90. Print-Ausgabe, Frühling 07
 
Lesben und Schwule,
ein Zweckbündnis oder eine „normale“ Ehe?
Dass immer „Lesben und Schwule“ gesagt wird, hat etwas mit dem zweigeschlechtlichen Denken in der Gesellschaft zu tun.
Schwule untereinander haben genügend eigene Probleme und sie haben genügend Konflikte mit der heterosexuellen Mehrheit in der Gesellschaft. Lesben untereinander haben auch durchaus genügend eigene Probleme. Und sie haben genügend Probleme in der heterosexuell strukturierten Gesellschaft. Dennoch existiert eine partielle Zusammenarbeit untereinander, wie eben auch zwischen uns und manchen Heten. Ist die Zusammenarbeit zwischen Lesben und Schwulen nur ein Zweckbündnis oder doch mehr, z.B. eine Vernunftsehe?
 
Dass immer „Lesben und Schwule“ gesagt wird, hat etwas mit dem zweigeschlechtlichen Denken in der Gesellschaft zu tun.

Lesben und Schwule haben eigentlich gar nichts miteinander zu tun. Das täglich Leben von Lesben und von Schwulen ist nicht unbedingt gleich, die Bedürfnisse und Wünsche sind auch zumeist nicht gleich. Gemeinsamkeiten ergeben sich daraus, dass die „heterosexuelle Gesellschaft“ eine gesellschaftlich durch und durch organisierte und strukturierte Gesellschaft ist, bis hin zum erwarteten Verhalten von Menschen, die als Frauen oder als Männer sozialisiert wurden. Aber die geschlechtstypischen Rollen sind eben Rollen des Mann-Frau-Dualismus, und das gesellschaftliche Leben ist um diesen Dualismus herum aufgebaut und um die Pflichten, die sich für jedes der beiden geschlechtstypischen Rollen dann ergeben, beziehungsweise die Pflichterfüllungen, die erartet werden.

Die Fragestellung, ob es den Heten besser gehe als den Lesben und Schwulen, ist pauschal gesehen müßig, denn auch heterosexuelle Menschen dürfen nicht aus der Reihe tanzen, werden sanktioniert, wenn sie es tun. Die Frage ob Lesben oder Schwule größere Diskriminierungen ertragen müssen ist eben so müßig, denn auch sie werden dann deutlich diskriminiert, wenn sie aus der Reihe tanzen.
 
Die Reihe, was ist das?
Noch immer werden die Frauen und die Männer zum Ehemodell sozialisiert, und das hat tragische Auswirkungen, denn die Ehe ist eine Versorgungsehe (wenn sie auch aufgrund individueller Liebe entstehen kann). Sie hat eine flankierende Aufgabe für die Interessen der Wirtschaft und der staatlichen Ordnung hat. Das Hauptziel einer Frau in der Gesellschaft ist immer noch, einen Mann zu heiraten, von ihm sexuelle Ausschließlichkeit zu erwarten und die sich schrittweise entwickelnde Familie zu bemuttern und zu verteidigen. Eine Frau mit anderen Zielen erfährt Verachtung, aber es ist noch mehr.

An der Diskussion innerhalb der deutschen Unionsparteien um die Familienpolitik der Großen Koalition lässt sich erkennen, wie „die Reihe“ definiert wird und wie das „aus der Reihe tanzen“ sanktioniert wird.

Wenn für berufstätige Frauen Kinderkrippen eingerichtet werden, besteht vielleicht eine begrenzte gewisse Wahlfreiheit, die berufliche Karriere weiter zu verfolgen oder sie aufzugeben. Die real nicht vorhandene Wahlfreiheit existiert zugunsten der unbezahlten Familienarbeit, wie es neutraler genannt werden kann (statt Hausfrauen- und Mutterarbeit).

Die konservativen Politiker möchten deshalb die Krippen verhindern, um Frauen in „ihre eigentliche Rolle“ drängen zu können, nämlich unbezahlte Familienarbeit zu leisten. Dadurch jedoch werden Frauen von einem anderen bezahlt arbeitenden Menschen abhängig, meistens dem Ehemann, und dessen berufliche Karriere ermöglicht ihnen, an dessen Einnahmen zu partizipieren. Die Kritiker der Kinderkrippen wollen zwar formal den Frauen alle Rechte geben, aber durch die Strukturen der Gesellschaft verhindern, dass Rechte wahrgenommen werden können. "Das Leben" erlaubt es dann eben nicht.

Und diese familienbezogenen Frauen- und Männerpflichten entsprechen dem traditionellen Familienbild z.B. der Union, ideologisch abgesichert durch die jeweiligen vorherrschenden Religionen. Bei gutem Verdienst des Mannes ist auch für die Frau ein gewisser Wohlstand möglich. Der Schlüssel der Frauenemanzipation ist der Zugang aller Frauen zur bezahlten Arbeit und nicht etwas ein Gehalt für Familienarbeit, das niemand bezahlen kann. Und die frauenfesselnde Familienarbeit ist dann als eine Arbeit aller Familienangehöriger anzusehen, die einen anderen Charakter hat als Lohnarbeit, da sie nicht fremdbestimmt ist wie die Lohnarbeit, und da sie allen Teilnehmern einer Familie auch nutzt.

Die Betreuung Unmündiger, z.B. der Kinder oder dementer oder körperlich pflegebedürftiger älterer Menschen ist eine gesellschaftliche Aufgabe, damit der Lebensunterhalt auch von Frauen erworben werden kann und eben auch Chancen privater Erfüllungen entstehen können, wie die selbständige Teilnahme am gesellschaftlichen Leben.. Aus diesem Zusammenhang ergibt sich auch die Notwendigkeit von lesbischen Frauen, gesellschaftspolitisch an der Emanzipation der Menschen interessiert zu sein. Deshalb engagieren sich viele lesbische Frauen an der feministischen Bewegung, aber das muss nicht das gleiche sein.

Wenn Frauen nahezu nur über einen arbeitenden Ehemann zu einem partizipierenden Wohlstand kommen können, sieht es für ein selbständiges Lesbenleben übel aus. Das erkennen wir an Gesellschaften mit noch engen Zwängen zu traditionellen Geschlechtrollenvorgaben. Die Freiheit, lesbisch angemessen leben zu können, hängt mit dem Recht und mit den Möglichkeiten von Frauen zusammen, einen eigenständigen Broterwerb und ein eigenständiges Leben haben zu können.
 
Allerdings, damit werden Frauen zu Konkurrentinnen der Männer auf dem Arbeitsmarkt, was den traditionellen heterosexuellen Familien nicht angenehm ist, auch den Frauen dieser Familien nicht, die ja am Einkommen ihrer Männer partizipieren. Durch die gleichwertige Konkurrenz verlieren die Frauen dann auch ihre von Männern gerne gegebenen spezielle Frauen-Spielräume, wie: den Vortritt lassen, Gefühlsausbrüche hinnehmen usw.

Die berechtigte Forderung von Frauen, die traditionelle Rollenaufteilung in der mittelständigen heterosexuellen Ehe in Frage zu stellen, wird dann ein wenig von der sogenannte Homoehe unterlaufen, wenn homosexuelle Frauen (und in der mannmännlichen Homoehe die Männer) unter sich nun versuchen, die heterosexuelle Geschlechtrollen undifferenziert nachzuspielen. Nicht ohne Grund eifern Kirchenanhänger und konservative Politiker gegen die Verpartnerung homosexueller Paare, denn sie sehen die grundsätzlichen traditionellen Geschlechterrollen in Gefahr, die bekanntlich die Frauen an den Herd fesseln. Da sind es für uns Lesben und Schwule durchaus problematische Vorgänge, wenn in homosexuellen Paaren nun auch versucht wird, einen der beiden Partner durch den anderen in Karrieren zu drängen, an denen der/die andere partizipieren kann während er/sie dann an den Herd gefesselt bleibt, am besten noch stärker abgesichert durch adoptierte Kinder.

Ein Irrtum ist es, nun grundsätzlich Männer im Vorteil zu sehen, Frauen im Nachteil. Männer haben nämlich von ihrer gesellschaftlichen Rolle her nicht die Freiheit, Geld zu verdienen, selbständiger Teil der Gesellschaft zu sein usw., sondern den Zwang dazu. Denn Männer, die sich der Ernährung von Frauen und Kinder verweigern, die in jungen Jahren keine Freundin haben und die nicht möglichst schnell einer Einzigen „treu“ sind, diese Männer entziehen sich ihrer Rollenaufgabe auch, ebenso wie Männer, die nicht einer Erwerbsarbeit nachgehen. „Wir bleiben der Parole treu: schwul, pervers und arbeitsscheu!“ war eine Demonstrations-Parole der jungen nach68er Schwulenbewegung.

Schwule Männer entziehen sich in der Regel ihren gesellschaftlichen Aufgaben, eine Frau und Kinder zu ernähren. Der Hass heterosexueller Männer und vieler heterosexueller Frauen auf schwule Männer hat auch etwas damit zu tun, dass sie sich in ihrer Lebensführung den schwulen Männern benachteiligt sehen.

Sich benachteiligt zu sehen ist immer leicht zu funktionalisieren, ob gegen Zuwanderer oder gegen schwule Männer. Lesbische Frauen werden kaum mit gleicher Argwohn betrachtet wie schwule Männer. Vielleicht auch ein bisschen, nämlich dass sie auch keine Kinder haben (meistens), doch trifft dies auf viele heterosexuelle Paare heutzutage auch zu.

Ein zweiter Bereich, der hauptsächlich Schwule aber auch Lesben betrifft ist die Sexualität. Sie hat auch heutzutage immer noch etwas mit dem Zeugen von Nachwuchs zu tun, und in diesem Zusammenhang ist sie berechtigt, sowie als Belohnung für das Einhalten der sozialen und geschlechtstypischen Rollen. Praktiken die unter keinen Umständen diesem Ziel dienen, sondern nur der persönlichen Lust dienen, haftet noch immer der Makel der Perversion an.
 
Während im heterosexuellen Bereich viele dieser Praktiken auch genossen werden, dienen diese doch dort offensichtlich nur dem Training für die eigentliche Aufgabe, dem Zeugen von Kindern. Weder im schwulen noch im lesbischen Zusammenhang kann dies geltend gemacht werden.
 
Unser Sex dient der Lust. Der homophobe Hass gegen homosexuell werbende Männer dient dem Ertöten der eigenen empfundenen Lust bei diesen Vorstellungen. Das geht aus der Gewaltforschung hervor. Während von schwuler Sexualität in Witzen, Talkshows usw. ständig verächtlichmachend und aggressiv geredet wird, wird lesbische Sexualität öffentlich kaum erwähnt, und wenn, dann nur aus männlicher Sicht bei dem Gedanken, Sex mit zwei Frauen haben zu können. Auch hier zeigt sich der heterosexistische Blick, der etwas mit dem Funktionalisieren der Sexualität in der Gesellschaft zu tun hat, zu der wir alle gehören.
 
1. Lesben und Schwule
Es ist noch nicht so lange her, dass öffentlich nur an schwule Männer gedacht wurde, wenn über Homosexualität die Rede war. Und je mehr auch über homosexuellen Frauen geredet wird, wenn über Homosexuelle die Rede ist, um so mehr werden Lesben auch argwöhnischer betrachtet. Was Lesben beklagen, dass sie gesellschaftlich nicht wahrgenommen werden, ist von schwulen Männern nicht nachvollziehbar, denn sie würden sich oftmals wünschen, gesellschaftlich nicht wahrgenommen zu werden. Wenn Homosexuelle, also schwule Männer, erwähnt wurden, dann um sie zu diskriminieren, um zu demütigen und Herabzuwürdigen, oft um sie einzusperren oder hinzurichten, um sie von aufgebrachten Menschen zu Tode quälen zu lassen. Hier ist die Verfolgung handfest und greifbar, und die Moral- und anderen TugendwächterInnen taten das Ihrige. Ebenso „wohlmeinende“ Filme und Darstellungen. Auch wer Schwule nicht hasste wusste: schwules Leben geht immer schlimm aus, ist immer irgendwie tragisch.
 
1.1. Schwule
Schwule wurden entweder als Aggressionsobjekt oder als leidende Menschen dargestellt, arme geistig oder psychisch Behinderte, für die es keine reale Lösung gab. Schwule wurden im Strafrecht und in der Psychiatrie wahrgenommen, in blöden Witzen und als Disziplinierungsmittel in der heterosexuellen Mannwerdung: du bist doch nicht schwul, oder? Und die Frage diente und dient dem Bekämpfen männlicher Sensibilität zugunsten des klassischen Helden-Mannes. Wollen Schwule deshalb nicht wahrgenommen werden?

Nun, als mögliche Sexpartner wollen Schwule durchaus wahrgenommen werden, und das ist ein Dilemma. Das exhibitionistische Gehabe ist bei der Kontaktwahl durchaus erfolgversprechend, weil erotisch ansteckend, ist aber eben auch Auslöser hasserfüllter homophober Anfeindungen heterosexueller Frauen und homophober Übergriffe heterosexueller Männer und auch Auslöser hasserfüllter Reaktionen aus der lesbisch-schwulen Szene.

Das stärkere Erscheinen von Schwulen in der Öffentlichkeit hängt jedoch überwiegend mit der stärkeren Diskriminierung von Schwulen zusammen, denn homosexuelles Leben positiv darzustellen, war einerseits oft fern aller Realität und andererseits schon wieder eine zu verurteilende Handlung. In tausenden Spielfilmen, in den Witzen der Jugendkultur, überall waren Schwule im Gespräch, aber eben als lächerliche Figuren, weinerlich und irgendwie tragisch, immer als Verlierer, nämlich um das heterosexuelle Geschlechtsrollenbild zu bestätigen.

Dass Schwule nicht mehr nur als sündige Menschen (Kirche) oder Versager beim Mannwerden (Erich Fromm) oder als Sexualverbrecher (früheres deutsches Sexualstrafrecht) auftauchen wollten, dass sie ein gewisses Selbstbewusstsein, dass sie einen gewissen Stolz für ein Coming-out unter schwierigsten Bedingungen entwickeln konnten, das war der Schwulenbewegung zu verdanken.

Die Schwulenbewegung ist aus dem Widerstand gegen die Schwulenunterdrückung entstanden. Man wollte als Mann, der nun mal so ist, wie er ist, nicht mehr negativ gesehen werden. Als Verfolgter statt als Witzfigur. Nicht als ständiges Opfer, sondern als jemand, der durchaus jemand ist und der sich auch zu wehren weiß, wenn es dann sein muss, wie zum Beispiel in der Christopher Street in New Yorck.

Der selbstbewusste schwule Mann von heute verdankt sein Selbstbewusstsein zwei Umständen: es ist die 68er Revolte gewesen, in der schwule Männer innerhalb einer emanzipatorischen Jugendbewegung mit dem Rosa Winkel gegen die schwulenmordenden Nazis demonstrierten, und solidarisch mit den Männern mit dem Rosa Winkel. Wer gegen Nazis war, konnte nun nicht mehr so einfach gegen Schwule sein. Und schwules Leiden hatte hiermit die Funktion bekommen: es geht nur dann schlecht aus, wenn wir uns das gefallen lassen.
 
Dies ist einer der Gründe, warum ein Gedenken der schwulen KZ-Opfer und der staatlichen Verfolgung homosexueller Männer eng mit dem schwulen Selbstbehauptungswillen verknüpft ist. Das Erleiden von heftigsten Grausamkeiten und das Sterben der schwulen KZ-Häftlinge, weil sie Schwule waren, irgendwie relativieren zu wollen, bedeutet, die homosexuellen Männer um einen Teil ihrer emanzipatorischen Identität bringen zu wollen. Es müsste stattdessen ständig in antifaschistischen Zusammenhängen an die „Männer mit dem Rosa Winkel“ erinnert werden. Sie litten und starben nämlich alleine deshalb, weil sie schwule Männer waren.

Hinzu kam der Widerstand der 68er amerikanischen Schwulen, Transen und Stricher um das Lokal Stonewall Inn in der Christopher Street in New Yorck, wo ein Aufstand gegen Polizeiwillkür ein Gay-Selbstbewustsein entstehen ließ, an dem Lesben teilnahmen, denn im Gegensatz zu Deutschland gab es in der politischen Bewegung der USA von Anfang an die Gemeinschaft der Schwulen, Transen, Lesben, usw. Das hat sicher mit der Erfahrung zu tun, gemeinsam diskriminiert worden zu sein und sich so als Gemeinschaft zu verstehen.
 
Die Übersetzung von Gay mit schwul ist falsch, weil der Begriff eben auch die Lesben und Transen usw. mit umfasst.

Die identitätsstiftenden Momente für schwule Männer sind durch verschiedene Faktoren immer wieder infrage gestellt und bedroht. So ist durch die Kommerzialisierung in den westlichen Industriestaaten die Gay-Pride-Demonstration, der CSD also, immer unpolitischer geworden. Es wird ein lustiges und lustvolles Gay-Disco-Leben demonstriert, was immerhin dem „leidenden Schwulen“ der Kirchen eine Alternative entgegen stellt, weshalb gerade aus klerikaler Seite hier antihomosexuelle Mobilmachung geschieht.
 
Doch da es auch für Schwule gilt, in der bestehenden Gesellschaft für ihr Leben individuell möglichst günstige Ausgangsbedingungen zu haben, ist die Infragestellung der Frauen- und Männerrolle in der Gesellschaft hier völlig aus dem Auge verloren worden. Und so steht man nicht mehr in emanzipatorischer Tradition z.B: gegen jede Form von Krieg, sondern kämpft dafür, dass auch Schwule beim Militär Karriere machen können und ihren „Mann“ stehen „dürfen“. Vielleicht ist es auch die „unstillbare Sehnsucht nach Anerkennung“ der schwulen Männer, die diese Entwicklung befördert.

Der unpolitische „normale“ Mensch, der seinen Mann überall im Leben steht, dieser Mann ist das Leitbild der unpolitischen doch selbstbewussten Schwulen geworden. Er stellt die Geschlechtrollen in der Gesellschaft nicht mehr in Frage, sondern will vielleicht auch heiraten und vielleicht Kinder adoptieren. Die promisque Lebensweise schwuler Männer wird zum Ausnahmefall stilisiert, zum Seitensprung, der aber dann flächendeckend praktiziert wird. Hier ist Mann sofort in der Gefahr, mit den Zwängen und Ritualen der heterosexuellen Paarbildung moralisch verglichen zu werden, denn der arrogante Hetero-Sexismus ist ja auch in unseren Köpfen verankert.

Und in der unpolitischen Rechtfertigung ist ein neues Dilemma des schwulen Mannes: ist er schwul, weil er eben (leider) nichts dafür kann, oder weil es ihm eine Lust ist? Viele Schwule lechzen nach Rechtfertigungsargumenten, etwa nach dem „schwulen Gen“, weil sie dann sagen können: ich bin nicht schuldig. Real ist es ja auch so, man hat es sich nicht selber ausgesucht, man nimmt sich als schwuler Mann an seiner sexuellen Lust wahr, was jedoch nichts mit einem Gen zu tun hat. Real ist aber eben auch, er könnte auf Sex verzichten, wenn er wollte, wie die Kirche es von ihm will. Das wäre dann der Höhepunkt der Anpassung an dieses heterosexuelle Korsett, dass die Männer- und Frauenrolle zementieren soll.

„Schwul sein heißt: sich wehren!“ (und das bezieht die ganzen Rollenzwänge der Gesellschaft ein), dieser alte 68er Spruch ist beim neuen unpolitischen schwulen Mann völlig in Vergessenheit geraten.

Schwule Männer stehen hier ständig in dem Dilemma, einerseits kritiklos zu sagen: wir sind doch auch ganz normale Männer (außer der unterschiedlichen Objektwahl) und gesellschaftlich weniger anzuecken, oder das Männerrollen-Frauenrollen-Bild selber infrage zu stellen.
Immer wieder stolpern Schwule über dieses Dilemma, in vielen Bereichen ihres Lebens, und die Position des Infragestellens kann eigentlich nur dann von Schwulen breiter empfunden werden, wenn in der gesamten Gesellschaft die heterosexuellen Standarts infrage gestellt werden, wie das in den 68ern war. Und das ist verdammt lange her.
 
1.2. Lesben
Lesben haben sich in Deutschland in der Frauenbewegung wiedergefunden, waren aus gutem Grund Teile der Frauenbewegung. Die traditionelle Rolle der Frau in der Familie und das Verhindern der selbständigen mündigen Frau, behinderte nicht nur die karriereinteressierte heterosexuelle Mittelstandsfrau sondern eben auch die Lesben. Um lesbisch leben zu können muss es Frauen möglich sein, als selbständiges Wesen und nicht als Anhang eines Mannes angesehen zu werden. Eine Frau, die nicht mit einem Mann verheiratet war, wurde weiterhin mit „Fräullein“ angeredet, und signalisierte so allen Männern, dass sie noch zu haben sei. Das wurde von den „alten Jungfern“ geredet, wenn man die alt gewordenen Fräuleins meinte. Denn nicht von einem Mann geheiratet worden zu sein, das war ein Makel.

In den Frauenzentren kämpften Lesben gegen den Zwang für Frauen, Anhängsel eines Mannes sein zu müssen. Es ging um geschlagene und misshandelte Frauen, um Frauenhäuser. Doch diese konkrete Arbeit hatte nicht mehr viel mit dem Grund zu tun, weshalb Lesben in der Frauenbewegung waren. Die § 218-Kampagne wurde massiv unterstützt, obwohl das Problem ungewollter Schwangerschaften in lesbischen Beziehungen und für Lesben generell nicht vorrangig ist. Aber alles diente ja dem mündig Werden der Frau.
 
Dann erschien 1983 aus Hamburg die kleine Broschüre „Lesben offensiv“ der Lesben aus der lesbisch-schwulen „Unabhängen Homosexuellen Alternative“. Hier lesen wir: „Viele Lesben wurden von den Projekten der Frauenbewegung aufgesogen. Sie gaben und geben sich der Täuschung hin, dass Frauen, die Frauen lieben, mit ihrem Kampf um Emanzipation am besten in der Frauenbewegung aufgehoben sind. Wir haben die Erfahrung gemacht, daß das nicht so ist. Auch in der Frauenbewegung wurde unsere Arbeit im hohen Maße durch Homosexualitätsfeindlichkeit behindert, wenn nicht gar unmöglich gemacht. Zu schnell gaben sich viele unserer Schwestern dem theoretischen Trugschluss hin, sie müssten nur kräftig für die Emanzipation der der Frau arbeiten, dann erledige sich ihr lesbischen Problem gleich mit. Wir haben uns mit der Ideologie, die uns als Weg und Ziel einzig Partnerschaft und Bündnis mit Frauen vorschreiben, auseinandergesetzt - ...“ Diese Lesben kamen letztlich zu dem Schluss, mit schwulen Männern gemeinsam gegen die Anti-Homosexualität einzutreten, wo immer sie auch auftaucht.

Wir sehen also, sich vor den Karren einer anderen Bewegung spannen zu lassen, ist nie sinnvoll, sondern aus eigener Stärke mit einem Teil der Ziele anderer Bewegungen zu paktieren. Und so sind wir der Meinung, dass eine Lesbenbewegung keinesfalls, wie es die Hamburger Frauen nahezulegen scheinen, in einer Schwulenbewegung aufgehen sollte, sondern dass lesbische Frauen zusammen mit schwulen Männern gegen die antihomosexuelle Haltungen von Frauen und Männern Verbündete sein können.

Frauen ohne Mann wurden vor noch nicht so langer Zeit „Fräullein“ genannt, und dadurch wurde überall singnalisiert: die hat noch keinen abgekriegt. Das „ältere Fräullein“ war eine kauzige Gestalt über die gelächelt wurde. Es gab (wie auch für den schwulen Mann) einfach keinen Grund, ohne die Ergänzung durch das Gegengeschlecht zu leben, weil es wie ein verlorenes, ein sinnloses Leben entgegen der Bestimmung angesehen wurde.

Die Sehnsucht, sich als Frau zu zeigen, die eben nicht übriggeblieben ist, sondern in einer mindestens vergleichbaren Liebe, aber zu einer Frau zu leben, erklärt sich aus dieser Abqualifizierung. Man darf allerdings nie aus dem Auge verlieren, dass ein Teil dieser selbstaufgebenden Liebe, die immer noch als etwas Reines und Gutes angesehen wird, eben ihren Ursprung in der wirtschaftliche Abhängigkeit der Frau von dem Mann hat.

Das sich selbst-Outen, um sich als Liebende zu zeigen, was einzelne Lesben in ihrem täglichen Umfeld doch eher mit großer Vorsicht oder lieber nicht betreiben, hat gesellschaftlich betrachtet, für die Gruppe der Lesben, eine große Bedeutung. Voraussetzung wäre aber, dass ein solches Selbst-Outing auch positiv wahrgenommen wird, damit es den erwünschten Zweck auch erfüllen kann.

Doch das positive Wahrnehmen würde bedeuten, dass das bisherige Rollenbild der „richtigen“ Frau und des „richtigen“ Mannes so nicht mehr aufrechterhalten würde. Und warum sollten diese Rollenbilder denn ohne Not aufgegeben werden? Mit diesen Bilden vom „richtigen“ Mann lassen sich Männer wie Ochsen am Nasenring zur Grausamkeit gegen sich selbst und andere führen, als Soldat im Krieg oder als Arbeitnehmer der sogar das Leben einzusetzen (uns auch für die Geliebte?). Und mit dem Bilde der „richtigen“ Frau lassen sich Frauen mit der Illusion führen, doch irgendwie der moralischere, der bessere Mensch zu sein, den Ausputzer zu spielen, wenn die großen Schlachten für die Rendite der Großaktionäre ihre Opfer kosten. Das Rollenbild ist deshalb so praktisch, weil es mit verlogenen Argumenten über die „Natur der Frau“ und die „Natur des Mannes“ zum Nachteil beider genutzt werden kann.
 
2. Lesben und Schwule
Zusammen können wir mehr ereichen und es gibt eine ganze Reihe erfolgreicher gemeinsamer Projekte, die nicht einseitig vom Wiederstandwillen schwuler Männer gegen Verfolgung getragen sind oder einseitig von den Emanzipationsbestrebungen der feministischen Bewegung gegen die Benachteiligung von Frauen.

Doch trägt dies nicht, wenn man Unterschiede zuschüttet oder ignoriert, man muss sie sehen und versuchen, füreinander Verständnis aufzubringen. Auch die Unterschiede zwischen dem Leben von Lesben und Schwulen sind nicht aus irgendeiner bösen Absicht entstanden. Sie kommen daher, dass aus den Gegebenheiten der Gesellschaft und den Gegebenheiten der jeweiligen Geschlechtsrollen eben jeweils ganz eigentümliche Nischenverhalten entstanden sind, ganz eigentümliche Lebensformen angesichts ganz eigentümlicher Formen der Repression bis hin eben zu Verfolgungen.

Der Versuch, sich in die Belange des jeweils anderen hineinzudenken, ist der Versuch, in gegenseitiger Solidarität gemeinsam vorzugehen und auch gemeinsam die Belange des/der jeweils anderen zu vertreten.
 
2.1. die grundlegenden Differenzen
Der Versuch, Lesben und Schwule irgendwie zu etwas Gleichen zu machen, hat nichts mit der Realität zu tun. Lesben sind von Kind an zur Frau sozialisiert, auch wenn manchen von ihnen gerade dies nicht mehr an sich mögen. Und als Frauen haben sie erst ein mal alles der Frauenrolle verinnerlicht. Und so treffen eben in der Lesbenszene zwei Menschen aufeinander, die beide eben auf einen Mann vorbereitet wurden. Uns so erwarten sie von ihrer Partnerin erst einmal, dass sie auf sie zukommt, ihnen mit Verständnis begegnet, ihnen Hinwendung entgegenbringt. Wenn das nun beide erwarten, warten beide.

Die sich unterwerfende Hingabe in einer Lesbenbeziehung wird als Vorleistung verstanden mit dem Wunsch, dass die Partnerin auch tiefer in die Beziehung einsteigt. Oft erwarten Lesben auch von ihrer Partnerin, dass sie durch sie wirtschaftlich versorgt sind. Zu den üblen Erscheinungsformen in lesbischen Beziehungen gehört das gegenseitige Ausnehmen. Das sind Kinderkrankheiten. In der dritten oder vierten Beziehung haben sich angemessene formen der Beziehung entwickelt. Das wichtigste Element der des lesbischen Leben ist aber die Beziehung.
 
Llesben outen sich nicht derart massenhaft wie Schwule. Als Bgründung wird angeführt, dass sie sich nicht irgendwelche Möglichkeiten öffentlich varbauen wollen. Dann braucht frau sich nicht zu wundern, dass Lesben nicht als solche wahrgenommen werden.

Aber das wirtschaftlich eigenständige Leben muss von so mancher lesbischen Frau erst einmal erlernt werden, de Möglichkeit, als Frau Geld verdienen zu können ist auch nicht immer überall so einfach gegeben.

Schwule Männer haben kein so richtiges Empfinden dafür, was lesbische Frauen in bestimmten Situationen empfinden. Das ist auch gar nicht nötig, denn wir können und wollen die für uns bizarren schwulen Empfindungen nicht nachempfinden. Man kann gelegentlich zusammen etwas erreichen, und aus dieser Zusammenarbeit entstehen auch Freundschaften. In solchen Freundschaften kann man dann doch ein bisschen besser verstehen, was schwule Männer umtreibt.

Schwule Männer sind zumeist wirtschaftlich unabhängig, das entspricht der Rolle, die von Männern, auch von schwulen Männern erwartet wird, wenn man mal von einigen halbprostituiernde Verhältnissen durch junge Sexpüppchen für gutverdienende ältere Männer absieht. Das schwule Leben ist dagegen nicht unbedingt auf Beziehung ausgerichtet, zumindest der monogamen Beziehung, obwohl das viele behaupten, weil das als moralischer gilt.

Schwule Männer sind in vielen Beziehungen: in Kumpelsgruppen, in der Herkunftsfamilie, mit einigen engen Frauenbekanntschaften usw. Was zu diesen ganzen Beziehungen nicht gehört, ist gelebter zufriedenstellender Sex. Darauf hat sich natürlich die kommerzielle schwule Subkultur eingestellt. Sexverbindungen auf Zeit werden Beziehung genannt, und manche versuchen, um die Sexualitität noch das eine oder andere herumzupacken, damit man es Beziehung nennen kann. Kurz: das Leben der Lesben und das der Schwulen ist schlicht ganz und gar verschieden.

Vieles können wir voneinander auch nicht so recht nachvollziehen, aber vielleicht dann doch akzeptieren, wenn wir die Unterschiede akzeptieren und nicht moralisch bewerten. Und das ist auch eines der Probleme bei der Zusammenarbeit zwischen schwulen und lesbischen Menschen.
 
2.1.1. aus lesbischer Sicht
... haben die Schwulen zwei Fehler bei der Zusammenarbeit: Sie ignorieren die Lesben überall, indem sie einfach ihr Ding durchziehen. Wenn sie nett zu uns Lesben sein wollen, sagen sie nicht, „Wir Schwulen“, sondern akzeptieren die gemeinsame Szene und sagen „Wir Lesben und Schwulen“ und ziehen dann ihr Ding durch. Und wenn von uns nichts kommt, ist es doch ein rein schwules Ding, das dann lesbisch-schwul genannt wird. Das liegt auch oft an uns Lesben. Wenn wir Lesben nicht überall außen vor sein wollen, egal ob mitgenannt oder nicht, dann müssen wir uns auch selber angemessen einbringen. Wir können hier nicht erwarten, dass uns unsere Wünsche sozusagen von den Augen abgelesen werden. Heterosexuelle Frauen lassen häufig ihre Männern Vorschläge machen und betimmen dann, welcher ihnen gefällt und welcher nicht. Sie wollen auch gerne bestimmen, wie das gemacht werden soll, und dann macht er es so.

So klappt das bei den schwulen Männern sehr oft nicht, weil die keine erotische Beziehung zu den Lesben haben, die sie zum höflich dienenden Handeln bringt. Aber die meisten hatten eine Mutter und auch Geschwister, Mitschülerinnen oder Kolleginnen, dann verhalten sie sich in unserem Sinne wunschgemäß. Wir dürfen aber nicht vergessen: Lesben sind aus schwuler Sicht Kumpels, in diesem Sinne Partner, oder können es sein.

Die Zusammenarbeit zwischen lesbischen und schwulen Kumpels ist sehr ertragreich, wenngleich es immer wieder zu Missverständnissen kommt, der Ursachen in der Selbstverständlichkeiten der heteosexuellen Welt liegen. Jeder leistet seinen Beitrag, mach also sein Ding, und zusammengesetzt ist das dann eine lesbisch-schwule Sache.

Aus lesbischer Sicht sind die Schwulen meistens nur an Sex mit anderen Männern interessiert, Sex steht in der Szene bei ihnen immer im Mittelpunkt, ob sie das zugeben oder nicht. Dabei sind sie oft skruppellos, nur liebevoll, wenn es ihnen etwas zu bringen verspricht, menschlich unverbindlich und an exhibitionistischen Signalen interessiert. Das ist für Lesben dann belastend, wenn sie Freundlichkeit und Höflichkeit von (schwulen) Männern erwarten, und erkennen müssen, das gehört im Grunde zur sexuellen Anmache. Manche heterosexuellen Frauen müssten das mal mitbekommen, wie Männer ohne sexuelle Anmache sind, also Kumpels, um ihre Männer zu verstehen.

Das alles, was Lesben mit schwulen Männern erleben, ist nicht im Sinne lesbischer Umgangsformen mit dem Thema Beziehung und Sexualität. Daraus ergibt sich, auch schwule Männer sind eben doch nur Männer, aber eben solche, die uns nicht mit solchen Augen ansehen, die uns auszuziehen scheinen, wie uns das von heteosexuellen Männern passiert.

2.1.2. aus schwuler Sicht
... haben die Lesben zwei Fehler bei der Zusammenarbeit. Einerseits beschweren sie sich, dass man sie nicht berücksichtigt, sondern verschweigt. Und andererseits beschweren sie sich, dass man sie mitnennt. Es gibt viele Aktivitäten, und leider gibt es dazu nur schwule Beiträge und keine lesbischen. Was soll man da machen? Soll man die Arbeit machen und dann Lesben fragen, ob ihnen das gefällt?
Am besten geht es, wenn sowohl Lesben als auch Schwule ihre Beiträge für eine gemeinsame Sache selber organisieren, zum Beispiel einen CSD, und wenn die Schwulen zusätzlich noch eine Schere im Kopf haben, mit dem Inhalt, wie eine Frau das wohl empfinden könnte, was hier gemacht wird. Das ist aber völlig unschwul.

An meinem früheren Arbeitsplatz war noch ein anderer schwuler Mann. Wir unterhielten uns über Frank Riplos Film „Taxi zum Klo“. Eine Kollegin, die immer sehr schwulenfreundlich war und gerne an unseren Unterhaltungen teilnahm, mischte sich ein und meinte, dass ihr dieser Film nicht gefallen habe. Warum nur? Wir fanden den Film äußerst interessant, realistisch und kurzweilig. Es kam raus, dass er mit ihrem Schwulenbild nicht übereinstimmte. In diesem Film war nicht der nette Schwule gezeigt worden, wie er charmant mit heterosexuellen Frauen über Männer geklönt und über sie hergezogen ist, sondern der Schwule Mann in seinem eigenen schwulen Leben. Das gefiel ihr nicht. Aber das hat nichts mit Lesben in der gemeinsamen Bewegung zu tun. Oder?

Bei verschiedenen Dingen, die uns wichtig sind, gefällt es verschiedenen Lesben nicht. Beim CSD in Frankfurt wurde ein politisches Motto gesucht. Das Motto „Wir gedenken der Opfer des § 175 StGB“ konnte nicht genommen werden, weil die lesbische Sprecherin meinte, das sei ein reines Schwulenthema. Lesben würden auch diskriminiert, und das werde mit diesem Motto ausgeklammert. Der Vorschlag, dass Lesben in einer gemeinsamen Bewegung doch auch der staatliche Verfolgung homosexuellen Menschen gedenken könnten, auch wenn es sich „nur“ um schwule Männer handelt, die staatlich verfolgt wurden, wurde zurückgewiesen. Es kam noch der Hinweis, dass Männer immer versuchen würden, die grundsätzliche Diskriminierung der Frau durch den Mann mit anderen Argumenten zu relativieren. Also musste ein anderes Motto gefunden werden.

So weit geht also die Gemeinsamkeit nicht, dass frau zugibt, dass Männer verfolgt, um ihre bürgerliche Existenz gebracht, vor Gerichte gezerrt, eingesperrt und in schlimmen Zeiten der 124-jährigen Geschichte des § 175 StGB auch staatlich ermordet wurden, denn die Haft in der Konzentrationslagern haben nur wenige „Männer mit dem Rosa Winkel“ überlebt. Dass es hier keine Solidarität, sondern eher feministische Relativierungsversuche gibt, das muss der schwule Mann erst einmal verstehen.

Andererseits, wenn wir freundlich auf Lesben zugehen, ihnen die Unterdrückung der Frau durch den Mann auch in der gemeinsamen Szene bestätigen, können wir mit einer gewissen Offenheit rechnen. Es hat nur nichts damit zu tun, wie wir die lesbischen und die heterosexuellen Frauen in der gemeinsamen Szene wahrnehmen.

Wenn beide Seiten sich darauf verständigen, dass jede(r) ihren/seinen Teil beiträgt, dass jede Seite schon am besten weiß, wo „ihr“ der Schuh drückt, dann können einzelne Dinge zusammen gemacht werden. Und dieses „Zusammen“ bedeutet nicht, dass es deckungsgleichen Empfindungen in unserer Szene gibt.
 
2.2. die Gemeinsamkeiten
Dass wir von außen oft als eine gemeinsame Szene gesehen werden, kann auch eine Chance sein, indem wir uns gegenseitig srark machen.

Dazu wäre aber über das Nebeneinander Her hinaus mehr notwendig: Wir treten gemeinsam auf und vertreten gemeinsam unsere Interessen, also Lesben auch die Interessen von Schwulen und Schwule auch die Interessen von Lesben.
Um das zu können, müssen Schwule etwas völlig unschwules tun, sich gedanklich auf lesbische Empfindungen und lesbische Lebensrealität einlassen. Und Lesben müssen etwas völlig unles-bisches tun, nämlich sich gedanklich auf schwules Empfinden und die schwule Lebensrealität einlassen.

Ein Streit, der die lesbisch-schwule Zusammenarbeit grundlegend gefährden könnte, was dem frauenpolitischen Interesse der Initiatorinnen entspricht, ist die von der feministischen Zeitschrift EMMA losgetretene Streit um das Homo-Mahnmal in Berlin.

Das Mahnmal soll es möglich machen, der homosexuellen Menschen zu gedenken, die unter der Naziverfolgung gelitten haben.
Was unterscheidet die Naziverfolgung von der üblichen Verfolgung?

1. der deutsche Staat hat nicht nur seine Mitbürger nicht vor der Verfolgung verhetzter oder dummer Menschen geschützt, sondern er hat selber verfolgt, gemordet und verhetzt. Das trifft auf viele Opfergruppen zu, aber schwule Männer wurden schon vor der Nazizeit und hinterher staatlich verfolgt, mit dem § 175 StGB, den es nicht für lesbische Frauen, sondern lediglich für schwule Männer gab.

Die Opfer des von den Nazis verschärften § 175 StGB wurden, gekennzeichnet mit einem „Rosa Winkel“, in Konzentrationslager verbracht, viele, die meisten von ihnen, starben dort.

Die „Männer mit dem Rosa Winkel“ wurden bei den offiziellen Kundgebungen des Deutschen Staates, wenn der Opfer das Nazizeit gedacht wurde, einfach „vergessen“, da man nach dem Krieg weiterhin schwule Männer verfolgte und bestrafte.

Die schwulen studentischen 68er versuchten, dieses Vergessen zu bekämpfen, indem sie sich mit dem „Rosa Winkel“ ausstatteten, ihn zu ihrem Symbol machten. Das war ein Teil des Kampfes gegen den § 175, der ja in der Bundesrepublik in der naziverschärften Form weiter galt, dann nach und nach gelockert wurde und erst durch die Vereinigung mit der DDR vollkommen verschwand, weil es ihn dort nicht mehr gab.

Bei dem Wunsch, der Männer mit dem „Rosa Winkel“ zu gedenken, die verfolgt wurden, weil sie schwul waren, wollte man auch der Lesben und Schwulen gedenken, die (oftmals unerkannt) unter den anderen Opfergruppen waren, die größte Opfergruppe waren die Jüdinnen und Juden.

Viel Geld und viel persönlicher ehrenamtlicher Einsatz waren nötig, in den alten Archiven die Urteile wegen § 175 StGB und die KZ-Häftlinge mit dem Rosa Winkel sozusagen auszugraben. Oft stellten sich die Familien der Opfer gegen eine Veröffentlichung, weil sie mit dem Makel eines schwulen Vaters, Bruders, Sohnes usw. nichts zu tun haben wollten.

Durch ein zentrales Mahnmal wäre es möglich, ihrer aller zu gedenken, auch wenn die Herkunftsfamilien es bei Rosa-Winkel-Häftlingen sehr oft zu verhindern suchten, weil sie 1. selber an der Denunziation beteiligt waren oder 2. mit den Schwulitäten ihres Sohnes, Vaters, Bruders nichts zu tun haben wollten und wollen.

Als nun ein Mahnmal in Berlin greifbar wurde, und zwar ein äußerst Zutreffendes, meldete sich plötzlich die feministische Emma-Redaktion zu Wort. Die Stele, die an die jüdischen KZ-Opfer im großem Stelenfeld erinnert, der dort dauervorgeführte Kuss zweier Männer, - dieser mannmännliche Dauerkuss veranlasste die feministische Frauenzeitschrift Emma, zu behaupten, Lesben würden hier verschwiegen. In einem großen Aufmacher von Lesben, die in der Nazizeit ins KZ kamen, weil sie politisch Verfolgte, Jüdinnen oder aus einer anderen Opfergruppe waren, steht die Behauptung, es sei viel staatliches Geld ausgegeben worden, die Schicksale von Schwulen groß rauszubringen, die Lesben aber zu vergessen.

Schnell bekam die Emma-Kampagne Unterstützung solcher Gruppen, denen das Mahnmal überhaupt nicht passt, oder die es nicht gut finden, dass eine Stele, die an die Juden erinnert, durch die Homosexuellen in gewisser Weise „entehrt“ würde und andere GegnerInnen dieses Mahnmales.

Der Lesbenring, die Lesben und Schwulen im LSVD sowie die Mahnmalinitiative entschieden sich daraufhin, zwar den alten Entwurf zu nehmen, aber das knutschende Männerpaar mit einem knutschenden Frauenpaar abwechseln zu lassen. Das hat zwar nichts mehr mit den historischen Realitäten zu tun, weil es den Zusammenhang zwischen Männerzärtlichkeit und KZ-Haft relativiert, aber es scheint nun noch die einzige Möglichkeit zu sein, das Mahnmal noch zu realisieren.

Die Folge: Emma legte nach:
In der Emma (Dezenber 06) meint Schwarzer, auch ein küssendes Frauenpaar sei nicht o.k., denn das Denmal sei ein „Ghetto des Kitsches männlicher Homosexualität. Denn trotz hehrer Stele ist die Reminiszenz an die voyeuristische Klappen-Sexualität homosexueller Männer (...) unübersehbar“.

Welche Empfindungen nun Frau Schwarzer beim Betrachten einer Stele hat, die hier zum Angedenken aller homosexuellen Opfer der Nazizeit dient und speziell der „Männer mit dem Rosa Winkel“ ist ihr überlassen. Klar wird durch diese Ausfälle, sie will das Mahnmal grundsätzlich verhindern.
 An dieser Stelle stand in der Print-Ausgabe ein Werbetext eines Verbandsblättchens mit Formulierungen, die der Wiener Lambda-Autorin Gudrun Hauer, wie sie uns schrieb, unterschoben wurden und die nicht von ihr stammen. Auch wir sind leider darau hereingefallen. Das tut uns leid und wir entschuldigen uns dafür.
Wir distanzieren uns davon, dass die Autorin diese Formulierungen gewählt haben soll.
Schon im Juni 2001 schreibt die Autorin Gudrun Hauer in der österreichischen lesben- und schwulenzeitschrift Lamda unter anderem:
„Als historisches Faktum ist gesichert, daß lesbische Frauen während der NS-Zeit in Deutschland nicht in gleichem Maß wie schwule Männer durch strafrechtliche Verfolgung bedroht waren.
Der 1871 im Deutschen Kaiserreich eingeführte § 175 galt nur für schwule Männer (...). Zwar hatte es noch vor dem Ersten Weltkrieg im Deutschen Kaiserreich Versuche gegeben, den § 175 auch auf Frauen weibliche Homosexualität auszudehnen, sie scheiterten jedoch 1912 durch die gemeinsame Politik der Ersten Homosexuellenbewegung, der Ersten Frauenbewegung und von sexualreformerischen Organisationen.
1935 verschärfte der NS-Staat den § 175 derart, daß künftig nicht nur der Geschlechtsverkehr zwischen Männern strafbar war, sondern ebenso Blicke oder ein Briefwechsel strafbare und damit verfolgbare Handlungen darstellen konnte.“

Sie möchte den Umgang mit Lesben in der Gesellschaft nicht vom Bergriff „Verfolgung“ abhängig machen, weil er das wahre Leben von Lesben im Nazistaat eher ausklammert. Und sie schreibt:
„Wir Jüngeren gehen fälschlicherweise oft davon aus, daß verfolgte Lesben wegen ihrer Homosexualität verfolgt wurden – so als hätte es keine lesbischen Jüdinnen oder lesbischen Roma- oder Sintifrauen, keine lesbischen Zwangsarbeiterinnen oder lesbischen Deportierten gegeben. Oder keine lesbischen Widerstandskämpferinnen.
Gerade für diese Gruppen, dies als Anspruch für weitergehende Forschungsarbeiten, sind genauere und vor allem differenzierte Untersuchungen dringend notwendig – auch zur Aufhellung unserer eigenen ethnischen, nationalistischen „blinden Flecke“ und Vorurteile.“

Die von ihr oben angesprochenen Zusammenhänge haben nun freilich nichts speziell mit einer Verfolgung zu tun, weil frau/mann homosexuell ist, aber es betraf natürlich auch viele homosexuelle Frauen und Männer, die aus anderen Gründen verfolgt wurden.
Dass dieser Zusammenhang aber nun von der Emma-Redaktion und anderen benutzt wird, das Schicksal der wirklich staatlich verfolgten homosexuellen Männer zu relativieren, die alleine wegen ihrer Homosexualität verfolgt wurden, zeigt offensichtlich, dass es eine deutliche Homosexualitätsfeindlichkeit beziehungsweise Schwulenfeindlichkeit im Feminismus gibt, und eine deutliche Schwulenfendlichkeit auch unter Lesben, wie es im Übrigen auch eine gewisse Frauenfeindlichkeit in der schwulen Szene gibt.

Es gibt aber die Gemeinsamkeit zwischen dem Lesbenring, dem Lesben- und Schwulenverband und der Mahnmalinitiative, was in diesem Zusammenhang Hoffnung machen kann.

Falls das Mahnmal nun wegen dieser unsachlichen seltsamen Einsprüche nicht gebaut wird, bleibt auf der Seite der Leute, die der Opfer der staatlichen Verfolgung homosexueller Männer endlich gedenken wollen, die damit politisch arbeiten wollen, eine Verletzung zurück, die nicht so einfach zu heilen sein wird. Als SiegerInnen blieben feministische Führerinnen zurück, die ihren Alleinanspruch auch über alle Frauen, auch die lesbische Frauen, mit dieser Kampagne verteidigen konnten.

Auf jeden Fall ist die Zusammenarbeit zwischen Lesben und Schwulen aus den oben im Artikel genannten Gründen (gemeinsam gegen Homosexualitätsfeindschaft und gegen Hetero-Sexismus) wichtig. Sie findet auch statt, mehr oder weniger intensiv.

Aber ob es uns gelingen wird, miteinander solidarisch umzugehen, uns gegenseitig zu stärken statt zu schwächen, uns gegenseitig gegen GegnerInnen zu vertreten, das ist noch lange nicht sicher.

Unsere Bewegung ist kein abgeschlossener Raum, keine von außen abgeschirmte Beziehung, sie ist mit anderen gesellschaftlichen Kräften verzahnt. Das könnte unsere Stärke ausmachen, erweist sich allerdings auch oft als Schwäche. (js, rs, ts)
 
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