90. LUST, Frühling 07
 
Der lange Abschied von der Minderwertigkeit
die „Bundesarbeitsgemeinschaft Schwule Juristen“ hat auf ihrem diesjährigen Frühjahrstreffen vom 16. bis zum 18.03.2007 im Waldschlösschen bei Göttingen die nachfolgende Resolution zur aktuellen rechtspolitischen Situation verabschiedet:
 
„Die fehlenden Rechte holen wir uns vor den Gerichten!“ So haben les-bisch-schwule Organisationen im Jahr 2000 das angesichts weitergehender rot-grüner Wahlversprechen enttäuschende „Gesetz zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften“ schöngeredet.

Die Hoffnung war nicht unbegründet. Zuvor hatten mehrere deutsche Gerichte die Schlechterstellung (nicht eingetragener) Lebensgemeinschaften im Verhältnis zur Ehe mit dem Fehlen einer staatlichen Eintragung und gesetzlicher Unterhaltspflichten begründet. Jetzt müssen wir feststellen: Die Strategie, wir müssten nur die gleichen Pflichten wie Ehepaare übernehmen, dann würden uns die Gerichte die fehlenden Rechte - aktuell vor allem noch im Adoptions-, im Steuer- und Beamtenrecht - nachwerfen, ist großflächig gescheitert. Nahezu alle hiermit befassten Gerichte - unter ihnen vier der fünf obersten Bundesgerichte - verweigern die Gleichbehandlung weiterhin und verzichten hierbei nun sogar auf jegliche sachliche Rechtfertigung der Ungleichbehandlung. Sie behaupten jetzt, der Schutz der Ehe aus Art. 6 GG gehe dem Grundsatz „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ aus Art. 3 GG vor. Hierbei handele es sich um eine „Wertentscheidung“ der Verfassung.

Diese Interpretation unterstellt, eine heterosexuelle Beziehung sei auchohne sachlichen Grund generell mehr wert als eine homosexuelle. Dieswiederum beinhaltet eine Minderbewertung Homosexueller - unabhängig davon, ob sie in einer Lebenspartnerschaft leben oder nicht.
„Die Zahlen belegen, dass die men-schenverachtende Ideologie der Ungleichwertigkeit, die Rechtsextreme und Neonazis verbreiten, auf durchaus fruchtbaren Boden fällt.“ (Wolfgang Thierse in einem Grußwort zur Internet-Plattform mut-gegen-rechte-gewalt.de). Er meint jedoch nicht die 80% der obersten Bundesgerichte, die eine Gleichberechtigung Homosexueller verweigern, sondern 18% Ost- und 13% Westdeutsche, die der Auffassungzustimmen, dass es „Gruppen von Menschen gibt, die weniger wert sind“ bzw. 34% der Bevölkerung, die Homosexuelle ablehnen.

Angesichts der verheerenden Zahlen aus der Justiz könnte er stolz sein auf die unbeirrbare Liberalität der Bevölkerung, deren Bundestagsvizepräsident er die Ehre hat zu sein.

Der Bundestag immerhin lässt schon mal ein längst erforderliches Denkmal errichten und spendiert dafür 450.000 Euro - einen Bruchteil des Betrages, den er Lesben und Schwulen jährlich alleine durch die Diskriminierung im Steuerrecht zusätzlich abnimmt. Mit dem Denkmal will er u.a. „ein beständiges Zeichen gegen Intoleranz, Feindseligkeit und Aus-grenzung gegenüber Lesben und Schwulen setzen“.

Was auch immer damit gemeint sein mag - die Verweigerung gleicher Rechte ist nicht so weit davon entfernt. Diese Verweigerung ist in erster Linie vom Bundestag selbst zu verantworten.

Besonders deutlich wird dies im Adoptionsrecht: Die Adoption eines Kindes durch ein lesbisches oder schwules Paar ist verboten, auch dann, wenn sie - was bei Adoptionen ohnehin erforderlich ist - im Wohl des Kindes läge. Der Bundestag hat auch in sieben rot-grünen Jahren hieran nichts geändert, obwohl hierzu nicht einmal die Zustimmung des Bundesrates erforderlich wäre. Das Interesse an der Schlech-terstellung gleichgeschlechtlicher Paare hat in einem solchen Fall also sogar Vorrang vor dem Kindeswohl.
 
Schon dies zeigt übrigens, wie verlogen die immer mal wieder anzutreffende Argumentation ist, die Schlechterstellung von Lebenspartnerschaften sei - sogar im Verhältnis zu kinderlosen Ehepaaren! - durch das Fehlen eigener Kinder gerechtfertigt. Ein anderes Beispiel für diese Heuchelei ist die ebenfalls vom Bundestag zu vertretende Rechtsunsicherheit bei der Fremdinsemination nicht heterosexuell verheirateter Frauen.

Was also tun? Wir werden weder die Justiz noch den Bundestag in absehbarer Zeit grundlegend verändern. Wir können und sollten jedoch die mit den Grußworten und Denkmälern verbundene vorzeitige Anbiederung zurückweisen, solange dieser Staat sich von der „menschenverachtenden Ideologie der Ungleichwertigkeit“ (Wolfgang Thierse) nicht überzeugend distanziert.
 
Frühlingserwachen der Schwulen Juristen
Der WHK meint zu der o.a. Pressemeldung in seiner Pressemeldung: Bundesarbeitsgemeinschaft beweint die absehbaren Folgen der eigenen Politik.
 
Das Frühlingserwachen der Schwulen Juristen kommt als veritable Winterdepression daher. Nach Einführung der „Homo-Ehe“ im Jahr 2000 mit ihren vielen, selbst jahrelang geforderten „gleichen Pflichten“ hätten sich lesbisch-schwule Organisationen mit dem Slogan „Die fehlenden Rechte holen wir uns vor den Gerichten!“ das diskriminierende Gesetz schöngeredet. Stellvertretend unterzeichnet vom Anwalt Dirk Siegfried, der in diesem Zirkus gelegentlich sogar den Trauzeugen gab, liest man nun (siehe oben)

Das klingt, als sei die Bundesarbeitsgemeinschaft der Schwulen Juristen daran unschuldig. Als eine der dem Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) bis hin zum Logo angeschlossenen Anstalten war die BASJ jedoch seit Mitte der 1990er Jahre maßgeblich mitverantwortlich für eine konservative Integrationspolitik, die in der Eingetragenen Lebenspartnerschaft ihren Höhepunkt fand. Vehement verteidigte die BASJ einen Antidiskrimi-nierungs-Ansatz gegen jede Kritik, der die gegebenen repressiven Institute der Mehrheitsgesellschaft affirmierte - darunter die bürgerliche Ehe. Gefangen in reiner Rechts- und unwillig zu gestaltender Gesellschaftspolitik, bejubelte man jeden Krümel, der vom Tisch der Mächtigen fiel.

Wer damals in der Homo-Szene vor dem starken Element von Kontrolle und Disziplinierung warnte, daß jeder Antidiskriminierungspolitik innewohnt, wurde verlacht und denunziert. Wer diese aparte Form der Gleichstellung wegen der damit verbundenen Neu-Hierarchisierung von Lebensformen ablehnte oder mahnte, diese Politik werde nicht in die Abschaffung, sondern die dauerhafte Festschreibung der Diskriminierung münden, galt als linksradikal.

Nun, da unübersehbar ist, daß die eigene Politik auf ganzer Linie gescheitert ist, weil man sich mit dem politischen Gegner identifizierte und nicht sehen wollte, daß dessen Gleichstellungsgesetze der fortbestehenden Homophobie die gesetzlichen Grundlagen verschafften, ist das Gejammer groß und fragen die Schwulen Juristen:

„Was also tun? Wir werden weder die Justiz noch den Bundestag in absehbarer Zeit grundlegend verändern. Wir können und sollten jedoch die mit den Grußworten und Denkmälern verbundene vorzeitige Anbiederung zurückweisen, solange dieser Staat sich von der ‘menschenverachtenden Ideologie der Ungleichwertigkeit’ (Wolfgang Thierse) nicht überzeugend distanziert.“

Mit dieser defensiven Haltung zeigen die Schwulen Juristen, daß sie aus ihren eigenen Fehlern nichts gelernt haben und nichts lernen wollen.

Statt zunächst erst einmal selbst von der eigenen Minderwertigkeit Abstand zu nehmen und die diskriminierenden Strukturen selbst anzugreifen, betteln sie weiter um das Recht auf Teilhabe an diesen Strukturen und kennen dafür weiterhin nur eine Adresse: Vater Staat. Wer jedoch die eigene Minderwertigkeit derart verinnerlicht hat, wird sich nie zum aufrechten Homosexuellen emanzipieren und verdient, von Vater Staat milde belächelt zu werden.

Die Resolution der BASJ ist damit eine politische Nullnummer. Sie hätte weit mehr sein können.
whk, AG Schwulenpolitik, Mehringdamm 61, 10961 Berlin
www.whk.de
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