89. Ausgabe, Winter-LUST 06/07
 
Unser Rückblick auf 2006
Das nun schon bald zu Ende gehende Jahr (ja, so spät ist es schon wieder) wird schon bald in zahllosen Kommentaren bewertet, und wir kennen ja die Projektionen der Medien, die als das reale Leben dargestellt werden.
 
Wie war denn das Jahr 2006 für uns?
Mit „uns“ meinen wir natürlich die Lesben- und Schwulenszene, die Bewegung und natürlich die ROSA LÜSTE, dies jedoch nicht isoliert, denn wir leben ja in dieser hetigen Welt, wie sie nun mal ist.
 
Januar
Die Neujahrsansprache der Kanzlerin konnte man wohl unter das Motto stellen: „Allen wohl und niemand weh, ...“, nicht nur die Mainzer LeserInnen werden wissen, was gemeint ist. Die Medien überschlagen sich in ihren bekannten parteipolitischen Neutralitätsbekun-dungen in politischen Optimismus, weil die CDU jetzt die SPD ganz offen führt, was unter Schröder nur durch die Bundesrat-Hintertüre geschah. In den Medien spricht man außerdem von Entführungen, besonders die der Frau Osthoff, und in unserer Szene diskutiert man „Barebacking“ durchaus ganz doppelmoralisch, nämlich immer von den anderen wird Safer Sex verlangt.
 
Februar
Die Muslime sollen über Homo-Fragen in einem Fragekatalog ausgerechnet im ach so homofreund-lichen Land Baden-Württemberg von Einbürgerung ferngehalten werden. Dänische Flaggen werden in islamischen Ländern verbrannt, wobei die Karikaturen ja den politischen Islam symbolhaft kritisierten. In den Medien werden religiöse Anspielungen auf die katholische Kirche bei Fastnachtsitzungen unter Hinweis auf den Islam zensiert. Die LSU (Lesben und Schwule in der Union) diskutieren mit einer CDU-Abgeordneten ein Strafgesetz gegen Barbacking.
 
März
Vogelgrippe war das Wort, das alle Kanarienvögelbesitzer und Halbe-Hähnchen-Liebhaber in Panik versetzte. Unter ungeklärten Umständen starb Milosovic in seiner Amsterdamer Haft. Die Kreislaufmittel seien Ihm nicht gegeben worden. Der iranische Präsident schlägt Verhandlungen über die Nutzung der Atomkraft im Iran aus. Nach der absoluten Mehrheit für die SPD in Rheinland-Pfalz gilt Beck als kommender Mann in der SPD. Die Kommualwahl in Wiesbaden nutzten wir, die Parteien mit den lesbisch-schwulen Forderungen zu konfrontieren, die die Lesben- und Schwulenbewegung kommunal fordert und fordern kann.
 
April
Die Abwahl von Berlusconi in Italien will dieser lange Zeit nicht anerkennen. Aufgrund von Aufständen lässt der nepalesiche König das Parlament wieder zu. Innenminister Schäuble schlägt erneut vor, Gesetze derart zu verändern, dass die Bundeswehr im Inneren eingesetzt werden kann. Beck wird SPD-Vorsitzender. Mehmet Tarhan, der schwule türkische Kriegsdienstverweigerer, wird vorübergehend (bis zu seinem erneuten Prozess) aus der Haft entlassen. In Deutschland wird die Organisation „Queer Nations“ gegründet, die nicht nur die Verfolgung Homosexueller in der Nazizeit, sondern auch in der jungen Bundesrepublik untersuchen will.
 
Mai
Zum 1. Mai ist Hartz IV und sind die kommenden Tarifauseinandersetzungen das Thema der Kundgebungen. Für die ROSA LÜSTE beginnt mit dem Infostand auf dem DGB-Fest die Infostand-Saison. Internationale Spitzen-Fußballmannschaften versammeln sich in Deutschland in Trainings-Camps. Die Überwachung von Journalisten durch den BND wird aufgedeckt und in den Medien diskutiert. Die rassistischen Übergriffe auf einen dunkelhäutigen Deutschen führen zu rassistischen Äußerungen bei Spitzenpolitikern und in den Medien. Die Familienministerin findet, dass es den Kindern an Werten fehlt und lädt die beiden christlichen Amtskirchen zur Diskussion der Werte-Erziehung ein. Gewalttaten und Übergriffe auf homosexuelle Menschen nehmen in Polen und Osteuropa zu.
 
Juni
Die Situation von Lesben und Schwulen in den osteuropäischen Staaten, führt dazu, dass in diesen Ländern der Widerstand gegen den immer stärker werdenden Nationalismus und den immer fundamentalisti-scher auftretenden Religionen im Schulterschluss mit Lesben und Schwulen stattfindet. In den westeuropäischen Staaten werden Lesben und Schwule von den Bewegungs-organisationen aufgefordert, solidarisch die dortigen CSD-Aktivitäten zu unterstützen. Die Bundswehr rüstet sich für ihren Einsatz im Kongo. Und in Deutschland zappeln viele Menschen hektisch mit kleinen Deutschland-fahnen rum und geraten über kindische Ballspiele in Hektik. Darüber freuen sich die Konservativen.

Juli
Ärzte streiken um höhere Bezüge, Studenten protestieren gegen Studiengebühren, die Regierungskoalition denkt darüber nach, wie man aus den Kreis einer Bürgerversicherung mit dem Quadrat einer Kopfpauscha-le eine Gesundheitsreform bastelt, die wesentliche Einschnitte nur bei den Patienten vorsieht. Das alles geschieht hinter einem Vorhang nationaler Fußballrhetorik. Konservative und Rechtsradikale versuchen, ihr Weltbild draufzusatteln. Der Tenor: Ausländer lassen sich besser integrieren, wenn man nationalistischer ist. Auch das Schicksal eines Braunbeeren erregt die Aufmerksamkeit der Medien. In Frankfurt werden polnische CSD-Gäste unterstützt und begrüßt, in Moskau findet anlässlich des dortigen CSD ein antihomosexuelles Pogrom statt, unter dem auch westliche Unterstützer zu leiden haben, ausgelöst von der russisch-orthodoxen Kirche und staatlichen Stellen.
 
August
Die Pro-syrische Hisbollah, die im Libanon an der israelischen Grenze einen Staat im Staat bildet, übt ständig Raketenanschläge im Norden Israels aus. Israel „wehrte“ sich dagegen so, dass es die Infrastruktur des ganzen Libanons zusammenbombte. Die US-amerikanische Außenministerin ruft aufgrund der Erkrankung Castros das cubanische Volk zum Umsturz auf. Eine kleine Stelle in Grass´ Autobiographie, dass er am Ende des Krieges noch für 3 Monate zur Waffen-SS eingezogen wurde, nutzen Grass-Gegner zu eine Kampagne. In Haupstadt des EU-Staates Lettland, Riga, kam es anlässlich einer CSD-Demonstration mit ca. 50 Teilneh-merInnen zur Jagd auf Lesben und Schwule durch lettische Nazis unter Duldung der Polizei. Das christlich-“demokratisch“ geführte Verteidigungsministerium möchte bei Lehrgängen keine Hotels mehr benutzen, die in der Nähe von Schwul-envierteln sind.
 
September
Die Medien überschlagen sich und sind voll von katholischen Papst in Bayern. Politiche Islamisten, die auf Gelegenheiten lauern, die Bevölkerung mittels Islam politisch zu funktionalisieren, nutzen eine Papstrede über einen Oströmischen Kaiser und dessen Haltung zum Islam zu einer anti-katholischen Kampagne. Jetzt sind die Medien voll vom Islam und dem Katholizismus. Das Sexualstrafrecht wird derart geändert, dass das Kinderalter in einigen Fragen faktisch bis 18 gilt. Die Zeitschrift Emma führt eine Kampagne gegen das geplante Denkmal für die homosexuellen Opfer des deutschen Nazi-Staates, weil dort (lesbische) Frauen durch ein dauerküssendes Männerpaar diskriminiert würden.
 
Oktober
In Berlin. Dortmund, München und Stuttgart demonstrierten mehrere Hunderttausende gegen eine Politik, die besonders ArbeitnehmerInnen und RentnerInnen immer mehr Lasten zumutet. Der Airbus kommt ins Straucheln, und die Magnetbahn hat einen Unfall. CSU bemerkt Homosexuelle, will aber keine Gleichstellung. Auf der Frankfurter Buchmesse erregt der Aufruf der ROSA LÜSTE „zum Schutz der `religiösen´ Gefühle der Atheisten“ Aufsehen. Der evangelikale US-Präsident Bush versucht im Wahlkampf um Senat und Kongress sein schlechtes Ansehen dadurch zu bessern, dass er parallel eine Kampagne macht, um die „heilige Ehe“ vor Homosexuellen zu schützen.
 
November
Die US-Demokraten gewannen sowohl den Kongress wie auch den Senat. Der antihomosexuelle „Rettungsversuch“ der Republikaner und die Verurteilung Sadam Husseins zum Tode einige Tage vor der Wahl hatte keinen hinreichenden Erfolg. In der SPD wird wieder über ein Verbot der NPD nachgedacht. Der Papst reiste in die Türkei, um für Religionsfreiheit der Katholiken einzutreten. Das katholische Kolpingwerk kündigt einem Mitarbeiter, weil er schwul ist.
 
Dezember
Die ROSA LÜSTE nimmt an einer Aktion gegen einen Nazi-Aufmarsch teil und ärgert sich dabei vor allem, über sich selbst. Die Regierung macht auf Optimismus, wobei in den Medien die SPD die herben Einschnitte macht und die CDU die Geschenke und die bessern Zeiten verspricht. Die FDP legt zu, weil sie in den Medien als „die Opposition“ dargestellt wird. Das könnte mittelfristig zu einer schwarzgelben Mehrheit führen, vielleicht mit grünen Punkten. Israels Staatschef gibt zu, zu den Atommächten zu gehören.
Da kann bis zum Jahreswechsel schon noch Einiges passieren.
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