92. Print-Ausgabe, Herbst-LUST 07
Hier findet Ihr zum Thema 3 Artikel vor.
 
GayRomeo (GR) – das Portal zum Glück oder Labyrinth und Sackgasse
Niemand weiß, wie gut GR wirklich funktioniert. Haben die User, die bereits 20.000 und mehr Aufrufe hatten, schon gefunden, was sie suchen? (Sie suchen ja meistens weiter). Und wie viele Messages kommen im Durchschnitt auf 100 Aufrufe?
Es gibt ja scheinbar auch nicht wenige, die sich beklagen, dass sie kaum jemand anklickt. Woran könnte das liegen?
von Andreas Otto
 
Am besten: Für immer jung
Ohne Zweifel wird es einen Zusammenhang zwischen dem Alter des Suchenden und der Anzahl der Aufrufe und Messages geben, die er bekommt. Es ist zu vermuten, dass spätestens jenseits der 35 nicht mehr sehr viel Feedback ankommt.
 
Es stellt sich die erste wichtige Frage: Gibt es einen massiven Jugendkult ist der User-Gemeinde? Dann müsste bei den Jüngeren deutlich mehr laufen, als bei den Älteren (vermutlich aber auch mehr Anmache). Ob das so ist, ist unbekannt, aber wahrscheinlich. Es kann allerdings auch sein, dass die Profile von Usern um die 20 gar nicht so oft besucht werden, weil viele sich sagen, der ist zu jung für mich oder vermuten, dass sich ein verkappter Escort dahinter verbirgt.

Die Frage, ob GR ein Paradies für die Jüngeren ist, muss offen bleiben – für die Älteren ist es das bestimmt nicht.
 
Das Muster der Schönheit als Falle
Es ist ja allgemein bekannt, dass uns die Medien ständig die Ideal-Menschen vor Augen halten, zu denen sich die meisten nicht zählen können. Die Ideal-Menschen sind jung, schön, haben einen „perfekten Body“ und sind nicht selten mit einem Ensemble edler Waren ausgestattet. Der Mensch kann in diesem Zusammenhang auch selber zur Ware werden, die nach bestimmten Merkmalen beurteilt wird (eine spezielle Form des Schubladendenkens).
 
Wer dieses Schema verinnerlicht hat, sucht die ideale Mensch-Ware – und dann kommen unter Umständen erstaunlich viele nicht mehr in Betracht. Man blättert munter durch den digitalen Menschen-Katalog und findet nicht den Traumprinzen, obwohl die Auswahl beachtlich ist. Damit stellt sich die zweite wichtige Frage: Gibt es einen Kult der Äußerlichkeiten in der User-Gemeinde?

Da bei der Frage nach den Äußerlichkeiten der Narzissmus eine besondere Rolle spielt, ist an dieser Stelle ein kleiner Exkurs zum Nar-zissmus vielleicht ganz hilfreich:
In den sogenannten modernen Gesellschaften verläuft die Sozialisation so, dass die Menschen massiv auf ihr Ego fixiert sind bzw. dass sie nicht selten in den Zustand des Narziss-mus geraten. Der Narzissmus ist ja ein Zustand, der ein permanentes (u.a. soziales) Defizit beinhaltet. Das auf sich selbst zurückgeworfene Individuum trägt quasi ständig ein emotionales schwarzes Loch mit sich herum, in das alle möglichen Dinge (Waren, aber auch Menschen) hineingesogen werden, ohne dass das zu wirklicher Zufriedenheit führt. Der Kult der Äußerlichkeiten wird sich ohne das Phänomen des Narzissmus wohl nicht überzeugend erklären lassen.
 
Vorlieben hat jeder – lieben will wohl nicht jeder
Was mann sucht, sagt auch sehr viel aus über den Suchenden. Wer sich beispielsweise auf Distanz- und Ver-meidungstechniken spezialisiert, der hat wahrscheinlich auch ein Problem mit der emotionalen Begegnung.

Im Prinzip sollte natürlich die Regel gelten, dass jeder machen kann, was er will, solange der andere damit einverstanden ist (mal vorausgesetzt, dass die Möglichkeit und Fähigkeit vorhanden ist, zu sagen was man will und was man nicht will). Dennoch ist es schon etwas befremdend, wenn ziemlich viele NUR Sex bzw. Sex-Objekte und/oder allerlei bizarre Extras suchen und mit allem Anderen (Liebe, Freundschaft, Zärtlichkeit, Geborgenheit etc..) am besten gar nichts zu tun haben wollen (das Wort Liebe ist ja ohnehin nur sehr selten in den Profilen zu finden).
 
Das hat sicherlich auch eine innere Logik bzw. eine gewisse Berechtigung und kann nicht pauschal verurteilt werden. Es führt aber dennoch zur nächsten wichtigen Frage: Befindet sich die Gay-Szene zum Teil in einer emotionalen Eiszeit?
 
Zu dieser Frage noch ein paar Gedanken, die man auch unter die Überschrift “Zynismus-XL - Megahertz und Zentimeter” stellen könnte:
Während manche den Traumprinzen suchen, der am besten in jeder Hinsicht ideal ist und vielleicht auch für eine Symbiose geeignet, haben andere ihre Ansprüche drastisch reduziert. Gesucht wird dann z.B. der Schwanz ab XL oder der Körper ohne Haare usw. Ob einer als Partner in Frage kommt, ist dann unter Umständen eine Frage von wenigen Zentimetern. Wer das Gewünschte nicht bieten kann, ist dann so out, wie ein PC mit 500-Megahertz-Prozessor.
Während die Ansprüche an den PC noch nachvollziehbar sind, sind die an den potentiellen Partner schon eher bedenklich. Es ist ja immerhin ein ganzer Mensch, der da auf einen zukommt, auch wenn man nur einen großen Schwanz gesucht hat. Ist denn alles andere nicht so wichtig? Oder ist es gar nicht erwünscht und die Fixierung auf ein Körperdetail vielleicht auch ein Flucht? Flucht vor der Nähe, vor der Emotionalität beispiels-weise - und dienen diesem Zweck nicht auch diverse andere Rituale und Maskierungen?
 
Das Weltbild, das vielen Suchmodellen zugrunde liegt, scheint auf Zynismus aufgebaut zu sein oder auf einer erheblichen Reduktion der Gefühle. Die Angst, die sich dahinter verbirgt, ist das Spiegelbild einer Welt, die den Menschen die emotionale Freiheit nimmt und sie in den Zynismus treibt. Es macht (wie bereits angedeutet) vielleicht nicht viel Sinn, den Menschen ihre Ängste vorzuwerfen und dem was sie daraus machen – aber eine Gesellschaft, die ein Klima der Kälte und des totalen Konsums erzeugt, muss sich schon die Frage gefallen lassen, ob sie auf dem Weg zur Zerstörung der Sinnlichkeit ist.

Digital ist besser
Vielleicht funktioniert die digitale Partnersuche einfach nicht so gut, wie man denkt? Im Internet bewegt man sich auf einer Ebene der reduzierten Information. Es gibt dort keinen Blickkontakt, man kann die Stimmen der Anderen nicht hören und die anderen nicht die eigene Stimme. Eine Schnittstelle, die Sex-Appeal transportieren kann, ist nicht vorhanden etc. Alles findet auf der Ebene der Distanz und des Mangels an (non-verbalen) kommunikativen Signalen statt. Daraus ergibt sich die nächste Frage: Wird von der digitalen Partnersuche nicht viel zuviel erwartet?

Möglich ist natürlich auch, dass es manchen ganz recht ist, sich im Raum der digitalen Unverbindlichkeit aufzuhalten. Das könnte auch eine Erklärung dafür sein, dass einige dieses Medium gar nicht so gerne zugunsten konkreter Begegnungen verlassen möchten. Außerdem ist die digitale Welt natürlich auch eine Einladung für Attrappen usw.
 
Frust statt Lust und Liebe oder ...es ist nicht schön allein zu sein...
Wenn man längere Zeit bei GR unterwegs war, ist es nicht unwahrscheinlich, dass das Wohlbefinden schrumpft. Da können unangenehme Zweifel aufkommen und man fängt an, sich Fragen zu stellen, die nicht erfreulich sind. Zum Beispiel: Ist das hier der Zug, der abgefahren ist? Bin ich nicht schön genug? Was mache ich eigentlich alles verkehrt? Was soll ich denn jetzt mit meiner Einsamkeit machen? Was mache ich denn nun mit meiner Lust?

So ergeht es natürlich nicht jedem und manch einer wird auch finden was er sucht und wonach er sich sehnt, aber die Zahl derer, für die das nicht gilt ist bestimmt nicht gerade klein.
 
Was tun?
Dieser Text ist in erster Linie dazu da, Fragen zu stellen. Es geht hier also nicht darum, alle angesprochenen Probleme zu lösen (was zum Teil ohnehin nicht so einfach möglich ist).
Daher zum Schluss nur eine kurze Ideenskizze gegen den Frust:
GR ist ein Suchsystem, das nicht zwangsläufig glücklich macht und letztlich auch nur ein (reduziertes) Abbild der schönen, neuen Welt, in der man lebt. Es kann hilfreich sein, nicht mit zu hohen Ansprüchen und Erwartungen auf die Suche im Internet zu gehen.

Oft kommt man weiter, wenn man sich „queer“ verhält. Zum Beispiel, indem man versucht, sich vom Jugend- und Schönheitskult abzusetzen oder indem man mehr von sich einbringt bzw. sogar hingibt, als seine Triebe (das kann auch mit viel Arbeit an sich selbst verbunden sein).

Unverbindlichkeit, Indifferenz und Ignoranz kann man natürlich auch überwinden, indem man sich auf einen Chat einlässt, der freundlich und ehrlich ist und wenn man die Möglichkeit der realen Begegnung nicht vermeidet.

Bevor der Frust im Internet überhand nimmt kann man sich auch einfach der realen, nicht-virtuellen Welt und direkten Kontakten zuwenden.

Noch ein Hinweis: Dies ist nicht als Kritik an GayRomeo gedacht. Die Webseite ist sehr gut gemacht und das Konzept ist vorbildlich. Es kommt darauf an, das Beste daraus zu machen.

GR - Repräsentativ für alle Gays?
Dieser Essay befasst sich mit GR und dessen Usern. Es ist nicht wahrscheinlich, dass diese repräsentativ für alle Gays sind. Auf GR suchen in erster Linie die, die Sex wollen. Entweder, weil sie immer nur Sex suchen oder, weil sie keinen Partner haben bzw. weil sie einen Partner suchen und dabei (das kann ja u.U. lange dauern) nicht abstinent sein wollen.

Ein großer Teil derer, denen es vor allem um Beziehung geht oder für die Sex nur in einer Beziehung in Frage kommt, wird die Partnersuche auf anderen Internetseiten oder in der Szene vor Ort betreiben. GR ist, wie gesagt, in erster Linie eine Seite für Leute, die Sex suchen. Die Welt auf GR ist somit kein vollständiges Abbild der Wirklichkeit, sondern stellt die Wirklichkeit verzerrt dar. Dies bedeutet allerdings nicht, dass alle hier angesprochenen Fragen und Probleme auf die blaue GR-Welt beschränkt sind. Auch andere Web-Seiten zur Partnersuche sind nicht dagegen immun, zum Spiegelbild der Gesellschaft zu werden. (ao)
 
2. Beitrag zu Thema
Über Moral, Lebensglück und Freiheit
Eine Debatte in 25 Texten, im Clubforum des gayromeo-Guide und Club „lustzeitschrift“. LUST-Leser, die User bei gayromeo sind, sind aufgefordet, dem Club beizutreten und sich an dieser Debatte (und den Debatten zu anderen Themen) zu beteiligen.
1. andre-03 21.Aug. - 12:54
Hallo Joachim,
ich hatte Dir vor einiger Zeit einen Text gemailt - hast du den schon gelesen und was meinst du dazu ?
Ich habe den Text übrigens noch um folgenden Abschnitt erweitert:
”GR - Repräsentativ für alle Gays
Dieser Essay befasst sich mit GR und dessen Usern. Es ist nicht wahrscheinlich, dass diese repräsentativ für alle Gays sind. Auf GR suchen in erster Linie die, die Sex wollen. Entweder, weil sie immer nur Sex suchen oder, weil sie keinen Partner haben bzw. weil sie einen Partner suchen und dabei (das kann ja u.U. dauern) nicht abstinent sein wollen.
Ein großer Teil derer, denen es vor allem um Beziehung geht oder für die Sex nur in einer Beziehung in Frage kommt, wird die Partnersuche auf anderen Internetseiten oder in der Szene vor Ort betreiben. GR ist, wie gesagt, in erster Linie eine Seite für Leute, die Sex suchen. Die Welt auf GR ist somit kein vollständiges Abbild der Wirklichkeit, sondern stellt die Wirklichkeit verzerrt dar. Dies bedeutet allerdings nicht, dass alle hier angesprochenen Fragen und Probleme auf die blaue GR-Welt beschränkt sind. Auch andere Web-Seiten zur Partnersuche sind nicht dagegen immun, zum Spiegelbild der Gesellschaft zu werden.”
Viele Grüße
Andreas
 
2 joachim_von_der_lust 21.Aug. - 14:51
Kann es sein, dass Du Dich in dem, was Du schreibst, über die Moral schwuler Männer beschwerst?
Das ist im übrigen auch die Moral heterosexueller Männer, die ergänzend zu ihrer Ehe den Prostitutionsmarkt oder ein Verhältnis unterhalten.
Für den Versuch, sexuell zufriedenstellend zu leben, habe ich großes Verständnis. Und wenn dieses sogar offen geschieht, ohne lügenhafte Doppelmoral, so ist das nur wünschenswert.
Wer gerade ohne Beziehung ist, und die Sexkontakte sind auch nicht immer da, wenn man sie gerne hätte, stellt sich vor, in einer „echten“ Beziehung ginge es ihm besser. Das ändert sich dann, wenn er selber in einer längeren Beziehung ist.
Weniger Verständnis habe ich dafür, Einrichtungen (z.B. die Huren oder bei uns Gayromeo) dafür „verantwortlich“ zu machen, was wir nun mal ständig suchen.
Männer sind so, wie sie sind, und das ist auch gut so, bzw. mir tut es doch immer wieder so gut.
 
3. andre-03 21.Aug. - 15:32
Danke für die Antwort. Ich habe in meinem Text ja geschrieben, dass es nicht darum geht, GayRomeo zu kritisieren (Zitat: „Noch ein Hinweis: Dies ist nicht als Kritik an GayRomeo gedacht. Die Webseite ist sehr gut gemacht und das Konzept ist vorbildlich. Es kommt darauf an, das Beste daraus zu machen.“).
Die angesprochenen Probleme haben ja vor allem einen gesellschaftlichen Hintergrund (der natürlich auch für Heteros gilt).
Ich bin ja auch nicht der einzige, der sich über die Oberflächlichkeit, den Kult der Äußerlichkeiten, die Reduzierung auf anonymen Sex etc. beschwert. So mancher Headline und manchem Profiltext läßt sich entnehmen, dass sich User bei GR nicht so richtig wohl fühlen. In diese Richtung gehen z.B. auch einige Beiträge in dem neuesten Band von “Mein schwules Auge”.
Die Offenheit bei GR ist an sich OK und wünschenswert - da stimme ich dir zu. Ich habe in meinem Text ja auch gesagt, dass es nicht viel Sinn macht, den Individuen Vorwürfe zu machen und dass man versuchen sollte, tolerant zu sein. Die Gesellschaft, die die Menschen zynisch macht und die dazu führt, dass die Menschen sich gegenseitig konsumieren, sollte man aber schon kritisieren können. Das ist ja auch ein Ziel der „Lustzeitschrift“ (oder sehe ich das falsch ?).
Beste Grüße
Andreas
 
4. joachim_von_der_lust 21.Aug. - 21:18
Viele Schwule sind verlogen und doppelmoralisch. Sie versuchen zu punkten, indem sie die Oberflächlichkeit der anderen kritisieren. Und wenn du dann genauer nachfragst, sind sie selber oberflächlich.
Oft haben Leute, die ihr Coming-out noch nicht abgeschlossen haben, die in den Medien vetretenen (heterosexuellen) Werte als Maßstab und kritisieren, wie sich Schwule in dieser Gesellschaft ihr Leben einrichten.
Das würde ich nie tun und die LUST macht das auch nicht. Diese übliche Kritik erinnert mich an frühere Zeiten, wo in der Szene über Klappen- und Parkgänger gehetzt wurde, und in der Nacht traf man die Kritiker dann im Park, die dann natürlich nur mal sehen wollten, wie es dort so zugeht oder den Hund ausführen wollten. Das ist doch lächerlich.
Wenn Du selber anders leben möchtest, dann versuche es doch, anders zu leben, kann ich da nur raten.
Ich lebe z.B. in einer gay-WG mit unserer lesbischen Partnerin (die oft Besuch von ihrer Freundin bekommt) und meinem Lebenspartner und den Besuchern von meinem Lebenspartner oder von mir.
Ich denke, die Ehemoral ist falsch und ist kritikwürdig, denn auch die Heten-Ehepaare sind nicht in der Lage, sie zu erfüllen.
Komm uns doch mal in der WG besuchen, und dann diskutieren wir mal darüber.
Für mich ist das erfolgreiche gayromeo deshalb so erfolgreich, weil es das ermöglicht, was fast die ganze Szene sucht, egal was die einzelnen von sich behaupten.
Joachim
 
5. andre-03 21.Aug. - 21:59
Ja - es stimmt, dass Leute oft etwas kritisieren, es aber selber nicht besser machen (manchmal vielleicht auch als Projektion). Ich bemühe mich, nicht oberflächlich zu sein und Kontakte nicht auf reinen Konsum zu beschränken. Ohne Fehler und Schwächen bin ich aber ganz bestimmt auch nicht.
Ich denke auch, dass die Schwulen mit der Intoleranz gegen sich selbst vorsichtig sein müssen. Es gibt nachwievor eine ganze Menge Intoleranz gegen Schwule aus der Heterowelt (dazu gehören evtl. auch Männer, die nicht wahrhaben wollen, dass sie eine schwule Tendenz haben). Die Selbstkritik der Schwulen sollte sich davon schon eindeutig unterscheiden.
Ich denke, dass die Schwulen Teil der Gesellschaft sind, auch wenn bei ihnen einiges anders ist. Es gibt bestimmt viele Gründe, auf die Errungenschaften der Schwulen- und Lesbenbewegung stolz zu sein. Aber idealisieren würde ich die heutige Welt der Schwulen nicht. Auch den Erfolg von GR würde ich nicht nur affirmativ betrachten - einiges ist OK - anderes darf man aber schon etwas kritisch sehen (hoffe ich). Dazu zählt auch die emotionale Oberflächlichkeit. Insofern ist GR für mich nicht fortschrittlich, wenn es als Medium benutzt wird, um die Defizite zu auszuleben, die die Menschen unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung in dieser Gesellschaft nun einmal haben. Und zu diesen Defiziten gehört auch die Geringschätzung innerer Werte.
Andreas
 
6. joachim_von_der_lust 21.Aug. - 22:34
Was meinst Du mit „inneren Werten“? Was sind überhaupt „Werte“ für Dich?
Bevor Du mir das nicht erklärt hast, kann ich nicht verstehen, was eigentlich die Grundlage Deiner Kritik ist. Und auch nicht, wo Du hin willst.
Gehst Du von einer wünschenswerten besseren Welt aus, von der aus Du das Verhalten der heutigen Menschen kritisierst? Und ihre Hilfsmittel, dennoch zurechtzukommen und nicht durchzudrehen?
Gruß Joachim
 
7. andre-03 21.Aug. - 23:33
Zu den inneren Werten: vor kurzem habe in einen Profiltext entdeckt, der vieles mit einfachen Worten sehr schön ausdrückt, was auch ich dazu denke. Du kannst ja mal in das Profil schauen: “sweet-secret”. Ich bin allerdings nicht mehr ganz so kritisch gegenüber Sex-Dates eingestellt, wie sweet-secret.
Was ICH damit meine: Liebe, Geborgenheit, Zärtlichkeit, Freundschaft, Charakter, Verständnis, Toleranz, Empathie ...
Die Defizite, die ich meine und die Kritik daran sind in Bezug auf die Liebe in einem Text von Adorno ganz gut reflektiert:
„Verstehen sie mich nicht falsch. Ich möchte nicht die Liebe predigen. Sie zu predigen halte ich für vergeblich: keiner hätte auch nur das Recht, sie zu predigen, weil der Mangel an Liebe - ich sagte es schon - ein Mangel aller Menschen ist, ohne Ausnahme, so wie sie heute existieren. Liebe predigen setzt in denen, an die man sich wendet, bereits eine andere Charak-terstruktur voraus, als die, welche man verändern will. Denn die Menschen, die man lieben soll, sind ja selber so, dass sie nicht lieben können, und darum ihrerseits keineswegs so liebenswert.”
Ich sehe das ähnlich und habe auch nicht die Absicht, die Liebe zu predigen. Das tun die Christen ja ganz gerne und das meistens ziemlich heuchlerisch. Es gibt Leute, die die Adorno-Position für zu idealistisch halten - möglicherweise ist das richtig, aber diese Sichtweise bringt einen auch schnell in die Nähe des Nihilismus.
Wenn man z.B. die moralische Verkommenheit kritisiert, muss man natürlich auch eine Vorstellung davon haben, was besser wäre. Das kann man zum Beispiel in Form von Idealen oder Utopien ausdrücken. Als Linker dürften dir diese Begriffe ja nicht unbekannt sein. Dazu zählt u.a. die Idee einer Welt, die nicht auf Konsum und VerWERTung von Mensch und Natur beruht.
Dass wir davon weit entfernt sind, weiß ich auch und ich mache mir keine Illusionen, dass sich das sobald ändern wird. Daher gebe ich dir recht: was die Menschen unternehmen, um in einer zynischen und perfiden Welt emotional nicht unterzugehen, sollte man akzeptieren und tolerieren, soweit das nicht selber inhuman ist. Aber es geschieht aus einer Not heraus und daher ist es nicht ideal und ein Grund, die Verhältnisse, die dies erzwingen, zu kritisieren. Nochmal: es geht mir darum, das System zu kritisieren und nicht seine Opfer.
Andreas
 
8 joachim_von_der_lust 22.Aug. - 00:15
Also aus Deinem recht langen Text entnehme ich, Du möchtest geliebt werden und einen Zustand haben, unter dem Du geliebt würdest. Wie soll dieser Zustand aussehen?
Als Linker gehe ich so nicht vor. Ich sehe, dass die gesamte Gesellschaft so aufgebaut ist, dass die Geldstöme in eine ganz bestimmte Richtung fließen und dass die einen sich alles kaufen können, auch das geliebt Werden, die anderen eher nicht.
Wenn die materiellen Werte in einer Gesellschaft gerechter verteilt würden, würdest Du dann mehr geliebt werden?
Ich glaube nicht. Weshalb solltest Du mehr geliebt werden? Was wäre denn das Liebenswerte an Dir?
Wir haben nicht das Recht, geliebt zu werden. Alleine zu sein, ist der Normalzustand. Kurze glückliche andere Zustände, sind die Ausnahme. Das ist ein wertvolles Geschenk.
Der Begriff Liebe ist mir suspekt. Er ist verschwommen und wird für Vieles genutzt.
Ich trenne sexuelle Lust und den Wunsch danach erst einmal von der Sehnsucht nach zwischenmenschlicher Verbindlichkeit.
Das eine zieht nicht unbedingt das andere nach sich.
Es gibt berechtigte sexuelle Lust ohne Beziehung und Bindung, wir spüren sie ja sogar, ohne dass überhaupt ein Mensch in Sicht ist, und die ist nicht schlechter oder besser als die in Beziehungen eingebettete LUST, die bekanntlich nicht von Dauer ist. Und es gibt sehr enge Beziehungen völlig ohne sexuelle LUST.
Würdest Du Dich denn wirklich in einer solchen Welt selber wohl fühlen, die so wäre, wie Du sie Dir erträumst? Nun gut, sie kommt ohnehin nicht.
Da gibt es erst Wichtigeres zu lösen.
Schade, diese Debatte hätten wir im LUST-Forum führen sollen, vielleicht hätten sich einige beteiligt.
Joachim
 
9. andre-03 22.Aug. - 00:41
Das ist eine etwas pessimistische Sicht der Liebe, die du da beschreibst, wobei ich einiges, was du sagst, trotzdem teile.
Ich kenne Menschen, die gesagt haben, dass für sie Sex ein Teil der Liebe ist und dass diese Form von Sex auch die schönste ist. Es gibt ja sogar bei GR einige Wenige, die sagen, dass sie ausschließlich eine Beziehung suchen und dass der Sex in dieser Beziehung gelebt werden soll - und das andere Formen von Sex nicht in Frage kommen.
Es ist sehr schwierig (zumal in unserer Zeit) in dieser Frage zu einem Ergebnis zu kommen. Vielleicht gibt es ja auch gar keins. Ich muss darüber auch nochmal nachdenken - heute bin ich aber schon zu müde dafür. Ich melde mich in Kürze nochmal. Bis dahin - eine gute Nacht und liebe Grüße
Andreas
 
10. joachim_von_der_lust 22.Aug. - 01:34
Hallo Andreas,
in unserer Gesellschaft wird immer gesagt, dass Sex in Liebe eingebettet gehört.
Damit wird in Wirklichkeit gesagt, dass man einen Preis für sexuelle Lust zahlen soll, nämlich sie nur in einer ganz bestimmten Struktur erfüllend auszuleben.
Für Heten heißt das: Du hast eine enge Hose, also musst Du heiraten und Kinder ernähren.
Nun, wer es befriedigend empfindet, seinen Sex in solchen Strukturen auszuleben, wie die Gesellschaft es möchte, dem sei gegönnt, dass er es findet.
Dass Du das suchst und noch nicht gefunden hast, hängt sicher damit zusammen, dass es nicht so ist, wie in den Filmen von Hollywood und in den Heten-Ehen, die ja auf Dauer auch nicht ohne Ergänzung auskommen (Swinger-Clubs, Prostitution, Seitensprung, Fremdgehen usw).
Auf jeden Fall, wenn Du für Deinen Traum das nicht findest, was ihn erfüllen sollte, bleibts einfach ein Traum.
Schlaf gut, bis dann.
Joachim

11. andre-03 22.Aug. - 12:37
Ich denke, dass viele von einer erfüllten Beziehung träumen und dass sich dieser Traum nicht für jeden erfüllt. Der Möglichkeitsraum der Sexualität reicht von anonymen Sex (Sex und Tschüss) bis zu Sex, der in eine Liebesbeziehung integriert ist. Im letzten Fall ist der Sex eher implizit und in eine Kontinuität der Emotionen eingebettet, während er im ersten Fall eher explizit ist und für sich selber steht bzw. stehen muss.
Die romantische Liebe ist vielleicht unrealistisch (vielleicht auch manchmal symbiotisch) - oder sogar tragisch (Romeo und Julia) - und passt möglicherweise auch gar nicht in unsere Welt.
Man kann aber auch die von Emotionalität entkopplelte Sexualität als tragisch verstehen - in dem Sinne, dass Menschen sich dabei nur auf der Ebene der Triebe begegnen und eine wirkliche emotionale Begegnung dabei gar nicht stattfindet.
Im Möglichkeitraum zwischen intensiver Liebe und Sex-only-Begegnungen gibt es natürlich auch noch diverse Zwischenformen und die sind wohl das, was in der Realität der meisten Beziehungen stattfindet. Wo sich ein Mensch in diesem Möglich-keitsraum verortet, hängt vor allem von seiner Persönlichkeit, dem Verlauf seiner Kindheit, seelischen Ver-störungen usw. ab. Jeder wird im Rahmen seiner Möglichkeiten das suchen und machen, was ihm entspricht - und man sollte versuchen, das zu tolerieren.
Ich habe mich auch eher für eine Zwischenlösung entschieden - das kann man auch meinem Profiltext bei GR entnehmen.
Die Ebene der Kritik sollte sich damit befassen, inwieweit die Menschen ihre Freiheit verlieren, wenn sie ihre Emotionen reduzieren und welches die gesellschaftlichen Ursachen dafür sind. In diesem Sinne ist auch der GR-Essay gedacht gewesen und zu diesem Problem gibt es eine Vielzahl von Texten und Analysen und eine lange Diskussion innerhalb der Linken. Dabei werden romantische Vorstellungen von der Liebe oft mit dem bürgerlichen Beziehungsideal gleichgesetzt. Ich glaube, dass das so einfach nicht ist und das diese Diskussion noch nicht zu einem überzeugenden Ergebnis geführt hat. Vielleicht ist dafür auch ein anderes Bewußtsein oder eine andere Dialektik notwendig.
LG
Andreas

12 joachim_von_der_lust 22.Aug. - 16:59
Das schreibst Du: “Die romantische Liebe ist vielleicht unrealistisch (vielleicht auch manchmal symbiotisch) - oder sogar tragisch (Romeo und Julia) - und passt möglicherweise auch gar nicht in unsere Welt. Man kann aber auch die von Emotionalität entkopplelte Sexualität als tragisch verstehen - in dem Sinne, dass Menschen sich dabei nur auf der Ebene der Triebe begegnen und eine wirkliche emotionale Begegnung dabei gar nicht stattfindet.”
Du wertest hier ungebundene sexuelle LUST ab “Nur auf der Ebene der Triebe” und überhöhst die von Dir schwärmerisch beschriebene Liebesbeziehung, und das erscheint mir recht pubertär.
Es gibt Menschen die ganz vielfältige Vorstellungen darüber haben, und die Einbettung von Sex in eine Liebesbeziehung ist die in den kitschigen Filmen usw. vertretene gesellschaftliche Norm.
Wir in der emanzipativen Schwulenbewegung haben nicht die Aufgabe, die Menschen im Sinne der vorherrschenden Doppelmoral zu manipulieren und andere Formen von Beziehungen und Sex abwertend zu kommentieren.
Wir haben im Gegenteil die Aufgabe, den Menschen unserer Szene die Ellenbogenfreiheit zu verschaffen, die sie benötigen, um sich vielfältig zu erproben.
Sie mögen zeitweilig freiwillig oder unfreiwillig in Beziehungen sein und zeitweilig freiwillig oder unfreiwillig auf Beziehungen verzichten ohne auf Sex zu verzichten.
Für die vorherrschende gesellschaftliche Norm, die auch in sozialistischen Ländern existierte, gibt es im Hetenleben Gründe, nämlich die Möglichkeit, dass Kinder entstehen und die Ideologie, dass die biologischen Eltern für diese zu sorgen haben.
Genau dieser Faktor spielt im Schwulenleben keine zwingende Rolle. Wir haben also die Chance, uns ohne diese Vorgabe zu erproben.
Und wir haben die Pflicht, unsere vielfältigen Verhaltensweisen als existierend zu akzeptieren (sofern es nicht gegen den Willen der Beteiligten geschieht), egal wie bizarr sie uns erscheinen, um angemessene Formen des Auslebens und des Zusammenlebens zu erproben.
Gruß
Joachim
 
13. andre-03 22.Aug. - 20:16
Die meisten Dinge, die du in der letzten Message sagst, sind ja von meiner Meinung gar nicht so weit entfernt.
Ich sehe die romantische Liebe allerdings durchaus kritisch (“vielleicht unrealistisch”, “passt nicht in diese Welt”) und würde sie niemandem vorschreiben oder sie idealisieren. In der Literatur wird sie bestimmt nicht zufällig häufig als problematisch beschrieben und sogar als gegen die Norm gerichtet.
Die bürgerliche Ehe ist etwas anderes und für Schwule vielleicht auch gar nicht so interessant. Auf die Beziehungsmuster aus Kitschfilmen würde ich mich niemals berufen. Da verstehen wir uns vermutlich falsch. Ich bemühe mich um eine kritische und differenzierte Sicht und ich versuche, nichts zu idealisieren oder schwärmerisch zu überhöhen (und halte das überhaupt nicht für unreif). Ich denke aber, dass es Formen der sexuellen Begegnung gibt, die auf emotionale Defizite hindeuten. Hier wäre der Begriff „unreif“ dann vielleicht eher angebracht.
Es gibt leider auch das Phänomen (und das weiß ich auch aus eigener Erfahrung), dass Menschen gegen die Liebe reden, diese als Besitzverhältnis bezeichnen und selber offensichtlich Probleme mit Beziehungen haben (Psychologen könnten ganz sicher bestätigen, wie häufig solche Probleme heutzutage vorkommen). Es ist daher sehr schwierig, zu unterscheiden, ob es wirklich um (sexuelle) Freiheit geht oder um Abwehrmechanismen - und es ist bestimmt leider (!) so, dass sich hinter der Sex-Fixierung nicht immer ein emanzipierter Mensch verbirgt, sondern nicht selten ein emotional beeinträchtigter.
Die meisten Menschen versuchen, Kompromisse zu finden und die lassen sich in der Regel nicht in ein schwarz/weiß-Muster einordnen. Das hatte ich in meiner letzten Message ja schon gesagt. Ebenso habe ich auch schon darauf hingewiesen, dass es in diesem Zusammenhang nicht um moralische Bewertungen des Verhaltens Einzelner geht (weil das i.d.R. inhuman wäre).
Ich find es gut und wichtig, neue Formen Zusammenlebens zu erproben - dazu gehört manchmal aber auch die Bereitschaft, die eigene Emotionalität weiterzuentwickeln und sich nicht nur damit zu begnügen (bzw. sich darauf zu berufen), dass heute ja eigentlich alles möglich ist.
Andreas
 
14. andre-03 22.Aug. - 20:19
P.S.
Ich habe übrigens einen Freund in Mainz. Wenn ich den mal besuche (was leider nicht so oft vorkommt), dann können wir uns ja mal treffen - das wird ganz bestimmt eine interessante Diskussion.
LG - Andreas

15. joachim_von_der_lust 22.Aug. - 23:41
OK.
 
16 andre-03 23.Aug. 00:03
Danke nochmal für die fruchtbare Diskussion - ich glaube, dass du ein interessanter Mensch und bestimmt auch ein guter Kumpel bist (am besten wäre es natürlich, wenn wir uns mal persönlich kennenlernen könnten). Die Lustzeitschrift ist eine gute Idee und ich fände es gut, wenn viele Schwule sie lesen - am besten jeder, der hier bei GR unterwegs ist.
Liebe Grüße aus Hannover -
Andreas
 
17. joachim_von_der_lust 23.Aug. - 10:12
Hallo Andre,
bist Du einverstanden, wenn ich unsere Debatte ins Club-Forum stelle, damit vielleicht andere noch daran teilnehmen können?

18. andre-03 23.Aug. - 11:57
Das kannst du gerne machen. Vielleicht kannst du ja auch in der LUST-Zeitschrift nochmal auf das Forum hinweisen und um rege Beteiligung bitten. Die LUST-Leser sind bestimmt ‘ne interessante Gemeinde.
 
19. joachim_von_der_lust 23.Aug. - 11:59
Möglich ist das. Ich kenne die LeserInnen ja nicht persönlich.
Bis dann
Joachim
 
20. andre-03 31.Aug.2007 - 12:54
Noch eine kleine Anmerkung zu meinem letzten längeren Beitrag:
Es gibt offensichtlich verschiedene Ansichten über die Freiheit. Der Begriff „Freiheit“ wird z.B. auch gerne von neoliberalen Politikern verwendet, und sie meinen damit eigentlich Entsolidarisierung. Aus linker Sicht ist dieser Freiheitsbegriff nicht akzeptabel - für Linke ist Freiheit eher die Emanzipation von repressiven Verhältnissen (incl. deren Verinner-lichungen und psychischen Folgen). Es kann aus linker Sicht also nicht darum gehen, die Freiheit zur Unfreiheit zu idealisieren. Dass heute (theoretisch) „alles“ möglich ist, bedeutet ja nicht zwangsläufig, dass das Mögliche aus der Freiheit hervorgegangen ist. Und in dieser Hinsicht kann man auch die Freiheit bei GayRomeo kritisch hinterfragen.
Im Übrigen ist das Motto „alles ist möglich“ natürlich auch nur richtig, wenn man dies systemimmanent sieht. Wieviel (auch an Freiheit) im System NICHT möglich ist, läßt sich leicht feststellen, wenn man die heutigen gesellschaftlichen Verhältnisse kritisch analysiert. Es gibt Freiheit, deren Voraussetzung die Affirmation der herrschenden Verhältnisse ist.
Andreas
 
21. joachim_von_der_lust 01.Sep.2007 - 11:31
Hallo Andreas,
Dein letzter Text, den Du hier nun eingetragen hast und auf den ich mich nun hier beziehe, hat mir sehr gefallen.
Ich arbeite mich mal an ihm ab.
1. Freiheit: Dieser Begriff ist in „unserer“ Gesellschaft völlig nichtssagend geworden. Es macht aus meiner Sicht nur Sinn, wenn hinzugefügt wird, von was man frei sein möchte.
Richtig ist, dass man unter den Marktverhältnissen die hier das ganze Leben bestimmen, Freiheitssehnsüchte entwickelt, die für einen linken Menschen eher ein „rotes Tuch“ sind: die Freiheit ausbeuten zu dürfen, Menschen zu verarmen, damit sie für meinen Profit sorgen usw. Hier sind wir wohl einer Meinung.
Was nun die vorherrschende Sexualmoral (nicht die vorgegebene) betrifft, die ist hier eben auch dem Markt unterworfen. Man versucht, sich die sexuell besten Stücke zu kaufen und alles, was daran hinderlich ist, einfach den wirtschaftlich Schwächeren übrig zu lassen.
Und wir kennen ja auch (abgesehen von offenen Prostitutionsbezieh-ungen wie Ehe oder Bordell oder Thailand-Reisen) die Stärkezeichen: Jugendlichkeit, großer Schwanz, dicker Geldbeutel. Diese machen den Marktwert aus. Ein alter eher nicht mehr schlanker Mann mit kleinem Geldbeutel ist da recht benachteiligt, und der Schwanz ist da kein ausreichendes Argument mehr.
Ich habe mir das Profil von sweet-secret angeschaut, von dem Du sagst, dass der Deine Werte formuliert.
Und das irritiert mich sehr. Der stellt „die Liebe“, also eine Bindung aus Liebe, der bindungslosen Sexualität gegenüber.
Liebe kann man empfinden, man kann sie nicht erwarten und nicht herbeiführen. Und das sexuelle Verhalten der Menschen in unserer Szene ist nicht die Ursache dafür, dass sich die ersehnte „Liebe“ oft gar nicht einstellt und die „Bindung“ sehr schwer zu machen ist, vielleicht oft gar nicht wünschenswert ist.
Wären wir in einer utopischen sozialistischen Gesellschaft, würden wir uns da noch so sehr danach sehnen, geliebt zu werden? Diese Sehnsucht ist doch auch ein Reflex auf lieblose und ausbeuterische zwischenmenschliche Verhältnisse.
Auch in einer solchen utopischen Gesellschaft ist es fraglich, ob ein dickbauchiger älterer Mann von einer jugendlichen Schönheit als schön empfunden wird.
Und es ist auch fraglich, ob die monogame Bindung dann noch nötig ist, wenn ein sogenanntes Schutz-und-Trutz-Bündnis (Lenin) aus wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gründen nicht mehr zwingend ist.
Ich benutze statt Liebe lieber „zwischenmenschliche Verbindlichkeit aus zwischenmenschlicher Nähe“.
Wenn mir ein Mensch nahegeht, fühle ich mich ihm verbunden. Das ist nicht notwendig Geilheit.
Die Menschen einer kommunistischen Gesellschaft (der utopischen) werden sich ihre eigene Moral dazu entwickeln und ihr dazugehöriges Handeln und sich den Teufel darum scheren, was wir meinen, was sie tun würden. Punktum (Engels)
Da diese utopische Gesellschaft aber nicht in Sicht ist, da ich wohl nicht mehr leben werde, wenn sie erarbeitet ist, will ich mir heute einen Weg suchen, der für mich hier heute gangbar ist und will dies mit gutem Gewissen machen dürfen.
Ebenfalls Punktum (Joachim)
 
22. andre-03 01.Sep.2007 - 13:39
Moin Joachim,
Ich finde das Profil von „sweet-secret“ interessant, weil es sich deutlich von den meisten Profilen unterscheidet - das heißt allerdings noch nicht, dass ich dieses Profil als Ideallösung betrachte. Ein anderer User hat mir kürzlich gesagt, dass er solchen Profilen, die auf Beziehung und Freundschaft ausgerichtet sind, auch nicht mehr so richtig traut - das wäre oftmals eine Methode, um sich interessant zu machen und dahinter würden sich dann doch die „üblichen“ Wünsche verbergen.
Was die „utopische“ Gesellschaft betrifft, stimme ich dir weitgehend zu.
Auch, wenn wir heute keine konkreten Vorstellungen davon haben, dürfte sie wohl ein „weg“ vom ICH und ein ‘hin’ zum WIR beinhalten. Vielleicht kann man sich das etwas besser vorstellen, wenn man sich z.B. mit dem Leben der Urvölker von West-Papua beschäftigt (auch, wenn diese Völker aus unserer Sichtweise in vielerlei Hinsicht als „primitiv“ erscheinen).
Andreas
 
23. joachim_von_der_lust 01.Sep.2007 - 17:01
Hallo Andreas,
Gerade, wenn wir weg vom „ich“ kämen, müsste man auch nicht sein Schäfchen ins Trockene einer gegen außen abgeschirmte Liebesbeziehung führen.
Doch das Gegenteil ist ja heute hier der Fall. Und daher sehnen sich eben viele nach dem Schutz und Trutzbündnis (Lenin) der monogamen Beziehung, bei dem man selber ein „gutes Geschäft“ macht, weil man selber nicht oder nicht mehr die (beziehungsmarktwirtschaftlichen) Stärkezeichen aufweist, aber aus Liebe des anderen (wie man dann hofft) dennoch hingebungsvoll umsorgt wird.
Sollte es noch eine inhaltliche Differenz zwischen uns geben, kann ich sie beim gegenwärtigen Stand unserer Debatte nun kaum mehr erkennen. Übrigens, ich lebe zwar in einem solchen Schutz- und Trutzbündnis, aber in einer 3er-Beziehung, die jedoch nicht sexuell ist.
Gruß Joachim
 
24. andre-03 02.Sep.2007 - 23:12
Hallo Joachim,
dem letzten Beitrag stimme ich zu. Nun, da kaum noch Differenzen vorhanden sind, müssen wir uns wohl eine neues Themengebiet überlegen, damit der Diskurs nicht abbricht. Schlag doch mal was vor.
LG Andreas
 
25. joachim_von_der_lust 04.Sep.2007 - 15:17
Hallo Andreas,
Ich habe eine neues Thema ins Forum gestellt. Möchtest Du Dich einklinken?
Gruß Joachim
 
3. Beitrag zum Thema:
Das „gayromeo.com“ - Portal
Es wird scherzhaft das „schwule Adressbuch“ genannt. Wie es aussieht, landet nahezu jeder Schwule hier, der im Internet surft. Am Portal selber oder seinen Möglichkeiten scheiden sich die Geister der User. Auch hier sind die Markgesetze der Szene nicht außer Kraft, auch hier gibt es keine Wunder, aber doch Möglichkeiten.
 
Wenn ich User (Nutzer) dieser Einrichtung werden will, kann ich mich kostenlos anmelden und kostenlos dabei sein.

Zuerst erstelle ich hier mein „Profil“. Ich gebe also das in die virtuellen Fragebögen ein, was die anderen User nach Meinung der Betreiber interessieren könnte und was ich von mir darstellen möchte. Also die Stadt, woher ich komme, welche Sprachen ich sprechen oder texten kann, wie alt ich bin und wie groß, dick usw., ob ich eher behaart bin, Augenfarbe, Pircings, Tartoos, Raucher oder nicht, schwul oder bi, in Beziehung, offener Beziehung oder Single. Was ich suche: Beziehung, Date, Freunde usw. im Alter von bis. Ich kann meinen Beruf angeben, was ich gerne esse, Religion, Musikgeschmack, Sport, Reisen, Ausgehen.

Man kann Sprüche eingeben, die sichtbar sind, wenn man „on“ ist, und andere, wenn man nicht „on“ ist. Auch Texte sowie Pornotexte kann man eingeben. Jeder User muss übrigens minestens 18 Jahre alt sein.

Ich kann auch Spezielleres angeben: Die gewünschte sexuelle Position, Schwanzgröße, und spezielle Neigungen in diesem Zusammenhang. Wer hier lügt, kommt in peinliche Situationen, wenn es zum Date kommen sollte.

Ich kann Fotos in mein Profil und in mein Fotoalbum laden, Passbilder oder die Abbildung anderer Körperteile.

Gewisse andere Körperteile sind aber mit einem XXX gesperrt, die kann man sich von dem Betreffenden dann zeigen lassen, wenn man selber und der das will.

Dass die intime Abbildung des Körpers in intimen Verrichtungen ein Eingriff oder Angriff auf den Abgebildeten ist, kann man hier nicht behaupten, denn viele sind hier eifrig am Schwanzwedeln.
Wer zusätzlich Geld ausgibt, ca. 40 Euro im Jahr, für den gibt es keine XXX-Barriere und er sieht alles bunter hatc weitere Vorteile.

Und nun kann man sich einzelne Städte oder Regionen aussuchen, und nachschauen, wer dort gerade „on“ ist. In Wiesbaden gibt es z.B. 1.462 User und im Moment sind davon 102 „on“.
Und nun kommt es auf mich an, wie ich mich präsentiere usw. Dabei macht es wenig Sinn, einen hübschen jungen Kerl anzusprechen, der nur Leute im Alter zwischen 18 und 22 sucht. Die können mir absagen oder mich blocken, das heißt, ich komme dann nicht mehr auf sein Profil und kann ihn auch mit keiner Message (Nachricht) mehr ansprechen.

Ich selber gebe mich mit meinem Nickname (Usernamen) als alter schwuler Mann zu erkennen, und in meinem Profil steht, dass ich an jungen Typen interessiert bin. Und siehe da, es melden sich doch eine ganze Reihe junger Typen bei mir. Es gibt offensichtlich mehr junge Sucher älterer Semester, als ich gedacht hatte. Und ich habe durchaus schon gute Kontakte bekommen können, die noch anhalten. Es melden sich aber auch Stricher. User, mit denen ich unangenehme Vorfälle hatte, kann ich melden und deren Profil wird dann gelöscht, wenn sich solche Beschwerden häufen.

Aber niemand kann natürlich kontrollieren, wenn sich diese unter neuem Namen wieder anmelden. Überhaupt kann niemand kontrollieren, ob die Angaben der User auch stimmen oder ob sie Faker sind.

Über diese Anbahnungsmöglich-keiten hinaus gibt es hier noch nahezu alle Gay-Zeitschriften, die es gibt (auch die LUST), Hilfestellung bezüglich Safer Sex und HIV, Coming-out-Hilfe, Tipps zur Sicherheit beim Date, viele unterschiedliche Guides und Clubs, und ein solcher Guide und Club ist „lustzeitschrift“, in dessen Forum die nebenstehende Debatte zu lesen ist.

Früher wurden die meisten Gay-Kontakte in den Kneipen und Diskotheken geschlossen. Die erreichen aber weit weniger Gäste als die In-ternet-Foren. Es nutzt den Wirten nichts, die Zeiten zu beklagen, sondern sie müssen sich darauf einstellen, dass sie nun andere Aufgaben (aus der Sicht der Gäste) haben.

Nun gibt es für schwule User nicht nur gayromeo.com, sondern auchandere, wie gayroyal.com, das auch sehr gute Möglichkeiten für seine User hat, dann gaydar.de oder das gaychat.de usw. Versuche, etwas Neues einzurichten, leiden letztlich daran, wie z.B. gays4sex.de, dass die User überwiegend lieber dort sind, wo das größte Angebot ist.

Auch für Lesben gibt es viele unterschiedliche Portale wie lesben.org, her4her.net, lesbenschaft.de, aber auch lesbisch.de, lesarion.de, usw., in denen sich die Lesbenschaft treffen kann. Vielleicht findet sich ja mal eine LUST-Leserin, die hier Genaueres schreiben möchte. Das wäre wirklich nett, denn von den LUST-Frauen ist dort keine. (js)
 
 
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