93. Print-Ausgabe, Winter 07/08
 
Das 3. hessische Sozialforum
... traf sich in Hinblick auf die anstehenden Landtagswahlen am Samstag, 24.11. in Wiesbaden. Weder ein Vertreter des hessischen Landesregierung (CDU) noch der Wiesbadener Oberbürgermeister Müller (CDU) fanden Zeit, dieses wichtige Gremium in Wiesbaden willkommen zu heißen.
In seiner Begrüßungsansprache meinte Dr. Franz Segbert, der Sprecher des hessischen Bündnis soziale Gerechtigkeit, folgendes:

„Die Politik der Landesregierung, die Hessen zum Vorreiter eines neoliberalen Sozialstaatsmodells gemacht hat, fördert diese Entwicklung. Die Hessische Landesregierung privatisiert Krankenhäuser und andere öffentliche Einrichtungen der Grundversorgung. In der Bildungspolitik betreibt sie soziale Auslese durch Studiengebühren und Festhalten am dreigliedrigen Schulsystem. Der Bildungsnotstand wird durch die Beschäftigung nicht ausgebildeter Lehrkräfte verschärft. Sie hat weiter Geld für soziale Beratungsstellen gestrichen.
 
Der Flughafenausbau in Frankfurt und Kassel sowie das Ende der Förderung erneuerbarer
Energien zeigen, dass die Landesregierung an der Umweltzerstörung beteiligt bleibt.
Für Erfolge im gemeinsamen Handeln für eine andere Politik sind die sozialen Bündnisse nd Sozialforen immer wichtiger geworden. Wir verstehen unser Hessisches Sozialforum als eil der deutschen und weltweiten Sozialforumsbewegung. Diese wurde im Jahr 2000 im rasilianischen Porto Alegre gegründet und vereint Menschen aus allen sozialen Schichten nd unterschiedlicher politischer oder religiöser Gesinnung im gemeinsamen Dialog.

Das 3. Hessische Sozialforum steht unter dem Motto: Ein besseres Hessen ist möglich – emokratisch, sozial, ökologisch. Das Ziel ist eine Bündelung unserer Kräfte, um wirkungsvoll n die Auseinandersetzungen um eine zukunftsfähige Politik eingreifen zu können. oland Koch macht Hessen zum Vorreiter eines neoliberalen Staates. Das Motto "Hessen vorn”, das jahrelang für sozialen Fortschritt, Bildungsreform, Abbau von sozialen Schieflagen sand, verkehrt die jetzige Landesregierung in das Gegenteil. Hessen ist wieder vorn wenn es darum geht, gleiche Bildungschancen für alle abzubauen, Krankenhäuser genauso zu privatisieren wie Gefängnisse.
Das zeigt: Ein anderes Hessen ist nötig. Sozialforen sind nicht nur Widerstandsorte. Unser Sozialforum soll ein Forum sein, wo wir uns gegenseitig stärken.“

Es waren auch viele Infostände vorhanden, die zu Gesprächen Anlass gaben.
Joachim begrüßte im Auftrag des Wiesbadener Sozialforums die Teil-nehmerInnen:
VertreterInnen von Gewerkschaften und gewerkschaftlichen Sozialträgern wie AWO, der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband, von kirchlichen Sozialträgern wie Caritas und Diakonisches Werk, VertreterInnen von zahlreichen Sozialverbänden, sozialpolitisch und kulturpolitisch tätige Organisationen und Verbände usw. Es sind dies solche Organisationen, die von den Kürzungen der Mittel durch die Landesregierung betroffen sind und dadurch daran gehindert sind, ihre Aufgaben für die Mitmenschen wahrzunehmen.
 
Hier wurde von Solid Marburg auch ein Buch vorgestellt:
Hessen hinten!
Sieben Jahre hessische CDU an der Macht - eine Bilanz. Seit nunmehr sieben Jahren regiert die CDU unter der Führung Kochs im ehemals ›sozialdemokratischen Musterland‹ Hessen.
Ein Band von der Marburger Uni in der Reihe „Forum Wissenschaft Studien“ Bd 55 im BdWi-Verlag. Hierin wird auf 176 Seiten eine kritische Bilanz von Kochs Regierungszeit in Hessen gezogen. ISBN: 978-3-939864-04-2

Mit Hilfe einer rassistischen Kampagne gegen die „Doppelte Staatsbürgerschaft“ ins Amt gekommen, versteht sich die hessische Landesregierung als Vorreiterin eines neoliberalen Umbaus der Gesellschaft: Kernprojekte auf landespolitischer Ebene waren und sind dabei zum einen die Sanierung des Haushalts auf dem Rücken von sozial schwächer gestellten Menschen im Rahmen der sog. „Operation Sichere Zukunft“, und zum anderen die Umstrukturierung der Hochschulen, u.|a. durch die Einführung von allgemeinen Studiengebühren. Mit der Fusion und anschließenden Privatisierung der Universitätsklinika Gießen und Marburg sowie der ersten Teilprivat-isierung des Gefängnisses in Hünfeld setzte die hessische Landesregierung beim Ausverkauf von öffentlicher Infrastruktur bundes- wie europaweit Maßstäbe.
Der vorliegende Sammelband untersucht die hessische Landespolitik auf drei verschiedenen Ebenen.

Der Zusammenhang mit der großen Politik wurde durch einen Film über das Weltsozialforum in Nairobi hergestellt, die Verbindung zur Lokalpolitik durch die Rede von Joachim (ROSA LÜSTE):
 
 3. Hessisches Sozialforum am 24.11. in Wiesbaden
Begrüßungsrede von Joachim Schönert, Sozialforum Wiesbaden
 
Liebe Freundinnen und Freunde,
im Auftrag des Wiesbadener Sozialforums begrüße ich Euch zum 3. Hessischen Sozialforum in Wiesbaden.
Das Thema “Ein besseres Hessen ist möglich, demokratisch, sozial, ökologisch” interessiert ein lokales Sozialforum über die Fragen hinaus, die die reine hessische Landespolitik betreffen.
 
Denn für den Betrieb und die Finanzierung lokaler Einrichtungen sind eine Reihe von Landesgesetzen von ebenso ausschlaggebender Bedeutung wie die erfolgenden oder ausbleibenden Landeszuschüsse an soziale und kulturelle und Bildungseinrichtungen bei deren Finanzierungen ihrer Aufgaben und Projekte.
Gestattet mir, dass ich unser lokales Wiesbadener Sozialforum hier kurz vorstelle: Das Wiesbadener Sozialforum ist ein Netzwerk gegen Sozial- und Kulturabbau und gegen die Privatisierung öffentlicher Aufgaben.
 
“Der „Roland-Koch-Plan“ zur Sanierung des hessischen Landeshaushalts folgt demselben Umverteilungsmuster (wie die Bundespolitik der Agenda 2010, den Hartz IV-Gesetzen und den 1-Euro-Jobs): Reiche werden geschont, Lohnabhängige, Arme, Kranke, sowie Sozial-, Kultur- und Bildungseinrichtungen noch weiter belastet. (...).

Mit dem Abbau von Sozialleistungen, mit Arbeitszeitverlängerungen und Lohnabbau werden die strukturellen Probleme der sozialen Sicherungssysteme und der Staatsverschuldung jedoch nicht gelöst. Im Gegenteil: Indem man die notwendigen Mittel nicht bei Reichen sondern Geringverdienenden holt, werden öffentliche Haushalte und Massenkaufkraft geschwächt und die gesamtwirtschaftlichen Probleme verschärfen sich noch.
 
Auf kommunaler Ebene werden in Wiesbaden Mittel für Elterninitiativen und Kindergärten gekürzt, Verkauf oder Schließung von Schwimmbädern diskutiert und die Privatisierung ganzer Ämter (z.B. Grünflächenamt) erwogen.
Zur gleichen Zeit werden Millionen für unsinnige Bau-, Marketing-, Gewerbeparkprojekte und Repräsentationen verschleudert.“ (Soweit aus unserer Plattform)
 
Derzeit arbeiten wir verstärkt an den Problemen, die sich bei den 1-Euro-Jobs aus der speziellen Situation einer Optionsgemeinde ergeben. Dazu haben wir schon einige Veranstaltungen durchgeführt, die jüngste am 8. 11. mit Dr. Brühl: „Hartz-IV, Verelendung durch Gesetz!?“. Hier ging es auch um solche Fragen, wie: „Betrügt die Stadt Wiesbaden Hartz-IV-Empfänger?“, “Wie werden die Gesetzesspielräume zu Nachteil der Empfänger eingesetzt?“ und “Wie wehrt man sich gegen Behördenschikanen?“
 
Zu dieser Veranstaltung kamen mehr als 200 interessierte Wiesbadener und Wiesbadrnerinnen. Aber wir haben auch in Wiesbaden Montagsdemonstrationen durchgeführt, bestreiben einen Infostand, den Ihr hier hinten im Saal besichtigen könnt, außerdem hatten wir Veranstaltungen zur Rentenreform und zur Gesundheitsreform durchgeführt sowie zu den Möglichkeiten eines politischen Streiks.
 
Ihr könnt Euch vorstellen, dass uns dieses hessische Sozialforum verstärkt interessiert und so hoffen wir, von den Vorträgen, Referaten und Artbeitsgruppen, also von Euch, weitere Anregungen für unsere kommunalpolitische Arbeit zu erhalten und Einsichten zu gewinnen.
 
Daher und in diesem Sinne wünsche ich im Auftrag des Wiesbadener Sozialforums Euch, dem 3. Hessischen Sozialforum, bei der Aufarbeitung der anstehenden Fragestellungen ein gutes Gelingen.

Es waren auch Infostände einzelner Organisationen anwesend (Hallo Max!). Nach den einleitenden Vorträgen wurden Arbeitsgruppen gebildet, die an die hessischen Parteien, die gewählt bzw. wiedergewählt werden wollen, zum Wohl der in Hessen lebenden Menschen Forderungen erhoben.
 
www.hessisches-sozialforum.de
3. Hessisches Sozialforum am 24.11.2007 in Wiesbaden
Forderungen aus den Workshops
- nach Themenbereichen geordnet
 
Arbeitsmarkt
(Tariftreue AG 9, Privatisierung AG 3, Praktika AG 14, Hartz IV AG 17, Behinderte AG 15,
3. Arbeitsmarkt AG 18)
Hartz IV zur armutsfesten Grundsicherung ausbauen
- Sofortige Erhöhung der Regelsätze um mindestens 20%
- Eigenständiger Kinder-Regelsatz
- Keine Anrechnung des Kindergeldes auf ALGII
- Kostenfreie und gesunde Verpflegung in Schulen und Kindergärten
- Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes

Stopp des öffentlichen Ausverkaufs (kein PPP)
- Die Praxis der Geheimverträge beenden
- Offenlegung aller Verträge, auch rückwirkend
- Rekommunalisierung und demokratische Kontrolle des öffentlichen Eigentums
- Kein PPP-Vereinfachungsgesetz durch den Bundestag

Schwerbehinderte integrieren
- Das Land Hessen soll als Gewährleistungsträger für das Integrationsamt sicherstellen,
dass die Funktionsfähigkeit des Integrationsamtes auch zukünftig gesichert ist.
- Das Integrationsamt soll erweiterte Kompetenzen erhalten für die verbindliche
Gestaltung der „runden Tische“.
- Die Ausgleichsabgabe soll spürbar erhöht werden. Alle Arbeitgeber sind in diese
Erhöhung einzubeziehen.
- Die Finanzierung der Integrationsfachdienste, einschließlich des vermittelnden
Dienstes, ist sicher zu stellen.

Ordnung auf dem Arbeitsmarkt schaffen, Arbeitnehmerrechte wahren
- Beschäftigung mit allen Arbeitnehmerrechten - Keine Beschäftigung ohne tarifliche
Standards
- Gesetzlicher Mindestlohn i. H. v. 10 Euro
- Paritätische Sozialversicherungsabgaben
- Kein Abbau von Kündigungsschutzrechten
 
Sozialstaat/Sozialpolitik
(Sozialstaat AG 4, Hessen hinten AG 7, Grundeinkommen AG 19, Armut/Reichtum AG 8,
Wohnungen AG 10)

Für Jobs statt Praktika
- Mindeststandards festlegen (u. a. zeitliche Begrenzung, Bezahlung)
Für einen auskömmlichen Mindestlohn (10 Euro / Stunde)
Ausbildung für alle
- Verbundausbildung
- Recht auf Ausbildung
- Hess. Armuts-/Reichtumsbericht
- Sofortprogramm gegen Hunger und Armut
 
Bildung
(Schulen AG 1, Kindertagesstätten AG 22, Hochschulen AG 11)
- Bildung im Elementarbereich: Die Rahmenbedingungen (Arbeitsbedingungen) der
pädagogischen Fachkräfte in den Kindertageseinrichtungen müssen den gestiegenen
Anforderungen des Bildungsplanes gerecht werden.
- Gemeinschaftsschule für alle
- Integration von Behinderten in Schule und Beruf
- Abschaffung von Hochschul-Rankings
- Mehr Demokratie statt Stärkung der Leitungsebene
- Unentgeltlichkeit des Studiums (keine Studiengebühren, keine Verwaltungsgebühren)
 
Ökologie
(Gerechtigkeit AG 2, Klimakatastrophe AG 23)
- Kein Flughafenausbau in Frankfurt und Kassel
- Keine Kohlekraftwerke
- Stilllegung der AKWs
- Keine Salzeinleitung in Fulda und Werra
- Förderung erneuerbarer Energien
 
Steuerpolitik
(Steuerpolitik AG 13, Haushalt AG 12)
- Wiedereinführung der Vermögenssteuer
- Anhebung der Erbschaftssteuer für Großvermögen
- Bekämpfung von Wirtschafts- und Steuerkriminalität durch Einstellung von Steuerfahndern
und Wirtschaftsprüfern
- Harmonisierung der Gewerbesteuer-Hebesätze
 
Migranten
(Illegale AG 5, Wahlrecht AG 6, Flüchtlinge AG 21)
- Kommunales Wahlrecht für Bürger/innen aus Nicht-EU-Ländern
- Keine Meldepflicht für Schulen und Krankenhäuser
- Residenzpflicht abschaffen (Art. 6 Hess. Verfassung)
- Wohnungen statt Lager für Flüchtlinge
- Kettenduldung endgültig abschaffen
- Änderung des Erlasses des HMI vom 07.02.05 zu § 25 Absatz V AufenthG: Berücksichtigung
subjektiver Gründe (Integration, langjähriger Aufenthalt), keine „Freiwilligkeitserklärung“
 
Frieden
(Militarisierung AG 16, Neonazis AG 20, Schuldenkrise Mahnwache).
- Durchsetzung des Friedensgebotes gemäß Art. 69 der Hess. Verfassung
- Friedenserziehung in Schulen gemäß Art. 56 der Hess. Verfassung
- Konversionskonzepte bei Schließung von hessischen Militärstandorten
- Kein US-Hauptquartier in Wiesbaden-Erbenheim
 
Wiesbaden, 24.11.2007
Erarbeitet von mehr als 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern des 3. Hessischen Sozialforums. Träger sind etwa 50 Organisationen, kirchliche Einrichtungen, soziale Verbände, Gewerkschaften, Initiativen und gemeinnützige Vereine.

Da niemand im Landtag bereit war, die Forderungen entgegenzunehmen, wurden sie demonstrativ vor dem Wiesbadener Schloss (Landtag) abgestellt.
 
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