- 91. Print-Ausgabe, Sommer-LUST 07
- Die verschiedenen Kämpfe
Als das Bürgertum mit der französischen Revolution
die Geschichte der Menschheit um einen riesigen Schritt voranbrachte,
hatte es auch die Illusion, dass die bürgerliche Ordnung
die gerechteste Ordnung der Welt sei, dass damit die ganze Welt
in Ordnung gebracht werden könne, alles würde
nun besser.
Die Erklärung der Menschenrechte stellte einen gewaltigen
Fortschritt dar, weil sie jedem Menschen gegenüber der Obrigkeit
und gegenüber Mitmenschen individuelle Rechte garantierte.
Doch war es natürlich ein historischer Trugschluss, anzunehmen,
dass aus einer Verbesserung alle anderen Verbesserungen automatisch
entstehen. Warum sollte das auch so sein?
Es kamen mit dem Bürgertum große wirtschaftliche Interessensgemeinschaften
an die Macht, indem sie nun freie Bahn bekommen hatten, doch
fand der Liberalismus mit der individuellen Freiheit keinen gedanklichen
und ideologischen Zugang zur kollektiven Verarmung der Menschen,
die den Reichtum der großen Wirtschaftsverbände überhaupt
herstellten.
Das Leben der neu entstandenen Arbeiterklasse wurde durch die
neue Ordnung der neuen Klasse des Bürgertums nicht so sehr
verbessert, da dieses die gesamten Produktionsmittel in ihrem
Besitz bekam, und damit die Mittel besaß, sich die Arbeit
der Arbeitenden zu für sie günstigsten Bedingungen
anzueignen, zu ungunsten der Arbeiterklasse.
Die Lage wurde etwas besser, nachdem sich die Arbeiterklasse
in Gewerkschaften und Arbeiterparteien selber organisierte. So
konnten Zugeständnisse durch die herrschende bürgerliche
Ordnung ertrotzt werden.
Die mit der marktwirtschaftlichen Welt konkurrierenden sozialistischen
Staaten indes, verbesserten indirekt die Lage der Arbeiterklasse
im Westen noch mehr, alleine durch ihre Existenz, weil sie eine
(für das Bürgertum drohende) Alternative darzustellen
schienen. Der soziale Frieden wurde erkämpft
durch soziale Zugeständnisse, die übrigens dem Bürgertum
überhaupt nicht schadete, sondern ihm weiteren Gewinn bescherte.
Unbesiegbar schien das Bürgertum nach der französischen
Revolution zu sein, mächtig genug, die gesamte Welt zu verändern.
Undbesiegbar schien die revolutionäre Sowjetunion zu sein,
entstanden im 1. Weltkrieg, deutlich gestärkt durch den
2. Weltkrieg und die durch den sogenannten kalten Krieg
danach.
Wie seltsam, dass diese Macht sang- und klanglos in sich zusammenbrechen
konnte, dass von dieser revolutionären Macht kaum etwas
übrig blieb. Wie konnte es geschehen, dass sich im Inland
der sozialistischen Staaten so viele Menschen von
ihrer Ordnung abwandten, was es den Gegnern dieser sozialistischen
Staaten möglich machte, dieses Ergebnis eines wichtigen
Geschichts-abschnittes zum Einsturz zu bringen.
Nun ist erst mal wieder das Bürgertum alleiniger Erbe der
gesamten Welt.
Und nun triumphiert der Liberalismus auch wieder über die
Lage der arbeitenden Bevölkerung, die schrittweise ihrer
sozialen Siecherungen beraubt wird.
Sehr seltsam ist es aber, dass das siegreiche Bürgertum
mit seiner Aufklärung nun nicht mehr in der Lage zu sein
scheint, die Aufklärung gegen religiösen Fundamentalismus
zu verteidigen.
Wo ist die strahlende Kraft des Zweifels an dem Diktat des Glaubens
geblieben, das die Welt wieder in einen geistig abhängigen
Sog zu ziehen droht?
Im Gegenteil päppeln Teile des Bürgertums selber religiöse
Kräfte weltweit wieder auf. Wie ist es zu erklären,
dass sich verarmte und durch Kriege geschundene US-amerikanische
ArbeitnehmerInnen den religiösen Menschheitsverdummern sowie
den nationalistischen Menschenschindern an den Hals werfen, statt
ihre eigenen Interessen wahrzunehmen?
Warum ist die reformerische wie die revolutionäre Linke
in vielen Staaten der Welt derart unpopulär, während
Religion und Nationalismus überall immer populärer
zu werden scheinen? Das hat nicht nur etwas mit dem in sie hineinfließenden
Geld zu tun, sondern auch etwas damit, dass die Linke politisch
selber abgewirtschaftet zu haben scheint, dass sie
nicht in der Lage ist, eine mitziehende Kraft zu sein.
Die Linke in ihrer gegenwärtigen Verfasstheit scheint nicht
in der Lage zu sein, die Impulse zu setzen, die notwenig sind,
um mit neuer kreativer Kraft Hoffnung zu erzeugen. Im Gegenteil.
Die Linke erinnert an ihre Traditionen und pflegt sie, die aus
dem vergangenen Jahrhundert stammen. Wo ist die offensive Linke
des 21. Jahrhunderts?.
Mit den alten Rezepten noch einmal antreten zu können, das
ist eine linke Illusion. Es wäre bedauerlich, wenn es viele
Linke gibt, die nicht aus der eigenen Geschichte lernen wollen
oder können.
Das Bürgertum verschanzt sich hinter konservativen und neoliberalen
Phrasen, paktiert mit religiösen Demagogen und kokettiert
zunehmend mit seinem nationalistischen und faschistischen Flügel.
Das Bürgertum scheint sich offensichtlich seiner Macht auch
nicht so sicher zu sein, wenn es mit religiösen bzw. klerikalen
Kräften paktiert, während andere radikalreli-giöse
Kräfte versuchen, gegen die bürgerlichen Staaten anzukämpfen,
um Reste der Aufklärung zu bekämpfen.
Da die bürgerlichen Staaten selber die Aufklärung behindern,
Menschenrechte immer weniger achten und diesen Begriff nur noch
benutzen, um andere mit ihm unter Druck zu setzen, macht es den
Anschein, dass wir uns in einer Spirale hin zu mittelalterlichem
Denken befinden.
Der Individualismus, der eine Stärke der bürgerlichen
Revolution gegen den Adel ausmachte, ist dem Bürgertum nun
ebenfalls unangenehm, wenn es sich um den Individualismus von
Menschen der unteren Schichten handelt.
Es ist erbärmlich und bezeichnend für die Menschen
in den west- und osteuropäischen Staaten, wenn der Zerfall
des Erreichten schon so weit gediehen ist, dass Religionen unterschiedlichster
Art hier geistige Ernten einfahren können.
Eine neue Linke kann angesichts dieser Zustände bei ihrem
neuen Konzept dann als richtungswei-sende Kraft vorankommen,
wenn sie die bürgerlich Wirtschaftsordnung beendet, aber
auch konsequent schon für die Menschheit Erreichtes verteidigt
wie individuelle Frei-heitsrechte und Aufklärung statt Religion,
um eine Ordnung zu errichten, in der es keine Milliardäre
mehr gibt und vor allem keine verarmten Menschen voller sozialer
Ängste. (js)
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