung herbeiführt
eine solche Ideologie übersteht die Krise der des Finanzkapitalismus
nicht. Doch was kommt danach? Richard Detje in der o.a.
Zeitschrift. Das kann ich nicht so recht glauben.
Doch in der o.a. Zeitschrift hat der Autor in einer recht guten
Betrachtung die Abwicklung der eigenen Grundlagen der marktwirtschftlichen
Ordnung durch den Finanzmarktkapitalismus auf den Punkt gebracht.
Der Aufsatz heißt Tod des Neoliberalismus
Krise der Gewerkschaften? Der Zusatz über die Gewerkschaften
lässt ahnen, was er vorschlagen möchte, was dann
kommen könnte. Diesen Aspekt lasse ich erst einmal hier
weg.
Es scheint sich abzuzeichnen, dass es wirtschaftlich zum Kollaps
führt, wenn sich das Kapital sozusagen durchsiegt, grenzenlose
Macht hat, sich totsiegt. Ist es so, dass der so genannte Kapitalismus
nur dann überhaupt existieren kann, wenn er eben niemals
sozusagen durch ist, sondern durch staatliche Reglementierung
und einen Aderlass an die Sozialstrukturen der Gesellschaft gebremst
wird? Und wie ist das Kapital dann in seinen selbstvernichtenden
Sieg geraten? Richard Detje meint:
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- Akkumulation durch Enteignung
Der Finanzkapitalismus entwickelt sich aus den Verteilungsstrukturen
von Lohnarbeit und Realkapital. Aus Geld allein wird weder mehr
Geld, noch kann man dieses essen. Renditen oder Profite müssen
real erwirtschaftet werden, als Mehrwert von produktiver Arbeit.
Zinseinkommen sind nichts anderes als Ansprüche auf Teile
aktuellen und künftigen gesellschaftlichen Reichtums. Diese
Ansprüche entwickeln sich in einem mehrstufigen Prozess
der Enteignung und der verteilungspolitischen teilweise
selbstverschuldeten Niederlagen der Gewerkschaften.
(a.a.O. S. 38).
Marx geht ja von einer grundsätzlichen Enteignung der arbeitenden
Teile des Wirtschaftsprozesses im Kapitalismus aus, dass also
der Zugewinn (Mehrwert genannt) aus dem Zusammenführen von
Arbeitskraft einerseits und Investitionskapital (in Form von
Werkzeugen, Maschinen und Rohstoffen) den Kapitalgebern also,
alleine den Investoren zugute kommt.
Der Autor Detje beschreibt andere bzw. zusätzliche Formen
der Enteignung der ArbeitnehmerInnen.
Er erklärt, dass bis in die Mitte der 70er Jahre des so
genannten Volkseinkommens (also der erarbeitete Zugewinn) nahezu
gleichmäßig zwischen den gesellschaftlichen Klassen
verteilt worden sei. In den 80er Jahren (nach dem Zusammenbruch
der so genannten realsozialistischen Ländern?) habe sich
das grundlegend geändert.
Der Anteil der Einkommen aus abhängiger Arbeit begann
einen Sinkflug, der bis heute andauert bereits ein Vierteljahrhundert
lang. ... Es fand ein kontinuierlicher Enteig-nungsprozess der
Lohnabhängigen statt. ... Zum einen hat er sich im zeitlichen
Verlauf beschleunigt. Je mehr sich die Strukturen des Finanzmarktkapitalismus
seit Mitte der 1990er Jahren herausbildeten, umso mehr wurden
die Lohneinkommen von der Entwicklung des gesellschaftlichen
Reichtums abgekoppelt. Allein in diesem Jahrzehnt (2000
2007) ist in Deutschland die Lohnquote von 72,2% auf 64,8% gefallen,
... während die Unternehmensgewinne um fast die Hälfte
(43%) zulegten. Zum anderen haben sich die Methoden dieses Enteignungsprozesses
gewandelt. Die Ausweitung des Niedriglohnsektors (mittlerweile
ein Viertel aller Lohnarbeitsverhältnisse in Deutschland)
und die Zunahme verschiedenster Formen von deregulierter, prekärer
Arbeit (Leiharbeit, befristete Beschäftigungsverhältnisse,
kurze Teilzeitarbeit usw.) bringen zum Ausdruck, dass Enteignung
zwar immer noch durch die Entwicklung der Produktivkräfte
der gesellschaftlichen Arbeit stattfindet, dass dazu aber immer
mehr Ausbeutungsformen wie Lohndrückerei und unbezahlte
Arbeitszeitverlängerung getreten sind ...
Weitere Enteignungsformen sieht der Autor in der Privatisierung
gesellschaftlichen Eigentums (von öffentlichen Wohnungen
bis zu Wasserwerken) und die schrittweise Privatiasierung der
Sozialversicherungen, und zwar deshalb: Da Sozialbeiträge
nur eine andere Form des Lohnes sind, handelt es sich bei Kürzungen
von Sozialtranfers und Privatisierung von Sozialeigentum um Enteignungsprozesse.
Diese Errungenschaften sind oftmals in harten sozialen Auseinandersetzungen
und tariflichen Kämpfen erarbeitet worden.
Eine weitere Enteignungsform sieht der Autor durch das System
der Verschuldung. Sie sei eine Form der Enteignung, die direkt
die Finanzmärkte alimentiere. Allein in der Staatsverschuldung
werden enorme Eigentumsansprüche bedient: Die Zinszahlungen
aus den öffentlichen Haushalten transformieren Massensteuern,
also Abzüge im Wesentlichen von Lohneinkommen, in zinstragendes
Kapital.
Eine vierte Form der Enteignung macht der Autor an dem Umgang
mit der Krisensituation fest: Entlassungen, Lohnkürzungen,
Mehrarbeit und weitere Prekarisierungspro-zesse (Verelendungsprozesse).
Und er zitiert Jürgen Habermas: Nun wird die Masse
derer, die ohnehin nicht zu den Globali-serungsgewinnern gehören,
für die realwirtschaftlichen Folgen einer vorhersehbaren
Funktionsstörung des Finanzsystems noch einmal zur Kasse
gebeten. Und dies nicht wie die Aktienbesitzer in Geldwerten,
sondern in der harten Währung ihrer Existenz.
Und so meint der Autor, dass die Enteignungen ohne einen Politikwechsel
weitergehen würden, zum Nachteil des gesamten wirtschaftlichen
Gefüges. Und was dann?
Ohne einen Politikwechsel scheint dies in einen circulus
virtiosus zu münden: verteilungspolitische Niederlagen der
Arbeiterbewegung Konzentration des gesellschaftlichen
Reichtums auf die Gewinn- und Vermögenseinkommen
Alimentation des Finanzmarktkapitalismus bis zum Platzen seiner
Blasen Verschärfung der Enteignungsökonomie.
Fragt sich nur, wie weit die Zitrone Lohnarbeit noch mit Brachialmethoden
ausgequetscht werden kann.
Wenn man sich anschaut, welche Mittel den Banken und Regierungen
einfallen, die Finanzkrise zu bändigen, wird
klar, dass bei den angedachten Mitteln keine irgendwie gearteten
Kontrollen geplant sind. Es wird den Investmentbankern eher mit
neuen öffentlichen Geldern eine Art weiter so
ermöglicht.
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- Bewertung dieses Denkansatzes
Wir haben es also entsprechend dieser Analyse bei der Finanzkrise
um die logische Folge des weltweiten Sieges der Finanzkapitals
(der Globlisierungsgewinner) zu tun. Und dieser Sieg wird schon
seit den 80er Jahren mit der schrittweisen Enteignung der arbeitenden
Bevölkerung flankiert, der während des Ost-Westkonfliktes
durch einen relativen Wohlstand eine Parteinahme an diesem Konflikt
abgekauft wurde.
Der o.a. Autor der o.a. Analyse setzt systemimmanent auf die
Heilung der Marktwirtschaft durch die Gewerkschaften, die jedoch
nicht in dem Zustand seien, dies zu leisten. Es folgt bei ihm
eine Beschreibung der Maßnahmen, die die Gewerkschaften
zu leisten haben und die Analyse des katastrophalen Zustandes
der Gewerkschaften.
Gremlitza in seiner KONKRET beschreibt schon lange den Niedergang
der Gewerkschaften als eine Folge des Niederganges des so genannten
Realsozialismus in Osteuropa und Asien. Aus eigener Kraft
hätten die Gewerkschaften die sozialen Errungenschaften
in Westeuropa nicht schaffen können, es sei ihnen ein gewisses
Wohlwollen seitens der Wirtschaft und der Politik entgegengebracht
worden, das seine Ursache in der Existenz der realsozialistischen
Länder hatte.
Taugen die Gewerkschaften als Gegenspieler zu den sich abzeichnenden
Verhältnissen, die den Nutznießern dieser Verhältnisse
so viele Vorteile verschaffen?
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- Zustand der Gewerkschaften
In dem o.a. Aufsatz sieht der Autor die Gewerkschaften als Lösung.
Ich erinnere, ein sozialer Kapitalismus, der einen Sozialstaat
mitfinanziert, hilft, die vorherrschende kapitalistische Ordnung
relativ krisenfest zu erhalten.
Als Ursache der Krise der Gewerkschaften und der fallenden Mitgliederzahlen
und daher zurückgehender Durchschlagskraft würde angesehen,
dass die Gewerkschaften in Krisenzeiten nichts anzubieten hätten.
Die Gewerkschaften dürften nicht zur Tarifpartei reduziert
werden, weil sie so am Enteignungsprozess teilnehmen und sich
in die Falle eines Nationalkeynsianismus begeben.
Als Ausweg erscheint in diesem Artikel die Strategie, die Verteilungs-Auseinandersetzungen
kämpferischer zu führen, wozu mit dem politischen Streikrecht
ein wirksames Instrument durchzusetzen sei.
Die Verteilungsauseiandersetzung in der Krise seien verstärkt
als Widerstandsaktionen zu führen: Gegen die Abwälzung
der Krisenlasten auf die Beschäftigten (Arbeitsplatzabbau,
Lohnsenkungen, unbezahlte Mehrarbeit, Prekarisierung), für
eine nachfragestabilisierende Beteiligung der Lohnabhängigen
an gesellschaftlichem Reichtum.
Dieser Strategieansatz stehe gegen Verzichtpolitik, allerdings
vor der Schwierigkeit, dass ein Regime der Angst
unter den Bedingungen eines krisenhaften Anstiegs der Arbeitslosigkeit
eine offene Tarifpolitik nachhaltig erschwert. Die Schlussfolgerung,
die daraus wird, lautet: Politisierung der Tarifauseinandersetzungen.
(S. 41)
Das Ziel dieser Politik soll die Überwindung des flexiblen
Kapitalismus sein. Die Deregulierung der Arbeitsbedingungen
führe zur Prekari-sierung der Arbeitsverhältnisse selber.
Und dort wären die Potenziale für die Revitalisierung
der Gewerkschaften.
Ist dieser Denkansatz ein realistischer Ansatz?
Gibt es die nichtsystemimmanente Alternative?
Auf der Buchmesse 08 in Frankfurt überraschte uns der uns
gegenüber freundschaftlich eingestellte Geschäftsführer
Dr. Jörn Schütrumpf des Karl Dietz Verlages, der u.a.
die MEW-Bände herausgab und -gibt, mit seiner beredten Freude
über den angestiegenen Verkauf der drei Bände Das
Kapital von Karl Marx.
Dass die Finanzkrise ein Kind der Marktwirtschaft
ist, die notwendig eine Wirtschaftskrise nach sich zieht, nun
als eine logische und intendierte Folge des marktwirtschaftlichen
Wirtschaftens angesehen wird und sich nun doch mehr Menschen
wieder um Alternativen kümmern, das ist durchaus denkbar.
Dass es möglicherweise doch zu einem massenhaften Suchen
nach der oder einer Alternative zur marktwirtschaftlichen Ordnung
kommen könnte, dass die wirtschaftlichen und politischen
Weichensteller sich zumindest darauf vorbereiten, darauf weisen
ganz bestimmte politische Forderungen und Handlungen hin: die
ständigen Forderung nach dem legalen Einsatz des Militärs
im Inneren, die ständige Ausweitung der zunehmenden Kontrolle
aller Einwohner dieses Landes.
Und schließlich gibt es auch das legale existieren Lassen
von Nazi-Organisationen, teilweise auch das Versorgen mit öffentlichen
Geldern und das Nutzenlassen der öffentlichen Infrastruktur.
Zu den Feinden, die die Nazis ausmachen, gehörten und gehören
übrigens ganz besonders auch die Gewerkschaften. Grundsätzliches
über die heutigen integrierten Gewerkschaften haben wir
schon ausführlich beschrieben, und zwar in der 95. Ausgabe
der LUST, und dort auch das völlige Versagen der Gewerkschaften
vor, bei und nach der Machtergreifung der Nazis.
Alle diese Mechanismen, die hierzulande organisiert werden, deuten
auf Vorbereitungen der Wirtschaftsführer und deren politischen
Sachwalter auf große soziale Unruhen hin. Ich merke dies
hier nur an, um klarzumachen, dass eine Massenbewegung zu einem
so genannter Sys-temwechsel zu großen Kämpfen führt.
Denn die wirtschaftlichen und politischen Machthaber und zu-gleich
die Nutznießer der gegenwärtigen Verhältnisse
wollen diese unter allen Umständen verteidigen. Und sie
wissen sicher auch, es führt ein weiter so ebenfalls
zu unkalku-lierbaren Risiken, gegen die sie sich gegenwärtig
eben die von mir oben genannten kalkulierbare Mittel verschaffen.
(js)
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