92. Print-Ausgabe, Herbst 07
 
Der politische Streik
Ein berechtigtes Kampfmittel angesichts der neoliberalen Misere?

Bericht uber eine Veranstaltung des Sozialforums Wiesbaden mit Veit Wilhelmy, IG Bau Gewerkschaftssekretär für den Bezirk Limburg - Wiesbaden, SPD-Stadtrat und Mitglied des Sozialforums Wiesbaden.
 
Am 26.09.07 mehr fand eine Veranstaltung des Sozialforums Wiesbaden statt. Der SPD-Stadtrat und IG Bau-Gewerkschaftssekretär Veit Wil-helmy beschäftige sich mit einem immer wichtiger werdenden Thema. Die Presseerklärung des Sozialforums zu dieser Veranstaltung lautete:
Streik ohne Strafe: Sozialforum diskutiert über politischen Arbeitskampf.

"Überquellende Mülltonnen, menschenleere Fabrikhallen - während in anderen europäischen Ländern mit Arbeitskampf auch Politik gemacht wird, sind politische Streiks in Deutschland verboten. „Zu unrecht“, so Veit Wilhelmy. (...)

Es war eine ernste Mahnung. Unvereinbar sei das deutsche Grundrecht mit der europäischen Grundrechtscharta, tadelte der europäische Ministerrat die deutsche Bundesregierung schon vor 10 Jahren. „Geändert hat sich seitdem allerdings nichts“, sagt Veit Wilhelmy, ... Mitglied des Sozialforums Wiesbaden.

Noch immer gilt jeder Streik, der nicht auf einen Abschluss eines Tarif-vetrages zielt, als rechtswidrig. „Ein klarer Bruch mit den europäischen Grundrechten, denen sich Deutschland verpflichtet hat“, klagt der Gewerkschafter. Die Mahnung des Ministerrates werde schlicht ignoriert. Stattdessen werde der politische Streik in die „illegale Schmuddelecke“ gedrängt. „Da gehört er keinesfalls hin - egal, was man von solchen Streiks halten mag“ so Wilhelmy.

Es geht dabei nicht nur um Grundrechte. „Es geht auch um die Frage, wie sich Bürger gegen eine Politik wehren können, die völlig an ihnen vorbei geht“, so Wilhelmy. Kritikern wirft er vor, ein Horror-Szenario zu entwerfen. „Es ist doch absurd, zu glauben, dass bei jeder kleinen Parlamentsentscheidung Fabriken oder Baustellen lahmgelegt werden,“ so der Gewerkschaftler.
Ein Streik sei immer das letzte Mittel der Wahl. „Wer den Menschen aber dieses letzte Mittel verweigert, verweigert ihnen die Chance, ihre Meinung zu sagen“, so Wilhelmy. Es bestehe die Gefahr, Bürger damit zu „Vier-Jahre-Demokraten“ zu degradieren. „Über Politikver-drossenheit braucht man sich dann allerdings nicht zu wundern“, so Wilhelmy"

So weit also die erklärende Pressemitteilung. Und wie war nun die Veranstaltung? Die Veranstaltung war gut besucht. Zuerst musste Jakob den plötzlichen Tod von Christa bekanntgeben.

Dann begann Veit mit seinem Referat, dem eine Diskussion folgte.
Er erklärte, dass aus dem Grundgesetz Artikel 9, Absatz 3 kein Verbot des politischen Streiks abzuleiten sei, denn da steht:

„Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und alle Bereiche gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. ...“ Aus diesem Artikel werde das Streikrecht abgeleitet, und da es nicht nur um Arbeitsbedingungen gehe, sondern auch um Wirtschaftsbedingungen, sei der politische Streik hier intendiert.

Doch zum politischen Streik gebe es kein Material und sei auch innerhalb der Gewerkschaften unbekannt. Auch der Tarifstreik werde nicht für selbstverständlich gehalten, sondern in den Medien werde immer gesagt, ein Streik „drohe“. Dabei werde in Deutschland weit weniger gestreikt als anderswo, in Deutschland 1,6 Tage pro Jahr, in den USA z,B, 16,9 Tage im Jahr. Bei 1000 Arbeitnehmern seien 2006 in Deutschland zusammen nur 5 Streiktage angefallen, in Spanien hingegen 290 Tage.

Im Zusammenhang mit der Rente erst nach dem 67. Lebensjahr gab es auch während der Arbeitszeit gewerkschaftliche Aktionen in Betrieben, die nicht gegen die Arbeitgeber gerichtet waren, die also somit politische Streikaktionen waren. Es sein kein Fall bekannt, dass die Arbeitgeber Schadenersatzforderungen an die Gewerkschaften gestellt hätten.

Das Verbot des politischen Streiks sei zivilrechtlicher Natur, es gehe um die Schadensersatzforderungen an die Organisationen, die zum Streik aufgerufen haben.
Veit stellte die Geschichte des politischen Streiks in Deutschland dar, wobei die Vorstöße, den politischen Streik zu verhindern, zum Teil auch von den Gewerkshaften gekommen seien. Auf eine Frage aus dem Publikum nach dem Warum meinte Veit, er erkläre sich dies damit, dass die Gewerkschaften nicht gegenüber Parteien und anderen Organisationen das Streikmonopol verlieren wollen.

Angesichts der immer deutlicher werdenden Verschlechterung des sozialen Lebens der Arbeitnehmer sei es das Vorenthalten eines Menschenrechts, das politische Streikrecht den Menschen vorzuenthalten, zumal es in der europäischen Sozialcharta verankert sei. Dort verpflichten sich die Mitgliedsstaaten, dieses europäische Recht nicht durch innerstaatliches Recht außer Kraft zu setzen.

Die europäische Sozialcharta wurde am 18.10.61 in Turin verabschiedet und Deutschland hat sie unterzeichnet.

In der europäischen Sozialcharta heißt es im Teil II Artikel 5: „Um die Freiheit der Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu gewährleisten oder zu fördern, örtliche, nationale oder internationale Organisationen zum Schutze ihrer wirtschaftlichen und sozialen Interessen zu bilden und diesen Organisationen beizutreten, verpflichten sich die Vertragsparteien, diese Freiheit weder durch das innerstaatliche Recht noch durch dessen Anwendung zu beeinträchtigen. (...)“
Und das Bundesarbeitsgericht beschreibe in seinem Urteil über das politische Streikrecht nur die richterliche Praxis und weise ausdrücklich auf die europäische Sozialcharta hin.

Den Menschen dieses Recht auf Wahrnehmung ihrer Interessen vorzuenthalten sei eine Verletzung des Menschenrechts.

Der zunehmende Druck auf die Arbeitnehmer mache das politische Streikrecht als Kampfmittel nötig. Mit einem Hinweis auf das Streikverbot des Nürnberger Arbeitsgericht gegen die Lokführergewerkschaft GDL meinte er, dass dieses Kampfmittel nicht den Gerichten überlassen werden dürfe.

Er berichtete von politischen Streiks angesichts des Misstrauensvotums gegen den damaligen Bundeskanzler Brandt und dass die SPD danach viele neu Mitglieder gewonnen habe. Und so kam er zu dem Schluss, dass durch den politischen Streik auch die Akzeptanz des Parlamentes gestärkt werde.

Soweit also in Kurzform das Referat von Veit Wilhelmy. In seinem Referat lobte er auch noch die hessische Verfassung, die ein klar formuliertes Streikrecht beinhalte.

Nach dem Referat kam es zu vielen Wortmeldungen und Diskussionsbeiträgen der sehr interessierten anwesenden Veranstaltungsteilnehmer.

In diesen Beiträgen waren die Vorschläge zu hören, höchstrichterliche Entscheidungen zur Auslegung der Verfassungen anzustreben, oder, im Gegenteil, nicht auf solche Entscheidungen zu warten, angesichts der ungebrochenen konservativen Tradition der Richter in Deutschland. Man solle es tun.

Es wurde auch berichtet, dass es längst richterliche Entscheidungen gebe, in denen behautet würde, dass das Parlament ja vom Volk durch Wahlen eingesetzt wäre, die Gesetze seien daher des Volkes Wille und politische Kampfmittel gegen den Willen des Volkes würden daher gegen den Geist des Grundgesetzes gerichtet sein.

In einem Redebeitrag erzählte ein Teilnehmer, dass die Verteidiger des Sozialstaates schon in den parlamentarischen politischen Auseinandersetzungen als „Sozialstaatskonservative“ diffamiert würden.

Die Lage der Gewerkschaften wäre nach dem Zusammenbruch des „Sozialismus“ in Osteuropa schwieriger geworden, sagte ein Diskussionsteilnehmer“ und habe nun den Zusammenbruch des Sozialreformismus zur Folge.

Ein Teilnehmer erzählte auch vom Kapp-Putsch 1920, und dass der durch einen Generalstreik, der ja ein politischer Generalstreik war, sehr schnell beendet worden sei.

Einhellig war wohl die Auffassung im Raum vorhanden, dass angesichts der Situation der ArbeitnehmerInnen in der Gesellschaft die „Samstagsdemonstrationen“ nicht ausreichen, die Lage nachhaltig zu verbessern. Es wurde zwischen einem Demon-strationsstreik und einem Durchsetzungesstreik unterschieden.

Die Veranstaltung war für das Sozialforum erfolgreich und die engagierte Arbeit für das Sozialforum kann auch Früchte tragen.

Für uns gab es dennoch einen recht bitteren Nachgeschmack derart, dass wir uns sagten, das hätte der Christa sicher im Prinzip gefallen, und wie wir sie kennen, nicht widerspruchslos. Und auch der fehlt uns: Christas beratender Widerspruch. (js/rs/ts)

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