96. Print-LUST, Herbst 08
 
Im Bündnis
Auch wenn es uns dort nicht immer leicht gemacht wird: wir Lesben und Schwulen sollten uns am Ort in gesellschaftspolitische Bündnisse begeben und/oder dazu beitragen, dass solche Bündnisse entstehen.
Wir (ROSA LÜSTE in Wiesbaden) sind in einigen gesellschaftspolitischen Bündnissen: Sozialforum Wiesbaden, Wiesbadener Bündnis gegen rechts, und wir haben so manche Initiative mitgegründet, unter anderem das gesellschaftspolitische Lokalradio „Radio Quer“.
Wir sind auch dort anzutreffen, wo sich auf Festivals auch die eher linke „Politszene“ trifft, um sich gemeinsam für etwas einzusetzen und auch zum Feiern, dort mit unseren Infoständen.

Wir versuchen auch mit unseren eigenen Medien in diese Szene hineinzuwirken, mit eher mäßigen Erfolg, weil man auch in der eher für emanzipatorische Ziele eintretenden Szene nicht offen schwule Medien in der Hand halten kann oder dies will.

Das war nicht immer so. Alle noch so kuriosen Gruppierungen, die in den 70er Jahren hier anwesend waren, nahmen sich gegenseitig interessiert zur Kenntnis und wollten voneinander wissen, um was es ihnen jeweils so geht. Heutzutage erleben wir, dass sich viele voneinander und so auch von uns abgrenzen, gar nicht wissen wollen, um was es denn einzelnen Gruppen so geht, in unserem Fall wohl auch deshalb, um nicht für lesbisch oder schwul gehalten zu werden. Aber vielen reicht die eigene Erkenntnis: das ist was für die Schwulen (und Lesben), also nichts für mich.

Diese Abgrenzung gegenüber der Lesben- und Schwulenpolitik hat etwas mit der schleichenden Wiederausgrenzung der Lesben und Schwulen aus der Gesellschaft zu tun, und in diesem Bereich scheint das auch in der Festival-Polit-Szene schleichend zu geschehen.
 
Doch das gegenseitige Ausgrenzen überhaupt, in dem man mit dem anderen nicht mehr mitfühlt, hat etwas mit einer generell gesellschaftlichen Verhärtung gegeneinander zu tun, und das ist gefährlich. Der andere nämlich, mit dem man nicht mitfühlt, lässt uns in seinem Leiden kalt, erhält keine Solidarität. In seiner krassesten Form findet man dessen Verfolgung nicht nur gut, sondern man gehört zu den Ignorante oder gar zu dessen hasserfüllten Verfolgern. Man lese (oder höre) nur Brechts: „Ein Pferd klagt an“, in dem der Wandel des Umgangs der Menschen (hier mit dem Karrengaul) am Zeitgeist erklärt wird.

In unserem Fall, im Zusammenhang mit der Ignoranz gegen unsere Inhalte, ist aber auch zu erkennen, dass wir, würde man uns ernst nehmen, die eigene Selbstgerechtigkeit mit der sexuellen Normalität zum Hinterfragen anregen, das stört viele.
Natürlich wird das Desinteresse an dem, was z.B. wir zu sagen haben, nicht offen antihomosexuell begründet (noch nicht?), eher sieht das so aus, dass man wie in einen Nebel hineinredet und die Worte verwehen einfach.

Also: man hat nichts direkt gegen uns, aber wir interessieren nicht, man mag uns auch nicht. Wir sind ihnen fremd, wie uns ja auch vieles von anderen Initiativen fremd ist. Und der Wunsch, von diesen Menschen anerkannt zu werden, ist falsch, wie Dannecker meint, denn wir liefern uns ihrem Urteil aus, wir unterstellen uns sogar ihrem Urteil, obwohl ihnen nicht wirklich interessiert, wo uns der Schuh drückt. Ich würde noch weiter gehen. In dem wir uns ihrem Urteil ausliefern, geben wir uns auf. Denn ihre Urteile sind aus ihren Lebenszusammenhängen entstanden, die im Zwischenmenschlichen nicht mit unseren Lebenszusammenhängen identisch sind. Ich schreibe hier über unser Zusammenleben, unsere sexuellen Sehnsüchte und Befriedigungen beziehungsweise unsere Versuche, Befriedigung zu erfahren.

Dies ist bei uns anders in einer heterogenormten Welt, weil es uns kaum möglich ist, heterogenormte Empfindungen auszuschließen, die drängen sich uns überall auf und bestimmen unser Leben mit. Es ist bei uns anders als bei den Heterosexuellen, die ihre Normen und Werte, auch in den Differenzierungen, als Werte und Normen "an sich" begreifen.

Sie merken gar nicht, dass sie selbstgerecht über uns urteilen und verstehen daher nicht, was wir eigentlich von ihnen wollen.
Also, von ihnen für das anerkannt zu werden, was uns von ihnen unterscheidet, ist ein falsches Streben, besonders in Bündnissen. Daher meint Dannecker auch, nicht immer und überall unsere Unterschiede deutlich zu machen.

In Zusammenschlüssen von Menschen zu einem bestimmten politischen Zweck spielt sich die Diskusion allerdings nicht losgelöst vorn diesen Zusammenhängen ab, und manchmal muss man das als selbstverständlich Empfundene zum Ärger der anderen hinterfragen. Jemand meinte mal auf uns zuzugehen, indem er sagte: „ ... und selbstverständlich auch für Randgruppen“. Ich fragte ihn: „Am Rand von was stehen wie eigentlich Deiner Meinung nach?“ Er räumte dann ein: „Ihr habt recht, man sollte nicht unbedacht die imperialistischen Begriffe benutzen“. Was immer er nun wieder mit imperialistischen Begriffen meinte, mich hätte schon mal interessiert, am Rand von was er uns Lesben und Schwulen sieht.

Dass wir ihnen damit auf die Nerven gehen, könnte so Manchen und so Manche von uns verzagt machen, und es ist auch manchmal ein Kampf in den eigenen Reihen darum, wer mit uns zusammen dort hingeht und sich das freiwilligantut, was wir gegen unseren Willen in der Arbeitswelt usw. ständig zu ertragen haben.

Aber was sollen wir tun? Sollen wir uns in die Isolation der szenenin-ternen Bündnisse drängen lassen? Gut, im Bündnis mit der AIDS-Hilfe sollte man schon sein, das halte ich für ein Muss, denn es ist ein Bündnis mit uns selber. Aber darüber hinaus wird es karg, wenn man an lohnende Themen denkt. Lohnend in dem Sinne, dass man die Zeit und den Aufwand, sich dort auch einzubringen, nicht nur als verloren ansieht. Und auch in der eigenen Szene gibt es Organisationen, die gerne die Solidarität der ganzen Szene hätten, weil sie auch lesbsich-schwul sind, beispielsweise die HuK und die LSU.

Man kann mit den anderen Menschen unsere Szene solidarisch sein und sollte es auch, besonders in Fragen, die alle Lesben und Schwule betreffen. Man muss aber nicht mit Organisationen solidarisch sein, die eine konservative Politik vertreten, die letztlich gegen unsere gemeinsame Interessen gerichtet ist. Nicht alles, was lesbisch-schwul ist, existiert auch zu unseren Gunsten.

Auch die Themen des Sozialabbaus wirken sich auf unsere Szene aus, denn wenn viele jungen Menschen gar nicht das Geld haben, auszugehen, können auch nicht von den Szene-Medien, den Safer-Sex-Appellen usw. erreicht werden. Und sozial deklassierte Menschen suchen gerne Sündenböcke.

Auch das Thema der Verfolgung durch nationalistisch aufgehetzte oder religiös aufgehetzte Jugendliche (und auch ältere) gegen Minderheiten, auch gerade gegen uns, ist für uns ein wichtiges Thema. Es geht hier nicht um die sattsam bekannte muslimische Verfolgung mit Ermordungen durch Steinigung und Erhängen, sonder auch durch verschiedene christliche Eiferer gegen Homosexualität.

Der neueste religiöse Vorfall ist aus Großbritannien bekannt. Der 66jährige anglikanische Pfarrer Peter Mullen veröffentlichte auf seinem Blog seine Forderung, Schwulen solle auf den Hintern „Sodomie gefährdet die Gesundheit“. Auf ihren Wangen solle stehen: „Fellatio tötet“.

Abgesehen davon, dass er hier den Schwulen nur den passiven Part zuordnet, sollte man stattdessen diesem Mann vielleicht: „Religion gefährdet die geistige Gesundheit“ tätowieren, sofern man sich auf sein geistiges Niveau begeben würde. Nicht vergessen sollten wir die Verfolgung durch religiöse Organisationen und auch die durch religiös verhetzte Menschen.

Leider kennen wir noch kein Bündnis von Organisationen gegen z.B. den zunehmenden Einfluss religiöser Vorstellungen in allen Teilen der Gesellschaft, z.B. der Gesetzgebung, Rechtsprechung und in den Medien.
Sind wir in solchen Bündnissen, werden wir erleben, dass uns dort nicht alle Türen offenstehe, wir bisweilen mit unserem Anliegen entweder ignoriert werden oder aber es finden sich dort welche, die uns erklären wollen, was wir nun denken oder empfinden müssten. Das brauchen wir uns aber nicht gefallen lassen.

Die Abwehrarbeit gegen solche Strömungen wie Sozialabbau und die gefährliche schleichende Entwicklung nach rechts sollte uns jedoch genau so wichtig sein wie unser Parteinehmen für unsere eigenen Interessen beziehungsweise für unsere Selbstverständlichkeiten in solchen Bündnissen. (RoLü)
 
Dein Kommentar zum Artikel: hier

 Zum Artikelarchiv

 Zur Artikelhauptseite

 Zur LUST-Hauptseite