93. Print-Ausgabe, Winter 07/08
 
Sexuelle Phantasien - wie ist das mit dem Ausleben?
Wie viele Partner bzw. Partnerinnen würden wir brauchen, um unsere sexuellen Phantasien ausleben zu können? Wie ist das mit dem Zusammenhang zwischen Hingabe oder Dominanz und Sex, Gewalt und Sex? Was wollen wir mit Sex zusammen befriedigt bekommen: unsere Beziehungswünsche, wirtschaftlichen oder partnerschaftlichen Verhältnisse? Unsere Fernweh oder Ausbruchssehnsucht aus dem Alltag?

1. Sexuelle Phantasien
Nun, ich kann mir sexuell so einiges vorstellen, genauer gesagt, es kommt mir bisweilen so manches in den Sinn, manchmal in den unpassendsten Situationen, wenn ich alleine bin und auch wenn ich nicht alleine bin. Phantasien sind ja keine Realität, aber dahinter verbergen sich Wünsche nach Realität. Und manchmal nimmt das in meiner Phantasie, wenn ich alleine bin und mir ist irgendwie schnurrig zumute, schon ganz schön deutliche Gestalt an. Meine Hand bewegt sich dann ganz von alleine. Und andere Körperteile sind dann natürlich auch beteiligt. Aber auch, wenn ich jemanden sehe, der mir gegenüber einen gewissen Blick drauf hat zum Beispiel, hmmm, mit dem kann ich mir dann vielleicht schon ganz gut einiges vorstellen. Und das sind dann durchaus schon deftige sexuelle Phantasien. Soweit die Phantasien.

Mit zunehmendem Alter lebt man, glaube ich, deutlich intensiver gedanklich in solchen Situationen, als dass sich Möglichkeiten für reale Situationen ergeben. Man hat einfach weniger Möglichkeiten, weil viele nach oben sogenannte Altersgrenzen einziehen. Ich tröste mich dann selber mit der Auffassung: der hält sich noch für zu jung, um sich auf einen Mann wie mich einzulassen.

Ich selber bin aber auch anspruchsvoller geworden. Nicht irgendwelche reale Szenen mit beliebigen willigen Männern, die mir früher immer willkommen waren, strebe ich nun an, sondern eher solche traumhafte Szenen, die sich nur selten ergeben. Denn: es muss nicht (mehr) immer sein, aber das eine oder andere mal könnte schon wieder mal sein. Man kann mehr auf die besseren, die traumhafteren Erlebnisse warten, und bis dahin eben auch zufriedenstellend träumen, auch mal ohne schnellen Handbewegungen. Also: es muss nicht sein.

Natürlich gibt es nun Menschen, meist recht junge Menschen, die mir erklären, wenn ich nach Phantasien frage, dass sie gar keine sexuellen Phantasien nötig hätten, weil ihre jeweiligen Partnerinnen und Partner schon alles an ihnen zufriedenstellend verrichten würden.
 
Offensichtlich verwechseln die erotische oder sexuelle Phantasien gleich mit Masturbationsphantasien? Gibt es für sie denn keine angestoßenen sexuellen Phantasien ohne schnelle Entladung? Nun, also ich kann nur sagen, dass ich auch in meinen ausgelassensten sexuellen Lebenssituationen, also so zwischen ca. 40 und 50 Jahren, sexuelle Phantasien hatte, die sich nicht erfüllten, efüllen mussten oder erfüllen konnten. Und ich habe nun gegenwärtig auch welche, die sich nicht erfüllen können, weil das traumhafte Wesen eben für mich nicht existiert, und die real möglichen Wesen nun wirklich nicht (mehr) sein müssen.

Wenn das bei Dir so ist, sagst Du grinsend, ist das zwar irgendwie tragisch für Dich, und ich finde es gut, dass Du das auch noch öffentlich zugibst, aber bei mir ist ja alles immer vollkommen in Ordnung. Meine Freundin liebt mich und daher macht sie alles, was ich will. Aha, antworte ich. Und Du als selbstbewusste verpartnerte Frau träumst nicht und masturbierst ja auch gar nicht, das hast Du ja auch gar nicht nötig, Deine Freundin erfüllt ja alle Deine Träume und Sehnsüchte, weil sie Dich liebt.

Ein junger türkischer Hetero hat mir übrigens das gleiche gesagt, er wichse nicht, denn seine Freundin stehe ihm ja jederzeit für alle Bedürfnisse zur Verfügung. Ich glaube ihm auch, dass er zufrieden ist, wenn sein Druck weg ist. Denn bei jungen Leuten drücks dann ja derart gewaltig, dass man keinen besonderen Sinn nach Feinheiten hat. Ach ja, und er sagte noch, dass er froh sei, nicht schwul zu sein.
 
Und ich frage mich, entstehen bei denen eigentlich sexuelle Phantasien nur aus einem Mangel an Druckausgleichmöglichkeiten? Nein, das zweifle ich an. Ich denke es gibt Phantasien, die auch dann auftauchen, wenn man sich sexuell rundum ausgelastet fühlt.

Aber um herauszufinden, ob (nahezu) jeder Mensch sexuelle Phantasien hat (und das muss nicht immer aus einer Situation der unerfüllten Sehnsucht sein), müssen wir den Begriff „sexuelle Phantasien” vielleicht doch etwas eingrenzen.
 
2. Die Ursprünge der sexuellen Phantasien
Also meine sexuellen Phantasien haben mir schwulen Mann, vormals pubertierenden Jüngling, schon mal bei den so genannten Pollutions-Träumen und dann eben bei meinen erfolgreicheren Masturbationsphantasien das sexuelle Objekt meiner Begierde gezeigt, ohne dass ich es damals verstehen konnte. Einen jungen Mann, der mich beeindruckte, hatte ich öfter mal in meinen Träumen. Ich wachte dann äußerst beeindruckt auf und in mir war eine Mischung von Faszination und Traurigkeit.

Naja, und Schwänze faszinierten mich auch, wie bei Frauen die Brüste. Alles was irgendwie hervorstand, vermutlich. Aber die Schwänze waren am interessantesten. Im Schwimmbad, wo ich mir die Badehosen anschaute, auf den Straßen die Jeansbeulen in den damals hautengen Jeans. Und auf dem Jahrmarkt stand ich schon als Kind beim Ponyreiten-Rondell, wo ich mir die kleinen Reitpferde gerne ansah, die männlichen natürlich, deren Penis bisweilen sehr groß aus ihnen hervorquoll. Aber zog ich daraus Schlüsse? Einen Schwanz hatte ich ja selber.
 
Und so wusste ich nicht, dass ich bei Selbstbefriedigung andere Männer meinte. Ich bezog das aus meiner Unkenntnis heraus auf mich selbst, denn für Sex, das hatte ich so in der miefigen und verlogenen Adenauerzeit gelernt, dafür sind eine Ehe und eine liebende Frau zuständig. Anderes war gar nicht vorstellbar und über Anderes wurde nirgends und nie gesprochen. Ich benötigte die 68er Sex-Revolte, um meine Phantasien besser zu verstehen und neu interpretieren zu können.
Nun habe ich da einige Schwierigkeiten, liebe lesbische Freundin, für Dich in dieser Argumentation mitzudenken, denn Du masturbierst ja nicht und hast schon gar nicht solche Phantasien, wie Du mir persönlich und auch in Fragebögen versichert hast, ein wenig herablassend belustigt über die ständig nur immer an Sex denkenden Männer.

Ach ja, sagst Du zu mir, liebe Freundin, Deine eigene Sexualität gehe mich ja auch grundsätzlich nichts an. Dennoch aber höre ich Dich ständig über sexuelle Beziehungen reden, und zwar in einem dezent oder offen moralischen Tonfall, und zwar z.B. über meine Sexualität und die anderer Leute. Offensichtlich gibt es da nur immer Schlechtes und schlechte Männer. Oh, da muss ich aber für meine Phantasien sehr schämen. Hast Du denn keine eigene sexuelle Lust? Klar sagst Du, aber eben in eine Liebesbeziehung und nicht nur so. Also bei Dir ist das nicht schlecht, sondern gut.

Und so bleibe ich dann also doch lieber bei Männern, weil die sexuelle Lust und sexuelles Verlangen empfinden, auch wenn sie in gar keiner Liebesbeziehung sind, und weil sie das wissen und in der Regel auch dazu stehen, sofern sie keine Evangelikalen oder anderweitig ideologisch Gesteuerte sind. Liebe Leserin, ich erwarte Deinen Leserinnenbrief, wenn Du glaubst, ich verzerre hier das Bild.

Oft aber sind sexuelle Phantasien nicht nur mit der Sexualität als solche verbunden, sondern mit den Begleitumständen der Sexualität, mit der speziellen Objektwahl, mit der speziellen sexuellen Handlung, mit den speziellen Absprachen zwischen der PartnerInnen, mit dem speziellen Beziehungsmodell, das Du lebst, denn nach den gesellschaftlichen Normen (nicht nach der wirklich gelebten Realität) gehören sexuelle Handlungen in eine auf Dauer angelegte Beziehung, auch wenn daraus keine Kinder entstehen können und finanzielle Beziehungserwägungen keine direkte Rolle spielen sollten.
 
3. Wie viele Partner bzw. Partnerinnen würden wir brauchen, um unsere sexuellen Phantasien ausleben zu können?
Dass man mal ohne Kondom und ohne Safer-Sex-Barrieren Sex haben könnte, das zeigte sich in unserer Umfrage bei jungen schwulen Männern als wichtige unerfüllbare sexuelle Sehnsucht. Mal einen 3er erleben zu können, das gehörte auch zu diesen Phantasien. Hier spielen erst einmal keine Beziehungsvorstellungen eine Rolle, die stören im Gegenteil nur.

Schwule Männer in den Chat-Räumen suchen dort einfach nach anderen Männern, die genau das suchend anbieten, was sie jetzt gerne machen würden. Je später der Abend um so mehr Abstriche machen sie von ihren eigenen Vorgaben. Damit haben sie in größeren Städten mehr Erfolg als in kleineren, alleine schon wegen der Anzahl der potentiellen Partner, und dann wegen der weiten Wege. In den Lesben-Chaträumen geht es eher um Beziehungen statt um direkte Sexkontakte? Schwule Männer lernen aber auch zu akzeptieren, dass nicht jeder Topf einen passenden Deckel findet, vielleicht gibt es den ja auch gar nicht, und so triumphieren die Kompromisse und das es triumphiert das deckellose Kochen.

Heinz Erhard machte den Witz auf der Bühne, dass eine ihm bekannte Frau zwei Ärzte habe, einen älteren, wenn sie krank sei, und einen jüngeren, wenn ihr was fehle. Nun, wir haben schon von dem Wimpster berichtet, den Mann in der 2. Reihe, der im Bereich Status nicht so viel hermacht wie der Ehemann, der auch bei Freundinnen nicht unbedingt vorzeigbar ist, der auch nichts heldenhaftes an sich hat, der aber gerade deshalb liebenswert ist, der auch die ganzen Kuckuckskinder erzeugt. Jedes 3. Kind soll ja ein Kuckuckskind sein.

Heterosexuelle Männer bräuchten im Grunde zwei Frauen, eine Mutter ihrer Kinder, die auchunter Kollegen etwas hermacht, und eine Nutte, die scharf auf ihn ist undseine geheimen Wünsche erfüllt, das sagen Frauen über Männer. Da ist vielleicht schon was dran. Die Mutter erscheint nicht mehr erotisch, aber dass die erotische Frau gleich „Nutte” genannt wird, das ist wohl dem Umstand geschuldet, dass hier die „Mutter” zu Wort kommt.

Warum sollen eine verheiratete Frau und ein verheirateter Mann nicht sexuelle Sehnsüchte haben, die über die eingefahrene Ehe-Sexualität hinausgeht? Viele angenehme Sexkontakte mit verheirateten Männern in einer schwulen Sauna verdanke ich diesem Umstand. Und eine Clique junger Stricher, mit denen ich vor vielen Jahren einmal in Stuttgart Kontakt hatte, erklärten mir auch, dass die häufigsten ihrer Kunden heterosexuell verheiratete Männer seien.

Eine Frau, die zugibt, dass sie Lust an der Lust hat, und dies ohne irgendeine Berechnung, sondern aus Lust anstrebt, die wird noch immer oder leider wieder zunehmend Schlampe oder Nutte genannt. Während die berechnende Ehefrau des wohlhabenden Mannes heilig gesprochen wird. Und das ist die erstrebenswerte Moral?

Bisexuelle Frauen und Männer sind am häufigsten der Monogamie gegenüber kritischer eingestellt als heterosexuelle oder lesbische Paare, oder die gleichaltrigen jungen Schwulenpaare im Coming-out. Ein bisexueller Mann meinte einmal an unserem Infostand, das mit der Homo-Ehe gehe zu weit. Ich verstehe, das geht ihm zu weit, denn heiraten würde er nur eine Frau.

Er lebt in einer Hetenbeziehung und genehmigt sich bisweilen einen spritzfreudigen Jüngling. Die Frage bleibt, ob seine Frau dies akzeptieren könnte, wenn sie es wüsste, und wenn ja, ob sie die gleichen Freiheiten hätte.

Es scheint aber so zu sein, dass die traditionelle Monogamie (egal ob durch Verhältnisse, Seitensprünge oder Prostitution oder durch zunehmende Geschlechtslosigkeit ergänzt oder dadurch erst auf Dauer ermöglicht), der gesellschaftliche Maßstab für ein allgemein akzeptiertes Sexualverhalten ist.
 
4.1. Was ist mit dem Zusammenhang zwischen Hingabe oder Dominanz und Sex, sowie zwischen Gewalt und Sex?
Das sind nun Bereiche, an die ich mich nicht so sehr annähern kann, wie es mir im Chat gelegentlich begegnet. Dennoch versuche ich es natürlich, mich zumindest gedanklich anzunähern, um es ansatzweise verstehen zu können. Es gibt die masochistische Phantasie, sich lustvoll sexuell auszuliefern und hinzugeben. Genau das kann ich gedanklich nicht nachvollziehen.
 
Mich erotisch fallen zu lassen, das kann ich mir durchaus gut vorstellen, aber eher in einer warmen mitmenschlichen Situation und nicht in der Kälte des unpersönlichen gedemütigten Ausgeliefertseins, wie sich die entspechenden Selbstdarstellungen lesen.
Aber ich kann es mir auch gar nicht vorstellen, einen Menschen sexuell zu unterwerfen, also das Gegenstück davon zu sein. Eine hohe Lustbefriedigung ist für mich, wenn der Partner nun genau das aus Lust mit mir möchte, was mir Lust macht. Denn das ist dann schon die bestätigende Erfüllung von sexuellen Träumen.

Dennoch gibt es Menschen, die am Unterwerfen und sexuellen Ausgeliefert sein Genuss haben. Das ist mir nun schon absolut fern. Doch darf ich diese Version deshalb nun nicht negativ betrachten oder bewerten, denn es gibt ja Menschen, die sich einvernehmlich darin lustvoll ergänzen.

Aber ich würde es genussvoll empfinden, wenn ein Mensch deshalb, weil ihm gerade dies Lust bereitet, von sich aus das gerne macht, was mir die größte Lust bereitet. Doch wie soll er das wissen, was mir Lust bereitet? Und sagen möchte ich es ihm eigentlich nicht so sehr, damit er nicht aus Rücksicht seine eigenen Erfüllungssehnsüchte übergeht. Wüsste ich so etwas, hätte ich kein gutes Gefühl mit ihm. Da lobe ich mir die Selbstbeschreibungen der sexuellen Wünsche der Kontaktsuchenden im Internet.
 
Da kann man dann gegenseitig annähernd verstehen, was der andere will, sofern er sich traute, alles zu schreiben, und ich kann annehmen, dass er das lustvoll geben und nehmen will, was ich will, denn er hat ja gelesen, was ich will, und sich daher gemeldet. Mir bereitet es nämlich Lust, zu erkennen, dass ich für diesen Menschen mit meinen Wünschen und meiner Körperlichkeit ein Lustobjekt bin. Das habe ich leider recht selten in meinem Leben erlebt, viel seltener als ich Sex hatte.

Ich hatte u.a. einmal einen Sexpartner gehabt, der im Grunde für homosexuelle Handlungen zu viel moralische Skrupel hatte, und nun von mir erwartete, alle ersten Schritte ihm gegenüber zu machen, denen er zumeist gerne folgte. Dazu besuchte er mich immer mal. Danach erklärte er mir regelmäßig (und wohl sich selber), dass er gar keine Sexualität mit einem Mann wolle, also auch nicht mit mir, dass ich ihn also wieder mal gegen seinen Willen verführt hätte.

Damit brachte er seine Welt mit den „verbotenen” Schuldgefühlen ins Reine. Ich war anfänglich ernsthaft betroffen, denn jemanden zu etwas zu bringen, was er gar nicht will, das liegt mir sehr fern und stört auch meine Lust. Aber es war sein Spiel. Vielleicht ist der Hintergrund der Lust an Hingabe das Verlagern der Verantwortung von sich auf andere?

Nun ist es aber so, dass ich gerne ficke und meine Versuche, mich ficken zu lassen, für mich eher unerfreulich waren. Und mein Wunsch zu ficken verlangt wohl schon ein gewisses Maß an Hingabe von meinen Partnern. Also komme ich dann wohl doch mit den Menschen besser zurecht, die sich gerne hingeben, wenn es um AV geht.

Wie ist das? Können Frauen besonders dann befriedigende Heterosexualität erleben, wenn sie Lust an der sexuellen Hingabe haben? Wird von den Hetenmänner den Frauen ein gewisses Maß an Masochismus abverlangt?

Es gibt sicher die sexuelle Phantasie nach einer vollständigen Hingabe, nach einer starken Unterwerfung bis hin zu der Lust, beim Sex Schmerz zugefügt zu bekommen. In den Chaträumen werden die Wünsche recht direkt formuliert. Und es gibt auch die ausgelebte Form dieser Phantasie. Und so gibt es dann wohl auch die sexuelle Phantasie und die sexuelle Lust, dem begehrten Sexpartner Schmerzen und Demütigung zuzufügen, statt im warme geile Lust beziehungsweise schmerzhaftgeile Lust zuzufügen.

4.2. Verbotenes
Es gibt offensichtlich auch sexuelle Phantasien, die sich in der Realität deshalb nicht erfüllen, weil dies nicht sein darf. Die Lust an Vergewaltigung, also eigenen Lustgewinn gegen den Willen des Opfers. Oder das sexuelle Missbrauchen von Kindern.

Es ist für die Betreffenden sicher besonders schmerzlich, zu erkennen, Wunschträume zu haben, die nicht erfüllt werden können. Sie tauchen bei ihnen in den Phantasien als lustvolle Visionen auf, wie unsere Phantasien bei uns. Doch ist für sie nicht einmal im Traum eine Erfüllung möglich, weil dies gegen ihre eigene Ethik verstoßen würde, sofern es für sie eine eigene Ethik gibt, aus der sie ihre Werte ziehen. Auch der sogenannte Lustmord, der sexuelle Kannibalismus oder ähnliches gehören zu diesen Phantasien, die nicht zu Ende gedacht werden dürfen, und schon gar nicht in Realität erlebt werden dürfen.

Aber es gibt auch Phantasien in dem Bereich, der nichts mit Vergewaltigung und Missbrauch zu tun hat. Es gibt die Phantasien nach Sexualität mit Tieren, die tatsächlich auch in der Landwirtschaft oder bei anderen TierhalterInnen bisweilen ausgelebt werden, denn Tiere werden zumeist als Sachen und Eigentum angesehen, die zu tun haben, was der Mensch verlangt. Hier gibt es Verbote, auch die Abbildung solcher Handlungen sind verboten. Dieser Bereich findet also statt.

Es gibt wohl sexuellen Phantasien, die deshalb nicht erfüllbar sind, weil das, was erträumt wird, nicht existiert oder so nicht existiert. Und die Verbote kommen aus der Sache heraus und nicht aus den Gesetzen. Da gibt es Phantasiewesen, von Sexrobotern zu Aliens oder anderen erfundenen Wesen, die dann genau das tun wollen, was und Lust bereitet.
 
5. Was wollen wir mit Sex zusammen befriedigt bekommen: unsere Beziehungswünsche, wirtschaftlichen oder partnerschaftlichen Verhältnisse?
Wir haben gelernt, dass Sex nur unter bestimmten Rahmenbedingungen gesellschaftlich akzeptabel erscheint, zum Beispiel unter der Bedingung einer Beziehung aus zwei Personen. Das haben wir verinnerlicht und so stellen wir es kaum in Frage. Nun trifft man immer auch andere Situationen an, für die man dann gegenüber dieser Moral entschuldigende Gründe benötigt.

In einer guten sexuellen Situation entsteht in mir das Gefühl, dass man dies festhalten können beziehungsweise wiederholen müsste, und schon haben sich Beziehungssehnsüchte in mir aufgetan,, die mich den Genuss dieser Situation nicht vollkommen erleben lassen. Es schleicht sich ein Hauch von Verlustangst ein, über die Zeit danach, so, als ob man sich nicht vollständig freuen darf, weil am Ende ein wenig Wehmut übrig bleiben könnte.

Das könnte uns darin belehren, dass Bereiche, die wir mit dem Sex-Genuss zusammen befriedigen wollen, uns daran hindern, diesen Genuss vollkommen erleben zu können. Wir können uns nicht einfach grenzenlos sexuell austoben und fallen lassen, wobei dies doch die größte Befriedigung mit sich bringen kann. Trauer kommt in der Zeit danach noch früh genug auf, wenn es dann für sie überhaupt einen Grund gibt.

Partnerschaften können ganz unterschiedlich strukturiert sein und müssen zum Beispiel nicht unbedingt aus 2 Personen bestehen. Sie können nur dem Zweck gelegentlicher sexueller Begegnungen dienen, einem Netzwerk gleich, sie können Lebensgemeinschaften bilden, die die Phase der gegenseitigen sexuellen Attraktivität überdauern oder die dann enden, wenn die Sexualität lustlos wird. Es können wirtschaftliche Fragen dabei tangiert werden oder die wichtigste Rolle spielen, nämlich der Wunsch, dadurch wirtschaftlich versorgt zu sein usw. In der traditionellen heterosexuellen Ehe verbinden sich Sex, Partnerschaft und Wirtschaft, und die Gesetzgebung geht im sozialen Bereich ganz und gar von diesem einen Modell aus und bestraft alle, die anders leben.

Die Strafe kann nur darin bestehen, dass es keine gesellschaftliche Voraussetzung für andere Formen der Beziehung oder Partnerschaft gibt, sodass sie sich nicht entwickeln kann, weil niemand außer Dir dieses Modell erleben möchte, oder weil der oder die Partner es auf diese Weise nicht aushalten können zusammen zu leben. Es kann sein, dass es so einfach aus inneren Gründen nicht geht, denn wir sind Produkte anderer Verhältnisse, oder es geht aus äußeren Gründen nicht, weil das Umfeld keinen Spielraum zulässt. Es kann auch sein, dass die Form, wie Du leben möchtest, nicht erlaubt oder gar verfolgt wird.

Auf jeden Fall stellt das, wie es derzeit in der Gesellschaft überwiegend eingerichtet ist, nur einen winzigen Auszug der denkbaren Möglichkeiten des Zusammenlebens dar: die auf biologische Herkunft aufbauende Familiensippe mit ihrem Netz an gegenseitigen Verpflichtungen in den vielen der wenig industrialisierten Länder, und die auf eine Ehe aufgebaute Familie mit Kindern, vielleicht auch noch mit Großeltern in den industrialisierten Regionen der Ehe, schließlich noch in den Ballungsräumen großer Städte die nebeneinander her lebenden Singls, die sich gegenseitig als Netzwerk der Kontaktmöglichkeiten verstehen.
 
6. Unsere Fernweh oder Ausbruchssehnsucht aus dem Alltag
Sexuelle Sehnsüchte können uns, wie ein Traum über eine besondere Urlaubsreise, nachts trösten statt abends nicht ausreichend zu befriedigen. Wir erleben hier zum Beispiel, was in diesem Leben vielleicht noch möglich ist oder sein sollte, bevor wir uns dem Unvermeidlichen ergeben.

Manches Mal ist sexuelle Befriedigung mit sich selbst bei den entsprechenden sexuellen Phantasien zufriedenstellender als die Monotonie des regelmäßig erlebten oder die Monotonie der gelegentlichen nicht so geglückten realen Begegnungen.

Vieles, was wir aus der Situation heraus erträumen oder auch praktizieren, ist als zeitweiliger oder ent-gültiger Ausbruch aus den ständig gelebten Strukturen zu verstehen.

Also sind diese Ausbrüche ebenso ernst zu nehmen wie die Chansons über das Zigarettenholen. In der Regel wird die Sehnsucht nach dem Ausbruch, um auch mal etwas anderes zu erleben, in der genormten Welt durch den genormten Urlaubsauftrieb in geordnete Bahnen gelenkt. Dort gibts dann die entsprechenden Feste, auf denen sich die Urlauber dann gegenseitig bekanntmachen, um miteinander und gegenseitig eine Illusion dieser Sehnsüchte zu befriedigen. Beziehungsweise steht ein einheimischer Prostitutionsmarkt mit all seinen kleinkriminellen Begleitumständen zu eben diesem Zweck zur Verfügung. Und der hübsche Jüngling aus gutem Hause, der uns in eine Traumwelt entführt, der ist zumeist Teil einer Geschäftsidee. Nun ja, vielleicht gibt es das ja tatsächlich in Realität, aber dann ganz schnell als Realität und nicht als Traum.

Man muss für diesen Ausbruch nicht unbedingt weit weg fahren, denn einen Strichermarkt und andere Formen der Prostitution gibt es auch hier. Nur fehlt hier der entsprechende Zauber der Südsee und es fehlen infolgedessen die entsprechenden Illusionen. Und nur durch die kalte Brille der Realität und ohne Illusion kann dies nicht einmal im Ansatz zur Befriedigung unserer sexuellen Phantasien dienen, es sei denn, die Phantasie reduziert sich auf eine Sextechnik, die man sich im Zweifelsfall dann wohl kaufen kann. Wenn man aber an der gegenseitigen Zufriedenheit beim Sex interessiert ist, scheidet die Lösung der Prostitution einfach aus.

Meine Meinung: man sollte dort, wo man wohnt (und wo es wegen der Realitätsnähe am schwersten ist) die Menschen kennen lernen, oder es anstreben sie kennen zu lernen, mit denen man/frau gemeinsam die sexuellen Träume und Phantasien auszuleben anstrebt. In einer ehrlichen Dauerbeziehung, in der die PartnerInnen sich ohne Bestrafung gegenseitig eingestehen können, welche sexuelle Phantasien sie wirklich haben, muss auch der verstehende Freiraum sein, vielleicht auch die gegenseitige Unterstützung darin, die Teile der Phantasien auszuleben, die in der Beziehung eben einfach nicht gehen. Muss der geliebte Partner wegen unserer Macke mit der Eifersucht denn darauf verzichten? Das hat dann aber nichts mit „Liebe“, sondern mit Besitzdenken, Angst und Missgunst zu tun.

Ich weiß, in der Medien wird eine andere Version von „glücklicher Beziehung“ dargestellt, ein gegenseitig überwachtes Gefängnis, in dem nichts erlaubt ist, was man sich nicht gegenseitig mit Lust geben könnte. Darauf müsste der Partner einfach auf Dauer oder lebenslang verzichten, oder es heimlich machen, auf die Gefahr hin, dass beim Auffliegen die Basis des Zusammenlebens gefährdet wäre.

Dann müsste man sich mit Phantasien und Träumen zufriedengeben, und das sublimierte Ausleben in der Oper oder auf Kunstausstellung wäre allenfalls noch möglich. Und da die Ehepaarschlafzimmer auch keinen Masturbationsphantasie ermöglichen, die Masturbation also auf das Klo verlegt wird, werden Träume ohnehin nur Träume bleiben können. Oder man geht sich eben Zigaretten holen. (Ach Du kennst diese Chansons gar nicht? Fast jeder Chansonnier oder Liedermacher hat einen Text zu diesem Thema im Repertoire. Da geht es um den Mann, der sich mit den Worten: „Ich geh grad mal Zigaretten holen“, Urlaub nimmt und aller Bindungen einfach entflieht. Vielleicht nur zeitweilig. Bei Heller heißt es sogar: „Sonst erschlag ich Dich einmal“. Frauen gehen in diesen Liedern gewöhnlich Kaffee holen und kommen zurück, wenn das gemeinsame oder das Konto des Mannes leergeräumt ist, je nachdem, auf welcher Grundlage diese Ehe aufgebaut ist/war.)

Dass dies aus meiner Sicht kein akzeptabler Weg ist, weil ich diese Form des Zusammenlebens (der monogamen Eifersuchtsstruktur, oder wie wir das als 68er nannten: die raffgierige Konsumeinheit Ehe) infrage stelle, dürfte wohl klargeworden sein.

Unter den Bedingungen einer solchen Beziehung, die in allen Medien als die eine und die selbstverständliche dargestellt wird, zu deren Verteidigung Kirchen, Kommunisten, Feministinnen und Feministen zahllose Argumente finden, unter den Bedingen einer solchen Beziehung, um die herum die gesetzlichen oder staatlichen Sozialsysteme gebaut wurden, unter diesen Bedingungen sind sexuelle Phantasien fast ein verbrecherisches Denken.
 
7. Zusammenfassung
Es gibt derart viele denkbare oder in Ansätzen gelebte Rahmenbedingen von Sexualität, derart viele gewünschten sexuellen Variationen, derart viele denkbaren unterschiedlichen Objekte der sexuellen Begierde und unendlich viele Traurigkeiten wegen der jeweiligen Nichterfüllung unserer empfundenen Sehnsüchte aus vielen unterschiedlichen Gründen.

Diese mögliche Traurigkeit hat nicht ihre Ursache in den sexuellen Phantasien, sondern in der Frustration über die vielen Hindernisse. Dass man lieber nicht träumen sollte, um nicht traurig zu werden, halte ich für absurd. Unsere Träume und Sehnsüchte sind doch die Triebkräfte für gesellschaftliches Handeln. Also träumen wir doch genussvoll und streben wir an, real unter unsren Mitmenschen und für uns und andere gesellschaftspolitisch den Rahmen, der es ermöglichen könnte, dass solche Träume Wirklichkeit werden.

Und grämen wir uns trotzdem nicht darüber, was für uns eben nach Lage der Dinge möglich ist. Das, was uns im Moment noch möglich ist, das ist es morgen vielleicht nicht mehr. Und es könnte durchaus sein, dass wir dann überhaupt nicht verstehen konnten, warum wir das früher verschmäht haben.

Tun wir also, was geht, leben wir unsere Realität und in dem Rahmen, in dem es möglich ist, unsere Träume, und lassen wir uns unsere Träume und Phantasien nicht schlecht reden.
Den Lesben- und Schwulengruppen, den Cliquen und Freundeskreisen rate ich, Abende oder Wochenenden durchzuführen, an denen wir uns gegenseitig zuhören, gegenseitig nachzuvollziehen versuchen, was wir zu hören bekommen und natürlich auch ehrlich gegenseitig erzählen, welche Phantasien und Träume wir haben. (js)
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