91. Print-Ausgabe, Sommer-Lust 07
 
Vernunft oder Religion?
Über unsere Werte und die Forderung nach Verkündung von Werten. Gibt es wirklich die Sehnsucht nach mehr Religiosität, oder gibt es eher das Bestreben der zunehmenden Vernebelung? Über unsere eigene Interessenslage und die Gefahren für ein unbehelligtes lesbisches bzw. schwules Leben. (Zwischenresultate zu unserem Aufruf)

Religiöse Übergriffe in Hamburg
Im Hamburger Viertel St. Georg liegen Gay-Lokale und Wohnstätten von Immigranten sowie die dazugehörige Infrastruktur, Läden. Cafés und Moscheen eng beieinander.

Die Hamburger Morgenpost berichtet:
„Von außen betrachtet scheint es hier in St. Georg zu funktionieren: das Nebeneinander von Moslems und Schwulen. Grüne Islamflaggen und Regenbogenfahnen hängen hier Tür an Tür.
Elf Moscheen auf einem Quadratkilometer und mehr als hundert Schwulenbars und Geschäfte für Schwule. Doch die Ruhe ist trügerisch. Denn diese Woche beendete die Centrum-Moschee einen von den Grünen initiierten Stadtteildialog. „Wir wollen uns nicht von Schwulen-aktivisten auf der Nase herumtanzen lassen“, sagte Ahmet Jazici, Vize-Chef der Centrum-Moschee.
Irgendwo verläuft die Trennlinie zwischen den beiden Welten. Allein das unschuldige Händchenhalten in Sichtweite der Centrum-Moschee führt zu einem Menschenauflauf. „Vor einer Moschee haben Schwule nichts zu suchen“, schreien sie.
„Wenn die sich geküsst hätten, hätte jeder Einzelne in dieser Straße sie angegriffen“, droht Ahmed Kajhy (18) unverhohlen. Ein anderer brüllt: „Ihr beleidigt den Islam.“

Soweit aus dem Artikel. Es geht also um unsere Menschenrechte. Unsere Menschenrechte werden dadurch verletzt. Und durch die Unterstellung, ein schwuler Kuss wäre etwas ehrenrühriges, werden wir beleidigt. Diese Beleidigung ist in der Szene längst angekommen. In Kommentaren zu diesem Vorgang lesen wir:
„ja, das ist ganz toll. fremde fühlen sich durch einheimische gestört. geil.“

Das ist eine weit verbreitete Meinung, die die Realitäten völlig verkennt. Der Islam existiert in den europäischen Staaten schon längst,´. Er ist nicht mehr fremd. Ca. 4 Millionen Muslime leben in Deutschland, er ist also eine einheimische Religion geworden, auch, wenn uns Kopftuchfrauen noch befremden, wenn traditionelle orientalische Auffassungen über Familie und die Rechte von Frauen unsere langen Bemühungen um die Emanzipation der Menschen ihrerseits erfolgreich unterlaufen. Und auch das Christentum kam aus dem Orient zu uns.

Die anmaßenden Angriffe auf uns zurückzuweisen ist keine Fremdenfeindlichkeit, sondern Teil einer langen Auseinandersetzung, nicht nur in unserem Land. Also gilt aufzuzeigen, dass religiöse Menschen nicht mehr Rechte haben als andere.

Aus dem Artikel geht hervor, dass die islamistisch geführten Menschen in diesem Stadtteil nun ganz selbstverständlich von der Scharia ausgehen und auf dieser Grundlage Selbstjustiz betreiben, dass sie die öffentliche Gesetze in diesem Lande eher milde belächeln und als einen Ausdruck der Dekadenz und der Schwäche westlichen Länder ansehen, dass sie dies zumindest in den Predigten so erfahren. Dies geschieht vor allem deshalb, weil der Islam politisch funktionalisiert wird und weil Menschen der Unterschicht oder die wirtschaftlich noch schlechter gestellt sind, ganz gerne Gründe haben, um auf andere Menschen herabzublicken. Da kommt ihnen der politische Islam gerade recht.

Und Menschen, die mit „Ausländern“ grundsätzlich Probleme haben, denen kommt das Thema auch gerade recht:

„ ... ich finde unser staat sollte gegen ein solches verhalten massiv vorgehen, es kann nicht sein, dass man im eigenen land aufgrund von sexualität auf diese art und weise kritisiert und diskriminert wird. schwule beleidigen den islam? das mag lt. koran vielleicht sogar stimmen, aber in deutschland möchte ich mich nicht vom Koran bestimmen lassen, wenn ich als deutscher auch nur ansatzweise kritik am islam oder an ausländern lasse werde ich gleich als rechtsradikaler hingestellt.muslime verlangen permanent die absolute toleranz und sind selbst das intoleranteste was es gibt. ich finde es auch sehr schade, das grade solche themen in politischen sendungen nicht aufgenommen werden.“

Also die Rettung durch den Staat, der Minderheiten schützen soll, die schwule Minderheit, und auch seine religiösen Minderheiten?

Die Menschen müssen lernen (das ist ja der Sinn demokratischer Umgangsformen), dass jeder Mensch das Recht hat, so zu leben und sich so zu geben, wie er dies für sich selber für angemessen hält. Das ist die Grundlage. Und darüber hinaus hat kein Mensch das Recht, einen anderen Menschen wegen eines anderen Lebensstiles anzugreifen.

Daher wäre natürlich eine eigene Standortsbestimmung in der Szene zu dieser Frage recht sinnvoll. Aber das ist so nicht möglich, denn zur Frage der Religion haben die Menschen auch unserer Szene recht unterschiedliche Antworten, von den religiösen Lesben und Schwulen ganz zu schweigen. Wir bilden darin ein ziemlich uneinheitliches Bild.
 
Erfahrungen von Lesben und Schwulen
Dass Lesben und Schwule gerade auch durch Religionen das Leben schwer gemacht bekommen oder ihr Leben verlieren, braucht auch nicht besonders betont zu werden, das dürfte hoffentlich bekannt sein.

Es gibt auch religiöse Lesben und Schwule, was möglich ist, weil die beiden Amtskirchen in Deutschland sich gegenwärtig mehr oder weniger zahm uns gegenüber verhalten.

Doch ist von den unterschiedlichen Regionen auf der Welt noch Einiges gegen uns zu befürchten.
- Wir lesen und hören in den Nachrichten, dass der Papst sich erneut gegen die sogenannte Homo-Ehe ausspricht und christliche Politiker auffordert, gegen die Legalisierung homosexueller Partnerschaften tätig zu sein.

- Wir erfahren von der Kündigung Homosexueller in kirchlichen Einrichtungen, die oft die einzigen sozialen Einrichtungen sind und zu 90% von Steuergeldern finanziert werden.

- Wir lesen und hören von den Steinigungen, Verfolgungen und Hinrichtungen homosexueller Menschen in islamischen Ländern, von deren ständigen Diskriminierungen und Entwürdigungen ganz zu schweigen.

- Wir lesen und hören von den Verfolgungen homosexueller Menschen im Buddhistischen Nepal und im hinduistischen Indien.

- Wir erfahren von den pogromartigen Zuständen in Moskau, angeführt von der russisch-orthodoxen Kirche unter Beteiligung moslemischer Gruppen und russischen Nazis, dort vereint gegen eine kleine mutige Demonstration homosexueller Menschen.

- Wir erfahren von eifernden Rabbis in Jerusalem, unterstützt von dortigen Muslimen gegen die CSD-Parade in Jerusalem, die dann von den Ordnungskräften in ein Fußballstadion abgedrängt wurde, was nicht an „Gay-Pride“, den Stolz der Homosexuellen erinnert, sondern eher an Chile. Gegen Homosexuelle waren sich Vertreter jüdischer und muslimischer Organisationen plötzlich einig.

- Wir wissen von den Übergriffen muslimischer Jugendlicher auf Einrichtungen lesbischer und schwuler Menschen in Berlin und Köln. In Deutschland tauchen nun neuerdings doch recht viele fundamentalistische evangelikale Christen auf, die homosexuelle Menschen „heilen“ wollen und unsere Leute so oft jahrelang in ihrem schwierigen Prozess des Selbstakzeptierens, des Coming-outs, zurückwerfen.

Das Menschenrecht auf ein homosexuelles Leben hat der Brasilianische Präsident Lula das Silva vor dem Menschenrechtsausschuss der UNO eingefordert, und bekämpft wurde sein Antrag von den islamischen Staaten, dem Vatikan und den USA unter Bush.

Die Religionsgemeinschaften sind also tatsächlich die Speerspitze der Verfolgung homosexueller Menschen. Sie moralisieren die Menschen und erzeugen dabei Ängste und bewerten das Leben von Menschen nach einem platten gut-böse-Raster.

Was alles religiös ist
Man spricht von ca. 4 Millionen Muslimen in Deutschland. Die gehören aber nicht offiziell als eingeschriebene Mitglieder einer islamischen religiösen Organisation an. Die islamischen Sprechen von Organisationen, sprechen, genau genommen, nur für die Mitglieder in diesen Organisationen, auch wenn sie so tun, als würden sie für 4 Millionen Menschen sprechen und mehr, denn nach dem kuriosen islamischen Selbstverständnis werden alle Menschen als Muslime geboren und durch falsche Erziehung davon abgehalten.
 
Religionszugehörigkeit in der BR Deutschland in Prozentzahlen
 Jahr  evangelisch  katholisch  muslimisch  sonstig  religionsfrei
 1950  50,6  45,8  -  3,6  -
 1961  51,0  45,5  -  3,5  -
 1970  49,0  44,6  1,7  1,2  3,9
 1987  41,6  42,9  2,7  1,4  11,4
 1990  36,9  35,4  3,7  1,6  22,4
 2003  31,3  31,3  3,9  1,6  31,8
 2004  31,0  31,1  3,9  1,7  32,3
 2005  30,8  31,0  3,9  1,9  32,5

Schaut man danach, wie viele Christen es in Deutschland gibt, so sind sie durch Kirchenaustritte aus beiden Kirchen deutlich zurückgegangen. Aber dies ist ein Trugschluss.

Während z.B. bei den Muslimen nur geschätzt werden kann, wie viele es sind und wieviele von ihnen in irgendeiner Einrichtung organisiert sind, wird bei den Christen nicht zusätzlich vermutet, wie viele Christen ohne Kirchenmitgliedschaft sind. Bei den Zahlen für „Sonstige“ wurden bis 1965 die Muslime hier mitgerechnet und erst seit 1970 extra aufgeführt.

„Sonstige“, das sind nun noch orthodoxe Christen, Buddhisten usw. soweit man das schätzen kann.

Nach dieser Berechnung des bfg sieht es eigentlich gar nicht so schlecht aus, kann man meinen, die religionsfreien Menschen scheinen kontinuierlich zuzunehmen. Aber sind sie wirklich religionsfrei? Dies müsste näher untersucht werden, wenn man darüber urteilen möchte.

Diese Tabelle geht übrigens nur über die BRD und seit ihrem Anschluss mit den neuen Ländern.
 
„Möge die Macht mit Dir sein!“
Den meisten Menschen fällt gar nicht auf, wie tief das religiöse Denken in den Köpfen von Menschen verankert ist und über die Medien immer weiter verankert wird, auch wenns auf dem ersten Blick ganz anders aussieht.

Es hatte mich früher einmal irritiert, in welchen Filmen auch Gelder von Religionsgemeinschaften einfließen, zum Beispiel auch in Filme die absolut unchristlich aussehen. Filme über Weissagungen, Vampirfilme und Filmserien über Hexen und Dämonen, über Mächte aus der Vergangenheit und „Weisheiten“ aus der Vergangenheit zum Lösen der Probleme von morgen?

Selbst SF-Serien haben ihre religiösen Inhalte über höhere Mächte, die für Gerechtigkeit sorgen. Und die Bösen sind immer die Zweifler, Ungläubigen usw. Dass damit ein religiöses Denken gelehrt wird, obwohl es nicht so einfach zu erkennen ist, erschließt sich erst auf den zweiten Blick.

Eine übergeordnete Gerechtigkeit, die auf irgend eine geheime Weise dann doch „das Gute“ siegen lässt, zieht sich durch nahezu alle Medien. Und das ist auch erklärlich, denn die Wirtschaft und die weltliche Obrigkeit finden es gar nicht schlecht, wenn die Menschen, die ihnen den Wohlstand verschaffen, an eine höhere Gerechtigkeit glauben.

Selbst wenn die Menschen die Obrigkeit hassen, sie werden das Risiko scheuen, den Kampf um die wirtschaftliche Gerechtigkeit aufzunehmen, denn sie wissen ja: die habgierigen Ausbeuter werden letztlich bestraft werden, und sie, die sich ihr Leben lang abgeschuftet haben, auf Vieles verzichten mussten, werden belohnt werden, wenn sie dann mal tot sind. Deshalb beten sie oder meditieren, statt zu kämpfen.

Lob der Vernunft
Die Kirchen und andere Religionsgemeinschaften behaupten, dass ohne sie die Menschheit unzivilisiert und intolerant sei, sie wären, ganz vernünftig betrachtet, der Garant für Toleranz und Menschlichkeit (Humanismus).

Dazu kann ich nur sagen, dass gerade von den Religionen die größte Intoleranz und der größte Widerstand gegenüber Menschlichkeit ausgeht. Und ihre Ethik ist nach dem Ermessen der jeweiligen Nützlichkeit bei ihnen.

Ich stimme zu, dass es ohne eine Ethik nicht geht, dass ohne eine Ethik das Leben nicht lebenswert ist. Sonst könnte jeder jeden totschlagen oder ihn quälen, wenn ihm danach ist, sofern er damit rechnen kann, dass er gesetzlich nicht verfolgt wird. Einen ethiklosen Zustand haben wir heute beinahe bei uns.

Die Ethik baut als philosophische Disziplin allein auf das Prinzip der Vernunft. Darin unterscheidet sie sich vom klassischen Selbstverständnis theologischer Ethik, die sittliche Prinzipien als in Gottes Willen begründet annimmt und insofern den Glauben an eine göttliche Offenbarung voraussetzt. Das Ziel der Ethik ist die Erarbeitung von allgemein akzeptierten Normen und Werten.

Ich meine, Humanismus und Aufklärung sind das Resultat vernünftiger Abwägungen und insofern eine gute Grundlage einer weltlichen Ethik. Frei von Religion heißt nur, so hoffe ich, frei zu sein, von der Absurdität des Glaubens an ein allmächtiges Überwesen, dass es liebt, von den an politischer und wirtschaftlicher Macht interessierten Menschen interpretiert zu werden, oder eine höhere Gerechtigkeit nach gleichem Muster.

Statt also einer verlogenen religiösen Ethik, entwickelt von machtgierigen Menschen, die ihre persönlichen und kollektiven Interessen dort mit hineinmischen, die ansonsten von Humanisten und Aufklärern abgeschrieben ist, statt dieser Ethik eine auf Vernunft aufbauende Ethik, das müsste es sein. Wie ich dazu komme, die religiöse Ethik derart abfällig zu bewerten?

Was für eine Ethik ist das wohl, mit der früher Folter und Kreuzzüge auch heute noch gerechtfertigt wurden und mit der die Unterstützung Hitlers möglich war wie auch hinterher die Behauptung, zu den Gegnern gehört zu haben, während gleichzeitig vatikanische Pässe an führende Nazis vergeben wurden, damit sie nach Südamerika ausreisen konnten?

Mit welcher Ethik sind Selbstmordattentate möglich und das Versprechen, dass die Täter dafür später von einundsiebzig Jungfrauen bedient und verwöhnt würden?

Und wie sieht es mit der Ethik der Gotteslämmer verschiedener Religionen aus, die das Unterwerfen unter absolut absurde, unwissenschaftliche und unmenschliche Vorstellungen wissenschaftlicher Aufklärung auch Gehorsam vorzuziehen haben und die somit das Unterwerfen unter die Obrigkeit, auch die weltliche Obrigkeit, intendiert haben?

Die Gläubigen unterschiedlicher Religionen sind genötigt, einen geistigen Eiertanz zu vollziehen, zwischen dem, was sie wissen und sehen, und dem, was sie wider besseren Wissens darüber glauben sollen. Oftmals trauen sie nicht ihren Augen, und doch kommen sie damit zurecht, denn sie suchen sich aus ihrer Religion immer die Teile aus, die ihnen gerade passen und verwerfen die Teile, die ihnen nicht passen. Anders geht es nicht. Und so gehen sie auch mit ihrer Ethik um.

Und daher ist diese Ethik der wirtschaftlich nutznießende Oberschicht und ihren politischen Sachwaltern auch lieber als eine weltliche und vernünftige Ethik, gerade wegen der Biegsamkeit der religiösen Ethik.

Die religiöse Ethik scheint auf uralten und unbeugsamen Fundamenten begründet zu sein, so wird jedenfalls von den Religionen selber behauptet.

Sie verweisen dabei auf uralte Bücher, die angeblich von Gott selber geschrieben worden seien. (Und da haben die lustig voneinander abgeschrieben, mit kleinen Änderungen). Doch werden diese religiösen Aussagen dann recht beliebig interpretiert, grade so, wie die jeweilige Obrigkeit sie braucht.

Die religiöse Ethik ist ja gerade wegen ihrer hervorragende Anpassungsfähigkeit an politische Interessen der Obrigkeit so erfolgreich, weil dadurch die Religionsführer ebenfalls oben sind.

Und so können sie lustig schwadronieren, wie wichtig sie für die Ethik seien, und wie schrecklich die Welt dran wäre, gäbe es keine religiöse Ethik.

Die großen demokratischen Errungenschaften sind aber gegen die Religionen ertrotzt worden. Und dies war nur mit einer vernuftbetonten Ethik möglich. Die daraus zu ziehende Lehre ist, dass es ohne Religionen geht, meiner Meinung nach auch besser geht, dass aber nicht ohne eine Ethik geht. Die Ethik muss aber vernünftig und logisch sein und nicht unlogisch und „unerklärlich“.
 
Religionsfrei?
Dieser Begriff stammt von den Verbänden, die für eine Ethik des Humanismus und der Aufklärung eintreten statt einer religiösen Ethik. Nach meinem Sprachverständnis heißt Religionsfreiheit die Freiheit von einer Religion. Kann man in Gesellschaften wie unserer absolut frei davon sein? Intendiert dies auch die Freiheit von Religiösem?

Wo überall religiöses Denken zu finden ist, habe ich oben schon angeführt, aber eigentlich ist auch jede Form des Wunderglaubens, nämlich über Horoskop zu „Glück und Pech“ und der irrigen Annahme, dass man für Erlittenes irgendeine Form des Ausgleichs bekommt.

Tilman Moser hat in seinem Buch „Gottesvergiftung“ folgendes Erklärt (Er mach das dort in Form einer Beschimpfung des Gottes, der ihm gelehrt wurde):

Er habe gelernt, dass es immer etwas über ihn gibt, dem er sich zu verantworten hat. Und das sei von klein auf in ihn hineingehämmert worden. Der religiöse Glaube ist also die Grundlage hierarchischen Denkens mit all seine Folgen wie Ehrfurcht und Charismaglaube usw. was das Beherrschen von Menschengruppen erleichtert.

Er habe zwar diesen Gott loswerden könne, aber der Platz für ihn sei in ihm eingegraben und so sei er offen für ein Oben und Unten. Daher könne er nicht richtig religionsfrei sein.

Gesellschaftspolitisch betrachtet, gibt es ein sehr wichtiges Zitat über die Funktion der Religion, das im übrigen auch recht oft verfälscht zitiert wird, aber, kein Wunder:
"Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend.
Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt der herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks.
Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks. Die Forderung, die Illusion über seinen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf.
Die Kritik der Religion ist also im Keim die Kritik des Jammertales, dessen Heiligenschein die Religion ist."

Karl Marx, Frühschriften

Es gäbe auch noch eine weitere psychologische Erklärung für den Hang, Menschen über uns zu stellen und uns von ihnen bevormunden zu lassen. Nämlich da gibt es noch die Tatsache, dass wir als Kinder in der Regel von sehr mächtigen über uns stehenden Erwachsenen erzogen werden, die eine solche Macht über uns haben, dass sie das Prinzip ihrer grenzenlosen Überlegenheit in uns verankern.

Und wie sie sich uns gegenüber verhalten, ist uns das nicht logisch, sondern recht oft unerklärlich. Aber sie können ihren Willen durchsetzen. Und ob sie uns gewogen sind, ist von unsrem Unterwerfungsverhalten abhängig.

Daher brauchen wir angeblich eine Obrigkeit oder den Ersatz dafür. Zumindest seien wir anfällig dafür und daher längst nicht ganz religionsfrei, auch wenn der Gott, den sie uns gelehrt haben, so nicht mehr in uns existieren kann, je mehr wir wissen. Ob das ursächlich ist, weiß ich nicht, aber dass dies von den Religionsführern genutzt wird, ist eindeutig, man hört es aus Predigten und aus ihren Äußerungen in den Medien, denn da ist ihnen kein rhetorischer Taschenspielertrick zu billig, um ihn zu verwenden.

Und gerade wegen der oftmals leichten Durchschaubarkeit und Erbärmlichkeit ihrer rhetorischen Tricks, beleidigen sie derart unsere Fähigkeit, vernünftig zu denken, dass man selbst bei einem noch so großen Hang nach Hierarchie aufgrund der verinnerlichten Bereitschaft dazu doch für deren Führungsanspruch nicht besonders empfänglich sein kann.

Da sagte Kardinal Lehmann in einem Fernsehinterview auf die Frage, warum Frauen in der katholischen Kirche nicht Priester werden können, dass Gott den Frauen viele gute Eigenschaften gegeben habe, und aufgrund dieser Eignung seien sie besonders für die Familie wichtig.
Das ist fürwahr eine sehr billige Antwort.

In einem anderen Interview wurde er nach dem demokratische Recht gefragt, sich anders zu entscheiden als es die Kirche sehe, nach der Aufklärung gefragt, die doch im Gegensatz zum Glaubensgebot sei. Er meinte, dass die Kirche sich nicht gegen die Aufklärung stelle, und wenn es Menschen geben würde, die glauben, das sie ohne Gott und die katholische Kirche auskommen, so sollen sie dies ruhig tun.
 
Aber sie sollen doch daran denken, wo die Aufklärung eigentlich herkommen, diese Fairness könne man doch von ihnen erwarten.
Was soll das denn heißen? Kommt denn die Aufklärung, die auf das Prinzip des Zweifels aufbaut statt auf das Prinzip des Glaubens, von der Kirche? Gerade die Kirche hat doch immer dagegen gekämpft.

Auch ein islamischer Sprecher hat im Fernsehen unsere Vernunft aufs billigste beleidigt. Dass so viele Menschen, die erstaunt sind, sagen: Oh Gott, sei doch Beweis, dass Gott in uns sei.

Die bürgerliche Wirtschaft funktioniert weltlich, weil zur Produktion die Naturwissenschaften wichtig sind als der Glaube. Wobei man hier allerdings sagen muss, dass die Formen der Anwendung erkannter naturwissenschaftlicher Zusammenhänge nur der wirtschaftlichen Obrigkeit wirtschaftliche Vorteile bringt, weshalb sich die Religionen auch nicht gegen sie stellen.

Zur Herrschaftsausübung ist dem Bürgertum Religiosität als Hilfe angenehm, unabhängig von der jeweiligen Religion.
Und wenn man den Klimawandel betrachtet, ist die gewählte Nutzung der Naturwissenschaften geradezu vehement unvernünftig. Dies ist aber eine andere Geschichte, über die hier in einem anderen Zusammenhang zu sprechen ist. Wichtig ist, dass das immer funda-mentalistischere Auftreten der großen Religionen ebenfalls zu absolut unvernünftigen Verhalten führt, möglicherweise bis hin zur Zerstörung der Zivilisation.
 
 Unser Aufruf: http://www.rosalueste.de/aufruf1.html
 
Unser Aufruf
Wie Ihr wisst, haben wir einen Aufruf ins Internet gestellt, mit dem Ziel, dass viele Eintragungen uns die Möglichkeit geben, damit politisch zu arbeiten.

Angedacht war, an die Medien zu gehen und zu fordern, die „religiösen“ Gefühle der Nichtgläubigen nicht durch ständige Religionspropaganda zu verletzen.

Es heißt im Aufruf: „Es ist das Recht jedes Menschen an irgend ein höherwertiges Überwesen zu glauben, wenn er eben daran glaubt, es ist aber nicht sein Recht, andere Menschen unterdrücken zu wollen, wenn diese an so etwas nicht glauben.
Und so ist es das Recht eines jeden einzelnen Menschen, sein eigenes Leben so zu gestalten, wie er es im Sinne seiner Religionsführer freiwillig tut, denen er glaubt, aber kein Mensch hat das Recht, eine andere Entscheidung eines Menschen zu diesen Fragen zu bekämpfen oder gar diesen Menschen zu bekämpfen.“

Was einer glaubt oder eben nicht ist letztlich jedes Menschen Privatsache, und da ist es zum Beispiel skandalös, wenn die Kanzlerin einen sogenannten Gottesbezug in eine neu zu konzipierende europäische Verfassung zu installieren.

Wir hatten im Vorfeld mit vielen Menschen unserer Szene und auch anderer Menschen gesprochen, und viele ermutigten uns, dies zu tun und sprachen von publizistischer Unterstützung und dass sie sich auch persönlich eintagen wollten. Nun, wo diese Möglichkeit seit einigen Monaten besteht, sind wir doch enttäuscht, wie wenig Menschen sich hier eintragen. Damit ist nun keine Politik zu machen.

Warum nur halten sich die Leute, die uns vorher ermutigt haben, derart zurück? Haben sie denn Angst, sich als religionsfreie Menschen öffentlich zu zeigen? Darüber können wir nur spekulieren. Wir können nur eines tun, an Euch zu appellieren, uns zu unterstützen und auch Euch selber einzutragen.

Vielleicht ist es doch noch möglich, ein kleines Bisschen dazu beizutragen, dass Vernunft die Oberhand über religiöse Manipulation und religiösen Fanatismus behält. So glauben wir, ein bisschen für unser unbehelligtes ausgelebtes Leben tun zu können. (js)
 
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