91. Print-Ausgabe, Sommer-LUST 07
 
Lesben und Schwule sind frei
Genießen wir ein realitv unbehelligtes Leben, weil wir uns befreit haben oder weil wir uns besser angepasst haben? Leben wir so, dass sich unsere Bedürfnisse erfüllen können, oder entwickeln wir Bedürfnisse, die nach Lage der Dinge erfüllbar sind? Werden sie denn erfüllt und wenn, sind wir damit zufrieden?

Das Gefühl der Freiheit
In Kafkas „Bericht für eine Akademie“ wird zwischen dem „unbehelligten Leben“ und „dem großen Gefühl der Freiheit nach allen Seiten“ unterschieden.

Ein intelligenter Affe möchte aus dem Käfig und unbehelligt leben. Daher verzichtet er auf jegliche Freiheit und zwingt sich, so zu werden, wie die Menschen, die er beobachtet und nachahmt. Je mehr er sich anpasst, um so unbehelligter lebt er.

Er hat sich „in die Büsche geschlagen“, obwohl er durchaus sehr sichtbar ist. Nach seiner Analyse hatte er nur die Wahl zwischen Zoo und Varieté. Und Zoo wäre ein Gefängnis, deshalb setzte er auf das Varieté und seine Aufgabe ist, die Menschen wohlgefällig zu unterhalten. So lebt er einen geregelten Tagesablauf außerhalb des Käfigs. Er meint selbst, als Anhänger der Freiheit wäre ihm dies nicht gelungen und einen Befreiengsversuch hätte er außerdem ohnehin nicht überlebt.

Stimmt der (übertragbare) Denkansatz von Kafka? Leben wir Lesben und Schwule heutzutage in Deutschland und in den meisten „westlichen“ Staaten relativ unbehelligt, gerade weil wir nicht auf die Freiheit setzen, sondern auf die Anpassung an die Handlungsabläufe der vorherrschenden Gesellschaft, die ursprünglich nicht unsere sind, die es aber jetzt sind?

Zwar werden wie so oder so als Außenseiter angestarrt, aber durch die Anpassung haben wir mehr Bewegungsfreiheit als wenn wir eingesperrt wären. Und so dienen wir eben auf diese Weise der Unterhaltung.

Nachts lässt es sich der gewesene Affe mit einer dressierten Schimpansin „auf Affenart“ gut gehen. „Bei Tag will ich sie nicht sehen; sie hat nämlich den Irrsinn des verwirrten dressierten Tieres im Blick; das erkenne nur ich, und ich kann es nicht ertragen.“

Sind wir denn so weit, dass wir die Gespielen der Nacht unterdessen bei Tag ertragen können, weil sie uns nicht mehr irrsinnig und dressiert erscheinen? Und wenn ja, weil wir unterdessen selber auch den Blick dafür verloren haben oder weil wir alle nun doch frei geworden sind?

Sind wir also doch innerlich zerrissen, vielleicht aber nur abgestumpft und unsensibel geworden, so dass wir unterdessen ertragen können, wie wir nun so leben?
 
 Freiheit ist die Kneipe nebenan
Freiheit - was heißt das? Freiheit - ich weiß das:
Freiheit ist die Kneipe nebenan,
wo man die grausame Zeit verbringt,
Liebe sucht, Bierchen trinkt,
bis man sich frei fühlen kann.
 
Freiheit? Nur Phrase! Freiheit?
Im Glase schwimmt etwas,
das könnt die Freiheit sein.
Ich schluck sie runter.
Wer braucht sie hier?
Weg ist sie! Noch ein Bier!
Mir liegt sie im Magen wie ein Stein.
 
Man liest von Freiheit immer wieder in der Zeitung.
Ich denk mir manchmal,
dass ich irgendwas versäum.
Vielleicht hab ich nur eine äußerst lange Leitung,
doch ich merk nichts von Freiheit. Nicht mal,
wenn ich träum.

Ich wär gern frei! Wie ist man frei,
wenn man Gefangene um sich hat,
und alle angstbedrückt, gramgebückt,
chefgeknickt, geldverrückt,
ich habe die sogenannte
Freiheit ziemlich satt?
 
Kann sein, sie schläft
und keiner traut sich,
sie zu wecken.
Man könnte bös werden i
m Büro oder zu Haus.
Auch wenn sie wacht,
scheint sie sich sehr gut zu verstecken,
und kommt nur nachts n
ach Alkoholgenuss heraus.
 
Dann ist man frei!
Besoffen frei!
Und hüpft vor Freude aus den Schuhn.
Dann spürt man Zuversicht,
Lebensmut, Sonne scheint, alles gut -
Freiheit ist nur die Freiheit, s
ich vom Gehorsam auszuruhn.
(Freiheit hat mit Deutschland nichts zu tun.)
Der Begriff der Freiheit
In Kafkas Text gibt es aber einen Denkfehler, nämlich die Natur oder das Natürliche als einen Zustand der Freiheit anzusehen. Genauer betrachtet haben Affen untereinander auch eine Form von Gesellschaft, an die sie angepasst leben. Und wären sie alleine, müssten sie auch darauf achten, nicht aufgefressen zu werden und etwas zum Fressen zu finden. Diese „Freiheit nach allen Seiten“ gibt es als ursprünglichen Zustand nämlich gar nicht.

Und das heißt wohl überall, was uns als gewünschte Handlungsabläufe begegnet, an die wir uns anzupassen haben, selbst wenn wir von außen nicht behelligt würden, sie nutzen uns nicht gleich, sondern sie nutzen „den Oberen“ mehr als „den Unteren“, sie sind nämlich zugunsten der jeweils oberen eingerichtet worden und werden von ihnen immer mit der Natur und den Notwendigkeiten begründet, dass es Regeln geben muss. Sicher, immer muss es Regeln geben. Aber welche?

Nehmen wir die vergangene DDR. Deren Bürger vermissten die Reisefreiheit und die Konsumfreiheit, die es im Westen gibt und gab. Sie meinten, „unsere“ westliche Medien betrachtend, dass ihnen etwas vorenthalten würde. Und nun haben sie die Reisefreiheit, können aber dennoch kaum reisen, und haben sie die Konsumfreiheit, können aber kaum mehr konsumieren als früher. Es fehlt ihnen das Geld dazu.

Die Freiheiten nutzen nämlich immer denen besonders, die in einer Hierarchie weiter oben sind. Und in einer Marktwirtschaft also den wirtschaftlich Erfolgreicheren. Und dass viele nach wirtschaftlichen Erfolg streben, „ ... das wäre den Haifischen nur angenehm, weil sie dann öfter größere Brocken zu fressen bekämen.“, um, es mit Brecht zu sagen, aus seinem Text: „Wenn die Haifische Menschen wären“.

Das Wort Freiheit sagt eigentlich, genau genommen, gar nichts aus. Nur wenn man sich gegen eine gefühlte Unfreiheit wehrt, macht die Bezeichnung dieses Gefühles einen Sinn:

Freiheit von der Bevormundung durch die Eltern, durch den Lebenspartner, den Arbeitgeber, den Staat usw.
Als ich einmal im Rheingau Lehrer von Kindern war, standen überall Wahlplakate mit ihren ein fachen Slogans rum. Die Parteien kümmerten sich auf diese Weise mal um die Bürger, er war irgendeine Wahl. Das Wahlplakat der CDU „Freiheit statt Sozialismus“ verstanden die Schüler nicht und fragten: „Wenn die CDU regiert, darf ich dann schon jetzt Moped fahren?“

Wenn die Gewerkschaften gerne rechte für ArbeitnehmerInnen durchsetzen wollen, weil diese ja abhängig beschäftigt sind, redet die FDP oder in Österreich die Freiheitliche Partei von der Beschränkung der unternehmerischen Freiheit. Die FDP sei nicht für die Planwirtschaft, sondern für Freiheit und Eigenverantwortung. Und Eigenverantwortung heißt ja, wie wir wissen, dass die Versicherten von ihrer Versicherung weniger bezahlt bekommen und vieles dazuzahlen sollen. Die FDP (Westerwelle) wärmte auf ihrem Parteitag (der auch der Zusammenschlussparteitag der Partei „Die Linke“ war) den alten Spruch der CDU wieder auf, dieses Mal gegen die Linke. Westerwelle gefiel sich in dem Witzchen, dass das Parteiprinzip der Linkspartei „demokratischer Sozialismus“ eben so zusammenpasse wie ein vegetarischer Schlachthof. Und er lobte seine Partei als die Partei der Mitte, wo ja schon die CSU und die CDU stehen und seit Schröder auch die SPD als die neue Mitte. Ganz schönes Gedränge dort.

In der Mitte ist man auch immer, es kommt nur darauf an, wen man recht oder links von sich sieht. Und mit diesem Wort Freiheit kann also so ziemlich alles begründet oder mit Unfreiheit so ziemlich alles kritisiert werden.

Mann kann nur sagen, man möchte Freiheit von ... und dann gehört hier hin, war mich einengt, oder man sagt Freiheit für ... und dann gehört hier das hin, woran ich derzeit gehindert bin. Und so konnten die Unionsparteien zynisch sagen, als es um die Homo-Ehe ging, Homosexuelle seien doch frei, sich Partner zu suchen. Und nun wollen sie alles durch Gesetze geregelt haben?
Die Freiheit für lesbisches und schwules Leben

Es gibt ja für niemanden eine wirkliche „Freiheit“, kanns auch nicht geben. Wie wir ausgeführt haben. Warum sollte es sie dann für Lesben und Schwule geben? Aber schauen wir mal: welche Freiheit haben wir, welche haben wir nicht?

Zuerst mal: von der Anstrengung des Anpassens an heterosexuelle Verhaltensmuster tagsüber auf der Arbeit können wir uns abends durch den Gang in die nächste Lesbenkneipe bzw. Schwulenkneipe befreien.

Da sind wir unter Lesben und Schwulen und brauchen uns in dieser sehr anstrengenden Frage des Hetenverhaltens zeitweilig nicht zu verstellen, so lange niemand da ist, der wegen seines eigenen nicht geschafften Coming-outes von Hetengewohnheiten abweichendes Verhalten auch unter uns kritisiert. Dummerweise steckt ein solches Verhalten an, andere machen da plötzlich mit. Also so jemand wäre nun mal nicht da. Wir könnten in der Kneipe auch mal ein bisschen „die Sau rauslassen. Und was haben wir dadurch erreicht?
Kreislers Lied: „Ich wär gern frei! Wie ist man frei, wenn man Gefangene um sich hat, und alle angstbedrückt, gramgebückt,
chefgeknickt, geldverrückt, ...“

Ja, ja, die Leute in der Kneipe gehen uns doch zumeist ganz schön auf den Sack (oder die Eierstöcke).

Mit ihnen fühlt man sich eben auch nicht so sehr frei. Denn um hier gut landen zu können, sind andere Formen des Verstellens und Anpassens notwendig. Und doch geht man immer wieder hin. Man flieht in die Szenekneipe, und dann wieder von dort. Wohin auch sonst?

Man braucht sie trotzdem, die nicht-hetero-genormte Szene. Doch die Freiheit in der Kneipe ist, besonders wenn der Alkohol es uns möglich macht, die analytischen Gedanken zu vernebeln, das: „Freiheit ist nur die Freiheit, sich vom Gehorsam auszuruhn.“ Und genau das braucht Mensch ja nun auch immer mal wieder.

Doch auch wenn wir mit unseresgleichen zusammentreffen (und vielleicht gerade dann) und unsere Analysefähigkeit noch nicht abgesoffen ist, werden uns so manche Zusammenhänge klar: nämlich dass unser Wünsche und Sehnsüchte gar nichts mit einem erstrebten Zustand der Freiheit zu tun haben, sondern mit den Zuständen, in denen wir täglich unser Leben bewältigen.
Wir wollen ja so manche Freiheit für uns, die wir anderen gar nicht gönnen, und in unseren Träumen wollen wir oft nur im Vorteil sein.

„Und weil der Mensch ein Mensch ist, drum hat er Stiefel im Gesicht nicht gern, er will unter sich keine Sklaven sehn und über sich keine Herrn“.

Dieser Text von Brecht mag für einen Menschen gelten, der in einer sozial gerechten Gesellschaft lebt, geistig zumindest, vielleicht. Er gilt aber nicht für die in unserer Gesellschaft ständig gedemütigten, zur Anpassung Gezwungenen, Geschädigten.

Da gibt es viele, die in ihren Träumen gerade die Leute, die sie für ihre Herrn halten, unter sich sehen wollen, vielleicht sogar mit Stiefeln auf ihnen rumtrampeln. Oder doch nicht, denn es könnte sich wieder drehen, das sollten andere für sie machen, der Staat, die Justiz oder das jüngste Gericht und die Hölle.
 Meine Freiheit, Deine Freiheit -
Freiheit hat mit Deutschland nichts zu tun?
 
Freiheit hat mit Deutschland
selbstverständlich was zu tun,
sofern man wirtschaftlich dazu was beiträgt.
 
Manche müssen unfrei bleiben.
Keiner ist immun,
wenn er den Zug versäumt,
der ihn dann freiträgt.
Wenn er den Zug nicht sieht
und alles komplizieren muß,
tja, dann wird es Regeln geben,
die er respektieren muß.
Dann wird ihm sein Arbeitgeber
vielleicht sagen:
 
Meine Freiheit muß noch lang nicht
Deine Freiheit sein.
Meine Freiheit: Ja!
Deine Freiheit: Nein!
Meine Freiheit
wird von der Verfassung garantiert,
Deine hat bis jetzt nicht interessiert.
Meine Freiheit heißt,
daß ich Geschäfte machen kann.
Und Deine Freiheit heißt,
du kriegst bei mir einen Posten.
Und da Du meine Waren kaufen mußt,
stell ich Dich bei mir an.
Dadurch verursacht Deine Freiheit
keine Kosten.
 
Und es bleibt dabei,
daß meine Freiheit immer wieder
meine Freiheit ist.
Deine Freiheit bleibt
meiner einverleibt.
Und wenn ich meine Freiheit nicht hab,
hast Du Deine Freiheit nicht.
Und meine Freiheit wird
dadurch zu Deiner Pflicht.
 
Und darum sag ich Dir:
Verteidig’ meine Freiheit
mit der Waffe in der Hand
und mit der Waffe in den Händen
Deiner Kinder!
Damit von Deinen Kindern
keines bei der Arbeit je vergißt,
was Freiheit ist.
 
Meine Freiheit sei Dir immer
oberstes Gebot.
Meiner Freiheit bleibt
treu bis in den Tod.
Wenn Dir das vielleicht nicht logisch vorkommt,
denk an eines bloß:
Ohne meine Freiheit bist Du arbeitslos.
 
Ja, Freiheit ist was anderes als Zügellosigkeit.
Freiheit heißt auch Fleiß,
Männlichkeit und Schweiß.
Ich werd Dir sagen,
was ich heutzutag
als freiheitlich empfind:
Die Dinge so zu lassen
wie sie sind.
 
Drum ist in jedem Falle
meine Freiheit wichtiger als Deine Freiheit je.
Meine Freiheit: Yes!
Deine Freiheit: Nee!
Meine Freiheit
ist schon ein paar hundert Jahre alt.
(Deine Freiheit kommt vielleicht schon bald.)

Aber vorläufig ist nichts
aus Deiner Freiheitsambition,
Du hast noch keine Macht
und keine Organisation.
Ich wär ja dumm,
wenn ich auf meine Freiheit
Dir zulieb verzicht,
drum behalt ich meine Freiheit.
Du kriegst Deine Freiheit nicht.
Noch nicht!
 
Die beiden Lieder über die Freiheit:
Von der CD "Wo der Pfeffer wächst"
von Georg Kreisler
(Sehr empfehlenswert. Hier findet Ihr auch
das schwule und wohl auch etwas blasphemische
„Gebet keiner Jungfrau“)

Und manche möchten sich vielleicht von ihrem Scheindominieren der Berufswelt, als Leiter einer kleinen Abteilung, erholen. Und deshalb bieten sich in den sexuellen Chat-Räumen als Sklaven an. Andere wollen ihr dasein als Arbeitssklave auch in der Freizeit beibehalten, doch gequält von einer Frau oder einem Mann ihrer Wahl und durch die Finesse besonderer Qualen erregt, die es ihnen möglich macht, diese Qual (und die Qual des Lebens auch) zu lieben. Wieder andere lieben das sexuelle Unterwerfen unter die Sexlust eines anderen, weil der dann die Verantwortung hat für all das Sündige, was sie nun tun. Und dann gibt es hier auch die Gegenspieler, die hier endlich mal bestimmen können, wo es langzugehen hat, in der Sexualität, also im Leben.

Unsere Sehnsüchte, die wir befriedigen wollen haben nichts mit der Sehnsucht nach Freiheit (für alle) zu tun, sondern nach der Freiheit, das zu befriedigen, was aus dem Gefühl der ständigen Prostitution im Wirtschaftsgefüge, den psychischen Verkrüppelungen und emotionalen Entbehrung nun in uns als Wunsch entstanden ist.

Ja, wir Lesben und Schwule sind in Deutschland usw. so frei, zum Beispiel solche und andere Formen unserer Lebensgestaltung zu suchen und vielleicht auch, oft gegen Bezahlung, sie zu finden. In der Marktwirtschaft gibt es für alles einen Markt, und um jede Sehnsucht bildet sich eine Form von bezahlter Befriedigung durch findige Kleingewerbetreibende oder gar große Konzerne.

Man möchte sich zum Beispiel an eine(n) Lebenspartner(in) klammern und ihn/sie nie mehr loslassen, in der Hoffnung, dass nun er/sie uns das gibt, was wir entbehren. Das erfüllt sich nie, den unsere Entbehrungen sind ein Fass ohne Boden.

Das geht den Heten genau so, und die Form, die uns angeboten wird, dies zu leben, ist die gleiche, mit der sich die Heten schon in ihrem Leben rumquälen, aber dadurch dann doch immer wieder morgens die Kraft haben, in der Abhängigkeit vom Lohn, für fremde Ziele zu arbeiten und die Werte zu erzeugen, die andere reich machen, damit man seinen Lebensunterhalt dafür erhalten kann und ein bisschen mehr vielleicht, was uns die Freiheit für die Kneipe, den Urlaub usw. gibt.

Das ist also die Freiheit der Lesben und Schwulen in unserer Gesellschaft? Das kann ich nicht glauben, sagt mein(e) Gedanken-Gesprächs-partner(in).

Ich kann mich doch jederzeit entscheiden, sagst Du, alles ganz anders zu machen.

Ja, das stimmt, sage ich. Das kannst Du. Aber willst Du das denn auch? Woher kommt eigentlich, was Du willst?

Mit Recht antwortest Du: Ein Unterdrückter muss nicht notwendig selber zum Unterdrücker werden, er kann auch gegen Unterdrückung angehen, zum Beispiel.

Ja, sage ich, darauf will ich die Ganze Zeit hinaus. Wie schaffen wir es, dass dies eintritt? Dass er/sie nicht die Sehnsucht hat, selber zu unterdrücken, wenn er/sie die Gelegenheit dazu hat, sondern die Unterdrückung aus innerer Überzeugung ablehnt und nun mit uns zusammen dagegen vorzugehen versucht?

Das wäre natürlich auch eine moralische Frage, und während wir uns damit abplagen, regeln andere unverblümt ihr Leben in vorgebahnten Wegen und wirken dabei glücklicher, als wir es sind, mit unseren Skrupeln.
 
Freiheit für Lesben und Schwule
Was den gegenwärtigen deutschen Staat betrifft, werden lesbische Frauen oder schwule Männer nicht staatlich verfolgt. Während die Lesben ja durch den deutschen Staat in der Vergangenheit auch nicht direkt verfolgt wurden, gab es seit Staatsgründung eine direkte Verfolgung homosexuelle Männer. Dieser Zustand ist noch nicht so lange her, wie viele vielleicht glauben, und viele Ältere, die sich in der Szene der jungen starken Angeber ausgegrenzt fühlen. Auch die Bundesrepublik verfolgte schwule Männer durch Sondergesetze, besonders in den jungen Jahren vor der 68er Revolte. Und Sondergesetze gegen schwule Männer wurden letztlich erst mit dem Anschluss der DDR an die Bundesrepublik abgeschafft, wo es sie nicht mehr gab.

Ist die Tatsache, dass der deutsche Staat nun auch homosexuelle Lebensgemeinschaften in gewisser Weise anerkennt eine Sicherheit, dass er homosexuelle Handlungen nicht wieder verfolgen wird?

Man möchte es glauben. Aber wäre dies auch gesichert, wenn sich rechtsradikale oder religiös fundamentalistische Kräfte in die Behörden und den Staatsapparat und auch in Volksparteien mehr und mehr einschleichen, auch noch sicher?

Durch die EU wurde auch Deutschland hinsichtlich antihomosexueller Gesetzgebung unter Druck gesetzt, dies zu ändern. Und die neuen EU-Staaten sowie die avisierten neuen EU-Staaten wie Rumänien und Bulgarien, sowie die schon einkassierten baltischen Staaten, aber auch Polen bekommen tatsächlich von der EU immer wieder Lektionen hinsichtlich der Menschenrechte auch für homosexuelle Menschen.

Weltweit sieht es aber für homosexuelle Menschen eher tragisch aus. Über 80 Staaten verfolgen homosexuelle Menschen ganz offen, meistens nur Schwule, in vielen Staaten aber auch Lesben und Schwule.

Letzteres galt ja bis vor kurzem noch für Österreich, auch hier half die EU entscheidend mit.
Staatliche Verfolgung durch Gesetze ermöglichen es Denunzianten und Erpressern, zusätzlich für Unsereins noch unangenehm zu werden. Und die Verhaltensweisen von schnüffelnden und tratschenden menschlichen Bestien, wie auch von den jugendlichen Schlägerbanden, konnten von diesen noch als Wohltat im Sinne von Staat und Moral ausgegeben werden.

Eine entscheidende Rolle bei der Verhetzung der Menschen und dem Einfluss auf die Gesetzgebung spielen die jeweiligen religiösen Organisationen beziehungsweise ihre Führer. Da kann man ja froh sein, dass wenigstens dies bei uns in Mitteleuropa, in Australien, Südafrika, Brasilien, Venezuela und verschiedenen anderen Staaten so nicht mehr der Fall ist.

Wenn aber von uns Dankbarkeit erwartet wird, dass uns das selbstverständlichste gewährt wird, nämlich weitgehend unbehelligt zu leben, müssen wir dies höflich zurückeisen. Selbstverständlichkeiten müssen nicht bedankt werden.

Im schwulenfeindlichen Rumänien fand nun in Bukarest auch eine kleine CSD-Parade statt, denn der entsprechende Paragraph gilt seit 2003 dort nicht mehr. Es nahmen ca 300 Menschen daran Teil.

Die Polizei schützte die kleine Schar der Demonstranten vor schwarzgekleideten vermummten Gewalttäter, die angeblich von einer rechtsradikalen Organisation stammen und die zahlenmäßig den DemonstrantInnen weit überlegen waren. Und die Rumänisch-orthodoxe Kirche rief die Bevölkerung des ganzen Landes zum Gebet in allen Kirchen gegen die Sünde der Homosexualität auf.

Wieso gibt es noch immer Menschen, die glauben, dass von Religionen, deren demagogische Verhetzung gegen jede Form der Aufklärung ignorierend, irgendwie Gutes ausgeht?

Wenn es um die allerplattesten Menschenrechte für Lesben und Schwule geht, ist das unbehelligte Leben für uns ein sehr wichtiges Ziel.

So gesehen ist die Gesetzgebung eines Landes schon einmal sehr wichtig. In Russland ist seit Jelzin der Homosexuellenparagraph Stalins abgeschafft worden. Unbehelligt leben können die Lesben und Schwulen dort dennoch nicht. Und der Staat, der nun nicht mehr direkt verfolgt, ist dennoch nicht gerade hilfreich für unsere FreundInnen dort geworden, wobei zu beobachten ist, dass die Religionen dort, allen voran die russisch-orhodoxe Kirche, auf den Staat immer mehr Einfluss bekommen, beziehungsweise dass PolitikerInnen sie mehr und mehr ins Boot holen.

Wenn wir durch Gesetze nicht mehr verfolgt werden, muss das nächste wichtige Ziel sein, die Trennung zwischen Staatsorganen und Religionsgemeinschaften anzustreben, und für die Durchsetzung der Köpfe in der Bevölkerung mit Vernunft statt mit Religion einzutreten.

Dies alles können wir im Bündnis mit anderen politischen Organisationen tun, denn alleine schaffen wir es nicht. Aber dazu müssen wir selber auch politisch bündnisfähig sein bzw. werden. Unsere politischen BündnispartnerInnen machen allerdings nur ihre Sache in dieser anstehenden Frage, nicht unsere. Um unsere eigene Emanzipation müssen wir uns schon selber kümmern. Es ist nicht so, dass mit dem Erreichen eines Zieles alles andere automatisch mit erreicht ist.

Dass wir überall unbehelligt leben können, ist ein sogenanntes Grundlagenziel, die mindeste Voraussetzung. Zu dieser Mindestvoraussetzung gehört auch eine relative soziale Sicherheit der Menschen in der Gesellschaft, ich erinnere an die gesetzlich nun vorhandene Reisefreiheit in der ehemaligen DDR.

Wenn wir in frei gewählten Part-nerInnenschaften zusammen leben möchten, muss dies von und teuer bezahlt werden, denn der Staat fördert nur die monogame heterosexuelle Familie. Und wenn die Gleichstellung unserer Partnerschaften mit der Ehe erreicht würde, wären damit nicht alle frei gewählte Lebensformen abgedeckt, sondern nur die eheähnlichen nach Hetenmuster.
Für das Erreichen einer sozialen Gerechtigkeit sind auch wieder Bünd-nispartnerInnen notwendig, teilweise andere als die für die Beendigung der Unterdrückung oder Strafverfolgung.

Durch unsere Bündnisfähigkeit können wir aber dort bei vielen Aktivisten auch für ein Umdenken sorgen. Jeder kleine emanzipatorische Schritt muss errungen werden, nichts löst sich von alleine. Und wenn irgend jemand plötzlich unsere Sache ohne unser Hinzutun vertritt, sollten wir vorsichtig sein, damit uns unsere Anliegen nicht auf diese Weise aus den Händen gewunden werden. Jeder verfolgt nämlich nur eigen Ziele, und irgendwo sind dann schon die Differenzen spürbar.

Den mutigen Lesben und Schwulen, die in gefährlicher Lage zäh, besonnen und aufopferungsvoll Schritt für Schritt dafür kämpfen, dort auch unbehelligt leben zu können, sind wir zu großem Dank verpflichtet, und zu unserer Hilfe für ihren Kampf, den wir ihnen im übrigen nicht aus ihren Händen winden dürfen.
 
Unsere Ziele
Da es „das großen Gefühl der Freiheit nachallen Seiten“ so wohl nicht gibt und geben kann, daher auchfür uns, müssen unsere längerfristigen Ziele anders definiert werden.

Was wir also ersehnen, kommt aus der jeweils aktuellen Lage. Was uns nun daran hindert, engt uns ein, einen gangbaren Weg für unser Leben, je nach Lage, zu entdecken und zu entwickeln. Ist die Lage für uns sehr schlecht, dass ist der Weg, auf dem wir uns bewegen auch nur sehr schmal und das, was dann für uns geht, hat bei weitem nichts mit irgendeiner Freiheit zu tun.

Ist die Lage speziell für uns nicht schlechter als für andere, also unsere Lage verglichen mit der Heten gleich, so sind unsere Wünsche und Sehnsüchte auch nicht ausreichend erfüllt, aber das ist die Lage eben auch nicht für die Heten. Mit Freiheit hat das auch nichts zu tun.

Egal wie die jeweilige Lage für uns ist, uns muss es immer darum gehen, einen möglichst breiten Spielraum der Entfaltung für ein Leben zu schaffen, das wir nach Lage der Dinge für wunschgemäß empfinden.

Und so könnte es ja sein, dass wir, je freier und sozial gerechter die Gesellschaft sein wird, uns dem annähern werden, was wirklich für unser Leben angemessen ist.

Und diese Strategie ist ja überhaupt nicht neu. Die verfolgen unsere Freunde und wir ja auch schon in vielen Ländern und in unserer Geschichte, überall dort, wo wir überhaupt eine Möglichkeit zum politischen Handeln haben und nicht auf offener Straße umgebracht werden, bzw. mit den Gedanken unsere GegnerInnen auf alle befreiungsversuche denken.

Und so sind wir eigentlich eher daran interessiert, dass die Menschen in unserer Gesellschaft nicht so viele Vorschriften gemacht bekommen, was unseren Spielraum potentiell vergrößert. Und es ist wichtig, dass es in der Gesellschaft sozial gerecht zugeht, damit nicht andere Zwänge uns daran hindern, uns ein bisschen zu entfalten und einen Weg zum halbwegs zufriedenstellenden Leben zu finden, wenn es die Gesetzgebung möglich machen würde. (js)
 
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