- 89. Ausgabe, Winter-LUST 06/07
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- Gezielte Tabu-Brüche
- Sprecher konservativer Parteien und Sprecher
der großen Religionsgemeinschaften überbieten sich
in menschenrechtsverletzenden Äußerungen gegenüber
Minderheiten, besonders auch gegenüber homosexuellen Menschen.
Dass es aus der CDU/CSU immer mal wieder grässlich in unsre
Richtung stinkt, daran haben sich viele Menschen unserer Szene
so sehr gewöhnt, dass sie über ein kleines nichtdiskriminierendes
Wörtchen aus dieser Richtung ganz aus dem Häuschen
geraten, vielleicht sogar diese Partei und ihre Politik unterstützen.
Vielleicht weil denen deftige Worte gefallen, die sie sich immer
ducken und wohlverhalten müssen. Sofern sich diese deftigen
Worte nicht gerade gegen uns richten. Manchmal aber auch dann,
weil viele Schwule andere Schwule nicht leiden können.
Der umstrittene sächsische Bundestagsabgeordnete Henry Nitzsche
(CDU) hat mit einer Rede für Empörung gesorgt. Wie
der Nachrichtensender n-tv meldet, sagte der 47-Jährige
bereits im Juni bei einer Parteiveranstaltung im sächsichen
Bernsdorf, dass Patriotismus wichtig sei, damit Deutschland
nie wieder von Multi-Kulti-Schwuchteln in Berlin regiert wird.
Er sprach in diesem Zusammenhang zudem vom Schuldkult.
Das Zitat war erst jetzt bekannt geworden, nachdem sich ein CDU-Mitglied
darüber beschwert hatte. Michael Kretsch-mer, CDU-Generalsekretär
in Sachsen, distanzierte sich im Namen seiner Partei von den
Äußerungen Nitzsches. Als Konservativer fühle
er sich dadurch beleidigt, so Kretschmer. SPD, Grüne
und Linkspartei äußerten sich empört: Die Linke
verlangte, dass Nitzsche sein Bundestagsmandat niederlegen müsse
und attestierte ihm lupenreine NPD-Positionen.
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- Grünenchefin Claudia Roth nannte die
Äußerungen plumpen, widerlichen Populismus.
Die SPD warf ihrem Koalitionspartner in Sachsen und im Bund vor,
mit der Patriotis-musdebatte bewusst am rechten Rand zu
fischen. Der Bundestagsabgeordnete Henry Nitzsche ist,
wahrscheinlich aufgrund des Drucks auch aus der eigenen Partei
als Vorsitzender des CDU-Kreisverbandes Kamenz/Hoyerswerda zurückgetreten.
Weiteres sei nicht nötigt, hört man aus der CDU. Henry
Nitzsche ist nicht der erste CDU-Politiker, der durch rechtsradikale
Sprüche von sich Reden machte. Zur Begründung für
ein solches Verhalten und die nur zögerliche Distanzierung
aus den Reihen der Union dagegen erfährt man aus CDU-Internas,
dass damit bei Wahlen Stimmen vom rechten Rand an die Union gebunden
würden.
Diese Argumentation hat aber seine Tücken. Es soll uns duldsam
gegenüber rechtsradikaler Hetze machen. Selbst die Hetze
auf die eigene Szene lassen sich wohl einige der Lesben und Schwulen
in der Union gefallen. Außerdem, wenn aus der angeblichen
politischen Mitte solche Sprüche kommen, verschiebt sich
das Meinungs-spektum im Lande nach rechts. Daran ändert
auch nicht, dass in der Schwulenszene sofort auf humorvolle Art
auf rechte Sprüche reagiert wird. Und es ist nicht sicher,
dass durch rechte Sprüche angesprochene WählerInnen
die Union diese Wählerstimmen-Ernte einfahren lassen, die
wählen dann oft gleich die richtigen Rechtsradikalen.
Auch die markigen Sprüchen von Religionsführern werden
oft ähnlich begründet, man wolle der jeweils anderen
Religion dadurch Paroli bieten. Elton Johns überall kritisierte
Aussage Ich denke, Religion hat immer versucht, Hass auf
die homosexuellen Menschen zu richten, ist leider wahr.
Der Vatikan und viele islamische Autoritäten stacheln zum
Homosexuellenhass auf und ignorieren demokratische Grundrechte.
Bei den Schwulen- und Lesbendemonstrationen im Mai in Moskau
hat der islamische Obermufti in unheiligem Einklang mit dem Nuntius
des Vatikan und dem orthodoxen Patriarchen das Demonstrationsverbot
begrüßt, als ob Homosexuelle nicht die Menschenrechte
der Europäischen Menschenrechtskonvention genießen
würden.
Der Vatikan hatte außerdem Israel aufgefordert, den für
den 10.11. geplanten CSD in Jerusalem zu verbieten. Die Parade
sei ein Angriff auf Gläubige, weil die Stadt Juden, Muslimen
und Christen heilig sei. Der Vatikan hat wiederholt gesagt,
dass die Meinungsfreiheit Grenzen hat, insbesondere dann, wenn
sie das religiöse Empfinden von Gläubigen beleidigt,
heißt es in einem Schreiben des Heiligen Stuhls. Es
ist klar, dass die Schwulenparade, die in Jerusalem stattfinden
soll, die Mehrheit der Juden, Muslime und Christen beleidigt.
Wo bleiben da die religiösen Gefühle der
Menschen, die sich von diesen Volksverführern gar nicht
führen lassen wollen? Der Ausspruch im Streit der Religionen
Deutschland ist ein christliches Land ist absolut
anmaßend. Ein Land ist nicht religiös und die Trennung
zwischen Staatsverwaltung und religiöser Gläubi-genverwaltung
ist eine demokratische Errungenschaft.
Mit undemokratischen Sprüchen werden Tabus verletzt, werden
extremistische Tendenzen überall ermutigt, was sehr gefährlich
ist, besonders für Minderheiten wie uns, die auf den demokratischen
zwischenmenschlichen Umgang so angewiesen sind. Das betrifft
alle Angehörigen von Minderheiten, die sich deshalb kaum
wehren können, wie es lesbischen und schwule Menschen sind.
(RoLü)
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