90. Print-LUST, Frühling 07
 
Was bringt die Gesundheitsreform?
In den Medien wird viel über die „Gesundheitsreform” der schwarzroten Koalition berichtet. Wir wollen uns hier näher anschauen, um was es geht.

1. Notwendigkeit einer Reform
Vieles im Gesundheitswesen unseres Landes ist reformbedürftig und daher ist eine Gesundheitsreform durchaus notwendig:
 
1.1. Schwächung der Finan-ierungsgrundlagen
Die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) geschieht durch die bruttolohnbezogenen Beiträge der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber. Obwohl die Gesundheitskosten im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt nicht gestiegen sind, kommen die Krankenkassen mit den Beiträgen nicht mehr aus, und zwar aus zwei Gründen.

1.1.1. Die Arbeitslosigkeit, denn Arbeitslose sind zwar weiter versichert, doch die Beiträge der Arbeitslosenversicherung sind deutlich niedriger als die bruttolohnbezogenen Beiträgen.

1.1.2. Die Löhne und Gehälter sind im Verhältnis zum Volkseinkommen gesunken.
Es hat also eine soziale Umverteilung von unten nach oben stattgefunden. (Siehe Tabelle 1)
 
 

 
 
 
 
 
 
 
Dadurch sind die Beitragssätze der gesetzlichen Krankenkassen von (1975) 10,5% schon jetzt auf (2005) 14,5% gestiegen. (Siehe Tabelle 2)
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
1.2. Gerechtigkeitsdefizite im Gesundheitswesen
Durch die Trennung in gesetzliche und private Krankenversicherung (PKV) wandern besser verdienende Arbeitnehmer in die privaten Kassen ab und gehen so dem Solidarsystem verloren (Wechselmöglichkeit gibt es bei einem monatlichen Bruttoeinkommen von 3.975 Euro). Es gibt schon jetzt einen Wanderungsverlust für die GKV von rund 5 Mio. Personen in die PKV. Die meist besserverdienende Abwanderer gehören zu Berufsgruppen mit einem niedrigeren Krankheitsrisiko.

Durch zunehmende Zuzahlungen seit den 1980er Jahren (Praxisgebühr, Arzneimittel, Krankenhausaufenthalt (tägliche Zuzahlungen), zahnärztliche Behandlung, Zahnersatz, Heilmittel, Hilfsmittel usw.) zahlen die Versicherten ca. 10 Milliarden Euro zusätzlich bei 140 Milliarden Gesamtausgaben der GKV. Die Härtefallregelungen wurden verschlechtert und Leistungen ausgegliedert (z.B. nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel).

Durch die Beseitigung der paritätischen Finanzierung mit Zuzahlungen der Versicherten (siehe oben), durch den Sonderbeitrag der Versicherten in Höhe von 0,9% für Zahnersatz und Krankengeld seit 01.07.05. Dadurch ist eine Veränderung der Verteilungslast entstanden. Schon jetzt zahlen die Arbeitnehmer 60 % der Lasten und die Arbeitgeber lediglich 40 %. Durch die ausschließliche Berücksichtigung von Löhnen und Gehältern für die Beitragsbemessung, durch Nichtberücksichtigung anderer Einkunftsarten werden besonders Arbeitnehmer belastet. Durch die Beitragsbemessungsgrenze (Sie liegt bei 3.562,50 Euro) zahlt ein Pflichtversicherter bis zur Beitragsbemessungsgrenze 14,6% und ein freiwillig Versicherter mit z.B. 6.000 Euro brutto lediglich 8,3%.
 
1.3. Mangelnde Effizienz des Gesundheitssystems
Unser Gesundheitssystem ist im internationalen Vergleich sehr teuer, die Gesundheitsausgaben belaufen sich auf 10,9% des Bruttosozialprodukts (Platz 3 in der Welt) beziehungsweise pro Kopf jährlich 3.005 Dollar (Platz 5 in der Welt). Doch ist die Versorgungsqualität bei vielen Volkskrankheiten ist nur durchschnittlich und hat viele Mägel, z.B. gibt es eine hohe Zahl an Erblindungen und Amputationen bei Diabetikern. Bei Brustkrebs erhält wahrscheinlich nur jede 2 Patientin eine leitliniengerechte Therapie.
 
2. Die wesentlichen Inhalte dieser aktuellen Gesundheits“refom”
Eine ganze Reihe von Veränderungen im Gesundheitswesen soll angeblich unser Gesundheitswesen modernisieren und verbessern.
 
2.1. Gesundheitsfond
In den Gesundheitsfond werden alle Einzahlungen zusammengeführt. Das sind im wesentlichen die Versicherten- und Arbeitgeberbeiträge. Die Versicherten zahlen alleine 0,9% ihres Bruttoeinkommens für Zahnersatz und Krankengeld. Der Rest wird paritätisch durch Versicherte und Arbeitgeber finanziert (Siehe aber unter 2.2). Allerdings wird der Arbeitgeberanteil festgeschrieben, so dass alle zukünftigen Kostensteigerungen ausschließlich die Versicherten durch/mit ihren Beiträgen tragen.

Es gibt einen Steuerzuschuss “für gesamtgesellschaftliche Aufgaben” z.B. für die gesundheitliche Versorgung von Kindern in Höhe von 1,5 Milliarden Euro (2008), 2009 dann 3 Milliarden Euro. Nach 2009 sind weitere Anhebungen geplant.

Aus diesem Topf erhalten die Krankenkassen eine Kopfpauschale je Versicherten und einen risikobemessenen Zuschlag bei dem Alter und Geschlecht der Versicherten berücksichtigt wird wie Krankheitsmerkmale (50 bis 80 Krankheiten, deren Kosten je GKV-Versicherten um mindestens 50% höher sind als die durchschnittliche Pro-Kopf-Leistungsausgaben für alle Versicherten.
Der Beitragssatz wird nicht mehr durch die einzelnen Krankenkassen festgesetzt, sondern durch das Bundesministerium für Gesundheit.
Der Gesundheitsfonds soll zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens (01.01.2009) 100% der GKV-Ausgaben decken.
 
2.2. Zusatzbeitrag der Versicherten an die Krankenversicherung
Die Krankenkassen können bis zur Höhe von 5 % der GKV-Gesamtausgaben einen Zusatzbeitrag von ihren Versicherten erheben. Der hat eine individuelle Begrenzung bei 1% des beitragspflichtigen Bruttoeinkommens. Bis zu 8 Euro im Monat können die GKVs ohne Einkommensüberprüfung der Versicherten erheben. Damit wird ein Automatismus zur weiteren Verlagerung der Kosten auf die Versicherten eingeleitet. Bei Sozialhilfeempfängern werden diese Zusatzbeiträge vom Sozialamt bezahlt, für Empfänger von Arbeitslosengeld II (Hartz IV) übernimmt der Bund den Zusatzbeitrag für die Dauer der Kündigungsfrist der Krankenkasse. Wer keine GKV kennt, die diesen Zusatzbeitrag nicht erhebt, muss dann die 8 Euro selbst zahlen.
 
2.3. Zuzahlungen zu den Kassenleistungen
Die Begrenzung der Zuzahlungen bei Medikamenten für chronisch Kranke auf 1% der beitragspflichtigen Einnahmen entfällt, wenn der Patient angebotene Vorsorgeuntersuchungen für eine Erkrankung nicht wahrnimmt und später an dieser erkrankt oder wenn sich der Patient nicht therapiegerecht verhält. In diesen Fällen müssen chronisch Kranke (wie andere Versicherte auch) Zuzahlungen in Höhe von bis zu 2% der beitragspflichtigen Einkommen leisten.

2.4. Versicherungspflicht
Es wird die Pflicht zur Krankenversicherung für alle Bürgerinnen und Bürger eingeführt. Derzeit Nicht-Versicherte haben ein Rückkehrrecht in das System, in dem sie zuletzt versichert waren. Bei den PKVs führt das Rückkehrrecht den Versicherten in den Basistarif.
 
2.5. Bestimmungen zur privaten Krankenversicherung
Private Krankenversicherungen (PKV) müssen bis 2009 einen Basistarif einführen, der den gleichen Leistungsumfang wie die GKV garantiert und keine Risikoprüfung vorsieht. Zu den Kriterien der Prämienberechnung gehören Merkmale wie Alter und Geschlecht, nicht aber das individuelle Krankheitsrisiko. Die Prämienhöhe im Basistarif darf die maximale Höhe des Beitrages in der GKV nicht überschreiten (2006 rund 500 Euro).

Zugangsrecht zum Basistarif der PKV haben alle freiwillig in der GKV Versicherten, alle neu in die PKV eintretenden Versicherten, alle bisher in der PKV Versicherten (nur im 1. Halbjahr 2009), generell diejenigen bisherigen PKV Versicherten, die älter als 55 Jahre sind und/oder die bedürftig sind (Empfänger von Hatz IV und Sozialhilfe).

Bei Wechsel innerhalb der PKVs Anrecht auf Mitnahme der Altersrückstellung (Grundlage sind hier Leistungen im Basistarif). Es bleibt bei der Versicherungspflichtgrenze für Arbeitnehmer beim Wechsel von der GKV ind die PKV, es bleibt auch bei den Sonderrechten für Selbständige und Beamte. Der Wechsel aus der GKV in die PKV ist erleichtert; er kann nun schon erfolgen, wenn der Versicherte die Versicherungspflichtgrenze an sechs aufeinander folgenden Monaten überschritten hat und nicht mehr, wie bisher, wenn die Jahresentgeltgrenze im abgelaufenden Jahr überschritten wurde und im folgenden Jahr überschritten wird.
 
2.6. Leistungsansprüche der in der GKV Versicherten
Verschiedene Leistungen, die von der Satung der jeweiligen GKV abhängig waren, sollen zu Pflichtleistungen werden, z.B. ambulante und stationäre Rehabilitationsmaßnahmen für ältere und pflegebedürftige Menschen, für empfohlene Impfungen, Mutter-Kind- bzw. Vater-Kind-Kuren, Verbesserung der Versorgung und Linderung für Patienten, bei denen keine Heilung mehr erfolgen kann.
 
2.7. Die notwendige Strukturreform
Es finden keine Strukturänderungen statt, wenn man von der Bewertung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses bei Arzneimitteln absieht.
 
2.8. Rücknahme bzw. Verwässerung anfänglicher Reformvorhaben
Die vorgesehene Umwandlung der Arzneimittelpreise von Festpreisen in Höchstpreise (durch Verhandlungen) wurde gestrichen.
Die Mitnahme der Alktersrück-stellungen beim Wechsel von der PKV in die GKV wurde gestrichen.
Die Angleichung der Vergütung von Ärzten bei privat und gesetzlich Krankenversicherten wurde gestrichen.
Der Arzneimittelrabatt der Apotheken wurde von 500 auf 180 Millionen Euro gekürzt.
 
3. Fazit
Die Gesundheitsreform schafft keine nachhaltige Finanzierungsgrundlage für die Gesetzliche Krankenversicherung.
Sie beendet nicht die Gerechtigkeitsdefizite im Gesundheitswesen, sondern sie verlagert weiterhin Kosten auf die Versicherten und beinhaltet nur unzureichende Maßnahmen zur Effizienzsteigerung des Systems.
 
4. Alternativen
Es gibt durchaus Alternativen zu dieser Gesundheits“reform” in Hinblick auf die oben aufgelisteten Gründe für die Notwedigkeit einer Reform des Gesundheitswesens.
 
4.1. Die Bürgerversicherung
Sie soll eine Pflichtversicherung für alle Bürgerinnen und Bürger sein bzw werden.Die Beitragsbemessungskriterien sollen außer den Bruttolöhnen noch Kapitaleinkünfte und Zinseinkünfte umfassen. Die Versicherungspflichtgrenze und die Beitragsbemessungsgrenze soll als ersten Schritt auf das Niveau der Rentenversicherung angehoben werden.
 
4.2. Die Strukturreform im Versorgungssystem
Eine integrierte Versorgung soll gestärkt werden, durch bessere Koordination und Kooperation. Ambulante Behandlungsmöglichkeiten im Krankenhaus sollen generell möglich werden. Eine Positivliste für Medikamente soll verbindlich eingeführt werden. Der Staat soll bei Arzneimitteln auf die Preise von Originalpräparaten Einfluss nehmen.
 
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