90. Print-LUST, Frühling 07
 
Verwirklichung von Lebensträumen
Wie möchtest Du leben? Gibt es Vorstellungen, von denen Du träumst? Eine andere Lebensweise, andere Länder, andere Menschen, andere soziale Verhältnisse? Hast Du große Utopien oder kleine Nahziele? Möchtest Du kleine Verbesserungen Deiner Lage hier und jetzt oder muss allles anders werden. Von Grund auf? Wäre das eine oder das andere realistisch? „Seid realistisch - verlangt das Unmögliche“, war ein 68er Spruch, der Mut zur Utopie machen sollte.
 
Vielleicht hängt es auch vom Lebenalter ab, ob man sich Utopien genehmigt. Wenn man älter ist, hat man alle Wunschträume dem Realleben geopfert. Und die Jungen, sind die heutzutage nicht von Anfang an „Realisten“? Wie sieht es denn mit meinen Wunschträumen aus? Habe ich meine Träume wirklich aufgegeben oder sind keine mehr übrig, weil sich alle erfüllt haben?

Wie sich Menschen mir gegenüber verhalten und was sie mir und ich ihnen bedeute, das hat meiner Meinung nach nur zum Teil mit den Utopien zu tun, von denen hier die Rede ist. Denn das ist Folge des aktuellen miteinander Umgehens, abhängig von Bildung, zur Verfügung stehender Zeit, Tagesform usw.. Aber es ist eben auch Folge des generellen Umgehens der Gesellschaft mit den Mitmenschen, spiegelbildlich entsteht dann das Verhalten der Mitmenschen mit mir.

Ich hatte mir als linker Student des 2. Bildungsweges gedacht, als ich weniger Geld hatte und dies für normal hielt: wenn ich etwas haben will, muss ich es mir machen. Wie zum Beispiel meine Möbel. Wie ich sie wollte, gab es sie nicht oder sie waren zu teuer. So habe ich mir vieles einfach selber gemacht, als Student damals, der sich des wenigen Geldes, das er zur Verfügung hat, bewusst war und der nicht einmal sauer darüber war. Und in diesen Möbeln lebe ich noch immer.

Vor meinem Studium war ich Gärtner und hörte ich die BILD-gebildeten Leute über die Studenten schimpfen, wie die seien und was die wollten. Die Schimpfenden hatten mir damals nicht gefallen, aber worüber die schimpften, das war für mich erstrebenswert. Also habe ich erst das Abendgymnasium besucht und dann studiert. Ich wollte etwas haben und habe es mir gebaut, wie meine Möbel. Naja, es war dann doch nicht so, wie ich es erhofft hatte, aber schon mal besser als bisher.

Ich wollte eigentlich immer in einer Wohngemeinschaft leben, in der sich die wesentlichen zwischenmenschlichen Bedürfnisse weitgehend lösen bzw. befriedigen, eine Wahlfamile eben.

Ich wollte nur halbtags arbeiten, damit Zeit für kreatives Leben bleibt. Und die anderen, die Partnerinnen und Partner, so wünschte ich es mir, sollten das ebenso sehen, damit man mit Menschen zusammen ist und nicht mit den beschädigten Resultaten einer brutalen Arbeitswelt, wie sie heute noch schärfer existiert als damals. Daher nur halbtags Erwerbsarbeit.
Ich brauchte nun wirklich keine teuren Angeberklamotten, kein Angeberauto oder so etwas, weil ich als Mensch und Persönlichkeit selber jemand bin, so sah und sehe ich das immer noch.

Noch immer bin ich, auch als Rentner, schlicht gekleidet, fahre ein schlichtes Auto, das etwas größer sein könnte, um Infostände usw. besser darin unterbringen zu können.

In einer Wohngemeinschaft lebe ich, das hat sich erfüllt bzw. habe ich mir erfüllt, aber nicht alle wesentlichen zwischenmenschlichen Bedürfnisse erfüllen sich hier. Man kommt im Zwischenmenschlichen an die Grenze, wo man es sich nicht alles selber machen kann, was man sich wünscht, wo man vom Willen und Wollen der anderen abhängig ist. Das hat man zu akzeptieren.

Das mit der Halbtagsarbeit war aus verschiedenen Gründen so nicht zu machen. Der wesentlichste Grund in dieser Gesellschaft ist: entweder Du hast einen Job, und dann gehörst Du so ziemlich mit Haut und Haaren der Firma, oder Du bist eben arbeitslos: Du kommst hier nicht rein. Und das Leben ist viel teurer, als ich mir früher gedacht hatte. Oder ist es viel teurer geworden? Alleine die Miete einer Wohnung, die für eine WG geeignet ist, verlangt ja schon nahezu ein vollkommenes besseres Gehalt.

Auch die Gesellschaft, in der wir in Zukunft leben würden, hatte ich mir anders vorgestellt als sie heute geworden ist: menschlicher, solidarischer. Es hat sich also herausgestellt, dass das Gegenteil der Fall wurde.

Die Gesellschaft wurde egoistischer und es scheint so zu sein, dass der Mensch hier nur so lange und in dem Maße relativ anständig behandelt wird, wie er anderen Gewinn bringt. Und das nur durch die Menschen, die aus mir Profit schlagen können, so lange sie es können. Das schafft dem Menschen ein (nicht auf Dauer gesichertes) begrenztes individuelles Leben. Der Mensch, der anderen Menschen nützt, wird also deshalb zum Teil menschlich behandelt. Nicht, weil er ein Mensch ist.

Ich denke mir oft, dass ein jüngerer Mensch heute, der die 68er Moral und die in Ansätzen erlebte mitmenschliche Solidarität gar nicht kennen gelernt hat, der im Gegenteil in einer deutlich egoistischen Welt lebt, dass der auch andere Lebensträume als ich entwickelt hat, und andere Auffassungen über das Zusammenleben mit anderen Menschen.
 
Die Nachwachsenden aus der Sicht des Älteren
Das hatte mich interessiert. Bei einer der Rundfunk oder Fernseh-Buchbesprechungen war von Folgendem die Rede:
„Jedediah Purdy repräsentiert mit seinem Buch “Das Elend der Ironie” (siehe 73. LUST) angeblich eine neue Generation von Jugendlichen, die wieder an Inhalten und an Tiefe interessiert sind, die Nachfolger sozusagen der inhaltslosen Generation des Neoliberalismus, die nichts an sich ran lässt und auf Inhalte und Tiefe eher ironisch reagiert.“ Er wurde als „Sprecher der post-neoliberalen Jugend“ beworben.

Doch beim Lesen dieses Buches fiel mir auf, dass da gar nicht der Mensch spricht, der den Neoliberalismus durchschaut und überwunden hat, sondern ein auf einer Farm bei amerikanischen 68ern aufgewachsener junger Mann, der im Neoliberalismus nicht ankommen wollte, weils ihm zu fremd ist/war.

Als Mensch, der seine Jugend in anderer Zeit verbracht hat, ist mir die Haltung heutiger Jugendlicher eher unheimlich und vielfach unverständlich. Allerdings hatten wir (damals Jugendlichen) wenig Angst vor der Zukunft, eher im Gegenteil. Für uns war es keine Frage, dass wir, wenn wir wollten, eine wirtschaftliche Zukunft haben würden. Deshalb diskutierten wir eher darüber, ob wir denn so leben wollten, immer nur auf Karriere aus, oder ob ein glücklicheres Leben vielleicht mit etwas weniger Geld und Stress und mit etwas mehr Freizeit und zwischenmenschlichem Einfühlungsvermögen möglich sei. Wir meinten damals, dass wirtschaftliche Karriere und zwischenmenschliche Tiefe eher gegensätzlich sind. Vor allem stellten wir traditionelle Formen des Zusammenlebens und –liebens in Frage und sahen es als eine Tugend an, experimentell und relativ tabulos zu ergründen, was uns wirklich Lust bereitet und wie wir infolgedessen leben wollten.

Wie sind die heutigen Jugendlichen? So wie dieser amerikanischen Schriftsteller oder wie meine Befürchtung? Also fing ich an, Jugendliche zu interviewen und fand heraus, dass deren Wunschträume überwiegend so waren, wie ich nicht leben wollte und will. Es ging ihnen um Statussymbole und um individuellen Besitz, es ging um eine eigene kleine heile Welt, um eine Familie, für die möglichst ein Einfamilienhaus her musste. Was sah ich? Haben wollen, zurückziehen, einigeln, Besitz verteidigen, andererseits mit gesellschaftlichen Stärkezeichen protzen.

Nun gut, sagte ich mir, das war ja damals etwas, wogegen wir uns ausgesprochen hatten, weil es die Welt war, in die man uns hineindrängen wollte, dafür sollten wir uns aufopfern und so sollten wir unser Leben verbringen. Und die heutigen Jugendlichen, die brauchen sich dagegen gar nicht zu wehren, weil sie befürchten müssen, dass selbst das gar nicht für sie erreichbar ist. Was also ersehnen sie sich? Die eigene kleine heile Welt, eine Insel, über die wir damals mit Degenhard, Süverkrüp, Danzer und anderen Spottlieder sangen.
 
Eine eher fraglichen Zukunft, und die Utopie?
Wir hatten den Eindruck, unsere Zukunft sei gesichert. Wie sieht das denn mit Euch aus, sporadische oder regelmäßige LUST-LeserInnen, habt Ihr Lebensträume, die Ihr verwirklichen wollt? Wenn ja, wäre uns das mindestens einen Artikel wert. Bitte, teilt sie uns mit.

Welche Lebensträume haben Menschen, die wissen, dass sie in unsicheren Zeiten leben und dass ihr wirtschaftliche Zukunft eher nicht gesichert ist? Ist da das oberste Ziel wirtschaftlicher Erfolg? Und wenn ja, wie würde man ihn sich wünschen? Sind das etwa die Träume der Verkäuferin, die so gerne morgens in der S-Bahn Chefarzt-Romane liest?

Der Chefarzt lehnt sich aus seinem Himmelbett, um gerade diese Verkäuferin in das gesicherte Leben in einer großen Villa mit Dienstboten zu ziehen? Er liebt es, mit ihr große Reisen zu machen und kümmert sich rührend um seine schöne glückliche Frau und die gemeinsamen Kinder? Die Frau geht ihrem Hobby nach, sie organisiert große Wohltätigkeitsveranstaltungen für Verkäuferinnen und trifft dort all die wieder, die ihr früher so sehr auf die Nerven gegangen sind?

Wovon träumt der heterosexuelle Mann? Vielleicht ist es der Lottogewinn oder seine Entdeckung für das Show-Geschäft? Geht so etwas auch auf lesbisch oder schwul? Das junge ärmliche lesbische Ding wird von einer großen wohlhabenden Frau entdeckt, die sie liebt, ihr gemeinsames Glück in Folge dessen? Der gutaussehende Traummann, der sich gerade in Dich verliebt, verschafft Dir einen guten Job in dessen eigener Firma, wodurch er Tag und Nacht mit ihm zusammen ist und, wenns ihm überkommt, können die beiden sich immer mal in ein Nebenzimmer zurückziehen, das extra dafür eingerichtet ist ...

Nun ja, das sind so ungefähr die Soups, freilich ein bisschen an den Zeitgeist angepasst und ausgeschmückt, die neuerdings in den Zimmern der Coming-out-Lesben und der Coming-out-Schwulen über den Bildschirm flimmern.

Es wird klar, die Sehnsucht kommt aus den Entbehrungen, die großen Wunschträume befriedigen die verwundete Seele, streicheln sie und schaffen im Träumenden die Sättigung, die notwendig ist, um am nächsten Tag wieder die Arbeit zu verrichten und die Begegnung mit Menschen zu überstehen, die sich keineswegs traumhaft verhalten. Träume dieser Art tun der eigenen psychischen Verfasstheit vielleicht gut, sie helfen aber nicht, die realen Chancen im realen Leben zu erkennen, beziehungsweise angemessene und sinnvolle Strategien zu entwickeln, das Leben so einzurichten, wie es tragbar ist.

Dann gibt es diese Trauminseln, die in der sogenannten Südsee liegen können, wo immer das sein soll, oder in der holsteinischen Seenplatte, vielleicht auch die Moosburg im Biebricher Schlossparkweiher. Auf dieser Insel liegst Du am warmen Strand, am besten geküsst von der wärmenden Urlaubsonne und von einem lauen Wind umweht und lauschst dem Plätschern der Wellen, den Schreien der Möwen und hörst in der Ferne das heisere Tuten eine Schiffsirene.

In einem Interview mit einer jungen Frau meinte sie, dass sie irgendwann in ihrem Leben es geschafft haben möchte, in einem südlichen Land zu leben, unter Palmen zu liegen, den ganzen Zauber der Urlaubsindustrie eben. Da diese junge Frau zur linken Szene gehörte, fragte ich sie, ob sie in diesem Land als wohlhabende Touristin leben wollte, von fürsorglichen Einheimischen bedient, die für ein Lächeln, verbunden mit einem Geldschein, uns angenehme Träume träumen lassen.
Oder ob sie selber dort arbeiten möchte, mit einem eher kärglichen Lohn zufrieden wäre, und dann die wohlhabenden Touristinnen freundlich bedienen wollte und dort (sie war eine Hete) einen einheimischen Mann nach den dortigen Bräuchen heiraten und nach den Sitten des Landes mit ihm leben wolle.

Diese Fragen haben ihr nicht gefallen, denn sie hatte nun gar keine Lust mehr, mit mir über ihre Träume zu reden, die ihr so leicht durch ein bisschen Realität gestohlen werden konnten. Wäre sie eine Lesbe, wie hätte ihr Inseltraum konkreter ausgesehen? Hätte sie sich überhaupt getraut, ein wenig konkreter darüber nachzudenken?

Oder die Insel eines schwulen Mannes, die dürfte wahrscheinlich nicht zu einem der Länder gehören, wo mannmännliche Liebe die Todesstrafe nach sich zieht.
 
Lebensträume?
Das sind alles die Lebensträume, die (statt tragfähiger Lebensziele) von der Werbung und anderen Manipulationsmedien der Marktwirschaft in unsere Köpfe geraten, zum Nutzen der jeweiligen Anbieter. Um solche Träume geht er hier nicht, denn sie führen zu nichts, und die reale Welt lässt uns mit noch trüberen Gefühlen über unser Leben zurück.

Die Verwirklichung der Lebensträume. Diese sollten schon realistischer sein, als Lebensziel tauglich, weil sie die Realitäten der Gesellschaft mit einbeziehen, die ja nun mal so sind wie sie sind. Es macht Spaß, zu erkennen, dass man seinem Lebenstraum aus eigenem Antrieb und Tun ein Stückchen näher gekommen ist.

Um uns diesen Lebensträumen annähern zu können, nicht den Werbe-Illusionen, nach denen es sich zu streben lohnt, müssen wir uns schon einmal ein paar grundsätzliche Gedanken machen.
 
Unsere Bedürfnisse
Unsere Bedürfnisse stellen den Hintergrund unserer Lebensräume dar. Jeder Mensch hat eine Reihe von Grundbedürfnissen. Die sind bei allen Menschen zu allen Zeiten und in allen Kulturen gleich. Denn jeder Mensch benötigt zum Beispiel ausreichend gesunde Nahrung (einschließlich der Flüssigkeiten). Jeder Mensch benötigt eine angemessene Behausung sowie Kleidung zum Schutz vor den Auswirkungen des jeweiligen Klimas. Und jeder Mensch benötigt ihm angenehme und andere Mitmenschen für Vielerlei.

Der Mensch hätte gar keine Sprache erlernt, mit Begriffen, an die man sich auch gedanklich halten kann, ohne die anwesenden Mitmenschen. Die Mitmenschen machen einen Menschen erst menschlich. Der Mensch braucht also einen geistigen Austausch, Kommunikation, Kultur, um Mensch sein zu können.

Ein Mensch benötigt die Bestätigung durch seine Mitmenschen, um zu erfahren, wer er denn eigentlich ist. Und er brauch natürlich auch Mitmenschen zur körperlichen Zufriedenheit.

Das sind unsere Grundbedürfnisse, die für alle Menschen gleich sind. Nicht gleich sind die Verhaltensmuster, die man von uns erwartet, um die Grundbedürfnisse auch angemessen befriedigen zu können. Diese Verhaltensmuster, diese Wege, unsere Grundbedürfnisse zu befriedigen, werden uns nämlich von unserer Umwelt, von unseren Mitmenschen, von der Gesellschaft vorgeschrieben. Und diese besonderen Wege zur Befriedigung unserer Grundbedürfnisse, das sind unsere Interessen.

Interessen sind eine Kombination, eine Funktion von Grundbedürfnissen und gesellschaftlichen Vorschriften, Wegen, Normen, Gebräuchen usw. Die Interessen sind oft gegensätzlich und unrealistisch, nicht zu befriedigen, in unrealistische Träume gelenkt. Die Bedürfnisse, die hinter ihnen stehen, sind real und gleich.

De Befriedigung der Bedürfnisse ist uns auf direktem Wege verwehrt. Und bei den durch die Gesellschaft uns vorgezeigten Wegen, die Interessen zu befriedigen,, die wir zu haben glauben, werden wir in Bahnen gelenkt, die den Nutznießern der jeweiligen Ordnung nützlich sind.

Ein sogenannter Wilder auf einer Insel, wenn der Hunger hat, wird er sich Früchte pflücken, Muscheln sammeln, mit dem Auslegerboot in die Lagune fahren und sich einen Fisch speeren oder Ähnliches. Kehrt dort die Zivilisation ein, ist es ihm nicht erlaubt, diese Früchte zu ernten, denn die gehören ihm nicht, für das Auslegerboot muss er Steuern bezahlen, die er nur aufbringen kann, wenn er andere Menschen reich macht, indem er für sie arbeitet.

Ein Eskimomann, der von einer Frau erwählt werden will (dort ist Matriarchat), reibt sich z.B. mit Fischtran ein, damit er gut riecht.
Das gleiche Verhalten wird einen jungen Mann in einer westlichen Industriegesellschaft nicht zum Erfolg führen. Wenn er mit einem teuren Wagen angeben kann, denkt er, ist er eine gute Partie. Das würde die Eskimofrau wahrscheinlich völlig kalt lassen. Was sie benötigt, um den Klan zu führen, wird ihr von den Männern des Klanes besorgt. Sie ist nicht monogam, nutzt mehrere Männer. Dazu gehört aber kein Mann mit einem Angeberwagen aus Deutschland.

Die Interessen sind unterschiedlich, die Grundbedürfnisse, die hinter ihnen stehen, sind für alle gleich.

Also: wenn Du ein Lebensziel und Lebensträume hast, wenn Du Wunschträume hast, die sich nicht erfüllen können, wenn diese Interessen drohen, nicht erfüllt zu werden, dann überprüfe, ob sie überhaupt mit Deinen Grundbedürfnissen übereinstimmen, und ob sich nicht Deine Bedürfnisse auch auf anderen Wegen befriedigen lassen, vielleicht weniger trendy aber dafür erreichbar.

Es ist immer sehr nützlich und hilfreich, zu untersuchen, was Dich daran hindert, Deine Grundbedürfnisse zu erfüllen und ob es andere Wege gibt, sie zu befriedigen, Wege, bei denen vielleicht andere nicht so viel an Dir verdienen. Die Grundbedürfnisse sind nämlich eine Konstante, die Interessen sind eine Variable, die veränderbar ist.
 
Selbstverwirklichung
Das ist nichts irgendwie Mystisches, Du brauchst dazu auch keine bezahlten Helfer, die Dir sagen wollen, wer Du bist. Richte Dich erst einmal gar nicht mehr danach aus, was andere wollen, was für Dich gut sei. Du bist Du selber. Versuche es zu sein. Dich selbst zu verwirklichen? Das geht, indem Du das, was Du willst und was möglich ist, ohne Abstriche tust. Du willst einen Freundeskreis haben, aus dem Du die Menschen finden kannst, mit denen Du gerne leben möchtest? Dann gehe da hin, wo diese Leute sein könnten, nicht dort hin, wohin jemand anderes jetzt gerne geht, weil er/sie sich dort so gut erfüllen kann und Du nur neben ihm/ihr sitzt.
 
 Das Ziel des Lebens
ist Selbstverwirklichung.
 
Seine eigene Natur vollständig zu
verwirklichen,
das ist,
wozu jeder von uns da ist.
 
O. Wilde
1854 - 1900

Der Mensch kann nicht gut alleine sein. Also suche Dir die Plätze, wo Du andere Menschen kennen lernen kannst, um Dir eine neue Clique aufzubauen, in der Du Dich erfüllen kannst.

Selbstverwirklichung ist ja im Grunde ein Modewort. Wie und wo bin ich denn „ich selbst“? Also als lesbischen Frau oder schwuler Mann kann man das schon etwas beantworten, denn ich bin da selbst, wo ich so sein kann, wie meine sexuelle Identität nun mal ist, und die anderen verstehen mich, weil es ihnen gleich geht.

Doch schon wird gefragt, was ist denn eine sexuelle Identität? Auf einer Tagung war auch Dannecker anwesend. Hier wurde gefragt, ob es eigentlich eine männliche Identität gibt, was großes Erstaunen verursachte. Wenn es angeblich eine schwule oder eine lesbische Identität gibt, gibt es da eine weibliche und eine männliche?

Dannecker beantwortete die Frage recht schlau. Ja, meinte er, es gibt alle diese Identitäten. Die männliche Identität sei zum Beispiel das, was man dafür hält. Das war für viele Anwesende nicht so recht zufriedenstellend. Sie erwarteten vielleicht eine etwas höhere Wahrheit.
Aber es leuchtet ein. Was als eine männliche Identität angesehen wird, wird natürlich in der Gesellschaft bestimmt. Und was heute bei uns typisch männlich ist, hat gar nichts mit dem zu tun, wie es zu meines Großvaters Zeiten gesehen wurde.

Mein Großmutter sprach über die „heutigen Männer“, die ihr damals begegneten, recht abfällig. Es seien keine richtigen Männer. Ich fragte als Junge, was denn ein richtiger Mann sei. Das konnte sie nicht richtig erklären. Sie setzte sich aber aufrecht und steif in den Stuhl, dass sie so aussah, wie Männer und Frauen auf alten Fotos posieren, irgendwie stolz und verkrampft. Das war also der „richtige Mann“ ihrer Zeit, der sich selbst verwirklichen sollte?

Hier wurde vorgeschrieben, was das „selbst“ ist. Und heute? Wird es uns heute etwa nicht von klein auf vorgeschrieben? Ein schreiendes Kind wurde einer aufgeschlossenen StudentInnengruppe vorgeführt. Man sagte, das sei ein Junge, und die StudentInnen wurden gefragt, warum es vermutlich weine. Besonders die weiblichen Studenten meinten, es weine aus Wut und Trotz, und die Männer schlossen sich diesem Urteil an. Bei der studentischen Vergleichsgruppe wurde gesagt, es sei ein Mädchen. Mehrheitlich und unter weiblicher Führerschaft wurde hier geantwortet, es weine aus Angst.

Kann sich ein Mensch denn solchen identitätsstiftenden Urteilen entziehen und dennoch er selbst sein? Er kann er selbst sein, kann sich aber nicht diesen Identitätsstiftenden Urteilen entziehen, da sie in ihm eingegraben wurden, von klein auf, bei jeder Entwicklungsstufe dieses kleinen und dann älter werdenden Menschen. Selbsterfüllung heißt also, dass das Produkt der Gesellschaft von der Gesellschaft erwartet, doch so sein zu dürfen, wie es wurde.

Deine Umwelt sieht Dich so, wie sie es kann, aufgrund ihrer gesellschaftlichen Vorgaben. Und ihre Signale Dir gegenüber, die wohlwollenden Signale und die tadelnden Hinweise, wenn Du Dich passend oder unpassend verhältst, das alles prägt Dich und sagt Dir, wer Du bist. Zumindest unter diesen Menschen. In einem anderen Umfeld bist Du für die Menschen dort vielleicht ein völlig anderer.

Dieser gesellschaftliche Widerstreit, dass Dich alle so haben wollen, wie sich Dich brauchen, wie sie Dich sehen wollen und auch müssen, aufgrund ihres eigenen Hintergrundes, ist nicht so einfach auszuhalten. Du brauchst auch hier und da einmal eine Auszeit, um zur Besinnung zu kommen.
 
Die Insel ...
sie steht für Urlaub, Harmonie, mal etwas anderes erleben und spüren, das nicht alles schon vorgezeichnet und von anderen geplant ist, ein für allemal.

Die Insel lässt Dich spüren, im Traum, dass es noch ein anderes Leben geben müsste, ohne die bekannten Sorgen, ohne Vorgesetzte und auch miese Leute in der Clique, auf die Du dennoch angewiesen zu sein scheinst. Diese Insel muss nicht unbedingt Palmen haben und nicht unbedingt in der Südsee liegen. Die Insel steht für die Welt, die Du für Dich einrichten möchtest. Nicht für die Herkunftsfamilie, nicht für die Nachbarn, sondern für Dich. Siehst Du? Jetzt erscheint sie Dir gar nicht mehr unerreichbar. Du kannst sie Dir schaffen, diese Insel.

Und Du kannst dort auch leben. Nun gut, morgens verlässt Du sie, aber abends kommt Du wieder zu ihr. Nein, lass nicht zu, dass jemand allzu schnell mit auf Deine Insel kommt, um sich bei Dir einzurichten. Der/die will da einen Gummibaum, wo Du die Zimmerpalme stehen haben möchtest, oder er/sie mag überhaupt keine Pflanzen, und Du bist zu Kompromissen bereit?. Er/sie ist ja ein eigener Mensch mit eigenen Inselträumen, die er/sie auch ruhig haben soll, aber eben nicht auf Deiner Insel. Man kann sich erst mal gegenseitig auf seinen Inseln besuchen und interessiert sehen, welche Inselträume der/die andere hat.

Und wenn Du Dich also mal wieder zurückziehen willst, gehe in Deine Wohnung, die Du es so eingerichtet hast, das sie Dir gefällt. Wenn Du willst, lade Leute aus der Clique ein. Dich dort zu besuchen, wo Du Zuhause bist.

Auf Deiner Insel hast Du die Möglichkeit, den Landungssteg einzuziehen, also die Türe zuzumachen, und es ist gar keine Unfreundlichkeit, sondern Selbstbehauptung, wenn Du Deine Insel für Dich hast. Hier kannst Du endlich Du selber sein.

Nicht nur Deine Wohnung ist eine Insel. Davon gibt es zahlreiche. Eine Weltanschauung, die Du mit anderen teilst, macht Dich zu einem Inselbewohner, denn Leute mit andere Weltanschauung sind hier Fremde.

Religionen, selbst ganze Staaten können solche Inseln sein. Sein Leben lang lebt der Mensch auf kleineren oder größeren Inseln, die aber nicht durch das Meer voneinander getrennt sind, sondern die an genau dem gleichen Platz sind, ohne, dass Du es bemerkst. Und andere bemerken Deine Insel gar nicht, wenn sie an Deinem Strand rumlaufen.. Sie sehen Dich als Teil ihrer Insel und sehen Dich so, wie es für sie am angenehmsten ist.

Wenn das also so ist, dann muss es doch etwas Gemeinsames zwischen diesen ganzen Inseln geben? Es gibt gar keine abgeschlossenen Inseln. Selbst eine vergessene Insel in irgend einem Ozean ist nicht ganz abgeschlossen. Auch hier wirken sich die Klimaveränderungen aus, auch hier greift die Welt, wie sie ist, ein.
 
... und die Welt
Ich lebe in meiner Welt, und meine Welt ist eine bestimmte Sichtweise der Welt. Ich betrachte die Welt aus der Sicht eines Inselbewohners, der nur einen kleinen Teil überschauen kann, und das ist auch gut so, weil man unmöglich alles so sehen kann, wie andere.

Aber auch mein Leben in meiner Wohngemeinschaft mit ihrem Kleinklima kann die Zugbrücken nicht hochziehen. Alles was ich esse, mir kaufe, zahlen muss, bekomme ich aus der Welt außerhalb. Für andere stehe ich auch in einer Welt, außerhalb ihrer Insel. Die Zustände in der Welt sind nicht so, dass groß Rücksicht darauf genommen wird, wie ich leben möchte und was mir am besten gefallen würde, was ich so zum Leben brauche.

Ich muss also versuchen, meine Insel zu vergrößern, meine Sichtweise verbreiten, damit die Welt etwas gerechter mit mir (und anderen) umgeht. Deshalb benötige ich das Wechselspiel zwischen meiner Insel, die mir Erholung verschafft, und der Welt, die ich ändern möchte. Ich will dazu beitragen, dass sie menschlicher sozialer, demokratischer wird, damit ich Menschlichkeit erfahre, sozialer und demokratischer leben kann.

Also, engagieren wir uns in der Frauenbewegung, in der Lesben- und Schwulenbewegung, in der Gewerkschaft, in der Umweltschutzgruppe, im Flüchtlingsrat, in zahllosen Initiativen gegen den Neoliberalismus, gegen die Globalisierung unter US-Führung, und im Sozialforum. Beteiligen wir uns an Musikgruppen, Theaterinitiativen, Zeitungsinitiativen, Radioinitiativen, Kultureinrichtungen usw. Überall treffen wir Menschen, die die Welt ein bisschen besser machen wollen und die sich Kraft holen in den kleinen Inseln ihres selbst eingerichteten Lebens, wo sie sich die Kraft holen für alles das, was notwendig ist und deshalb auch persönliche Befriedigung schafft.

Und siehe da, ich bin wieder bei meinem Lebenstraum angelangt, der sich schrittweise erfüllen kann. Er erfüllt sich auf meiner Insel, die ich selbe, zusammen mit lieben Menschen, errichtet habe. Und er erfüllt sich in der Gesellschaft, deren Parameter ich ändern möchte, in dem ich versuche, sie mit anderen zu ändern. Auch wenn es nicht so recht voran geht, mit dem Verändern der Welt, es schafft mir Zufriedenheit, daran beteiligt zu sein, mit Menschen, die ähnliche Ziele haben. Es schafft mir Unzufriedenheit, wenn ich eine Zeitlang verzagt aufgebe.

Lebensträume
das sind ausgewogene Verhältnisse zwischen der Rückzugswelt und der Welt der Konfrontation. Lebensträume sind nicht die Illusionen, die uns vergessen lassen, wie die Welt ist, denn diese Illusionen könnten uns derart faszinieren, dass wir die Lebensrealität gar nicht mehr selber meistern können.
 

 Die ewige Versuchung des Lebens
ist das Vertauschen
der Träume mit der Wirklichkeit.

Aber wer seine Träume der Wirklichkeit opfert,
gibt sich für immer geschlagen.
 
James Albert Münchener,
US-amerikanischer Schriftsteller,
geboren 03.02.1907,
gestorben 16.10.1997
 

Aber die „Wirklichkeit“ so zu akzeptieren, wie sie uns vorgeführt wird, ist auch nicht der richtige Weg, weil uns nur eine nutzbringende Sichtweise auf die Realitäten der Welt vorgeführt wird. Nutzbringend nicht für uns, sondern für die Nutznießer der gesellschaftlichen Verhältnisse, die nicht zugunsten von unseren Lebensträumen eingerichtet wurden.

Ich denke, dass man Lebensträume haben kann und sollte, die authentisch sind und dich spüren lassen können, dass Du im Leben stehst und keine Marionette bist, deren Fäden an anderer Stelle gezogen werden. Das Leben ohne eine Zielvorstellung, ohne Ermutigung, dieses Leben ist ein wirklich totes Leben.

Sei Teil einer nicht immer sichtbaren Gemeinschaft, Kämpfe gegen Nazis, Konservative und religiöse Lügner, Hirnverdreher und Volksverhetzer, für die Emanzipation des Menschen überall auf der Welt hin zu Zielen, die das Leben lebenswert machen.

Die Menschheit wäre bei einer gerechteren Ordnung durchaus in der Lage, für alle einen würdigen Lebensunterhalt zu schaffen, die Vernichtung der Natur zu stoppen, Unterdrückungs- und Abhängigkeitsverhältnisse aufzuheben, nicht nur berufliche Ausbildung sondern auch alle Menschen an einer humanistischen Bildung teilnehmen zu lassen, alle Kriege zu beenden, wirtschaftliche macht Einiger umzulenken zu demokratischer Macht aller.

Das alles wäre möglich, und viele Menschen in der Gesellschaft und der großem Weltgemeinschaft treten auf die eine oder andere Weise dafür ein.

Sicher, es gibt die Gegner, die sich von den Nutznießern gegenwärtiger ungerechter Verhältnisse führen lassen und die Dreckarbeit für sie verrichten. Diese gilt es zu überzeugen oder zu bekämpfen, damit die Welt nicht in Schlachten zwischen Kulturen versinkt, hinter denen auch die Nutznießer dieser Verhältnisse stehen.

Es gibt die Möglichkeit, die Lebensträume im großen Stil mitzugestalten und auf den kleinen Inseln in Ansätzen schon zu leben. Das ganze kann nur funktionieren, wenn es eine Verbindung zwischen der Emanzipation des Menschen auf der Welt mit dem Leben auf Deiner Insel gibt. Das eine befruchtet das andere.

Träume vom besseren Leben für alle, dürfen nicht von den vorübergehenden Rückschritten der schlimmen Wirklichkeit aufgefressen werden. Wenn die Träume vom besseren Leben emanzipierter Menschen untergehen und nicht mehr geträumt werden, ist alles hoffnungslos und zum Scheitern verurteilt.

Aber ohne Hoffnung ist das Leben gar nicht mehr lebenswert und das bisher Erreichte sinnlos. (js)
 
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