95. Print-LUST, Sommer 08
 
Homosexualität in China
Berichte über die Lage von Lesben und Schwulen in China scheinen schon veraltet zu sein, wenn sie im Druck sind. Was für 2008 gilt, ist weit anders als das, was z.B. 1998 war oder noch anders als 1988 usw.
 
Im alten China ging es zu wie im alten Rom.
Wer was zu sagen hatte, trieb es mit wem er wollte. Und so konnten sich die Adligen oder andere höhere Herren aller gewünschten Menschen bedienen, mit denen sie Sex wollten.

Schon vor 1911, dem Untergang der chinesischen Monarchie, hatten europäische Kolonialmächte großem Einfluss auf China.
 
Diverse Verbote der Homosexualität kamen vor allem von den Kolonialstaaten. Vor allem als England durch die beiden Opiumkriege China zwang, christliche Missionare ins Land zu lassen.

Im neuen China, besonders während der Kulturrevolution, waren Menschen mit homosexueller Praxis in Lebensgefahr.
Nach der Formierung der Volksrepublik China wurde Homosexualität unsichtbar. Sowohl die konfuzianische Moral als auch der Puritanismus der kommunistischen Bewegung standen der gleichgeschlechtlichen Liebe ablehnend gegenüber. Das Private wurde eben als privat angesehen und nicht als politisch.

Seit dem Reform- und Öffnungsprozess im Jahr 1979 hat die Kommunistische Partei zwar ihre Kontrolle über diese Art des Verhaltens gelockert, homosexuelle Praktiken werden jedoch immer noch als „dekadenter kapitalistischer Lebensstil“ verunglimpft.

Eine beachtliche Veränderung ereignete sich während der späten 1990er und frühen 2000er Jahre, als der Analverkehr zwischen Männern 1997 ent-kriminalisiert und Homosexualität am 20. April 2001 auch in China von der Liste der Geisteskrankheiten gestrichen wurde.

Diese Entwicklung setzt sich auch aktuell fort. Das chinesische Magazin Menbox wird inoffiziell als eine schwule Zeitschrift angesehen. Kürzlich erlaubte man der Transsexuellen Chen Lili, sich im Rahmen der Wahl zur Miss Universe am chinesischen Vorentscheid zu beteiligen.

Eine Internetumfrage im Jahr 2000 zeigte, dass die Chinesen toleranter gegenüber homosexuellen Beziehungen werden: unter den 10.792 Befragten reagierten 48,15% positiv, 30,9% ablehnend. 14,46% waren sich unsicher und 7,26% gleichgültig. Doch die meisten Homosexuellen leben verdeckt. Über 90% der Lesben und Schwulen mittleren Alters leben in einer Heterosexuellen Ehe.
 
Da es weder radikale Konservative noch radikale Befreiungsakt-ivisten gibt, sind gewalttätige homo-phobe Übergriffe selten. Einige So-zialwissenschaftler beschweren sich jedoch, dass die Regierung auf diesem Gebiet untätig ist und nichts unternimmt, um die Situation von Homosexuellen in China zu verbessern. Zu den Gay Games im Jahr 2002 wurden nur zwei Personen vom Festland als Teilnehmer entsandt, und abseits von schwulen Webseiten berichteten die Medien kaum von diesem Ereignis.

Viele schwule Männer geben an, ungeschützten Verkehr zu haben, doch die chinesische Regierung unternimmt wenig, um sie über die Gefahr von Aids zu informieren.
Die Behörden weigern sich noch immer, schwule Anliegen in China zu befördern. Zwar ist einverständlicher Sex zwischen Erwachsenen des gleichen Geschlechts nicht verboten, aber es gibt weder Gesetze, die vor Diskriminierung schützen, noch Organisationen, die sich für die Rechte von Lesben und Schwulen einsetzen. Die Politik der Volksrepublik gegenüber schwulen Anliegen besteht nach Ansicht vieler weiterhin in den „Drei Neins“: nein zur Billigung, nein zur Missbilligung und nein zur Förderung.

Die Lockerung der Restriktionen hinsichtlich der Nutzung des Internets resultierte in einem Aufblühen schwuler Webseiten, obwohl die Polizei manchmal interveniert und diese Seiten schließt. Das Internet ist ein wichtiger Faktor für chinesische Lesben und Schwule. Obwohl es keine homosexuellen Organisationen in der Volksrepublik gibt, existieren einige gutorganisierte Internet-Seiten, die als beratende Institutionen fungieren.

Die Mainstream-Medien berichten manchmal über bemerkenswerte Ereignisse im Ausland, die mit dem Thema Homosexualität zu tun haben, wie zum Beispiel schwule Paraden. Es gibt einige Schwulenbars und Nachtklubs in großen Städten wie Shanghai, Guangzhou und Beijing. Schwule, die es sich nicht leisten können, diese Szene zu frequentieren, suchen aufgrund des gesellschaftlichen Tabus, das noch über der Homosexualität schwebt, nach Gele-genheitssex in öffentlichen Waschräumen, Parks und Duschanlagen.

Wie fast überall in der modernen Welt ist Schwulsein ein großes Problem, wenn man auf dem Land wohnt; in China ist es besonders ausgeprägt, da die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung in ländlichen Gebieten zuhause ist und weder über einen Zugang zum Internet noch über die Möglichkeit verfügt, in eine Stadt umzuziehen.

Viele Einzelfälle zeigen, dass Schwule noch immer Vorverurteilungen durch das Justizsystem sowie Belästigungen und Festnahmen durch die Polizei ausgesetzt sind.

Im Oktober 2000 verkündete ein Gericht in Beijing erstmals öffentlich, dass Homosexualität „abnormal und inakzeptabel für die chinesische Öffentlichkeit“ sei (Washington Post, 24 Jan. 2000). Ein weiterer bemerkenswerter Fall ereignete sich im Juli 2001, als mindestens 37 schwule Männer in der Guangdong-Provinz inhaftiert wurden. Im April des Jahres 2004 lancierte die staatliche Aufsichtsbehörde für Radio, Film und Fernsehen eine Kampagne mit dem Ziel, die Medien von Gewalt und sexuellen Inhalten zu säubern. Programme, die homosexuelle Themen berühren, gelten danach als Verstoß gegen „die gesunde Lebensweise in China“ und fallen der Zensur zum Opfer.

Während der Evaluation eines Zusatzes zum Ehegesetz im Jahr 2003 gab es in der Volksrepublik die erste Diskussion über homosexuelle Ehen. Obwohl das Ansinnen zurückgewiesen wurde, war es das erste Mal, dass die Rechte von Lesben und Schwulen auf dem chinesischen Festland diskutiert wurden.

Die Sexologin Li Yinhe unternahm während des Nationalen Volkskon-gresses in den Jahren 2000 und 2004 den Versuch, eine Legalisierung gleichgeschlechtlicher Ehen zu erwirken.
Gemäß dem chinesischen Recht sind die Unterschriften von 35 Delegierten erforderlich, um einen Gesetzentwurf, wie ihn Li ausgearbeitet hatte, auf dem Kongress zu behandeln. Ihre Bemühungen scheiterten an der mangelnden Zahl von Unterstützern.

Änderungen, die am 1. Mai 2007 in Kraft traten, verbieten die Genehmigung von ausländischen Adoptionen durch unverheiratete Paare, über 50-jährige und extrem Übergewichtige. In den USA adoptieren derzeit vor allem schwule Paare Kinder aus China und es wurden insgesamt 7.000 Visa für adoptierte chinesische Kinder im Jahre 2005 erteilt.

Die Beijing Rundschau aus Peking schreibt 2007:
„Vor vier Jahren wurde die Homosexualität in China noch als eine Geistesstörung betrachtet. Am 16. Dezember 2005 feierten Chinas Homosexuelle und Lesbierinnen ihr erstes nationales Festival. Dies ist ein großer Sprung in einem Land, das sich lange abweisend gegenüber alternativen Lebensstilen verhielt.

Im Jahr 1997 wurde das Wort ,,Hooligan“ aus Chinas Strafgesetzbuch über Homosexuelle gestrichen. Dieses Vorgehen wurde von vielen als die tatsächliche Legalisierung der Homosexualität betrachtet. Im April 2001 wurde die Homosexualität aus der chinesischen Klassifikation der Geistesstörungen gelöscht.

Das Wort Tongzhi, das „Genosse“ bedeutet, ist jetzt weitgehend von Homosexuellen und Lesben in diesem Land angenommen worden. Es gibt viele homosexuelle Aktivitäten auf dem chinesischen Festland. Homosexuellen Bars, Bädern, Badehäusern und einer Online-Gemeinschaft ist erlaubt, sich als Ort für die Zusammenkunft, die unlängst auf öffentliche Toiletten und Parks beschränkt wurde, zu öffnen.

Der leidenschaftliche Aufruf Tong Ges, eines Soziologen und Autors von homosexuellen Romanen, „mit unserer Körperwärme das eingefrorene Land zu schmelzen“, veranlasste chinesische Fachleute, einen Einfluss auf die Regierung auszuüben, damit sie die gleichgeschlechtliche Ehe genehmigen wird.

Nach Schätzungen von Zhang Bei-chuan, Chinas führendem Gelehrten im Bereich der homosexuellen Forschung und Gewinner des Preises von Barry & Martin, der denjenigen, die in der Kampagne zur Erhöhung des Bewusstseins für die AIDS-Krankheit hervorragende Beiträge geleistet haben, verliehen wird, gibt es auf dem chinesischen Festland 40 Mio. Homosexuelle, viel mehr als die vom Gesundheitsministerium im Dezember 2004 angegebene Zahl von 5-10 Mio. Diese riesige Zahl, die der Bevölkerungszahl von Spanien entspricht, kann nicht mehr von der Gesellschaft ignoriert werden.“

Sie treffen sich regelmäßig für einen Filmabend oder eine lockere Diskussionsrunde in einer Bar. Für die meisten Chinesen sind sie jedoch unsichtbar: die Lesben. Doch das soll sich ändern, meint Frau Xian von der Lesbenvereinigung Tongyu.

Eine Lesben-Gemeinde existierte bis 2004 praktisch nur im Internet. Man lernte sich in der virtuellen Welt kennen, verabredete sich vielleicht zu einem Treffen. „Aber im öffentlichen Leben gab es keinen Raum für uns, nicht einmal eine eigene Bar“, sagt Frau Xian. „Deswegen setzen wir uns auch dafür ein, den Lesben ein Gesicht zu geben, damit die Leute mehr über ihre Lebenssituation und ihre Bedürfnisse erfahren“, berichtet sie.

Xian gründete Anfang 2005 in Peking die Arbeitsgruppe „Tongyu“. Übersetzt heißt das: „gemeinsame Sprache“. Tongyu ist ein gemeinnütziger Verein für Lesben. Er organisiert eine Hotline, die den rat- und hilfesuchenden Frauen beisteht. Zugleich informiert eine Website des Vereins über Veranstaltungen und Treffpunkte. Die Mitarbeiterinnen sind selbst lesbisch und arbeiten ehrenamtlich. Oft bleiben sie noch lange nach der Sprechstunde am Telefon und beantworten Fragen.

Frau Xian betont ausdrücklich, dass Lesben zuerst einmal Frauen sind: „Daher gehören sie in doppelter Hinsicht zu einer gesellschaftlich benachteiligten Gruppe. Das Outing bedeutet für sie häufig eine Katastrophe. Man wird vom Arbeitgeber entlassen, von der Familie verstoßen oder am Arbeitsplatz gemobbt. Einem solchen Druck ausgesetzt leiden viele Lesben unter enormen psychischen Problemen.“

Gewalt in der Familie ist ein weiteres Problemfeld. In den meisten Fällen sind die Beratungsstellen dann kaum mehr in der Lage, den Frauen Hilfe zu leisten. Im Vergleich zu den Hilfen, die Schwule erfahren, sind diese für Lesben kaum vorgesehen. Einen Grund sehen viele darin, dass die Notwendigkeit der Aids-Prävention bei Lesben nicht vorhanden ist.
 
Dementsprechend fließen auch keine öffentlichen Mittel. Deswegen sind die Frauen von Tongyu auch bemüht, Öffentlichkeitsarbeit zu leisten. Sie dokumentieren Lebensgeschichten, unterstützen wissenschaftliche Studien und entsprechende Projekte und sie organisieren Kulturprogramme. (js)
 
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