97.Print-Ausgabe, Winter 08/09
 
Versuch und Irrtum
Beziehungen sind bei Beginn für die Ewigkeit gedacht. Doch wenn sie dann Realität sind, stellen sich viele Fragen. Und das sind mehr Fragen als das in den Medien inszenierte leidige Thema mit dem sogenannten Fremdgehen.
 
Das Fremdgehen
Dies ist der Sündenfall, das Ende einer Beziehung. Und was sich aus der patriarchalischen 3-Generationen-Familie entwickelte, ist das, was heute unser Maßstab ist, obwohl dies in kleinsten Einheiten geschieht, z.B. in einem jungen verliebten Hetenpaar und einer Lesbenfreundschaft oder einer Schwulenfreundschaft.

Das Treusein entspricht, so erfahren wir in den Medien, der menschlichen Natur, schützt Mutter und Kind vor negativen wirtschaflichen Folgen, und im Übrigen kann sogar die vom HI-Virus-verursachte Krankheit AIDS als Argument dienen, weil die sexuelle Enthaltsamkeit gegenüber anderen Menschen als dem oder der Einen die störenden Safer-Sex-Regeln unnötig zu machen scheint.
Außerdem weiß man ja aus dem Tierreich, zum Beispiel bei den Spatzen, dass selbst diese ein Leben lang treu sind. Das ganze Universum lebt demnach dauerhaft monogam.

Naja und die Sexpartnersuche ist ja auch recht anstrengend, besser ist es wohl, immer was zum sexuellen Zugreifen zu haben.
Treu, das englische Wort "true", mit dem das deutsche Wort verwandt ist, bedeutet so etwas wie "ehrlich, wahrhaftig". Der beziehungsbezogene Treueanspruch, der auch über solche Sexualität des Partners entscheidet, die gar nicht dem Partner gilt, ruft eher die Unwahrheit hervor, und zwar beim Erfinden von Ausreden.

Mit dieser Aussage richte ich mich aber nicht gegen das Empfinden zweier Menschen, die nur ausschließlich miteinander sexuell verkehren zu wollen. Solche Vereinbarungen sind gefälligst von den Außenstehenden zu akzeptieren und nicht zu unterlaufen, so lange sich beide auch selber daran halten.

Etwas anderes ist es, wenn einer der beiden selber nach Kontakten von außen sucht. Er ist Teil einer Beziehung und er hat es dem Bestand der Beziehung zu schulden, was er sich erlauben kann und was er tut.

Doch die Selbstverständlichkeit, mit der die sexuelle Autonomie bei allen Beziehungen vorausgesetzt wird, ist fern von der Realität vieler Paare und zwingt die Beteiligten, die Umwelt zu belügen, vielleicht auch solche Partner, deren Liebe nicht groß genug ist, um zu akzeptieren, dass sie in der Partnerschaft Teile der Bedürfnisse des Partners nicht befriedigen können.

Als Grundlage einer Beziehung wird heutzutage also offensichtlich die ausschließliche sexuelle Autonomie zwischen zwei Menschen verstanden. Das war indes nicht immer so. In allen Zweierbeziehungen ist auch das Gefühl des Verzichts zugunsten der Interessen des Partners anwesend, das zumindest dann nach einiger Zeit zum vorwurfsvollen Gefühl der Entbehrung werden kann.

Und um diese spezielle Beziehungsgrundlage herum gruppieren sich dann auch all die anderen mitmenschlichen Wünsche, die wir haben, nämlich, dass es ja auch schön sein kann, mit Menschen, mit denen man relativ auskommt, denen man sich nahe fühlt, zusammen zu leben.
 
Mitmenschen
Unbestritten ist in den gesamten Sozialwissenschaften wie auch in den ganzheitlichen Bereichen der Medizin, dass ein Mensch aus vielerlei Gründen enge Mitmenschen benötigt und dass der moderne Trend nach menschlicher Vereinzelung bei nahezu allen Menschen immer nur ein befristeter bzw. vorübergehender Zustand ist.

Nehmen wir als Beispiel Abschnitte der menschlichen Lebenszeit, in der ein Mensch aufgrund seiner Pflegeabhängigkeit in der Kindheit oder im Alter ohne Mitmenschen nicht lebensfähig ist. Oder nehmen wird das Alter der früheren Kindheit während des Spracherwerbs: Würde er von seinen Mitmenschen nicht erlernen, wie man sprechen und denken kann, dann wäre ein Mensch möglicherweise zwar lebensfähig, doch eben nicht als Mensch.

Die zwischenmenschliche Kommunikation lässt erst Begriffe erlernen, verstehen und nutzen, mithilfe deren das Begreifen komplexerer Zusammenhänge möglich ist. Menschen sind somit in gewisser Weise Rudeltiere, wie alle höhere Lebewesen, die nicht gut alleine sein können. Irgendwoher benötigen Menschen ihre Selbstwertbestätigung und das können eben nur Mitmenschen sein.

Freiwilliges bzw. gewolltes bindungsloses Leben gibt es demnach nur als eine vorübergehende Erscheinung.

Es sei denn, es bleibt einem isolierten Menschen nichts anderes übrig als alleine zu bleiben, beispielsweise in Robinsonaden, die es auch mitten in einer belebten Großstadt geben kann, und "Robinson" redet sich und anderen ein, dass er es auch so will. Dies alles wäre ein dankbares weitergehendes Thema, das an andere Stelle untersucht werden soll.

Man benötigt tatsächlich enge Mitmenschen zu vielerlei Zwecken, und wenn es nur zur eigenen Bestätigung ist, oder zum Spiegeln der eigenen Person im Mitmenschen, zur Selbstentwicklung des eigenen Ich aus den Reaktionen der eigenen Mitmenschen ist. Durch die Reaktion der Mitmenschen erfährt man, wer man ist.

Übrigens, all diese wichtigen zwischenmenschlichen Bedürfnisse müssen nicht unbedingt eine Kombination mit sexueller Lust eingehen, können es natürlich auch eine Zeitlang durchaus.

Aus den Strukturen der zeitweiligen sexuellen Brisanz können durchaus auch menschliche Verbindungen entstehen, die das Abklingen des gegenseitigen sexuellen Begehrens überstehen und eine andere Qualität erreichen, die den oben formulierten mitmenschlichen Sehnsüchten entsprechen. Ist sexueller Besitz am Partner denn wirklich wichtiger als dies alles?

Wahrscheinlich ist es sogar eine Überforderung der auf sexuelle Monogamie aufgebauten Beziehung zweier Menschen, alle diese zwischenmenschlichen Ansprüche erfüllt bekommen zu wollen, von denen oben die Rede ist. Dafür muss dann oft als Ergänzung die Herkunftsfamilie, müssen die KollegInnen oder Freundeskreise herhalten, alles Beziehungen ohne Sex, meistens zumindest.

Natürlich "beweisen" uns zahlreiche Filme, Darstellungen, Talk-Shows und auch Dokumentationen, dass es schon immer so war, dass ein Mann und eine Frau treu zusammenleben, um mit ihren Kindern und Eltern solche Strukturen für die Erfüllung zwischenmenschlicher Bedürfnisse aufzubauen, die auch die patriarchalische 3-Generationen-Familie genannt wird.
 
Beziehungsformen
War es immer so? Der Sexualwissdenschaftler und Völkerkundler Ernest Bornemann beschreibt in seinem Hauptwerk "Das Patriarchat", wie zum Beispiel Missionare die Verhaltensweisen der Eskimos (Inuits) völlig falsch interpretierten, nämlich aus der Sicht von Menschen mit der Gewohnheit monogamer männerdominierter und religiös abgesicherter Ehes- und Familienstrukturen.

Die Missionare sprachen von "Ehegattenprostitution", was ihnen in den Iglus der Eskimos begegnete. Ein Mann, der mit einer Frau in einem Dorf von Iglus zusammenlebte, sprach sie an, um sie zum Sex mit der Frau dieses Iglus einzuladen beziehungsweise dazu aufzufordern.

Sie wussten nicht, und konnten es sich auch gar nicht vorstellen, dass diese Frau das Sagen und den Mann dazu beauftragt hatte. Der mit ihr zusammenlebende Mann habe sie angeboten wie ein Zuhälter seine Hure, so sahen die Missionare das aufgrund ihres Wissens aus dem eigenen Kulturkreis.

Das Verhalten der Eskimofrauen war auch über ihre persönlichen Vorlieben hinaus sehr sinnvoll, nämlich um Inzest in den menschenleeren Einöden zu vermeiden. Männer von weit her durfte die Frau einfach nicht unverrichteter Dinge weiterreisen lassen.
Die Missionare konnten hier jedoch nichts anderes erkennen als Unmoral, wobei jedoch ihre eigene Sexualmoral ihr eigenes kulturelles Los ist, und sie sahen im Verhalten des Überbringers der Botschaft nur das Angebot zur "Ehegattenprostitution".

Die patriarchalischen Strukturen und Sichtweisen haben eine Geschichte von vielleicht 2.000 bis 3.000 Jahren, je nach Region, während völlig andere familiäre und sexuelle Zusammenhänge bzw. deren Selbstverständlichkeiten mehrere 10.000 Jahre existierten und in einigen abgelegenen Regionen der Erde immer noch üblich sind.

Was Bornemann bei den Eskimos beobachtete, das Matriarchat in den eisbedeckten Einöden des Nordens, entdeckten Völkerkundler auf den Philippinen, wo es eine Gruppe von Dörfern gibt, in denen der Besitz nicht vom Vater zum Sohn, sondern von Mutter zur Tochter weitergegeben wird, und die so genannte Erwerbsarbeit von den Frauen geleistet wird, denen im Übrigen auch Grund und Boden gehört. Ähnliches ist auch von einigen isolierten Regionen in Indonesien bekannt, trotz des dort vorherrschenden Islams. Es gibt auch Reste matriarchalischer Strukturen bei verschiedenen afrikanischen Völkern, in denen auch die Frauen noch das Land besitzen.

Den Schlüssel zum Verständnis solcher matriarchalischer Formen des Zusammenlebens bietet eine kleine Arte-Dokumenmtation aus einer Reihe fremder Völker: "Die Moso".
 
Die Moso
Dort ist von dem großen Volk der Naxi im Südwesten Chinas in und um die Stadt Lijiang die Rede, das noch matriarchalisch leben sollte und von denen eine Unterart die Moso sind.

Doch dort angekommen bemerkte das Filmteam, dass sich hier im Zuge der Modernisierung auch längst das Patriarchat durchgesetzt hatte. Viele dort wohnende Menschen bezweifeln sogar, dass es das Matriarchat hier oder sonstwo überhaupt je gegeben habe, von dem erzählt wird.

Von einigen alten Leuten war aber noch Einiges vom ehemaligen Matriarchat zu erfahren sowie der Hinweis, dass noch höher im Gebirge die Moso in ihren ca. 60 Dörfern noch auf diese Weise leben sollten. Dies bestätigte sich dem Team dann auch tatsächlich.
Die Moso bleiben ihr ganzes Leben in den mütterlichen Herkunftsfamilien, sie verlassen die Mutter nicht. Stirbt sie, rückt eine ihrer Töchter nach.

In diesen Familien arbeiten die Frauen auf den Feldern, die ihnen gehören. Sie stehen auch der Familie vor. So etwas wie eine Ehe kennen sie nicht. Auch keine Heirat oder Scheidung.

Während die Frauen arbeiten, hängen die Männer eher rum, leisten jedoch auch hier und da etwas Familienarbeit und betreuen die Kinder ihrer Schwestern. Die männliche Bezugsperson der Kinder ist also der Onkel. Wer die Väter der Kinder sind, spielt keine Rolle. Mit den möglichen von ihm gezeugten Kindern hat der männliche Sex-Besucher nichts zu tun, da er ja nicht zur Familie gehört.

Die Kinder, so ist der dazu passende Mythos, sind vollkommen und wie Samenkörner im Mutterleib vorhanden, sie werden vom Mann nur begossen. Würde ein Mann regelmäßig arbeiten wollen wie eine Frau, dann würde er sich dadurch lächerlich machen und käme als Sexpartner kaum noch in Frage.

Gruppen junger Männer diskutieren untereinander, wie sie bei welcher Frau in der Region ankommen. Viele behaupten, schon mit allen Frauen der näheren Region Sex gehabt zu haben. Sie meinen im übrigen auch selber, dass Männer eben von Natur aus fauler seien als die Frauen.

Die Frauen, befragt, ob sie nicht die schwere Arbeit den Männern überlassen wollten, lehnten sehr bestimmt ab, denn dies sei ihre Sache. Und auf das Faulenzen der Männer angesprochen äußern sie, die müssten sich ausruhen, damit sie in der Nacht leistungsfähig seien.
Die Wahl jedoch haben die Frauen und ein Mann hat bessere Karten, wenn er einen weiten Weg zu ihnen zurückgelegt hat, um gerade sie zu besuchen. Eine Frau kann sich nicht aufmachen, um einen Mann zu besuchen, dadurch würde sie sich unmöglich machen.
Manche Frauen haben einen Besucher, der immer wieder kommt und dann einige Tage bleibt, dann ohne Abschied geht, und zwischen seinen regelmäßigen z.B. vierteljährlichen Besuchen haben sie auch noch "flüchtige Besuche" durch andere Männer.

Dieses Leben empfinden sie keineswegs als "unmoralisch" und reden daher darüber freimütig, freizügige sexuelle Erlebnisse von Frauen mit Männern stellen kein wesentliches Problem dar. Die eine Fraugt sagt, sie habe bisher Sex mit über 300 Männern gehabt, die andere bekennt etwas beschämt, dass es bei ihr bisher nur 50 Männer gewesen seien. Die Zerstörung der Umwelt durch Zuwanderer ist ihnen dagegen eher ein Problem.

In letzter Zeit bestreiten allerdings einige Frauen vor der Kamera jedoch die "flüchtigen Besucher", weil dies von den Vertretern der chinesischen Provinzregierung als unmoralisch angesehen wird. Diese wissen zwar davon, reden aber nicht offen darüber und verhalten sich dabei ähnlich wie die europäischen Missionare bei den Eskimos.

Sie akzeptieren diese "Unmoral" deshalb, weil dies zu den traditionellen Eigenheiten einer nationalen Minderheit gehört, über die man aber nicht öffentlich berichtet. Dass dies Als eine regionale und nicht historische Frage gesehen wird, ist erstaunlich, denn in China herrschat ja die Kommunistische Partei Chinas, die sich hier auf Marx, Engels,Lenin, Stalin und Mao Tsetung beruft. Und es war Friedrich Engels, der gegen die bürgerlichen Spießer loszog und auf das Matriarchat hinwies, das in der Welt üblich war, bevor sich das Patriarchat gebildet hatte und schrittweise durchsetzte.

Ansonsten sind die Moso auch vom Buddhismus beeinflusst, der ja auch eine patriarchalische Religion ist, und zwar von der besonders dogmatischen tibetisch-lamaitischen Version, die hauptsächlich in der chinesischen autonomen Region Tibet und in Nord-Indien vorherrschend ist. Frau macht von dieser Lehre jedoch nur auszugsweise Gebrauch, doch der buddhistische Totenkult hat sich beim Tod der Mutter wohl durchgesetzt.

Befragt, ob die andere, die patriarchalische Version von Familienleben mit der Heirat der Mutter und sao auch der Kinder und daher der Gründung einer neuen ganz andes organisierten Familie nicht besser wäre, stimmen viele Männer zu, doch nahezu alle Frauen lehnen dies ab.

Diese Männer wissen ja gar nicht, dass ihr freies Leben der bindungslosen Sexabenteuer dann wohl vorbei wäre. Und in der als neu aufgestellten patriarchalischen Familie die Frauen haben längst gelernt, ihre wirtschaftlichen Interessen dadurch zu wahren, dass sie um das vom Mann erarbeitete Familieneinkommen besorgt sind und daher ihrerseits auch die Sexualität der Männer kontrollieren.

Die befragten Frauen der Moso wissen durchaus, was sie verlieren würden, wenn sich auch bei ihnen die patriarschalische Familie durchsetzen würde.

Wir sehen also, dass zwischenmenschliche Beziehungen immer in unserer Geschichte vorhanden waren und sich als sinnvoll erwiesen haben, dass aber die Sexualität nicht unbedingt dazu gehören muss, wie z.B. bei den Familien der Moso.
Das kennen wir ja auch durch unsere eigene Verbundenheit mit unserer patriarchalischen Herkunftsfamilie, die durch Sexualität mit Menschen von außen nicht unbedingt Schaden nehmen muss.

Unsere Prognose bezüglich der Moso ist, dass diese Familienform schrittweise verschwinden bzw. austrocknen wird, weil nun die staatliche Schulpflicht auch in den Gebieten der Moso eingeführt wurde (und in Biologieunterricht werden sich biologische Tatsachen über das Sperma und die Eizelle durchsetzen), weil es nun Elektrizität und Fernseher und Videofilme gibt, und weil sich die Männer zunehmend für die patriarchalische Familie entscheiden könnten, denn sie werden in ihrem Stolz angesprochen.
Diesen Wandlungsprozess durch moderne Verhaltensweisen nennen wir: zivilisieren.
 
Unsere Formen des Zusammenlebens
Für uns aber heißt dies alles, dass es gar keine traditionelle beziehungsweise übergeordnete Notwendigkeit gibt, eine ganz bestimmte Form des Zusammenlebens für irgendwie natürlich oder normal zu halten: wir haben die Möglichkeit, uns in Absprache völlig frei zu entscheiden und das zu wählen, was uns im Moment, für einige Zeit oder überhaupt als am sinnvollsten erscheint.

Dabei stoßen wir allerdings auf Schwierigkeiten, nämlich dass frei gewählte Formen des Zusammenlebens und Liebens in der Gesellschaft auf die für selbstverständlich gehaltenen Gewohnheiten treffen, die als normaler, besser, moralischer gewertet werden.
Dies lässt unsere frei gewählten Beziehungen teilweise besser oder schlechter erscheinen, je nachdem wie nahe sie der sogenannten "normalen Ehe" kommen.

Und noch mehr: die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sind parteiisch, indem sie nur die eine vorherrschende Lebensform unterstützen. Wer anders leben möchte, muss entweder viel Geld haben oder kann in Isolation geraten. Dies wurde auch durch die Einführung der Homo-Ehe in unsere Szene beschleunigt, die sich an die patriarchalische Ehe anlehnt, statt dass der Staat alle selbst gewählten Formen des Zusammenlebens so akzeptiert, wie es die Beteiligten wollen.

So funktioniert also die Integration in eine Gesellschaft, indem die Minderheiten nun nach langen Kämpfen auch so leben dürfen, wie es die anderen müssen, ob das die angepassten Naxi, bald auch die Moso sind oder die homosexuellen Menschen.
Daher bleiben für uns im eigentlichen nur zwei Modelle in engerer Wahl, wobei das zweite Modell sich aufteilt, sodass es in Wirklichkeit 3 Modelle sind:
 
1. Die "Alles-oder-Nichts-Beziehung",
die es ja auch im Hetenbereich gibt, nämlich eine Ehe als Lebens(abschnitts)partnerschaft, also eine auf sexuelle Ausschließlichkeit ausgerichtete und vielleicht für ewig geplante Partnerschaft, so lange sie eben dauert.
Kanzler Schröder war ebenso wie sein grüner Außenminister Fischer in der jeweils 4. Ehe (nicht miteinander). Diese Ehe bzw. Beziehungsform scheitert, wenn das brisante sexuelle Verlangen aneinander nachlässt, die Beziehung also nicht mehr "alles" ist und das sexuelle Interesse an einem anderen Menschen immer stärker hervortritt.
Besonders bei Jugendlichen ist genau diese Lebensform Mode. Allerdings möchten sie bei Beginn diese Beziehung für ewig, und sie ist doch erfahrungsgemäß die kürzeste aller Lebensformen.
 
2. Die normale Ehe, Version 1
Sie überlebt auch dann, wenn das eine oder andere nachlässt, beispielsweise das gegenseitig befruchtende intellektuelle Anregen oder/und die beiderseitige sexuelle Lust aneinander. Das hat zur Folge, dass man dann eben auf die intellektuelle Anregung verzichtet und auf Sexualität. Die Beziehung bzw. bleibt bestehen, die Partner leben so zusammen, wie ihnen das nun möglich ist, nachdem sie noch eine Zeitlang versucht haben, sich gemeinsam aufzupeppen. Dazu gibt es Paartherapien usw. Diese Eheform wird von Staat und Kirche als die Ehe angesehen, die den Anspruch einer moralischen Ehe erheben kann.
 
3. Die normale Ehe, Version 2
Diese Beziehung bleibt bei den oben definierten Bedingungen auch bestehen, jedoch verzichten die Partner nicht auf intellektuelle Anregung und brisante sexuelle Lust, indem sie sich eben die jeweilige Anregung von außen holen. Kollegen vom Arbeitspaltz, Stammtische usw. sorgen für den intellektuellen Input. Prostitution, Verhältnisse und Liebschaften, Swingeclubs, Porno-Sessions, Stöntelefonsessions und Internetsessions usw. lassen das individuelle Sexuelle nicht ersterben. Die Beziehung ist ihnen zu viel Wert, als dass sie diese abbrechen wollen. Daher beschreiten sie einen Weg, der an die Moso erinnert.

Die Beziehungspartner werden sozusagen zu Geschwistern, leben in enger partnerschaftlichen Vertrautheit und akzeptieren, dass die Partner sich von außen die Anregungen holen (jeder für sich oder vielleicht beide zusammen mit den gleichen "flüchtigen Besuchen" oder mit jeweils anderen), die ihnen gemäß erscheinen.

Diese Lebensform ist allerdings nicht, wie bei den Moso, aus der Herkunftsfamilie entstanden, sondern sie ist aus einer neuen Wahlfamilie entstanden, was Vor- und Nachteile hat.
 
Was ist bei Lesben und Schwulen üblich?
Bei Lesben
dominiert die patriarchalische Alles-oder-Nichts-Beziehung, in anderen Fällen die normale Ehe Version I, in sehr wenigen Fällen auch Version II. Für die Version II gibt es aber nur einen kleinen Kontaktmarkt unter Lesben, und die z.B. im Internet inserierenden Frauen wollen eher eine Alles-oder-Nichts-Beziehung und kein Date, weil sie das zumeist als unmoralisch empfinden.

Die aus der patriarchalischen heterosexuellen Ehe stammenden und von vielen lesbischen Frauen als positiv gewerteten Auffassungen über eine moralische oder unmoralische Frau steht einer subkulturellen lesbischen Kontaktszene im Wege. Im Gegenteil wirken auch die häufig benannten und beschriebenen subkulturellen Lesbencliquen hier eher moralbestätigend.

Für diese Behauptungen müssen wir auf unsere Beobachtungen und die Einschätzungen lesbischer Freundinnen zurückgreifen, was natürlich keinen empirischen Anspruch erheben kann. Sie werden durch unsere beiden Sexumfragen, an denen über 1.000 Personen teilnahmen, aber bestätigt.

Es gibt unseres Wissens keine empirischen Forschungen über lesbische Beziehungen, beziehungsweise sind uns keine bekannt, wir sind aber sicher, dass wir mit unseren Behauptungen über die Formen lesbischer Beziehungen richtig liegen.

Wir fühlen uns auch durch Ilse Kokula bestätigt, die in Ihrem Buch "Wir leiden nicht mehr, sondern sind gelitten - Lesbisch leben in Deutschland", 1987 bei KiWi die Interviews von 17 Frauen darstellt. Außerdem hat Helma Eller bei den Lesbenfrühlingstreffen Frauen zu unterschiedlichen Themen befragt, u.a. in einem Jahr auch zu ihren Beziehungsvorstellungen. Auch diese Antworten bestätigen unsere Behauptung. Das alles sind natürlich keine empirische Forschungen.

Bei Schwulen finden wir auch im wesentlichen die Alles-oder-Nichts-Beziehung vor, aufgebaut auf sexuelle Monogamie, besonders bei Schwulen im jugendlichen Alter. Diese Beziehungsform wird von ihnen als eine Alternative zur beziehungslos gelebten Promiskuität angesehen. Zwar gibt es auch einige Beziehungen der normalen Ehe Version I, aber unter den Beziehungen, die 3 Jahre oder länger andauern, findet man nahezu ausschließlich die normale Ehe Version II.

(Was überhaupt nicht untersucht wurde, sind viele schwule Männer, die in ihrer Herkunftsfamilie leben bleiben und reine Sexkontakte mit Männern suchen, beziehungsweise die heterosexuell verheirateten Männer, die ihre Homosexualität außerhalb ihrer Ehe suchen.)
Zurück zu den normalen Ehe Version II. Diese Beziehung als Mehrheitsform ergibt sich nicht nur aus unseren eigenen Beobachtungen und unseren Sex-Umfragen, sondern auch aus der empirischen Untersuchung von Rolf Pingel und Wolfgang Trautwetter, erschienen 1987 in der Reihe "Sozialwissenschftliche Studien zur Homosexualität", herausgegeben von Rüdiger Lautmann mit dem Titel "Homosexuelle Partnerschaften", Verlag rosa Winkel, Berlin.

In dieser Untersuchung gibt es zwei Vergleichsgruppen:
In der 1. Gruppe handelte es sich um zusammenlebende Männer in einer mindestens dreijährigen und fortdauernden Beziehung.
In der 2. Gruppe handelt es sich um beziehungslose aber beziehungssuchende Männer, die schon Erfahrung mit kurzen Beziehungen hatten (Alles-oder-Nichts-Beziehungen).

Der homosexuelle Mann fürchtet offensichtlich generell seine Unabhängigkeit einzubüßen und hält auch in einer Beziehung an seiner Unabhängigkeit über seinen Körper aber auch über andere Lebensbereiche bei, zum Beispiel seine wirtschaftliche Unabhängigkeit.
Die Beziehungsfähigkeit homosexueller Männer beziehungsweise ihr Wunsch nach mitmenschlicher Nähe ist unterschiedlich stark, je nachdem wie beängstigend und verletzend sie vorher ihre Herkunftsfamilie oder frühere engere Freundschaften erleben mussten, wie also z.B. ihr Coming-out verlief. Daraus ergaben sich auch die beiden hier unterschiedlichen Gruppen. Ihre jeweilige Beziehungsfähigkeit ist die Folge von mehr oder weniger stark auftretender Beziehungsangst bzw. Angst vor zu großer Nähe.

Und so findet sich bei den Partnern in länger andauernden Beziehungen kein Interesse (mehr), eine sogenannte sexuelle Treue vom Partner zu erwarten beziehungsweise sie einzuhalten. "Diese Voraussetzungen führen beispielsweise zu anderen Vorstellungen über 'Treue' als sie in der heterosexuellen Welt sind. Homosexuelle Männer sehen einander vielfach auch dann als 'treu' an, und stellen die Beziehung nicht infrage, wenn sexuelle Treue im Sinne einer Ausschließlichkeit nicht gegeben ist." (a.a.O. S. 85).

Die Autoren schreiben weiter, dass die länger zusammenlebenden Paare sich "... weder heterosexuellen Paaren bloß anpassen noch ein radikales Kontrastprogramm entwickeln. Die Partner werden vielmehr ihre Werte und Ideale so bestimmen, wie es ihnen gemäß ist." (a.a.O. S. 86).

Eine neue empirische Untersuchung wäre wichtig, weil in Zeiten einer größeren gesellschaftlichen Integration, der normativen Wirkung der erlaubten Verpartnerung homosexueller Menschen und somit die Integration in das patriarchalische Beziehungsmodell sich die sexuellen und die Parameter in Beziehungsvorstellungen verändert haben.

Martin Dannecker und Reimund Reiche kritisieren übrigens überhaupt den Denkansatz der Fragestellung als eine eher heterosexuelle Fragestellung, weil homosexuelle Männer generell promisk leben und daher die Frage, ob sie dies ohne oder mit Beziehung machen, unerheblich sei. Diese Auffassung kann ich in ihrer Ausschließlichkeit nicht teilen.
 
Das homosexuelle Umfeld
Die Szene ergänzt für die homosexuellen Frauen und Männer das, was ihnen in ihrem täglichen Leben fehlt. Auf diesem Markt wird das angeboten, wofür es einen Bedarf gibt.

Will man untersuchen, wie Lesben und Schwule leben, reicht die Struktur der vorgefundenen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und der Beziehungsform nicht, sondern es bedarf auch der Untersuchung des Lebens in der Subkultur, die sie um das lesbische und schwule Leben gebildet hat und die in den Nischen der vorherrschenden Kultur angesiedelt ist.

1974 legten Martin Dannecker und Reimut Reiche eine soziologische Untersuchung über männliche Homosexuelle in der Bundesrepublik vor, unter dem Titel "Der gewöhnliche Homosexuelle", erschien sie im Fischer-Verlag. In diesem dicken Wälzer finden sich u.a. auch empirische Untersuchungen darüber, welche Funktion die unterschiedlichen Einrichtungen der Subkultur, die Kneipen, Klappen usw. für die Bedürfnisse homosexueller Menschen haben.

Eine neue Untersuchung wäre notwendig, denn das Internet als Kontaktfaktor, die Generationsspaltung innerhalb der Szene, die Möglichkeit der gesetzlichen Verpartnerung sowie die Auswirkungen der AIDS-Pandemie haben hier viel geändert.

1983 legte Ilse Kokula in der Reihe "Sozialwissenschaftliche Studien zur Homosexualität", herausgegeben von Rüdiger Lautmann, ihre Beobachtungen in Treffpunkten lesbischer Frauen in Westberlin vor, von ihr mit "Feldforschung" benannt. Dieser 3. Band der o.a. Reihe heißt "Formen lesbischer Subkultur - Vergesellschaftung und soziale Bewegung".

Hier untersucht sie die Bars, die Cliquen und die Emanzipationsgruppen, unter denen sie subkulturelle Gemeinsamkeiten erkennt.

Auch hier muss gesagt werden, dass es unterdessen neuerer Untersuchungen bedarf. Die Insellage der westberliner Subkultur ist verschwunden, die Subkultur der Lesben hat sich entschieden verändert und ist auch deutlich unsichtbarer geworden.
 
Die Beziehung als wirtschaftliche Einheit
Die heteosexuelle monogame Ehe sowie die daraus entstehende Familie mit Kindern werden steuerlich begünstigt, doch werden ihre Mitglieder auch für die anderen Familienmitglieder zur Kasse gebeten, wenn diese lange keine Arbeit haben, wenn sie nicht (mehr?) selber für sich sorgen können usw.

Der Staat sieht in der gesetzlich anerkannten Familienform auch eine Versorgungseinheit, und das kann für unsereins ganz schön ins Geld gehen, es kann uns ruinieren.

Die sogenannte Verpartnerung ist auch so aufgebaut, dass der eine Partner wirtschaftlich für den anderen eintritt, doch ein Ausgleich durch gewisse steuerlichen Entlastungen, die der heterosexuellen Ehe und Familie zugute kommen, fehlen. Der Staat sagt uns damit, dass unsere Form des Zusammenlebens nachrangig ist, also dass wir homosexuelle Menschen vom Staat als Menschen geringeren Wertes behandelt werden.

Je mehr sich eine Lebensform von dem Grundmodell der heterosexuellen patriarchalischen Ehe unterscheidet, um so nachteiliger wird dies wirtschaftlich und gesellschaftlich für die Beteiligten.

So wissen gemeinsame Bewohner einer Wohngemeinschaft wahrscheinlich gar nicht, dass sie verpflichtet sind, für einen ihrer Mitbewohner wirtschaftlich zu sorgen, sofern dieser wirtschaftlich in Not gerät. Bevor dieser Sozialhilfe beziehen kann, wird erst einmal auf die Konten der anderen Mitbewohner geschaut.

Versicherungen, auch die gesetzlichen Versicherungen, treten jedoch nur für Mitmenschen ein, wenn diese zusammen in einer Lebensform entsprechend des vorherrschenden gesetzlichen Modells leben, an dem die Kirchen mitgestrickt haben, die also gesetzlich als Ehe und Familie privilegiert und anerkannt ist.

Kinder in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft sind auch weniger wert, und erst nach langen Bemühen ist die sogenannte Stiefkindadoption auch für homosexuelle Partnerschaften gesetzlich möglich gemacht worden, zum Beispiel nachdem Bayerns Verfassungsklage dagegen abgewehrt wurde.

Dass die Ehe eine Versorgungseinheit ist, wird den Frauen für heterosexuelle Beziehungen wohl auch heute noch von klein auf beigebracht, auch noch in einem Zeitalter in dem beide Ehepartner Geld verdienen.

Dennoch, Frauen heiraten gerne nach oben, das ist geblieben, und sie sehen die Finanzen des Partners distanzlos als ihre eigenen an.

Dieses Verhalten von Frauen in patriarchalischen heterosexuellen Familien wird von Frauen oft, ohne darüber groß nachzudenken, in eine lesbische Partnerschaft mit übernommen. Die führt zu viele Beziehungskonflikten und das unterscheidet so manche Lesbenbeziehung von so mancher Schwulenbeziehung, in der eine größere auch wirtschaftiche Distanz aufrechterhalten wird.

Die Strukturen der patriarchalischen Familie mit dem dort vorherrschenden Geschlechtsrollenverhalten greifen ohnehin in unsere Beziehungen über, zumal das alles von außen verstärkt wird und anerzogene Rollenbilder somit einfach weitergetragen werden.
 
Die Lehren daraus für unsere Beziehungen
Es ist also in unseren Beziehungen nicht einfach, etwas Eigenes aufzubauen, was nur zwischen uns beiden (oder uns drei usw.) lebt und nichts mit den Strukturen von außen zu tun hat.

Aber viele Konflikte, die in unseren Beziehungen aufkommen, haben etwas mit der Geschichte der Beziehungen in der Gesellschaft zu tun, von denen ich hier berichtet habe. Und mit den unreflektierten Gewohnheiten des Umfeldes, die wir in unsere Beziehungen übetragen, bringen wir Elemente mit, die für uns oft gar nicht sinnvoll und nützlich sind. Hinzu kommt noch der staatliche Eingriff, hinter denen oft auch Vorgaben religiös dominanter Vorstellungen stehen, was ebenfalls für uns eher schädlich ist.

Liebe Leute, bevor Ihr eure Partnerin bzw. euren Partner für Streit und Konflikt verantwortlich macht, versucht doch einmal gemeinsam darüber nachzudenken, durch welche Vorstellung aus ganz anderer Quelle wir selber oder der/die Partner/in ihre Ansprüche abgeleitet hat. Eine sogenannte "normale" Beziehung gibt es gar nicht, jede Beziehung ist ein Unikat, unabhängig davon, was um uns herum für selbstverständlich gehalten wird.

Das wichtigst ist, dass wir unsere Fähigkeit nicht verlieren, miteinander über die Dinge zu sprechen, die zwischen uns stehen, statt aufeinander sauer zu werden. Oft sind das unausgesprochene Ansprüche aneinander, die nur eine/r von und für sich selbstverständlich hält, weils ihm gerade Vorteile bringt.

Über Dinge, die uns gefühlsmäßig angesprochen beziehungsweise verletzt haben, ist es nicht einfach, fair zu sprechen. Sätze wie "wenn Du mich liebst, dann ..." sind erpresserisch und unfair.

Überhaupt sich etwa folgende Aussagen völlig inakzeptabel: "Du hast doch schon einen Freund, warum suchst Du denn hier nach Partnern?" Denn da wird von einem Alles-oder-Nichts-Modell einer Partnerschaft ausgegangen. Und unter all den Beziehungsformen, die es bei uns gibt, sind gerade die die kurzlebigsten, denn hier wird Eifesucht, eine der schlimmsten Egoismen in Beziehungen, gezüchtet.

Und dass wir uns gerne durch unseren Partner bestätigt fühlen wollen, kann uns dann im Wege stehen, wenn es darum geht, etwas zu akzeptieren, was er/sie lieber mit anderen erleben möchte, weil wir es nicht so recht mögen oder können.

Über solche und andere Beziehungsfragen muss neu nachgedacht und soll auch hier weiter geschrieben werden. (js)

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