98.Print-Ausgabe, Frühling 09
 
Nachdenken über Äußerungen von PolitikerInnen
Über die medienwirksamen Äußerungen von PolitikerInnen in Wahlkämpfen und die internen Interessenslagen in Parteien. Oder: wie funktioniert der repräsentative Parlamentarismus?
 
1. Problemstellung
Wie kann man herausfinden, welche Couleur ein Politiker (eine Politikerin) hat? Und spielt seine eigene politische Auffassung für sein politisches Handeln überhaupt irgend eine Rolle?

Solche Fragen lassen sich ernsthaft nur von solchen Menschen beantworten, die einen gewissen Einblick darin haben, wie das politisch System in unserem Land funktioniert. Und überhaupt bekommt nur der eine gewisse politische Chance, der all diese Strukturen und Zusammenhänge durchschaut.

Wir bemühen uns hier natürlich, den Teil unserer politischen Wirklichkeit zu durchschauen, der sich in den Medien in solch einer Weise zeigt, dass sie dann tatsächlich zur Wirklichkeit werden.
 
2. Beispiel Koch
In dem nachfolgenden Beitrag geht es nicht um einen bestimmten Politiker, sondern um die Wirkung von gezielten rhetorischen Tabubrüchen im Wahlkampf.

Der gegenwärtige hessische Ministerpräsident Koch konnte vier Monaten nach der Bundestagswahl, die Schröder an die Macht brachte, den damaligen SPD-Ministerpräsidenten Eichel über eine Kampagne stürzen lassen, in der Vorbehalte gegen die doppelte Staatsbürgerschaft bei dem Versuch mobilisiert wurden, ein neues Staatsbürgerschaftsrecht in Deutschland zu schaffen.

Vier Jahre später schaffte Koch es damit, indem er kurz vor der Wahl die Gewerkschaften auf eine Weise angriff, die auch die Verbände der Naziopfer auf den Plan rufen musste. Die Gewerkschaften hatten gedroht, die Unternehmen zu benennen, die keine tariflichen Löhne zahlen. Kochs Landtagsrede war politisch geschickt inszeniert, er verglich die derart zu benennenden Unternehmer mit den Menschen „mit einem Stern auf der Brust”.

Da diese Äußerung vernehmbaren Widerspruch von zahlreichen Verbänden auslöste, hatten die Rassisten und Antisemiten verstanden, nicht NPD, Republikaner zu wählen, sondern die CDU. Er gewann sogar die absolute Mehrheit in Hessen.

Mit dem gleichen Trick versuchte er es 2008 wieder. Er nutzte die men-schenverachtenden Gewalttaten kulturell und gesellschaftlich verwahrloster Jugendlicher in München für eine Kampagne gegen jugendliche Straftäter mit Migrationshintergrund und nutzte die Namen der Spitzenkandidaten von SPD und Grünen, die von so manchem Deutschen nicht unbedingt für deutsche Namen gehalten werden, man erinnere sich an die Anti-Multi-Kulti-Kampagnen der Union.

Es mag ja sein, dass er wieder die rechten WählerInnen gut erreichen konnte, aber es brachen ihm bürgerliche WählerInnen weg. Dieses Mal klappte es nicht im gleichen Maße, doch blieb er geschäftsführend im Amt, weil sich keine Mehrheit gegen ihn aufstellen ließ.
Andererseits stiegen die WählerIn-nenstimmen der SPD, die einen linken und Anti-Koch-Wahlkampf führte. Das ließ die SPD wieder aus dem Schröderloch aufsteigen.

Nach einem Jahr gab es Neuwahlen, weil die SPD trotz einer zahlenmäßigen Überlegenheit der 3 Mitte-links-Parteien keine Mehrheit gegen Koch zusammenbrachte. Wir wissen, mit welchem Ergebnis.

Der rechte Flügel der SPD spielte nicht mit und erzwang so Neuwahlen. Und die Schuld an dem darauf folgenden Desaster für die SPD wurde der ehemaligen SPD-Vorsitzenden Ypsilanti gegeben.

In der politisch linken Szene wurde der damalige Wahlkampfstil Kochs als “rassistisch” bezeichnet, und für einige war/ist Koch ein Rassist. Es wurde hier auch über die CDU gesprochen, inwieweit sie selber rassistisch sei.
 
3. Wer ist was?
Ganz ehrlich? Ich weiß es nicht, was der Mensch Koch ideologisch im Kopf hat.

Sicher, er hat keine Scheu davor, sehr geschickt bestimmte politische Tabus zu brechen.
Diese Themen sind deshalb Tabuthemen, weil sie in der Lage sein könnten, die Lehren aus den deutschen Naziverbrechen zu relativieren.

Aber ist das ein sicheres Indiz dafür, dass er selber rassistisch denkt? Persönlich meine ich ja, dass man seine Äußerungen durchaus auch als Hinweis in diese Richtung verstehen kann. Denkt er so oder ist das parteipolitische Taktik?

Seine eigene Meinung spielt allerdings im Wahlkampf und politischen Spielraum eines Landes-Ministerpräsidenten nicht unbedingt eine wesentliche Rolle, denn politisches Handeln ist in erster Linie ein Ergebnis anderer Zusammenhänge, die später untersucht werden sollen.
Und politische Äußerungen im Wahlkampf unterliegen wieder anderen Zusammenhängen. Wir haben da nämlich schon noch ein paar Zusammenhänge zu bedenken, um nicht in unseren Überlegungen krasse Fehler zu machen.
 
4. Die Wahlkämpfe und die Flügelkämpfe
Es ist sehr unwahrscheinlich, dass ein Politiker im Wahlkampf sein eigenes politisches Herz ausschüttet, sondern er sagt genau das, wovon er sich die gewünschten politischen Effekte bei den umworbenen Zielgruppen verspricht.

Politiker bedienen in Wahlkämpfen entweder durch konkrete Zusagen oder durch Andeutungen die Erwartungen von ihren traditionellen WählerInnengrup-pen beziehungsweise den gewünschten neuen WählerInnengruppen.

Es handelt sich hier in erster Linie um Werbebotschaften eines politisch-wirtschaftlichen Unternehmens namens Partei.

Parteien sind auch Unternehmen, sie sind Arbeitgeber für Parteimitar-beiter, Abgeordnete, Staatssekretäre und Minister oder mehr, deren Beruf die Politik ist.

Und wenn diese Partei viele gut bezahlte Sitze hat, vielleicht auch gut bezahlte Ministerposten zu vergeben hat, kann sie sich auch gutbezahlte Berater und Fachleute leisten.

Eine politische Leitfigur einer Partei wird schon für den Verlust solcher Arbeitsplätze in die Pflicht genommen, sofern dies durch dessen politische Fehler verursacht wurde.

Ebenfalls steigt wohl ihr Ansehen, wenn sie für mehr und bessere Arbeitsplätze in diesem Bereich sorgt, auch wenn dies durch Slogans geschah, die nicht unbedingt die Billigung aller Parteimitglieder gefunden haben. Dies haben Spitzenpolitiker von Parteien ebenfalls zu berücksichtigen.

Und ob die Abgeordneten immer das tun, was nun nötig wäre, hat zum Teil auch damit zu tun, mit welchen politischen Karrieren sie nach solchen Entscheidungen noch rechnen können. Das hängt aber auch noch mit einem anderen Umstand zusammen.
In einer Partei kommt vorrangig der oder die voran, bekommt zum Beispiel einen guten Listenplatz, der/die glaubhaft machen können, dass wichtige WählerInnengruppen, Lobby-Verbände usw. hinter diesem Politiker stehen.

Oder dass er in soundsuvielen Aufsichtsräten ist oder ob er geschäftsführend in solchen Bürgerbewegungen ist, hinter denen große Teile der Bevölkerung stehen. Übrigens, wer ein Unternehmen hat oder Vermögen, riskiert nicht in der Weise seine Existenz bei Verlust des Mandates wie z.B. ein Arbeitnehmer.

Das berücksichtigen diese Politik-erInnen selbstverständlich in Hinblick auf ihre eigenen Absichten. Selbst wenn eine Partei gar kein politisches Profil hätte, wären all solche Erwägungen immer noch für die Menschen zu berücksichtigen, die in der Politik ihr Geld verdienen wollen.

Und nicht alle politischen Parteien haben ein klares politisches Profil. Das gibt ihren Leuten nämlich mehr Handlungsspielraum.
 
4.1. Volksparteien
Volksparteien haben politische Flügel, die, je nach Lage des Zeitgeistes, in der Werbung dieser Partei diese besser oder schlechter nach außen vertreten können.

Die Flügel-männer oder Flügelfrauen müssen schon in gewisser Weise glaubhaft erscheinen oder es wirklich auch sein.
So gibt es in der Union, also der CDU und der CSU vorgezeigte Köpfe, die eher dem rechten Flügel oder eher dem sozialen Flügel angehören. Der Frontmann der Unions-Neoliberalen, Friedrich März, wurde eher verdrängt.

Das Rückrat dieser Partei sind die eher konservativ denkenden Kleinunternehmer und mittelständigen Unternehmer, sogenannte „kleine Leute, die es zu etwas gebracht haben” und vor allem Menschen die religiös sind.

Die religiöse Bindung dieser Partei beeinflusst ihre Propaganda und ihr Handeln ebenfalls.
Der eher soziale Flügel tritt bei Wahlen in Zeiten linker Interessen in der Bevölkerung auf, siehe Jürgen Rüttgers, der andere Flügel bedient eher solche sozial ansprechbare Menschen, die mit konservativen bis hin zu nationalistischen oder rassistischen Neid-Kampagnen ansprechbar sind.

Das ist z.B. traditionell die Masche der Hessen-CDU, früher in der langen Zeit der Opposition auch spöttisch die Gruppe “Adel und Banken” genannt, mit ihren deutlich rechtspopulistischen Frontmännern Drecker und Kanter und solchen rechtsfundis wie Hohmann.
Aber Wallmann und Roth waren mit ihrem Flügelhintergrund nicht derart rechts und in Hessen erfolgreicher.

Dominiert wird die Partei allerdings vom konservativen Wirtschaftsflügel. Die Flügel selber verkörpern völlig gegensätzliche Politikrich-tungen, und deshalb ist die Union sehr an der Meinungsführerschaft in den Medien interessiert, was ihnen auch gelungen zu sein scheint. Die Union ist ein Interessensverband zu Besetzen von gutbezahlter politischer Posten, die Flügel leisten eher propagandistische Zuarbeit.

CDU/CSU sind zwei verschwisterte konservative Volksparteien in Form jeweils von Gebietskartellen. Und ihr politisches Spektrum lässt bisweilen keine inhaltliche Abgrenzung gegenüber rechts erkennen.

Und der Sozialflügel der Union überholt in der inhaltlichen Diskussion und im Wahlkampf oftmals die konservativer gewordene SPD links. Dennoch kommt kaum eine andere als eher konservative Politik dabei raus.

Unterschiedliche Flügel sind auch in der SPD zu beobachten, deren Wählerinnen sie im wesentlichen aufgrund sozialer Forderungen wählen, und dem Image der Partei, sich für die Interessen der Arbeitnehmer und ihrer sozialen Lage zu engagieren. Hier geht es nicht nur um taktische Propagandaflügel, denn die Flügel bekämpfen sich gegenwärtig heftig, weil hinter ihnen tatsächlich unterschiedliche politische Absichten stehen und diese Partei unter Druck ist.

Doch scheint dort nun der eher neoliberale Wirtschaftsflügel durch Schröders damaliger Parteiführung seit einiger Zeit derart dominierend zu sein, dass der Arbeitnehmerflügel, der eher linke Flügel, in das Dilemma gekommen ist, als Mitglied der SPD nicht mehr glaubhaft sein zu können.

Das Flügelschlagen in der SPD ist für Politiker des linken Parteiflügels unterdessen gefährlich geworden. Selbst Beck, der als eher bürgerlicher aber bodenständiger Parteivorsitzender in der Funktion eines Scharniers die Flügel zusammenhalten wollte, wurde vom wirtschftsliberalen Flügel ausgebootet.

Die Folgen sind bekannt und in Hessen hatte Frau Ypsilanti mit ihrem linken Wahlkampf große SPD-Gewinne zu verbuchen. Doch als sie in einer von der Linken geduldeten Koalition tatsächlich soziale Politik verwirklichen wollte, wurde sie (durch eigene Parteimitglieder) gestoppt und für die Folgen des nachfolgenden Wahldesasters verantwortlich gemacht. Das sieht danach aus, dass das Soziale eher zu einem Wahlkampfthema wird als zu einer politischen Absicht.

So etwas macht aus einer Volkspartei eine eher weniger bedeutende Richtungspartei, politisch und auch wirtschaftlich gesehen. Ehrgeizige Karrieristen mit dem Berufswunsch eines Politikers versprechen sich hier dann weniger Chancen. Ihr politischer Spielraum ist eher begrenzt.

Auch die FDP hat kein geschlossenes politisches Profil und ist, obwohl sie kleiner ist, wie Union und SPD einer Volkspartei ähnlich.
Wer erinnert sich nicht an den Austritt Verheugens und anderer, als die FDP in Fragen der individuellen Liberalität von den Grünen überholt wurde und in Fragen Wirtschaft wirt-schaftsliberal positonieren, was auch die individuellen Freiheiten besonders der Arbeitnehmer begrenzt.

Das geht auf Kosten der FDP-Mitglieder, die für individuelle Freiheiten Einzelner eingestellt sind (Überwachungagesetz - Rücktritt von Frau Leutheuser-Schnarren-berger) sowie der sozialer Eingestellter. So trennte sich die FDP von ihrer Jugendorganisation, den Jungdemokraten, und gründete die eher wirtschaftsliberalen Junge Liberalen. Die Jungen Liberalen rechtfertigten ihre Neugründung damit, dass die Jungdemokraten sich eher um gesellschaftliche Minderheiten gekümmert hätten, sie würden sich jedoch um die normalen Bürger kümmern.

Übrigens war dies der Karrierestart von Westerwelle. Er war Mitgründer dieser Organisationen, die das ideologische Grundsatzprogramm „Marktwirtschaft und Bürgerrechte” verfasste. Westerwelle war 1983 – 1088 Bundesvorsitzender der Jungen Liberalen, bis er in den Bundesvorstand der FDP gewählt wurde.
 
4.2. Parteien mit einem vorrangig deutlichen politischen Profil
Solche Parteien gibt es auch, und das sind in der Regel keine sogenannten Volksparteien. Solche Parteien nehmen weniger Rücksicht auf vielseitige Verflechtungen mit ge-sellschaftspolitische Strömungen und Lobby-Verbänden, weil sie aus einer Strömung entstanden sind, oder die sind das parteipolitische Handwerkzeug eines Lobby-Verbandes.

Sie werden daher von der Vielfalt der anderen Interessens- und Lobbyverbänden mit großem Misstrauen gesehen, nach Möglichkeit isoliert und ausgegrenzt beziehungsweise mit allen Mitteln bekämpft. Und so werden sie dann auch von den gängigen Medien behandelt, und entsprechend erfolglos sind sie dann auch längerfristig, oder es gelingt ihnen der Wandel.

Ich sortiere nun hier nicht danach, ob die jeweilige Richtung dieser Partei erträglich ist, oder völlig unerträglich, wie z.B. die rechten Parteien, die in einigen der neuen Bundesländer in die Landtage gekommen sind.

Und bei einigen der Parteien, die ich hier anführe, ist der Trend zur Volkspartei, selbst wenn sie nur wenig Wählerstimmen auf sich vereinigen können, deutlich erkennbar.
 
4.2.1
Die Grünen entstanden zunächst aus mehreren außerparlamentarischen Einpunkt-Bewegungen. Das waren die Anti-Atombewegung, Umweltschutzverbände, Anti-Kriegsbe-wegungen sowie Reste der antiautoritären nach-68er-Strömung, die hier politische Handlungsmöglich-keiten sahen.

Es waren aber auch von Anfang an nationalistische Kräfte mit dabei. Und es ging recht chaotisch zu. So wurde zum Beispiel Blut verspritzt, und wurde öffentlich derart um Positionen gekämpft, dass einige auch wieder aus der Partei raus sind und zum Beispiel in der SPD landeten (z.B. Schily).

Später kamen noch ehemalige Sozialdemokaten, ehemalige FDP-Mitglieder hinzu und schließlich noch Teile der Bürgerrechtsbewegung der DDR.

So kämpften anfänglich nahezu alle Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften gegen die Grünen, was sich schrittweise änderte, indem sich die “Realos” durchsetzten und die Partei der Grünen ihre Parteilinke, die “Fundis” weitgehend verlor, die daraufhin als Ökolis (Jutta Dittfurt, Manfred Zieran usw.) unbedeutend wurden.

Die ehemalige Pazifistenpartei rechtfertigte den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien und die ehemals linke Partei den Abbau des Sozialstaates unter Schröders neoliberaler Hartz-4-Gestzgebung. Unterdessen ist sie zu einer ganz “normalen” Partei geworden.

Die LINKE hat einen anderen Hintergrund, der näher betrachtet werden muss.
Durch den Zusammenbruch der DDR gingen die Parteien der ehemaligen DDR, übrigens mit ihrem Parteivermögen, in die westlichen Parteien auf. Die CDU übernahm die CDU der DDR und die Bauernpartei, die FDP übernahm die Liberaldemokratische Partei der DDR und die dortige Nationaldemokratische Partei.

Die SPD ging damals leer aus, weil sie sich nicht der CDU-Propaganda entziehen konnte.

Während in allen osteuropäischen Ländern die ehemaligen Kommunisten zu Sozialdemokraten wurden, gründeten die westlichen Sozialdemokraten in den neuen Ländern eigene SPD-Verbände, statt die PDS einzugemeinden. Sozialdemokraten akzeptieren den Kapitalismus, wollen dies aber unter möglichst sozialen Bedingungen. Vielleicht.

So wurde aus der SED in den neuen Bundesländern eine konkurrierende sozialdemokratische Partei mit Volksparteicharakter für diese Länder. Es war jedoch abzusehen, dass diese unter den vorherrschenden Bedingungen als Ostpartei nach und nach in die politische Bedeutungs-losigkeit abdriften würde.

Durch einen Aberwitz der Geschichte, nämlich dem Rechtsrutsch der SPD, geschah Folgendes: Durch solche Sozialdemokraten, die das nicht mitmachen konnten, konnte sich die PDS dadurch aus dieser Lage befreien, indem sie den ausgebooteten linken Sozialdemokraten des Westens und deren Neugründung WASG den Zusammenschluss anbot. Damit war beiden geholfen.

So haben wir nun zwei sozialdemokratische Parteien. Sie unterscheiden sich darin, dass die neue (die LINKE) eher sozial und nicht wirtschaftsliberal ist, und die alte SPD weit in die neoliberale bürgerliche Mitte gerutscht ist. Wir haben ja schließlich auch zwei Unionsparteien. Die unterscheiden sich jedoch durch Gebietsaufteilungen. Allerdings, die Unionsparteien arbeiten zusammen, sind zusammen oder getrennt, ganz wie es ihnen nutzt.

Und bei den beiden sozialdemokratischen Parteien will die eine (die alte) die neue liebend gerne auslöschen, was ihr aber in Wirklichkeit nur selber schadet, siehe Hessen, denn dann kann aus Mehrheiten nichts werden.

Und nun ist es die Strategie der Union, der FDP, der Grünen und der SPD, die LINKE derart zu bekämpfen, wie in den Gründerjahren die KPD, in den 68er Jahren die Jusos und der SDS bekämpft wurden, indem man ihnen unterstellte, Verfassunsfeinde zu sein, sie zu isolieren und ihre Parteisprecher persönlich zu schädigen usw. Ihre WählerInnen werden als blöde bezeichnet, die auf “ primitiven Populismus” reinfallen würden.

Die Medien laden VertreterInnen dieser Partei nur ein, um sie nach Möglichkeit als Watschenmann zu benutzen. Sie dürfen nicht oft ausreden, werden nach Möglichkeit nur als Negativbeispiel vorgeführt, an dem alle ihre Rhetorik und ihre Karriere fördernde Tricks ausleben und sich austoben können. In der jungen Partei die Linke spielen sich alle chaotischen Zustände ab, die wir auch in den jungen Grünen beobachten konnten. Das ist natürlich, wie früher bei den Grünen, ein gefundenes Fressen für interessierte Jornal-istInnen, besonders die einer der konkurrierenden Parteien nahestehen.
 
4.2.2.
Der Kapitalismus ist die wirtschaftliche Ordnung, in der wir leben. Und dies ist anscheinend wichtiger als die individuelle Freiheit oder soziale Sicherheit der Menschen. Und was die wirtschaftlichen Erträge der Nutznießer dieser Ordnung schmälern könnte, ist aus Sicht der Kapitaleigner eben ihnen gegenüber feindlich. Unter bestimmten Bedingungen erscheint es großen Teilen der arbeitenden und arbeitslosen Bevölkerung plausibel, zur Wahrnehmung eigener Interessen die Sorgen der Kapitaleigner zu teilen. In anderen teilen sie deren Sorgen nicht mehr, nämlich weil die eigenen übermächtig werden. Wenn sich solche Zeiten zeigen, ist den Kapitaleignern ihre eigene individuelle und wirtschaftliche Freiheit wichtiger als das Wohlergehen der ärmer werdenden Menschen. Dafür gibt auf verschiedenen Ebenen auch wieder politikorientierte Parteien.

Die NPD entstand von Anfang aus Nazis, die aus dem Tausendjährigen Reich der insgesamt zwölfjährigen Hitlerzeit kamen, hatte aber von Anfang an Unterstützung aus der Wirtschaft. Sie hatte in den 60er Jahren relativen Erfolg, indem sie in einige Landtage kam. Hinzu kamen Vertriebenenverbände, die wieder einmal die Grenzen in Europa verschieben wollen.

Diese Partei bekam größeren Auftrieb durch DDR-Nazis und wurde der legale Arm illegaler rechtsterroristischer Gruppen. Im Moment scheint es parteiinterne Kämpfe mit dem Ziel zu geben, sich von den rechtsterroristischen Partei-Teilen zu trennen, vielleicht um einem erneuten Versuch eines Parteiverbotes zuvorzukommen.

Dass diese Partei trotz zahlreicher Belege verfassungswidrigen Tuns nicht verboten wurde, könnte uns Beleg dafür sein, dass es einflussreiche gesellschaftliche Kräfte gibt, die sich ihrer noch bedienen wollen.

Die Republikaner sind von ihrem Ursprung her eine rechts-Abspal-tung von CSU und CDU. Der Gründer Schönhuber war langjähriges CSU-Mitglied. Seine Strategie war es, eine Partei aufbauen zu wollen, die aufgrund rechter Ideologie ihre WählerInnen von ganz rechts erhielt, die sich aber bürgerlich verhält, sozusagen als Mehrheitsbe-schaffer für Union und FDP.

Sie geben sich bürgerlicher und können auch gegenwärtig im lokalen Bereich den Parteien CDU und FDP für ihre Vorhaben oft fehlende Stimmen bringen, wenn diese da-durch Chancen sehen, SPD-Grünen-Koalitionen zu verdrängen, so in Wiesbaden geschehen.
Durch ihr eher bürgerliches Verhalten und ihr Andienen als Mehr-heitsbeschaffer gibt es aus den Reihen der bürgerlichen Parteien hier weniger Ausgrenzungswünsche.

Es ist aufgrund ihres leiseren Auf-tretens unklar, wie sich diese Partei weiter entwickeln wird. Auf jeden Fall ist diese Partei den bürgerlichen Parteien in ihrem Bestreben vielfach nützlich gewesen, rotgrün aus den politischen Entscheidungsbereichen zu verdrängen. Die gegenwärtige SPD und auch die Grünen sind jedoch beim Sozialabbau durchaus hilfreich und beim Privatisieren öffentlicher Aufgaben nützlich, sodass für solche Aufgaben rotgrün garnicht mehr “bekämpft” werden muss. Es ist unklar, in wieweit die Reps mit anderen rechten Parteien verflochten sind, wie z.B. Pro-Köln.
 
5. Politische Handlungen
Der Rahmen der Handlungsmög-lichkeiten eines Politikers im Amt lassen ihm keinen so großen Spielraum, wie die meisten Menschen denken.
 
5.1.
Da sind zuerst einmal die Erwartungen im eigenen Interessenverband, also in der eigenen Partei. Werden diese nicht erfüllt, schwindet die eigene Basis. Das kommt natürlich auf die jeweilige Struktur der eigenen Partei an und welche Wichtigkeit dieser Politiker für die einzelnen Interessen haben.

Es kann sich um persönlichen Ehrgeiz einzelner Rivalen mit ihren jeweiligen Hintermännern (-frauen) und ihrer jeweiligen Hausmacht handeln und um Flügelkämpfe, mit unterschiedlichen Interessen um Seilschaften innerhalb und von außen, denn Parteien sind nicht so homogen, wie sie sich öffentlich zeigen. Sie sind auch nicht nach außen abgeschottet. Lobbys, Inter-essensverbände unterschiedlicher Art haben ihre Netzwerke in verschiedenen Wirtschafts- und Politorganisationen. Wäre es nicht so, dann wären die recht töricht und das sind sie nicht. Das zeigt sich ja auch schon bei den Parteispenden großer Wirtschaftsverbänden, denn öffentlich Bekannten z.B. gleichzeitig an die SPD und die NPD, und dann noch den anderen, die nicht öffentlich bekannt sind.
5.2.
Da sind dann auch die innenpolitischen Rahmenbedingungen in denen politisch gehandelt werden kann. Zu den Rahmenbedingungen gehören Gesetze, Regeln für Abläufe, die Apparate die traditionelle Abläufe für das politische Handeln (Ministerien und deren Beamte, die umsetzen müssen, was beschlossen wurde, allerdings in ganz bestimmten Rahmen.)
 
Die gewählten Politiker müssen berücksichtigen, dass sie dann machtlos sind, wenn der Apparat nicht funktioniert. Und er funktioniert dann nicht, wenn die Anweisungen im Widerspruch zu dem stehen würden, was dem Apparat beziehungsweise seinen dort beschäftigeten Arbeitnehmern, zuwider lafen würde.
 
5.3.
Laufenden zwischenstaatlichen und innenpolitischen Prozesse sind zu berücksichtigen, in die nun der Politiker mit seiner Partei einsteigt. Verträge der Vorregierung müssen eingehalten werden, denn die wurden nicht mit einer Partei oder einen Politiker (Beziehungsweise dessen des Berater-Team) abgeschlossen, sondern mit dem Staat. Dass dessen Führung sich nun anders zusammensetzt, dafür kann der andere Vertragspartner ja nichts.

Auch in der Innenpolitik können z.B. angefangene Bauvorhaben, angefangene wirtschaftliche Förderungen usw. der Regierung nicht plötzlich gestoppt werden, sondern müssen weitergeführt werden. Will er da etwas ändern, muss er prüfen lassen, wann dazu Möglichkeiten existieren: auslaufen der Verträge, Folgen (zum Beispiel juristische oder finanzielle) der Änderungen von Verträgen.
 
5.4.
Medien-Präsenz ist für Politiker-Innen lebenswichtig. Die Darstellungen in den Medien schaffen “Wahrheiten” in den Köpfen der Medien-nutzerInnen, und diese “Wahrheiten” sind ausschlaggebend, weil die WählerInnen sich mehr an den Personalities orientieren statt an der Person, über die ohnehin nichts wissen. Es werden Stimmungen erzeugt, und die sind bei WählerInnen weit wirkungsvoller als die politische Entscheidungen eines Politikers, die im übrigen auch stimmungsvoll kommentiert werden. Hinter den Journalisten in den privaten Medien stehen die Eigentümer, die in Interessenszusammenhängen mit anderen Eigentümern stehen.

Andererseits sind auch Leserinteressen zu berücksichtigen, aber das geschieht dadurch, dass diese auf Grund der Veröffentlichungen das Gefühl haben, dass sie berücksichtigt werden.

Wenden wir dies nun auf Ypsilanti und Koch an. Koch hatte sich im Wahlkampf so weit nach rechts manöveriert, dass er in dieser Frage nicht mehr damit rechnen konnte, in den Medien positiv gesehen zu werde. Doch dies war ja beabsichtigt, um den rechten Bodensatz für ihn zu mobilisieren. Doch in der bürgerlichen Mitte, die bei ihresgleichen viel übersehen können, wenn ihnen das nutzt, brachen ihm wichtige Wählerschichten weg.

Ypsilanti argumentierte im Wahlkampf links. Ihr Fehler war, dass sie nicht dem rechten Parteiflügel angehörte, denn dem hätte man das nachgesehen.

Trotz linkem Wahlkampf haben auch bürgerliche Menschen dieses mal Ypsilanti gewählt. Doch als sie sich anschickte, wirklich eine linke Politik zu machen, fielen die Medien derart über sie her, dass die allgemeine Stimmung über sie immer negativer dargestellt wurde, während die über den geschäftsführenden Ministerpräsidenten eher positiv dargestellt wurden.

Nehmen wir an, sie wäre Ministerpräsidentin von Hessen geworden. Egal, was sie machen würde, es wäre immer irgendwie schlimm, in den Medien. Sie hätte eine Darstellung zu erwarten gehabt, in der der Union und der FDP die Deutungshoheit eingeräumt worden wäre. Wie lange hätte sie wohl durchhalten können? Es wäre sicher dazu gekommen, dass ihre dünne Mehrheit sehr schnell weg gewesen wäre, denn unter ihnen waren ja auch PolitikerInnen, die in Hinblick auf ihre eigene Karriere die Nerven verloren hätten.

Was die Medien betrifft, hatte Ypsilanti von Anfang an sehr schlechte Karten. Was ihre Politik betrifft, so wollte sie doch wirklich das, was sie vorgab. Es waren die Medien, die dies verurteilten und daraus Wahlbetrug machten, wie es die Union möchte. Im übrigen, sie hatte keine andere Wahl. Und sowas ist ausweglos schlecht.

Im übrigen, dass nicht mehr ehemalige SPD-WählerInnen sich nun hinter der Partei “die Linke” versammeln, ist auch der Stimmungsmache in den Medien geschuldet, die damit schon immer mal recht erfolgreich waren.
 
5.5.
Rechte Reformen funktionieren eigentlich immer ruckzuck. Nehmen wir Schröders Hartz-Gesetze, die aus dem Sozialstaat einen Flickenteppich hinterlassen haben, klappten ganz gut, weil die entsprechenden Inter-essensverbände der Wirtschaft und der Politik hier nichts bremsen wollen. Es nutzt ihnen und ihrem Klientel ja. Linke Reformen sind da unendlich mühsam hinzubekommen, auch wenn es sich nur um ein winziges Reförmchen handelt. Alles scheint dagegen zu stehen. Die Wirtschaft macht mobil und verkündet, dass dies Arbeitsplätze kosten würde.
 
Sie tun so, als sei die Anzahl von Arbeitsplätzen vom Wohlverhalten des Staates und der Arbeitnehmer abhängig und nicht schlicht davon, ob sie aus wirtschaftlichen Gründen welche benötigen. CDU und FDP tun so, als gehe die Welt unter und werfen in ihren Medien-verkündungen alles was irgend geht in die politische Waageschale. Da werden Traditionen, Religionen und das Wohl des Staates und der Gesellschaft mobilisiert. So ist nun mal die Lage in unserer Gesellschaft, die sich rund um die Marktwirtschaft gruppiert hat.
 
6. Staatsstreich durch eine/n gewählte/n Politiker/in
Also bleibt zu untersuchen, ob ein rechter Politiker die Möglichkeit hat, den Staat in seinem Sinne umzugestalten. Vorrangig kann dies erfolgreich durch solche Politiker geschehen, die bewusst Tabus verletzen und sich nicht scheuen, sich mit allem und jeden anzulegen.
Das können sie aber nur, wenn vorher der Boden für ein solches Handeln vorbereitet wurde. Im Beamtenapparat müssen längst überall Leute sitzen, die dafür sorgen können, dass selbst Übergriffe reibungslos vonstatten gehen könne. In den Medien müssen die kritischen Stimmen mundtot gemacht werden, in der Justiz müssen in Schlüsselpositionen von eigenen Leuten besetzt werden, in Polizei und Militär müssen die entsprechenden Leute sitzen und ausländische Mächte müssen das ganze von außen mit Medien, Geldern, Drohgebärden usw. unterstützten. So könnte es klappen.

Es muss nicht so sein, dass alles Parteianhänger sind, es kann auch so sein, dass große Teile der Bevölkerung im entscheidenden Augenblick abkippen und zu Parteigängern werden. Dazu benötigt man eine ganz bestimmte Situation, die man ja mit erzeugen, zumin-dest nutzen kann, und in dieser bestimmten Situation muss alles dann klappen.

Ich kann nicht erkennen, dass diese Lage irgendwie in Sicht ist, auch in Hessen nicht, nicht einmal in Berlusconis Italien. Aber, es gibt Situationen, da kann alles plötzlich ganz schnell gehen. (js)
 
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