- 93. Print-Ausgabe, Winter 07/08
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- Homsexualität und Migration
Am 28.09. fand im hessischen Sozialministerium der Runde Tisch
der hessischen Lesben- und Schwulengruppen statt. Er hatte das
oben im Titel stehende Schwerpunktthema.
- Die Integration homosexueller MigrantInnen
Dieser o.a. Titel war die Fragestellung, unter der wir (Renate
und Joachim) interessiert diese Veranstaltung besuchten, denn
die homosexuellen Menschen aus anderen Kulturkreisen haben es
ja mehrfach schwer, ihr coming-out in das in Deutschland vorzufindende
Lesben- bzw. Schwulenleben in zu schaffen.
Einerseits erleben sie durch deutschstämmige Deutsche in
der Gesellschaft wie zum Teil auch in der Lesben- und Schwulenszene
Vorbehalte bis hin zur Ausgrenzung, weil z. B. jeder Türke
als Vertreter aller Türken angesehen wird. Andererseits
ist das traditionelle Verhalten der Imi-grantInnenfamilie auch
nicht gerade hilfreich, wenn eine Frau oder ein Mann, oft schon
als Jugendliche(r) seine Homosexualität an sich selber wahrnimmt.
Ist er oder sie jugendlich, sind noch die besonderen Probleme
einer immer weiter rechts orientierten und extrem homophoben
Jugendkultur zu berücksichtigen (sowohl deutsch-nationalistisch
als auch religions-fundamentalistisch), die homosexuelle Jugendliche
nicht nur nicht auffängt, sondern eher bedroht und verfolgt,
wie aus den Texten des in der Jugendkultur hoch angesehen türkischstämmigen
Rappers Bushido überdeutlich hervorgeht.
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- Hinzu kommen noch die üblichen Probleme,
die in der Lesben- und Schwulenszene existieren (Jugendkult und
Altersdiskriminierung), die Reibungen innerhalb unserer Szene,
die Reibung zwischen Szene und einer immer unpolitischer werdenden
Bewegung sowie die Reibung zwischen der Szene an sich und der
Gesellschaft an sich.
Wohin sollen also die lesbischen und schwule ImigrantInnen integriert
werden? Selbstverständlich ins lesbische und schwule Leben
in Deutschland, wie es sich eben zeigt, denn jede(r) in Deutschland
lebende Lesbe und Schwule macht ja das lesbische und schwule
Leben in unserem Land aus.
In unserer Gruppe kommen manchmal auch Töne auf, in denen
besonders der Islam als Gefahr für erreichte Freiheiten
angesehen wird.
Aber in der Realität sind in so manchen Großstädten
große Teile der Bevölkerung Menschen mit Migra-tionshintergrund.
In der Jugendszene steigt die Anzahl der Jugendlichen mit Migrationshintergrund
an, man kann mit Parolen wie Moslems raus nur Befremden
auslösen. Die Bevölkerung setzt sich eben so zusammen.
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- Der Runde Tisch

Zuerst begrüßte Ulrich Bachmann den Runden Tisch im
Auftrag des hessischen Sozialministeriums. Diese Einrichtung,
die es in gleicher oder ähnlicher Form auch in anderen Bundesländern
gibt, ist seinerzeit von der rotgrünen Regierung in Hessen
eingerichtet worden, und seit der umstrittenen ausländerfeindlichen
Kampagne, mit der Koch die Wahl für die CDU gewonnen hat,
existiert er weiter, er wurde also nicht von der erst CDU/FDP-
Regierung, später der alleinigen CDU-Regierung in Hessen
wieder eingestellt.
Inwieweit in der christlich-konservativen Partei ein Umdenken
stattfindet oder stattgefunden hat, lässt sich nicht daran
festmachen. Es scheint aber so zu sein, dass Lesben und Schwule,
die es natürlich schon immer in allen Parteien gab, sich
ermutigt fühlen, sich in dieser Partei zu outen.
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- Eine wirkliche saubere Lösung für
die Union wäre es, das ist die Meinung unserer Gruppe, wenn
sich die Union öffentlich von ihrer früheren Politik
distanziert und sich bei den Opfern ihrer Politik, vor allem
den 175ern entschuldigt. Immerhin wurde die CDU lange von vielen
Schwulen als der Todfeind empfunden, dem sie Diskrimnierung und
die Vernichtung ihrer bürgerlichen Existenz verdanken, weil
durch die antihommosexuelle Demagogie und das Festhalten an der
von den Nazis verschärften § 175 StGB nicht nur permanente
Menschenrechtsverletzungen geschahen, sondern auch sehr viel
persönliches Leid erzeugt wurde.
Das Argument, das würde die konservative Partei CDU nicht
verkraften, ist nicht gut, denn es wedeln ja smarte homosexuelle
Menschen mit dem Parteiwerbung für die CDU in der Szene
herum.

Nicht nur MigratInnen sind ein Problem für die Menschen
unserer Szene, sondern eben auch Menschen mit deutschstämmigen
Hintergrund, darunter eben ach Menschen, mit religiös-konservativer
Gesinnung, die sich durch die Union vertreten fühlen wollen.
Dann führte Michael Holy ins Thema mit einem Kurzreferat
ein. Er verstand das Thema auch als ein Thema, in dem es um die
Integration von lesbischen und schwulen Mi-grantInne geht. Und
er sprach verschiedene Themenbereiche an: Binationale Paare und
postkoloniale Einstellungen u.a. auch in Partnerschaften, Stricher,
Integration in vorhandene Gruppen oder in eigene neue Gruppen,
welche Forderungen an das Land und die Institution Runder Tisch
sich daraus ergeben.
Die Runde der GruppenvertreterInnen stellte sich mit ein paar
Worten je Gruppe vor.
Es folgten 3 vorbereitete Referate und eine Schlussdis-kussion.
Als sich ein Referent in einer saloppen Formulierung altersdiskrimi-nierned
äußerte, fragte Joachim, was denn gegen ältere
Lesben und schwule zu sagen wäre, dies brach Holy mit der
Bemerkung ab, dass man hier nicht ein neues Thema aufmachen müsse.
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- Problme von Lesben aus MigrantInnenfamilien
Zu diesem Thema sprach Saidah Saadat, Leiterin von LesMigraS.
Im Internet http://www.lesmigras.de. In dem Lesbenprojekt, sind
die meisten Ratsuchenden deutsche Lesben mit Gewalterfahrung.
Da es in Deutschland ganz unterschiedliche Migran-tInnengruppen
mit verschiedenen kulturellen Hintergründen gibt, beschränkte
sich die Referentin (die selber einen arabischen kulturellen
Hintergrund hat) auf die größte Gruppe von MigrantInnen,
nämlich die aus der Türkei stammenden Lesben.

Um einen Einblick in die besondere Problematik von Lesben aus
Mi-grantInnenfamilien geben zu können, benutzte sie zwei
Protokolle aus Beratungen, die Stattgefunden haben, allerdings
ohne Namensnennung.
Die erste Ratsuchen ist eine 21jährige türkischstämmige
Frau, die sich, selber verurteilt, weil sie noch immer keinen
Mann hatte. Der Druck ihrer Eltern bezüglich Heirat brachte
sie dazu, auszuziehen und jetzt mit ihrer Freundin zusammen zu
leben. Sie hat aber nun Schuldgefühle gegenüber ihren
Eltern und ihre Familie, bezeichnet die Eltern als Engel und
hat ihnen gegenüber ein Gefühl von Verrat und denkt
daran, sich möglicherweise zu zwingen, etwas zu tun, was
sie nicht wirklich tun würde. Sie ist in einem Dilemma und
kann mit dem Vorschlag einer deutschen Beraterin, sich einfach
von den Eltern abzunabeln, nicht wirklichetwas anfangen, weil
diese nicht verstehen kann, welche Bedeutung die Familie für
sie hat.
Die zweite Ratsuchende war die Mutter einer türkischen Lesbe.
Sie liebt ihre Tochter über alles und möchte sie deshalb
besser verstehen. Da ihr Mann häufig abwesend war und sie
auch geschlagen habe, befürchtet sie, dass die Homosexualität
ihrer Tochter eine Reaktion darauf sein könnte. Sie denkt
darüber nach, ihren Mann zu verlassen und mit ihrer Tochter
zusammen zu ziehen, aber weiß nicht, wie das gehen soll,
denn, z.B. wer repariert dann die elektrischen Haushaltsgeräte?
Sie ist in Sorge um den Bestand der Familie und weiß nicht,
wie die Familie reagieren würde, und fragt sich, ob es nicht
besser sei, mit der Familie zu leben und dass die Tochter das
Lesbischsein heimlich ausleben solle. Sie könnte ihren Mann
verlassen, weil sie nicht glücklich mit ihm war und auch
nicht in ihn verliebt, denn sie sei mit ihm verheiratet worden.
Aus diesen Beispiel ergibt sich die besondere Bedeutung der Familie
(übersetzt: der Herkunftsfamilie) und die kulturelle Community
für die MigrantInnen. Sie können nicht einfach die
Familie verlassen, weil sie sich das selbst nicht vorstellen
können, weil dort die Menschen sind, die sie lieben und
denen sie vertrauen und mit denen sie schon immer zusammen gelebt
haben. Hinzu kommt die religiöse und kulturelle Bindung
innerhalb der Familie und der Community. Und schließlich
kann die Lesben- und Schwulenszene dafür keinen Ersatz anbieten.
Die Familie und die Community schützen vor Rassismus und
bieten ein kulturelles und reales zuhause. Die MigrantInnen können
sich nicht vorstellen, die Familie zu verlassen. Sie haben einen
anderen Hintergrund als Deutsche Lesben die ihre Identität
oft aus der Kritik an der Familie beziehen. Sie haben nur in
der Familie einen Namen und diese ihre Persönlichkeit.

Lesben werden aber auch in der eigenen Community mit Verurteilungen
konfrontiert. Der Islam lehne Homosexualität ab, weil Gott
den Mann und die Frau anders geschaffen habe, und daher ist das
so richtig. Man beruft sich auf den Islam, um eigene Werte und
Interessen zu schützen, Die türkischen Frauen seien
reiner., und macht die westlichen Werte für alles verantwortlich,
was ihnen zuwider läuft.
Die Gender-Diskussion deutscher Lesben und die Diskussion alternativer
Rollen werden in der Community und in der Familie nicht unterstützt.
Selbst wenn ich mich entscheide, die Familie zu verlassen: Wo
gehe ich hin, wo meine Familie mich nicht sieht?
Die Strategie vieler Lesben ist daher, jahrelang in vielen kleinen
Schritten zu versuchen, die Strukturen der Familien zu verändern,
was einer Art Kulturrevolution gleichkommt.
Dies wäre eigentlich die Aufgabe der Politik. Es müsste
versucht werden, einflussreiche Leute in der türkischen
Community zu bewegen, diese Kulturveränderung schrittweise
zu untestützen, doch dieses wird in der politischen Öffentlichkeit
nicht so gesehen. Stattdessen müsse man sich zusätzlich
mit der Dominanz und dem Dünkel der Mehrheitsgesellschaft
sowie mit Angriffen seitens Teilen der Community auseinandersetzen.

Die Referentin hat auch zwei Broschüren aus einer ganzen
Reihe mitgebracht, die in deutscher Sprache und in der Sprache
der Herkunftsgesellschaft verfasst sind:
- Russische Lesben in Deutschland
- Stimmen arabischer Lesben
- Zeichen setzen (Stimmen türkischer Lesben in Deutschland
und Europa) usw.
contact: Saideh Saadat c /o Lesbenberatung, Kulmer Str.20a
D-10783 Berlin
00 49 30 219 150 90
Schwule Migranten
Bali Saygili ist Projektleiter von MILES, Zentrum für Migranten,
Lesben und Schwule (Berlin). Das Zentrum ist so http://www.miles.lsvd.de
im Internet zu finden.
Der Referent meinte, es könne keine Experten geben, denn
in Deutland leben sehr viele lesbische und schwule Migranten.
Innerhalb der Mehrheitsgesellschaft sei die Diskriminierung der
Jugendlichen mit Migrationshintergrund in zwei Bereichen von
Diskriminierungen betroffen, als Ausländer und als Schwule.
Bei Versuchen, mit den Verbänden von Migranten ins Gespräch
zu kommen, doch diese Gespräche blieben auf der Vorstandsebene.
Und Aufklärung innerhalb der Verbände sei nach
Angaben der Vorstände nicht
möglich, weil dann die Mitglieder davonlaufen würden.
Die schwulen Beratungsstellen der 80er und 90er Jahre hatten
keine kulturspezivische Beratung, sie hatten sich auf Jugendliche
der Mehrheitsgesellschaft spezialisiert.
Bei den Beratungen gehe es um Individualität und familiären
Kontakt. Er sage den Jugendlichen immer, erst die wirtschaftliche
Unabhängigkeit zu erreichen und dann erst die Eltern beziehungsweise
die Familie einzuweihen.
Man versuche trotz der Probleme, über Gesundheits- und Genderfragen
an Verbände und Familien der Com-munities zu kommen, also
über Männlichkeit und Weiblichkeit, da in den Familien
nicht über Sexualität und schon gar nicht über
Homosexualität geredet werde.
Über die Probleme in der Community hinaus käme noch
hinzu, dass in den Moscheen aus dem Ausland kommende Imame da
Sagen hätten. Die weder die Sprache noch die kulturellen
Zusammenhänge der Mehr-heitsgesellschaft sehen (wollen).
Die Moscheen könnten die Jugendlichen mit Komputerkursen
usw. erreichen. Soweit ungefähr das Referat.
Uns ist aufgefallen, dass er nur von schwulen Migranten sprach
und von den homosexuellen Männern nur den Jugendlichen.
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- Stricher mit Migrations-Hintergrund
Karin Fink sprach vom KISS über Stricher mit Migrationshintergrund.
http://www.frankfurt-aidshilfe.de/Die KrisenInterventionsStelle
für Stricher (KISS), ist ein Projekt der AIDS-Hilfe Frankfurt
e.V., gegründet 1990, ist hessenweit seit 17 Jahren die
einzige niedrigschwellige Einrichtung für männliche
Prostituierte.
Im Fokus unserer sozialpädagogischen Arbeit stehen die gesundheitsfördernden
Maßnahmen sowie die existentiellen Überlebenshilfen.
Zusätzlich bildete sich in den letzten Jahren als weiterer
Arbeitsbereich die Gewaltprävention heraus, die einen immer
wichtigeren Stellenwert hat.

Da es keine statische Erhebung gibt, gehen wir von einem Schätzwert
aus, der bei ca.600% bis ca. 800% männlichen Prostituierten
liegt. Somit sind über 30% Prozent aller Prostituierten
in Frankfurt männlich. Davon betreuen wir jährlich
über 370 Personen, dabei kommt es zu über 7.000 Kontakten.
Da unser mehrheitlich obdachloses Klientel keine professionell
Erwerbstätigen sind, und auch infolgedessen wenig Geld verdienen,
sprechen wir in diesem Bereich von Armutsprostitution.
Zurzeit gehen wir davon aus, dass unsere Klienten im Mittel etwa
300 Euro Geldeinnahmen pro Monat einnehmen. Das ist nicht viel,
aber z.B. für einen bulgarischen Prostituierten ist es doppelt
soviel, als ein Landwirt in seinem Heimatland monatlich erwirtschaften
kann.
Zu den Überlebensstrategien unserer Klienten gehört
es auch, dass sie bei Kunden, den Freiern, wohnen. Dies führt
oft zu Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnissen.
Durch den wachsenden Anteil an hauptsächlich osteuropäischen
Migranten in der mann-männlichen Prostitutionsszene hat
sich unsere sozialpädagogische Arbeit in den letzten Jahren
inhaltlich wie praktisch stark verändert.
Die desolate sozio-ökonomische Situation in ihren Heimatländern
und ihr Randgruppenstatus veranlasst die Jugendlichen und Jungerwachsenen
gen Westen auszureisen, um sich und die Familien daheim finanziell
und materiell abzusichern. Alleine letztes Jahr haben mehr als
110 unserer Klienten mit dieser Tätigkeit ihre Kinder ernährt.
Die Entscheidung dieser Migranten für die Prostitution wird
zumeist damit begründet, dass sie, so deren eigene Aussage,
nicht kriminell werden wollen, womit sie Drogenhandel
und organisierte Eigentumsdelikte meinen. Wir denken, dass dies
auch ordnungs- und sicherheitspoliti-scher ein wichtiger Aspekt
ist.
Schon in den Jahren zuvor war die prostitutive Tätigkeit
unserer Klienten eine existentielle Überlebensstrategie.
Sie war jedoch zugleich für viele Teil eines Coming-out-Prozesses,
den wir durch unsere Bezieh-ungsarbeit begleiten und so unsere
Klienten zu einer gefestigten homosexuellen Identität führen
konnten.
Heute muss hingegen gesagt werden, dass die Mehrzahl unserer
osteuropäischen Klienten keineswegs in solch einem Coming-out-Prozess
stecken. Wir haben es hier also mit einer Form der Prostitution
zu tun, die aus primär ökonomischen Gründen ausgeübt
wird.
Die Thematik der sexuellen Identität und Orientierung bleibt
unbenannt und ein daraus resultierender Coming-out-Prozess ist
kaum zu beobachten. Um dies richtig zu verstehen, muss die besondere
sozio-kulturelle Entwicklung in den osteuropäischen Herkunftsländern
berück-sichtigt werden. Die Vorstellung unserer westlich
europäischen Moderne wurde geprägt von der Aufklärung
und nicht zuletzt auch von der 68er Bewegung.
Dieser Entwicklungsprozess ist in diesen Ländern gesellschaftlich
nicht verinnerlicht worden.
Die Begrifflichkeiten der sexuellen Identität/Orientierung
werden in Deutschland gedankenlos auf diese Prostituierten übertragen,
während diese Jugendlichen und Jungerwachsenen im Alltag
in auf uns archaisch wirkenden Männerrollen agieren und
keine verinnerlichte Unterscheidung zwischen heterosexuell und
homosexuell treffen können.
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- Die Identität wird über die Geschlechtszugehörigkeit,
das Rollenverhalten und Rollenverständnis geprägt und
über die sexuelle Identität und Orientierung. So haben
wir es mit Jungen, jungen Männern und Männern zu tun,
die in der Wissenschaftssprache Sex mit Männern
haben (MSM). Diese Klienten treffen häufig nur aus erwerbsmäßigen
Gründen eine transitorische gleichgeschlechtliche Partnerwahl.
Unsere Klienten treffen dann in der mann-männlichen Prostitutionsszene
auf Kunden (Freier), die westlich sozialisiert sind, Unterscheidungen
hinsichtlich der sexuellen Identität treffen und selbst
entweder eine gefestigte oder ungeklärte sexuelle Identität
besitzen.
Manche haben eine schwule Identität entwickelt mit oder
ohne schwulen Lebensstil, andere hingegen leben, ohne den Prozess
des Coming-out durchlaufen und verinnerlicht zu haben, in einer
heterosexuellen Lebenswelt. Sie leben ihr Begehren oder ihre
Homosexualität nur im Verborgenen, im Schutz der Prostitu-tionsszene
aus. Es sind letztendlich Männer, die sich häufig für
ihre Homosexualität bzw. für ihr homosexuelles Begehren
schämen. Diese Männer werden dann von unserem Klientel
ohne Unterscheidung und Reflexion für schwul gehalten und
dafür verachtet, wie sie sich manchmal selbst für ihre
eigene Homosexualität, ihr eigenes Begehren verachten.
Andere Freier hingegen definieren sich als schwul, finden aber
keinen Platz in der schwulen Subkultur, weil sie nicht dem Mainstream
(Aussehen und Alter) entsprechen oder weil sie sozialbenachteiligt,
randständig oder sozial verwahrlost sind. Sie versuchen
oft mit unseren Klienten eine Art von Beziehung, die auf Illusionen
basiert, aufzubauen. Genau jene Männer sind es, die den
obdachlosen Prostituierten eine Unterkunft in ihrer Wohnung anbieten.
Die sich hieraus entwickelnden Konflikte und Probleme lassen
sich leicht erahnen. Die reale und gefühlte Abhängigkeit
und Ausbeutung auf beiden Seiten, genährt durch die z.T.
gegenseitige Entwertung und Verachtung sowie die mangelnden und
nichteingehaltenen finanziellen Absprachen und Versprechen, führen
zu Eskalationen, bis hin zu lebensbedrohlichen Auseinandersetzungen.
Aufgrund des chronischen Personalmangels ist die Freierarbeit
ein von uns sporadisch genutzter Arbeitsbereich, der nur auf
Anfrage abgedeckt werden kann. Mit unseren Maßnahmen, die
sich gesundheits- und gewaltpräventiv auswirken, können
wir aus den oben genannten Gründen Freier kaum erreichen.
Dabei wäre die sozialpädagogische Arbeit mit Freiern
von großer Bedeutung, wenn man etwa bedenkt, dass den Auskünften
der Klienten zufolge die Nachfrage nach ungeschütztem Sexual-kontakt
bei Freiern sehr hoch ist.
Mit unseren existentiellen Überlebenshilfen und im Bereich
der Ge-waltprävention können wir Erfolge verzeichnen.
Dies gilt nicht zuletzt auch für die Sensibilisierung unseres
Klientels für die gesundheitlichen Risiken ihrer Tätigkeit.
Mit unserer sozialpädagogischen Arbeit beugen wir einem
Abgleiten unseres Klientels in die organisierte Kriminalität
vor und verhindern immer wieder erfolgreich gewalttätige
Eskalationen. In einem aufflammenden Bandenkrieg zwischen bulgarischen
Strichern konnten wir in Kooperation mit der Polizei erfolgversprechend
intervenieren. Durch eine Mediation konnten verhindert werden,
dass es zu weiteren Schwerverletzten, bzw. keine Tote zu beklagen
waren.
Unsere inhaltliche Arbeit beschäftigt sich mit äußerst
problematischen und komplexen Themenbereichen, die z.T. gesellschaftlich
und subkulturell hoch tabuisiert sind. Da unsere sozialpädagogische
Arbeit gleichzeitig immer auch politische Arbeit ist, sind wir
bemüht, gesellschaftliche und subkulturelle Vorurteile,
Stigmatisierungen und Tabus zu überwinden, damit die Betroffenen,
die Stricher wie die Freier, zukünftig freier von Diskriminierungen
und mit einer menschwürdigen Perspektive ihren Platz in
unserer Gesellschaft finden.
Vielen Dank liebe Karin, für die schelle Hilfe für
diesen Artikel.
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- Aussprache
Die DiskussionsteilnehmerInnen diskutierten angeregt über
die gehörten Referate. Michael Holy fragte den refernten
Bali Saygili nach dem Wort Livat. Seiner Meinung
nach handele es sich hier um Analverkehr, und das wohl in einer
nicht entwürdigenden Weise. Bali antwortete mit vielen Worten
auf alles, aber nicht auf das Gefragte. Holy und Bachmann fragten
noch einmal nach, denn wenn es sich um eine gängig Praxis
in islamischen Ländern handele, wäre die eine weitere
Erklärung für die Aggressivität gegenüber
der offenen Homosexualität.
In der Aussprache wurden auch Fragen der Beratung und der unduld-samkeit
in der Lesben- und der Schwulenszene gegenüber Moslems besprochen,
was nicht immer seine Ursache in sogenannter Fremdenfeindlichkeit
habe, sondern mit dem Umgang von Muslimen mit homosexuellen Menschen.
Joachim (ROSA LÜSTE Wiesbaden) meinte: Als 68er Fossil kenne
ich noch die Zeit, in der sich schwule Männer verstecken
mussten und staatlich verfolgt wurden sowie in den Medien, in
der Bevölkerung und religiös diskriminiert wurde. Wir
hatten viel zu tun und schrittweise konnten wir Besserungen erreichen,
indem wir uns um die Gesetze nicht mehr kümmerten und einfach
lebten, was vor dem Hintergrund der 68er Bewegung möglich
wurde.
Die ganze verdammte Ochsentour hat über viele Ecken dazu
geführt, dass wir nicht mehr staatlich verfolgt werden und
dass sogar in der CDU und in den Kirchen sich nun Menschen trauen,
sich als Homosexuelle erkennen zu geben.
Nun erfahre ich, dass es im Hamburger Stadtteil St. Georg ca.
100 Lokale für Lesben und Schwule gibt, und eine Moschee.
Und der Gesprächskreis dieses Viertels wurde von dem Imam
dort verlassen, er wolle sich nicht von homosexuellen Funktionären
auf der Nase rumtanzen lassen. Nun werden offen erkennbare homosexuelle
Menschen m Umkreis diese Moschee bedrängt, mit dem Argument,
das beleidige den Islam.

Wir haben solche Dinge lange ignoriert, nicht zur Kenntnis genommen,
und nun stellt sich wohl heraus, das wir diese ganze verdammte
Ochsentour noch einmal machen müssen, dass wir uns nicht
glücklich über das Erreichte zurücklehnen kommen.
Und das vor einem völlig andere Hintergrund als die damaligen
68er.
Der Nachbar von Joachim vom FVV sagte daraufhin: 40 % der
Jugend in Berlin haben Migrationshintergrund. Und es wird immer
weiter und immer wieder Veränderungen geben, denn die Bevölkerung
in einem Einwanderungsland wie Deutschland verändert sich
ständig. Es gibt keine Alternative zur immer neuen Ochsentour,
wir müssen mit unseren emanzipatorischen Themen immer wieder
neu wirksam werden.
Das ist es wohl. Demokratische Freiräume müssen immer
verteidigt oder immer wieder erkämpft erden. Und das nicht
nur für uns, sondern auchfür die Nachwachsenden und
hier herkommenden Menschen. Und das ist die Lehre, die uns auf
dieser Veranstaltung erteilt wurde. (js/rs)
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