- 94. Print-Ausgabe, Frühling 08
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- Ziel Strategie Taktik
Die Lesben- und Schwulenbewegung ist eine
politische Bewegung, die versucht, die jeweilige Gesellschaft
im Sinne der Akzeptanz der jeweiligen Lebensentwürfe zu
beeinflussen. Dabei kann sie zeitweilig durchaus auch in Widerspruch
zu Trends in der Lesben- und Schwulenszene geraten. Die Bewegung
ist Teil der Szene, aber sie ist nicht die Szene.
Die Lesben- und Schwulenszene ist keine Bewegung, sondern eben
eine Szene. Eine Szene richtet sich in den Nischen der jeweiligen
Gesellschaft ein und entwickelt dort die Verhaltensweisen und
Tugenden, die aufgrund des Lebens in der Nische der jeweiligen
Gesellschaft als Möglichkeit und Bedürfnis entstehen.
Die jeweilige Szene, die sich überwiegend kommerziell organisiert,
weckt die Hoffnung, diese Bedürfnisse zu erfüllen.
Sie spricht Lesben und Schwule an, die nach Befriedigung ihrer
Sehnsüchte suchen.
In diesem Aufsatz geht es aber um die politische Lesen- und Schwulenbewegung.
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- Die Lesben- und Schwulenbewegung
Um Missverständnissen vorzubeugen: Hier geht es nicht um
unsere zeitweiligen Verbündete oder zum Teil wesensähnliche
Bewegungen wie Feministinnen, PazifistInnen, Anti-Nazi- und Anti-Religionsgruppen,
nicht um Parteien, in denen wir zeitweilig für einzelne
unserer Ziele Verbündete finden, sondern hier geht es um
uns Lesben und Schwule selber und unsere lesbischen und schwulen
Ziele.
Politische Bewegungen haben gesellschaftspolitische Ziele. Diese
Ziele bauen auf wissenschaftliche Analysen auf und enthalten
utopische Zukunftsvorstellungen. Letztere sind für Bewegungen
sehr wichtig, müssen sich jedoch durch neue Ansichten und
aktuellere wissenschaftliche Analysen korrigieren.
Um ihre Ziele anzustreben um sie umzusetzen, benötigen politische
Bewegungen eine auf längerfristige Entwicklungen ausgerichtete
Strategie, und für die aktuelle Tagespolitik je nach Lage
eine zielführende Taktik.

Das Problem zwischen diesen 3 Bereichen besteht darin, dass Immer
mal vergessen wird, was Taktik, was Strategie und was die Ziele
sind. Und das geschieht zum Beispiel, wenn sich Menschen der
Lesben- und Schwulenbewegung immer mal wieder eher die Ziele
von BündnispartnerInnen verfolgen und deren Logik für
richtig halten, statt die eigenen Ziele.
Ganz besonders gut bringt das Kurt Krickler in der österreichischen
Zeitschrift Lambda, Ausgabe 2/08 zum Ausdruck. Er nennt seinen
Artikel dort:
Berufsschwuchteln, Kinderschänder und das Recht
auf Meinungsfreiheit
In der Wiener rechtsaußen-Postille Zur Zeit
wurde der Life-Ball-Organisator Gery Keszler von einem Dimitrij
Grieb Berufsschwuchtel genannt, worauf der derart
Bezeichnete ihn wegen Ehrenbeleidigung anklagte.
Natürlich sei das negativ gemeint gewesen, schreibt der
Autor des Artikels, aber der Kläger sei schlecht beraten
gewesen, unseren Gegnern die Bedeutungshoheit über das auch
in unserer Szene benutzte Wort Schwuchtel zu überlassen.
Keszler habe den Prozess völlig zu recht verloren, denn
solche Äußerungen müssten von der Meinungsfreiheit
gedeckt sein. Und da Keszler sich bekanntermaßen große
Verdienste im Kampf gegen AIDS erworben habe, seien Typen wie
Grieb überdies nicht satisfraktionsfähig.
Sicher sei es auch gut gemeint gewesen, wenn dann aus den GRÜNEN
und der SPÖ gleicht die Richterin wegen deren Verteidigung
der Menschenrechte (Meinungsfreiheit) beschimpft worden sei,
aber gut gemeint sei eben nicht immer gut.
Man müsse begreifen, dass solche Typen nur provozieren wollen.
Würde man nicht wie von ihnen beabsichtigt reagieren, käme
man als Demokrat auch nicht in die Lage, die Menschenrechte solcher
Leute verteidigen zu müssen.
Auf gleicher Ebene sei die Äußerung der FPÖ-Spitzenkandidatin
im Grazer Wahlkampft, Susanne Winter, gewesen, indem sie über
den Islamstifter und Propheten Mohammed sagte: Er als 50jähriger
hat ein sechsjähriges Mädchen geheiratet, im heutigen
System ist dieser Mohammed ein Kinderschänder.
Er findet die theologische Diskussion darüber, die dann
entstanden sei, bizarr, und auch die Fragestellung, ob das Mädchen
doch eher 9 oder 13 Jahre gewesen sei, in allen Fällen wäre
das nach heutigen Recht in Österreich strafbar. Man müsse
also in der Sache dieser Frau recht geben. Natürlich habe
Winter dies gesagt, um Ausländerfeindlichkeit zu schüren
und Stimmen für die rechtsgerichtete Freiheitliche Partei
zu sammeln.
Aber warum müssten nun alle reflexartig den Islam verteidigen
und damit über Millionen minderjährigen Mädchen
hinwegsehen, die in islamischen Ländern mit weitaus älteren
Männern zwangsverheiratet werden. Und natürlich müsse
die Anzeige gegen Winter wegen Herabwürdigung religiöser
Lehren im Sande verlaufen, denn wegen solcher Aussagen
wegen Blasphemie verurteilt zu werden, wäre ebenfalls ein
Skandal in einem Rechtsstaat.
Der Autor versteht auch nicht, warum nun die SPÖ
und die Grünen Frau Winter verbal veprügeln, die man
wirklich nicht weiter beachten müsse, anstatt diesen Anlass
zu nutzen, endlich den Blasphemie-Paragraphen abzuschaffen.
Für besonders verwerflich halte er die falsch verstandene
Solidarität mit einer fragwürdigen Religion und noch
fragwürdigeren Repräsentanten. Damit falle man den
fortschrittlichen Menschen und feministischen Frauen in den islamischen
Länder in den Rücken, die genau die selbe Meinung vertreten.
Zum Beispiel die deutsch-iranische Schauspielerin Jasmin Tabatabei
(Fremde Haut, 2005), die am 19.08.07 in TTT meinte:
Es ist eine Tragödie, was im Iran passiert ist. Grund,
warum ich diesen Film gedreht habe, war, dass der Iran zu den
letzten Ländern gehört, in denen Homosexualität
unter Todesstrafe steht. Das finde ich ein absolutes Unding.
Das ist ein Land, in dem neunjährige Kinder verheiratet
werden können. Es ist also ein Kinderschänderparadies.
Die Zeugenaussage von Frauen gilt nur halb so viel, wie die von
Männern. Das schlimmste aber ist, dass die Steinigung wieder
eingeführt und praktiziert wird. Die Steinigung ist ein
im Mittelalter ausgesprochenes grausames Ritual, und sie wird
tatsächlich im Iran praktiziert, dem Land, in dem ich aufgewachsen
bin.
Besonders Bizarr findet er, dass die
Lesben- und Schwulenorganisationen, die einen beratenden Staus
bei der UNO erhalten möchten, bei ihren Anhörung vor
den entsprechenden Gremien sich ausgerechnet von Vertretern der
Staaten grillen lassen müssen, wie sie zur Pädophilie
stünden, die ihrerseits Mädchen zur Heirat ab 9 Jahren
freigeben.
Er schließt seinen Beitrag mit folgender Aussage: Den
Einfluss aller Kirchen auf das gesellschaftliche Leben radikal
zu beschneiden und alle Religionen ins Private zu drängen
(und das muss wirklich heißen: Glaubens- und Religionsausübung
hat reine Privatsache zu sein) sind für mich vordringliche
und wichtige Aufgabe einer für mich wählbaren Partei.
Sie muss ohne Wenn und Aber das Recht auf Meinungsfreiheit und
Religionskritik, sei es durch Karikaturen oder blasphemische
Kunst oder durch andere Formen der Meinungskritik, verteidigen.
Nun könnte man so Manches gegen diesen Beitrag einwenden,
aber hier geht es um den Konflikt zwischen unsren weitergehenden
strategischen Zielen und dem aktuellen sinnvollen taktischen
Vorgehen. Und diesen Konflikt sieht er bei unseren potenziellen
Bündnispartnern, den eher linken Parteien, in manchen unserer
Ziele, und bei uns selber auch.
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- Ziel -Strategie - Taktik
Das Hauptziel scheint ihm zu sein, die Religion beziehungsweise
den Einfluss religiöser Strukturen aus den gesellschaftlichen
Schaltstellen zu verdrängen, damit wir unbehelligter leben
können.
Das ist allerdings gerade deshalb sehr schwierig, weil politische
und staatliche Machtstrukturen sehr eng mit religiöser Schützenhilfe
existieren und der Einfluss von religiösen Organisationen,
zum Beispiel der Kirchen, dann größer und stärker
wird, wenn offene oder versteckte Hilfe für sie aus der
Politik beziehungsweise dem Staat existiert.
Daher streben auch alle Religionen politischen Einfluss an und
daher gibt es auch ständig versteckte oder offene Unterstützung
für religiöse Ziele durch die Politik.
Sollte man nur solche Parteien wählen, die für die
absolute Trennung zwischen Religion und Staat eintreten, wie
der Autor vorschlägt?
Bei uns in Deutschland gibt es wohl keine Partei, die einen atheistischen
Kurs anschlägt, schon gar nicht die Unionsparteien, die
sich oftmals zum Sachwalter der christlichen Kirchen aufspielen
und viel dazu beitragen, dass in der Bevölkerung geglaubt
wird, bei den Kirchen handele es sich um eine seriöse Sache.
Auch die SPD hat ihre Kleriker usw. in ihren Reihen, die GRÜNEN
unterstützen alle Religionen, schon aus folkloristischen
Gründen, auch die FDP gibt sich nicht atheistisch, obwohl
man es in den 60er Jahren einmal meinte.
Dass auch die LINKE keinen atheistischen Kurs fährt, enttäuschende
Entdeckung bei der LINKEN musste ich machen, als Gregor Gysi
bei einer theologischen Diskussion im Fernsehen dem Autor des
Buches GOTT, Manfred Lütz, recht gab. Lütz ist Mitglied
des Päpstlichen Rates für die Laien, korrespondierendes
Mitglied der Päpstlichen Akademie für das Leben
und Berater der Vatikanischen Kleruskongregation.
Gysi meinte zu Recht, Menschen bräuchten im Zusammenleben
ethische Grundlagen.
Dann aber berief er sich nicht auf die Aufklärung und den
Humanismus als ethische Grundlage, sondern er meint, bevor nicht
alle Verbrechen, die im Namen des Sozialismus und Kommunismus
geschehen sind, aufgeklärt wären, sei die Ethik in
der Religion in guten Händen. Was da alles drinsteckt. Glaubwürdiger
Sozialismus und Kommunismus als Ersatz für Religion?
Dies verblüffte den Autor, der sich schon auf Gysi eingeschossen
hatte, und Gysi brachte mich in dieser Sendung zu der Erkenntnis,
dass die Partei Die LINKE in ihrem Kampf, aus der linken Schmuddelecke
herauszukommen, auf Zuspruch aus religiösen Kreisen wohl
ebenso angewiesen ist wie auf religiöse WählerInnen.
Und so kommen wir wieder auf die anfängliche Fragestellung
zurück: den möglichen Anhängern von Bewegungen
oder, wie hier, von Parteien, ist es nicht möglich, den
Unterschied zwischen den Zielen und der Strategie oder Taktik
gerade ihrer gewählten Partei herauszufinden.
Bei den meisten Parteien ist recht fraglich, ob im Hintergrund
noch irgendwelche
Ziele vorhanden sind. Ihre Strategien scheinen ausschließlich
darauf ausgerichtet zu sein, möglichst viel WählerInnenstimmen
auf sich zu vereinigen, weil die zu erringenden Posten immerhin
recht gut bezahlte Posten für PolitikerInnen sind, die sich
zudem dort noch irgendwie wichtig vorkommen können.
Bei nahezu allen Parteien hat man den Eindruck, dass die Ziele
hinter dieser Strategie überwiegend beliebig sind. Sie müssen
lediglich ihre hinter ihnen stehenden Bevölkerungsschichten
weitgehend zufrieden stellen.
Auf jeden Fall bleibt festzuhalten, dass das in allen Bewegungen
und Parteien festzustellende Prinzip: Ziel Strategie
Taktik die Basis von der Führung entfremdet, aber auch umgekehrt.
Es ist ein hierarchisches Prinzip und widerspricht dem demokratischen
Prinzip des von unten nach oben.
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- Unsere Bewegung
Bewegungen sind keine Parteien, Parteien bewegen selbst nicht,
sie reagieren eher auf Bewegungen.
Die Lesben- und Schwulenbewegung besteht aus einer Reihe von
mehr oder weniger klugen Köpfen, die sich ihre Ziele
1.aus ihrer eigenen Lage in der Gesellschaft ableiten,
2. aus dem mehr oder weniger vorhandenen Wissen über gesellschaftspolitische
Bewegungen,
3. aus ihrem mehr oder weniger vorhandenen Wissen über die
Geschichte der Lesben und Schwulen und
4. aus den aus ihren Sehnsüchten geborenen utopischen Vorstellungen
über eine für Lesben und Schwule besser strukturierte
Ordnung der Gesellschaft.
So entstehen Zielvorstellungen, die bisweilen auch recht widersprüchlich
sind.
Wir sind also als Bewegung noch weit davon entfernt, selbst hier
etwas wirklich bewegen zu können, denn sowohl die Menschen
der Szene als auch in der gesamten Gesellschaft können von
ganz anderen Einflüssen sehr viel nachhaltiger bewegt werden
als von uns, den Menschen, die sich selber als die Bewegung der
Lesben und Schwulen ansehen.
Die langfristigen Ziele für unsere Bewegung können
also kaum formuliert werden. Wohl aber strategische Ziele und
ein Austausch von Erfahrungen in der Taktik.
Unsere Ziele
Kommunismus ist ein gesellschaftlicher Zustand, in der
die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen beendet sein wird
und die Freiheit des Einzelnen die Voraussetzung der Freiheit
aller ist, so also Marx zum anzustrebenden Ziel der
Kommunisten.
Das klingt doch echt nach was, finde ich. Mit solchen Zielen
werden wir in unserer Bewegung wohl kaum aufwarten können.
Da gibt es doch einige, die sich eine Monarchie vorstellen könnten
und sich selber als Monarchin.
Und dann gibts reiche Leute in der Szene, die sich die Armut
bei jugendlichen Strichern nicht wegdenken mögen, und junge
Frauen und Männer können sich wohlhabende gerade sie
über alles liebende Partner-Innen auch nicht gut wegdenken.
Und die Freiheit der Einzelnen als Voraussetzung der Freiheit
aller, wie ist es denn dann mit unserer Eifersucht gegen das
Fremdgehen?
Das alles sind allerdings Interessen, die aus unserer gegenwärtigen
Lebenssituation stammen und unter den besonderen Bedingungen
der Marktwirschaft.
Ich will mal folgendes utopisches Ziel für uns formulieren:
Wenn ein Mensch einen anderen Menschen begehrt beziehungsweise
von einem anderen Menschen begehrt wird, dann denkt er nicht
darüber nach, ob er selber oder der Partner Mann oder Frau
sei, sondern ob er daran Interesse hat. Jegliche Form von Partnerschaft
ist gleichwertig. Das bedeutet, dass es solche Kategorien wie
Zweierkiste oder Rudelehe oder heterosexuell und homosexuell
genau so nicht mehr gibt wie Weiblichkeit und Männlichkeit.
Das ist natürlich sehr utopisch aber doch das Ziel. Die
Aufhebung von Heterosexualität führt zur Aufhebung
der Homosexualität. Das soll nicht heißen, dass es
Menschen gibt, die zeitweise oder ausschließlich so oder
so leben, aber es hat keine gesellschaftliche Bedeutung, wie
sie leben. Und da kein Mann mehr als Tunte beschimpft wird und
keine Frau mehr als Mannweib, ist es unerheblich, dass es Verhaltensweisen
gab, die für alle Zeiten und als Identitätsmerkmal
oder Leitbild einem Geschlecht zugeordnet wurde.
Aber wenn das alles erreichbar wäre und erreicht wäre,
brächten wir noch gesellschaftspoltische Ergänzungen,
die weit über die Genderfrage hinausgehen. Daher komme ich
wieder auf die von Marx formulierten Ziele, der im übrigen
zusammen mit seinem geliebten Dialogpartner Engels ein Schwulenhasser
und Chauvinist war.
Dennoch. Wer könnte solchen großen Zielen von Marx
und diesem Ziel der Freiheit des Einen als Voraussetzung für
die Freiheit aller nicht zustimmen? Ich kann und möchte
diesen Zielen für die sicher noch ferne Zukunft der Menschheit
zustimmen. Das von Marx hier Beschriebene könnte dann auch
ein Teil unserer Utopie sein.
Zur Abwicklung der Arbeit erfahre bei Marx, dass im Kapitalismus
eben nicht nach Leistung bezahlt werde.
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- Und je widerwärtiger die Arbeit sei,
um so niedriger werde im Kapitalismus bezahlt. Ja, das
stimmt auffallend. Nicht zu vergessenen die Enteignung der Arbeitnehmer
um den wahren Wert ihrer Arbeit zugunsten der Aktionäre
und ihren Managern. Ausbeutung wird das bei Marx genannt.
Im Sozialismus hingegen, da werde jeder nach seinen Fähigkeiten
arbeiten und bekomme nach seiner Leistung. Mit Sozialismus definiert
er allerdings nicht solche Staaten, die sich später damit
rechtfertigten. Für ihn ist der Sozialismus die Übergangsgesellschaft
zwischen Kapitalismus und Kommunismus.
Im Kommunismus dann arbeitet jeder nach seinen Fähigkeiten
und erhält nach seinen Bedürfnissen.
Also da werden wir mit unseren Zielvorstellungen für die
Übergangszeit wohl eher bescheidener sein, zumal unsere
Bewegung aufgrund interner unterschiedlicher Interessen auch
viel schwächer ist.
Uns geht es wohl darum, dass wir ein uns gemäßes Leben
führen können und dürfen, ohne dass jemand etwas
dagegen hat oder etwas dagegen verwirklicht, das uns diskriminiert,
mobbt, ausgrenzt, verfolgt, oder ermordet.
Aber das, was Marx da formuliert hatte, wenn es denn wahr werde
könnte, müsste dann eigentlich schon auch noch sein.
Und da so etwas wahrscheinlich nur für uns alleine gar nicht
geht, muss das natürlich für alle gelten.
Also, fangen wir an, nun vielleicht etwas weniger utopisch:
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- Unsere Strategie
Was könnten denn unsere strategischen Ziele sein? Sind die
denn nicht zu vielfältig? Nein, keine mit Parteipropaganda
verknüpfte oder mit religiösen Dogmen angereicherten
Ziele möchte ich hier auflisten. In Brechts Theaterstück
Galileo sagt Galileor zu einem zweifelnden Mönch:
Die Bahnen der Gestirne kann ich doch zugunsten der Kirche
nicht so berechnen, dass sich auch die Ritte der Hexen auf Besen
damit erklären lassen. Also will ich hier mal versuchen,
Elementares aufzulisten, um was es uns gehen müsste, und
habe hier hoffentlich nichts Wesentliches vergessen.
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- 1. Es muss das Recht jedes mündigen
Menschen sein, sich den oder die PartnerInnen zu suchen, die
er begehrt, selbstverständlich sofern die entsprechenden
begehrten Menschen dies auch wollen.
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- 2. Es muss das Recht jedes mündigen
Menschen sein, den oder die PartnerInnen abzulehnen, die er nicht
mag, auch wenn irgend welche Menschen dies anders wollen.
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- 3. Es muss das Recht aller Menschen in frei
eingegangenen Lebensgemeinschaften sein, so zusammenzuleben,
wie jeder von ihnen es will und wie und so lange jeder der Beteiligten
dies selbst für gut und erbaulich hält.
Gegenseitige Bevormundung ist kein Beweis für Liebe. In
dieser Frage versteht sich nichts von selbst. Nichts ist vorgegeben.
Außenstehende haben sich da mit ihren Vorstellungen nicht
einzumischen, sofern nicht ein Eingreifen aus anderen Gründen
nötig wäre, zum Beispiel bei Gewalt und Unterdrückung.
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- 4. Es muss das Recht jedes mündigen
Menschen in oder außerhalb einer Lebens- oder Liebesgemein-schaft
sein, frei zu entscheiden, ob, wann, wie lange und mit wem er
geistige oder körperliche Kontakte pflegt, da der Wille
jedes erwachsenen Menschen zu respektieren ist. Niemand muss
etwas gegen seinen Willen machen und niemand muss gegen seinen
Willen auf etwas verzichten.
Kinder sind in Lebensgemeinschaften kein Freiwild oder Besitz
und deshalb besonders vor Gewalt, Unterdrückung, sexuellen
Übergriffen und auch vor ungewollten Zärtlichkeits-belästigungen
wie z.B. den Tantenkuss zu schützen.
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- 5. Wir sind untereinander in eigenen Reihen
keine Feinde oder Gegner, auch wenn wir in Einzelfragen unterschiedliche
Interessen haben, sondern mögliche PartnerInnen, zumindest
aber Menschen, die das Leben der anderen nachvollziehen wollen
oder können und deshalb verteidigen. Wir unterstützen
uns deshalb gegenseitig bei den Versuchen, das Lebensglück
zu finden, auch wenn uns dieser spezielle Weg persönlich
nicht liegen würde beziehungsweise z. B. die sexuelle Besonderheit
uns fremd ist.
Wir sind gegenseitig keine Spießer sondern großzügig,
denn wir haben alle genug Liebe und Sexualität in uns.
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- Um diese für uns so lebenswichtigen
Lebens- und Liebensrechte überall verständlich machen
zu können, müssen wir uns überall, wo wir leben,
für den entsprechenden Freiraum einsetzen und gegen folgende
Personen oder Organisationen Stellung beziehen:
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- 1. Personen und Organisationen, die uns vorschreiben
wollen, welche Form des Zusammenlebens und des Liebens gut und
welche schlecht sei, versuchen uns zu entmündigen. Es ist
aber unser Leben, um das es uns geht. Das trifft auch für
Religionsgemeinschaften und politische Organisationen zu.
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- 2. Personen und Organisationen, die uns dafür
sündig nennen, dass wir lieben, wen wir lieben, und dass
wir sexuell tun, was uns Lust bereitet, beleidigen uns und können
nicht von uns anerkannt oder unterstützt werden.
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- 3. Personen und Organisationen, die Menschen
nach unterschiedlichen Merkmalen oder Gesichtspunkten in bevorrechtigt
und benachteiligt einteilen wollen, diskriminieren ganze Menschengruppen,
was wir nicht dulden können, auch wenn es nicht um uns,
sondern um andere Gruppen von Menschen geht.
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- 4. Personen und Organisationen, die sich
dadurch Vorteile verschaffen wollen, dass sie andere Menschen
traurig machen, demütigen, ihnen ihr Lebensglück verweigern
wollen, ihnen keine Chancen lassen wollen, sind von uns zu bekämpfen,
denn wir haben es auch durch unser eigenes Verhalten selbst in
der Hand, ob jemand glücklich oder traurig ist.
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- 5. Personen oder Organisationen, die dann
bedeutungslos werden oder untergehen, wenn sie nicht demütigen,
Angst erzeugen oder unterdrücken, sollen ruhig bedeutungslos
werden oder untergehen.
Wir haben viel zu tun und können deshalb nur dann die Hände
in den Schoß legen, wenn uns das Lust macht.
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- Unsere Taktik
Das Prinzip: Ziel - Startegie - Taktik ist ein hierarchisches
Prinzip, weil nicht alle über die gesamte Strategie oder
Taktik informiert werden können, besonders dann, weil unsere
GegnerInnen es dann sehr leicht mit erfahren. Das rechtfertigt
Führung, die sich nicht von unten kontrollieren lässt.
Gegenwärtig ist eher zu Befürchten, dass durch eine
solche Einteilung Führungen entstehen, die dann alles zu
Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse nutzen. Das muss
daher von uns unterlaufen werden.
Kleine generationsübergreifende Freundeskreise von Lesben,
von Schwulen, oder von Lesben und Schwulen, die sich regelmäßig
treffen und so auch zwischenmenschlich etwas für sich selbst
in unserer Gemeinschaft tun, können dazu dienen, dass wir
wieder im Sinne einer lustvollen Bewegung handlungsfähiger
werden. Wer schreibt vor, dass es keine Lust in der Politik geben
soll? Wir sind keine Sekte.
Dort unterhält man sich über die Erfahrungen des täglichen
Lebens, was jedem von uns den Rücken stärkt und uns
hilft, unsere Ziele nicht aus den Augen zu verlieren. Man lernt
sich als Mitmensch kennen, was dazu führen kann, dass das
übliche oft recht boshafte Profilieren auf Kosten anderer
in der Szene bei uns unterbleibt. Eine wichtige Voraussetzung
für Gemeinsamkeit und Grundlage für gemeinsame Handeln.
Was aber müssen wir zusammen tun?
Wir müssen uns in unserer Gay-Szene nützlich machen,
damit wir nicht den Kontakt mit den Menschen verlieren, die dort
ihr Lebensglück suchen und damit wir die Realitäten
der Menschen in der Szene nicht verlieren. Wir müssen dort
sein, damit man uns dort auch wahrnimmt.
Innerhalb der Szene: Nach Möglichkeit Erinnerung an unsere
Geschichte wecken und Solidarität mit anderen Menschen unserer
weltweiten Szene mobilisieren.
Wir müssen uns auch außerhalb der eignen Szene Bündnispartnerinnen
suchen z.B. in Sozialforen, in antiklerikalen, antifaschistischen,
antimilitaristischen, kulturellen Netzwerken und Bündnissen
usw. In Netzwerken und Bündnissen ist die Wahrscheinlichkeit
am größten, dass uns nicht die Strategie und Taktik
von fremden Interessen aufgezwungen werden.
Dort können wir aber in unseren Grenzen sehr solidarisch
sein und vielleicht auch in Ansätzen Solidarität erfahren.
Aber rechnen wir nicht mit zu viel Solidarität. Im Grunde
bleiben wir für sie fremd, was im Meinungsstreit plötzlich
und unerwartet zum Tragen kommen kann und gegen uns funktionalisiert
werden kann.
Wir dürfen uns von genausowenig wie von unseren Gegnern
auch von unseren Bündnispartnern nicht die Deutungshoheit
über unsere Begriffe und unsere Strategie nehmen lassen.
Wir werden in den Bündnisgruppen auch versteckten homosexuellen
Menschen begegnen, die hier ihr Jagsrevier verteidigen
und aus diesen persönlichen Gründen nicht offen sind.
Diese erweisen sich aus deren eigenem persönlichen Interesse
oft als gefährlich für uns und unsere Arbeit in fallen
uns als offene Lesben- und Schwulengruppen gerne in den Rücken,
verbreiten destruktive Gerüchte gegen uns usw., was uns
sehr behindern kann.
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- Unsere Politik ist geil
Lasst die unerfreulichen Parteikarrieristen selbst für ihre
Karrieren arbeiten, folgt ihnen nicht, macht lieber etwas für
Euer und somit für unser eigenes Lebensglück.
Die kleinen Gemeinschaften von Menschen, die sich alleine schon
dadurch füreinander verbindlich fühlen, weil sie sich
bei den gemeinsamen Aktivitäten kennen gelernt haben, lassen
den Einzelnen nicht in der Anonymität untergehen und vereinigen
das Eintreten für Ziele, die uns nicht beschämen müssen,
mit gegenseitiger Verbindlichkeit und Freundschaft.
Wir werden uns dabei wohl fühlen. Wir werden Vereinsamungen,
die es auch in monogamen Beziehungen und mitten in Massen gibt,
überwinden, gegenseitiges Verständnis aufbringen, Interesse
am Wohlergehen füreinander entwickeln und an Zielen arbeiten,
die uns allen nutzen und bei denen es uns, wenn wir morgens in
den Spiegel sehen, nicht schlecht wird. Ist das denn nichts?
(RoLü)
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