93. Print-Ausgabe, Winter 07/08
 
Homsexualität und Migration
Am 28.09. fand im hessischen Sozialministerium der Runde Tisch der hessischen Lesben- und Schwulengruppen statt. Er hatte das oben im Titel stehende Schwerpunktthema.
Die Integration homosexueller MigrantInnen

Dieser o.a. Titel war die Fragestellung, unter der wir (Renate und Joachim) interessiert diese Veranstaltung besuchten, denn die homosexuellen Menschen aus anderen Kulturkreisen haben es ja mehrfach schwer, ihr coming-out in das in Deutschland vorzufindende Lesben- bzw. Schwulenleben in zu schaffen.

Einerseits erleben sie durch deutschstämmige Deutsche in der Gesellschaft wie zum Teil auch in der Lesben- und Schwulenszene Vorbehalte bis hin zur Ausgrenzung, weil z. B. jeder Türke als Vertreter aller Türken angesehen wird. Andererseits ist das traditionelle Verhalten der Imi-grantInnenfamilie auch nicht gerade hilfreich, wenn eine Frau oder ein Mann, oft schon als Jugendliche(r) seine Homosexualität an sich selber wahrnimmt.

Ist er oder sie jugendlich, sind noch die besonderen Probleme einer immer weiter rechts orientierten und extrem homophoben Jugendkultur zu berücksichtigen (sowohl deutsch-nationalistisch als auch religions-fundamentalistisch), die homosexuelle Jugendliche nicht nur nicht auffängt, sondern eher bedroht und verfolgt, wie aus den Texten des in der Jugendkultur hoch angesehen türkischstämmigen Rappers Bushido überdeutlich hervorgeht.
 
Hinzu kommen noch die üblichen Probleme, die in der Lesben- und Schwulenszene existieren (Jugendkult und Altersdiskriminierung), die Reibungen innerhalb unserer Szene, die Reibung zwischen Szene und einer immer unpolitischer werdenden Bewegung sowie die Reibung zwischen der Szene an sich und der Gesellschaft an sich.

Wohin sollen also die lesbischen und schwule ImigrantInnen integriert werden? Selbstverständlich ins lesbische und schwule Leben in Deutschland, wie es sich eben zeigt, denn jede(r) in Deutschland lebende Lesbe und Schwule macht ja das lesbische und schwule Leben in unserem Land aus.

In unserer Gruppe kommen manchmal auch Töne auf, in denen besonders der Islam als Gefahr für erreichte Freiheiten angesehen wird.

Aber in der Realität sind in so manchen Großstädten große Teile der Bevölkerung Menschen mit Migra-tionshintergrund. In der Jugendszene steigt die Anzahl der Jugendlichen mit Migrationshintergrund an, man kann mit Parolen wie „Moslems raus“ nur Befremden auslösen. Die Bevölkerung setzt sich eben so zusammen.
 
Der Runde Tisch
Zuerst begrüßte Ulrich Bachmann den Runden Tisch im Auftrag des hessischen Sozialministeriums. Diese Einrichtung, die es in gleicher oder ähnlicher Form auch in anderen Bundesländern gibt, ist seinerzeit von der rotgrünen Regierung in Hessen eingerichtet worden, und seit der umstrittenen ausländerfeindlichen Kampagne, mit der Koch die Wahl für die CDU gewonnen hat, existiert er weiter, er wurde also nicht von der erst CDU/FDP- Regierung, später der alleinigen CDU-Regierung in Hessen wieder eingestellt.

Inwieweit in der christlich-konservativen Partei ein Umdenken stattfindet oder stattgefunden hat, lässt sich nicht daran festmachen. Es scheint aber so zu sein, dass Lesben und Schwule, die es natürlich schon immer in allen Parteien gab, sich ermutigt fühlen, sich in dieser Partei zu outen.
 
Eine wirkliche saubere Lösung für die Union wäre es, das ist die Meinung unserer Gruppe, wenn sich die Union öffentlich von ihrer früheren Politik distanziert und sich bei den Opfern ihrer Politik, vor allem den 175ern entschuldigt. Immerhin wurde die CDU lange von vielen Schwulen als der Todfeind empfunden, dem sie Diskrimnierung und die Vernichtung ihrer bürgerlichen Existenz verdanken, weil durch die antihommosexuelle Demagogie und das Festhalten an der von den Nazis verschärften § 175 StGB nicht nur permanente Menschenrechtsverletzungen geschahen, sondern auch sehr viel persönliches Leid erzeugt wurde.

Das Argument, das würde die konservative Partei CDU nicht verkraften, ist nicht gut, denn es wedeln ja smarte homosexuelle Menschen mit dem Parteiwerbung für die CDU in der Szene herum.

Nicht nur MigratInnen sind ein Problem für die Menschen unserer Szene, sondern eben auch Menschen mit deutschstämmigen Hintergrund, darunter eben ach Menschen, mit religiös-konservativer Gesinnung, die sich durch die Union vertreten fühlen wollen.

Dann führte Michael Holy ins Thema mit einem Kurzreferat ein. Er verstand das Thema auch als ein Thema, in dem es um die Integration von lesbischen und schwulen Mi-grantInne geht. Und er sprach verschiedene Themenbereiche an: Binationale Paare und postkoloniale Einstellungen u.a. auch in Partnerschaften, Stricher, Integration in vorhandene Gruppen oder in eigene neue Gruppen, welche Forderungen an das Land und die Institution Runder Tisch sich daraus ergeben.

Die Runde der GruppenvertreterInnen stellte sich mit ein paar Worten je Gruppe vor.
Es folgten 3 vorbereitete Referate und eine Schlussdis-kussion. Als sich ein Referent in einer saloppen Formulierung altersdiskrimi-nierned äußerte, fragte Joachim, was denn gegen ältere Lesben und schwule zu sagen wäre, dies brach Holy mit der Bemerkung ab, dass man hier nicht ein neues Thema aufmachen müsse.
 
Problme von Lesben aus MigrantInnenfamilien
Zu diesem Thema sprach Saidah Saadat, Leiterin von LesMigraS. Im Internet http://www.lesmigras.de. In dem Lesbenprojekt, sind die meisten Ratsuchenden deutsche Lesben mit Gewalterfahrung. Da es in Deutschland ganz unterschiedliche Migran-tInnengruppen mit verschiedenen kulturellen Hintergründen gibt, beschränkte sich die Referentin (die selber einen arabischen kulturellen Hintergrund hat) auf die größte Gruppe von MigrantInnen, nämlich die aus der Türkei stammenden Lesben.

Um einen Einblick in die besondere Problematik von Lesben aus Mi-grantInnenfamilien geben zu können, benutzte sie zwei Protokolle aus Beratungen, die Stattgefunden haben, allerdings ohne Namensnennung.

Die erste Ratsuchen ist eine 21jährige türkischstämmige Frau, die sich, selber verurteilt, weil sie noch immer keinen Mann hatte. Der Druck ihrer Eltern bezüglich Heirat brachte sie dazu, auszuziehen und jetzt mit ihrer Freundin zusammen zu leben. Sie hat aber nun Schuldgefühle gegenüber ihren Eltern und ihre Familie, bezeichnet die Eltern als Engel und hat ihnen gegenüber ein Gefühl von Verrat und denkt daran, sich möglicherweise zu zwingen, etwas zu tun, was sie nicht wirklich tun würde. Sie ist in einem Dilemma und kann mit dem Vorschlag einer deutschen Beraterin, sich einfach von den Eltern abzunabeln, nicht wirklichetwas anfangen, weil diese nicht verstehen kann, welche Bedeutung die Familie für sie hat.

Die zweite Ratsuchende war die Mutter einer türkischen Lesbe. Sie liebt ihre Tochter über alles und möchte sie deshalb besser verstehen. Da ihr Mann häufig abwesend war und sie auch geschlagen habe, befürchtet sie, dass die Homosexualität ihrer Tochter eine Reaktion darauf sein könnte. Sie denkt darüber nach, ihren Mann zu verlassen und mit ihrer Tochter zusammen zu ziehen, aber weiß nicht, wie das gehen soll, denn, z.B. wer repariert dann die elektrischen Haushaltsgeräte?

Sie ist in Sorge um den Bestand der Familie und weiß nicht, wie die Familie reagieren würde, und fragt sich, ob es nicht besser sei, mit der Familie zu leben und dass die Tochter das Lesbischsein heimlich ausleben solle. Sie könnte ihren Mann verlassen, weil sie nicht glücklich mit ihm war und auch nicht in ihn verliebt, denn sie sei mit ihm verheiratet worden.

Aus diesen Beispiel ergibt sich die besondere Bedeutung der Familie (übersetzt: der Herkunftsfamilie) und die kulturelle Community für die MigrantInnen. Sie können nicht einfach die Familie verlassen, weil sie sich das selbst nicht vorstellen können, weil dort die Menschen sind, die sie lieben und denen sie vertrauen und mit denen sie schon immer zusammen gelebt haben. Hinzu kommt die religiöse und kulturelle Bindung innerhalb der Familie und der Community. Und schließlich kann die Lesben- und Schwulenszene dafür keinen Ersatz anbieten.

Die Familie und die Community schützen vor Rassismus und bieten ein kulturelles und reales zuhause. Die MigrantInnen können sich nicht vorstellen, die Familie zu verlassen. Sie haben einen anderen Hintergrund als Deutsche Lesben die ihre Identität oft aus der Kritik an der Familie beziehen. Sie haben nur in der Familie einen Namen und diese ihre Persönlichkeit.

Lesben werden aber auch in der eigenen Community mit Verurteilungen konfrontiert. Der Islam lehne Homosexualität ab, weil Gott den Mann und die Frau anders geschaffen habe, und daher ist das so richtig. Man beruft sich auf den Islam, um eigene Werte und Interessen zu schützen, Die türkischen Frauen seien reiner., und macht die westlichen Werte für alles verantwortlich, was ihnen zuwider läuft.

Die Gender-Diskussion deutscher Lesben und die Diskussion alternativer Rollen werden in der Community und in der Familie nicht unterstützt. Selbst wenn ich mich entscheide, die Familie zu verlassen: Wo gehe ich hin, wo meine Familie mich nicht sieht?

Die Strategie vieler Lesben ist daher, jahrelang in vielen kleinen Schritten zu versuchen, die Strukturen der Familien zu verändern, was einer Art Kulturrevolution gleichkommt.
Dies wäre eigentlich die Aufgabe der Politik. Es müsste versucht werden, einflussreiche Leute in der türkischen Community zu bewegen, diese Kulturveränderung schrittweise zu untestützen, doch dieses wird in der politischen Öffentlichkeit nicht so gesehen. Stattdessen müsse man sich zusätzlich mit der Dominanz und dem Dünkel der Mehrheitsgesellschaft sowie mit Angriffen seitens Teilen der Community auseinandersetzen.

Die Referentin hat auch zwei Broschüren aus einer ganzen Reihe mitgebracht, die in deutscher Sprache und in der Sprache der Herkunftsgesellschaft verfasst sind:
- Russische Lesben in Deutschland
- Stimmen arabischer Lesben
- Zeichen setzen (Stimmen türkischer Lesben in Deutschland und Europa) usw.
contact: Saideh Saadat c /o Lesbenberatung, Kulmer Str.20a
D-10783 Berlin
00 49 30 219 150 90

Schwule Migranten
Bali Saygili ist Projektleiter von MILES, Zentrum für Migranten, Lesben und Schwule (Berlin). Das Zentrum ist so http://www.miles.lsvd.de im Internet zu finden.

Der Referent meinte, es könne keine Experten geben, denn in Deutland leben sehr viele lesbische und schwule Migranten.

Innerhalb der Mehrheitsgesellschaft sei die Diskriminierung der Jugendlichen mit Migrationshintergrund in zwei Bereichen von Diskriminierungen betroffen, als Ausländer und als Schwule.

Bei Versuchen, mit den Verbänden von Migranten ins Gespräch zu kommen, doch diese Gespräche blieben auf der Vorstandsebene. Und Aufklärung innerhalb der Verbände sei nach Angaben der Vorstände nicht möglich, weil dann die Mitglieder davonlaufen würden.

Die schwulen Beratungsstellen der 80er und 90er Jahre hatten keine kulturspezivische Beratung, sie hatten sich auf Jugendliche der Mehrheitsgesellschaft spezialisiert.

Bei den Beratungen gehe es um Individualität und familiären Kontakt. Er sage den Jugendlichen immer, erst die wirtschaftliche Unabhängigkeit zu erreichen und dann erst die Eltern beziehungsweise die Familie einzuweihen.

Man versuche trotz der Probleme, über Gesundheits- und Genderfragen an Verbände und Familien der Com-munities zu kommen, also über Männlichkeit und Weiblichkeit, da in den Familien nicht über Sexualität und schon gar nicht über Homosexualität geredet werde.

Über die Probleme in der Community hinaus käme noch hinzu, dass in den Moscheen aus dem Ausland kommende Imame da Sagen hätten. Die weder die Sprache noch die kulturellen Zusammenhänge der Mehr-heitsgesellschaft sehen (wollen). Die Moscheen könnten die Jugendlichen mit Komputerkursen usw. erreichen. Soweit ungefähr das Referat.

Uns ist aufgefallen, dass er nur von schwulen Migranten sprach und von den homosexuellen Männern nur den Jugendlichen.
 
Stricher mit Migrations-Hintergrund
Karin Fink sprach vom KISS über Stricher mit Migrationshintergrund.
http://www.frankfurt-aidshilfe.de/“Die KrisenInterventionsStelle für Stricher (KISS), ist ein Projekt der AIDS-Hilfe Frankfurt e.V., gegründet 1990, ist hessenweit seit 17 Jahren die einzige niedrigschwellige Einrichtung für männliche Prostituierte.

Im Fokus unserer sozialpädagogischen Arbeit stehen die gesundheitsfördernden Maßnahmen sowie die existentiellen Überlebenshilfen. Zusätzlich bildete sich in den letzten Jahren als weiterer Arbeitsbereich die Gewaltprävention heraus, die einen immer wichtigeren Stellenwert hat.

Da es keine statische Erhebung gibt, gehen wir von einem Schätzwert aus, der bei ca.600% bis ca. 800% männlichen Prostituierten liegt. Somit sind über 30% Prozent aller Prostituierten in Frankfurt männlich. Davon betreuen wir jährlich über 370 Personen, dabei kommt es zu über 7.000 Kontakten.

Da unser mehrheitlich obdachloses Klientel keine professionell Erwerbstätigen sind, und auch infolgedessen wenig Geld verdienen, sprechen wir in diesem Bereich von Armutsprostitution.

Zurzeit gehen wir davon aus, dass unsere Klienten im Mittel etwa 300 Euro Geldeinnahmen pro Monat einnehmen. Das ist nicht viel, aber z.B. für einen bulgarischen Prostituierten ist es doppelt soviel, als ein Landwirt in seinem Heimatland monatlich erwirtschaften kann.

Zu den Überlebensstrategien unserer Klienten gehört es auch, dass sie bei Kunden, den Freiern, wohnen. Dies führt oft zu Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnissen.

Durch den wachsenden Anteil an hauptsächlich osteuropäischen Migranten in der mann-männlichen Prostitutionsszene hat sich unsere sozialpädagogische Arbeit in den letzten Jahren inhaltlich wie praktisch stark verändert.

Die desolate sozio-ökonomische Situation in ihren Heimatländern und ihr Randgruppenstatus veranlasst die Jugendlichen und Jungerwachsenen gen Westen auszureisen, um sich und die Familien daheim finanziell und materiell abzusichern. Alleine letztes Jahr haben mehr als 110 unserer Klienten mit dieser Tätigkeit ihre Kinder ernährt.

Die Entscheidung dieser Migranten für die Prostitution wird zumeist damit begründet, dass sie, so deren eigene Aussage, “nicht kriminell” werden wollen, womit sie Drogenhandel und organisierte Eigentumsdelikte meinen. Wir denken, dass dies auch ordnungs- und sicherheitspoliti-scher ein wichtiger Aspekt ist.

Schon in den Jahren zuvor war die prostitutive Tätigkeit unserer Klienten eine existentielle Überlebensstrategie. Sie war jedoch zugleich für viele Teil eines Coming-out-Prozesses, den wir durch unsere Bezieh-ungsarbeit begleiten und so unsere Klienten zu einer gefestigten homosexuellen Identität führen konnten.

Heute muss hingegen gesagt werden, dass die Mehrzahl unserer osteuropäischen Klienten keineswegs in solch einem Coming-out-Prozess stecken. Wir haben es hier also mit einer Form der Prostitution zu tun, die aus primär ökonomischen Gründen ausgeübt wird.

Die Thematik der sexuellen Identität und Orientierung bleibt unbenannt und ein daraus resultierender Coming-out-Prozess ist kaum zu beobachten. Um dies richtig zu verstehen, muss die besondere sozio-kulturelle Entwicklung in den osteuropäischen Herkunftsländern berück-sichtigt werden. Die Vorstellung unserer westlich europäischen Moderne wurde geprägt von der Aufklärung und nicht zuletzt auch von der 68er Bewegung.

Dieser Entwicklungsprozess ist in diesen Ländern gesellschaftlich nicht verinnerlicht worden.
Die Begrifflichkeiten der sexuellen Identität/Orientierung werden in Deutschland gedankenlos auf diese Prostituierten übertragen, während diese Jugendlichen und Jungerwachsenen im Alltag in auf uns archaisch wirkenden Männerrollen agieren und keine verinnerlichte Unterscheidung zwischen heterosexuell und homosexuell treffen können.
 
Die Identität wird über die Geschlechtszugehörigkeit, das Rollenverhalten und Rollenverständnis geprägt und über die sexuelle Identität und Orientierung. So haben wir es mit Jungen, jungen Männern und Männern zu tun, die in der Wissenschaftssprache „Sex mit Männern” haben (MSM). Diese Klienten treffen häufig nur aus erwerbsmäßigen Gründen eine transitorische gleichgeschlechtliche Partnerwahl.

Unsere Klienten treffen dann in der mann-männlichen Prostitutionsszene auf Kunden (Freier), die westlich sozialisiert sind, Unterscheidungen hinsichtlich der sexuellen Identität treffen und selbst entweder eine gefestigte oder ungeklärte sexuelle Identität besitzen.

Manche haben eine schwule Identität entwickelt mit oder ohne schwulen Lebensstil, andere hingegen leben, ohne den Prozess des Coming-out durchlaufen und verinnerlicht zu haben, in einer heterosexuellen Lebenswelt. Sie leben ihr Begehren oder ihre Homosexualität nur im Verborgenen, im Schutz der Prostitu-tionsszene aus. Es sind letztendlich Männer, die sich häufig für ihre Homosexualität bzw. für ihr homosexuelles Begehren schämen. Diese Männer werden dann von unserem Klientel ohne Unterscheidung und Reflexion für schwul gehalten und dafür verachtet, wie sie sich manchmal selbst für ihre eigene Homosexualität, ihr eigenes Begehren verachten.

Andere Freier hingegen definieren sich als schwul, finden aber keinen Platz in der schwulen Subkultur, weil sie nicht dem Mainstream (Aussehen und Alter) entsprechen oder weil sie sozialbenachteiligt, randständig oder sozial verwahrlost sind. Sie versuchen oft mit unseren Klienten eine Art von Beziehung, die auf Illusionen basiert, aufzubauen. Genau jene Männer sind es, die den obdachlosen Prostituierten eine Unterkunft in ihrer Wohnung anbieten.

Die sich hieraus entwickelnden Konflikte und Probleme lassen sich leicht erahnen. Die reale und gefühlte Abhängigkeit und Ausbeutung auf beiden Seiten, genährt durch die z.T. gegenseitige Entwertung und Verachtung sowie die mangelnden und nichteingehaltenen finanziellen Absprachen und Versprechen, führen zu Eskalationen, bis hin zu lebensbedrohlichen Auseinandersetzungen.

Aufgrund des chronischen Personalmangels ist die Freierarbeit ein von uns sporadisch genutzter Arbeitsbereich, der nur auf Anfrage abgedeckt werden kann. Mit unseren Maßnahmen, die sich gesundheits- und gewaltpräventiv auswirken, können wir aus den oben genannten Gründen Freier kaum erreichen. Dabei wäre die sozialpädagogische Arbeit mit Freiern von großer Bedeutung, wenn man etwa bedenkt, dass den Auskünften der Klienten zufolge die Nachfrage nach ungeschütztem Sexual-kontakt bei Freiern sehr hoch ist.

Mit unseren existentiellen Überlebenshilfen und im Bereich der Ge-waltprävention können wir Erfolge verzeichnen. Dies gilt nicht zuletzt auch für die Sensibilisierung unseres Klientels für die gesundheitlichen Risiken ihrer Tätigkeit.

Mit unserer sozialpädagogischen Arbeit beugen wir einem Abgleiten unseres Klientels in die organisierte Kriminalität vor und verhindern immer wieder erfolgreich gewalttätige Eskalationen. In einem aufflammenden Bandenkrieg zwischen bulgarischen Strichern konnten wir in Kooperation mit der Polizei erfolgversprechend intervenieren. Durch eine Mediation konnten verhindert werden, dass es zu weiteren Schwerverletzten, bzw. keine Tote zu beklagen waren.

Unsere inhaltliche Arbeit beschäftigt sich mit äußerst problematischen und komplexen Themenbereichen, die z.T. gesellschaftlich und subkulturell hoch tabuisiert sind. Da unsere sozialpädagogische Arbeit gleichzeitig immer auch politische Arbeit ist, sind wir bemüht, gesellschaftliche und subkulturelle Vorurteile, Stigmatisierungen und Tabus zu überwinden, damit die Betroffenen, die Stricher wie die Freier, zukünftig freier von Diskriminierungen und mit einer menschwürdigen Perspektive ihren Platz in unserer Gesellschaft finden.“

Vielen Dank liebe Karin, für die schelle Hilfe für diesen Artikel.
 
Aussprache
Die DiskussionsteilnehmerInnen diskutierten angeregt über die gehörten Referate. Michael Holy fragte den refernten Bali Saygili nach dem Wort „Livat“. Seiner Meinung nach handele es sich hier um Analverkehr, und das wohl in einer nicht entwürdigenden Weise. Bali antwortete mit vielen Worten auf alles, aber nicht auf das Gefragte. Holy und Bachmann fragten noch einmal nach, denn wenn es sich um eine gängig Praxis in islamischen Ländern handele, wäre die eine weitere Erklärung für die Aggressivität gegenüber der offenen Homosexualität.

In der Aussprache wurden auch Fragen der Beratung und der unduld-samkeit in der Lesben- und der Schwulenszene gegenüber Moslems besprochen, was nicht immer seine Ursache in sogenannter Fremdenfeindlichkeit habe, sondern mit dem Umgang von Muslimen mit homosexuellen Menschen.

Joachim (ROSA LÜSTE Wiesbaden) meinte: Als 68er Fossil kenne ich noch die Zeit, in der sich schwule Männer verstecken mussten und staatlich verfolgt wurden sowie in den Medien, in der Bevölkerung und religiös diskriminiert wurde. Wir hatten viel zu tun und schrittweise konnten wir Besserungen erreichen, indem wir uns um die Gesetze nicht mehr kümmerten und einfach lebten, was vor dem Hintergrund der 68er Bewegung möglich wurde.

Die ganze verdammte Ochsentour hat über viele Ecken dazu geführt, dass wir nicht mehr staatlich verfolgt werden und dass sogar in der CDU und in den Kirchen sich nun Menschen trauen, sich als Homosexuelle erkennen zu geben.

Nun erfahre ich, dass es im Hamburger Stadtteil St. Georg ca. 100 Lokale für Lesben und Schwule gibt, und eine Moschee. Und der Gesprächskreis dieses Viertels wurde von dem Imam dort verlassen, er wolle sich nicht von homosexuellen Funktionären auf der Nase rumtanzen lassen. Nun werden offen erkennbare homosexuelle Menschen m Umkreis diese Moschee bedrängt, mit dem Argument, das beleidige den Islam.

Wir haben solche Dinge lange ignoriert, nicht zur Kenntnis genommen, und nun stellt sich wohl heraus, das wir diese ganze verdammte Ochsentour noch einmal machen müssen, dass wir uns nicht glücklich über das Erreichte zurücklehnen kommen. Und das vor einem völlig andere Hintergrund als die damaligen 68er“.

Der Nachbar von Joachim vom FVV sagte daraufhin: „40 % der Jugend in Berlin haben Migrationshintergrund. Und es wird immer weiter und immer wieder Veränderungen geben, denn die Bevölkerung in einem Einwanderungsland wie Deutschland verändert sich ständig. Es gibt keine Alternative zur immer neuen Ochsentour, wir müssen mit unseren emanzipatorischen Themen immer wieder neu wirksam werden.“

Das ist es wohl. Demokratische Freiräume müssen immer verteidigt oder immer wieder erkämpft erden. Und das nicht nur für uns, sondern auchfür die Nachwachsenden und hier herkommenden Menschen. Und das ist die Lehre, die uns auf dieser Veranstaltung erteilt wurde. (js/rs)
 
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