- 89. Ausgabe, Winter-LUST 06/07
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- Bericht über eine wichtige Demonstration
Nazis wollten Verunsicherung und Angst
der Bevölkerung vor einem Gebetshaus von Milli Görüs
auf dem Gräselberg bei Wiesbaden nutzen, um sich in einer
Demonstration anzubieten ...
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... und eine recht breites Bündnis von SPD über die
Linke Liste Wiesbaden (Linkspartei), Gewerkschaften, die ROSA
LÜSTE, AWO, eine große Anzahl von Verbänden und
Parteien, sie alle unterzeichneten den Aufruf gegen diese Nazidemo
und meldeten andere Demonstrationen an.
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- Leider wurde das Verbot der Nazi-Demonstration
durch die Stadt Wiesbaden in der nächsten Instanz wieder
aufgehoben.
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- War die Anzahl der Beteiligten an der offiziellen
Demonstration eher kärglich, während andere DemonstrantInnen
sich nicht an dem Ort einfanden, den die Behörden für
unsere Demonstration, abseits vom Geschehen, verfügt hatten.
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- Sie versuchten, dem Geschehen näher
zu kommen.
Die Nazis konnten, von der Polizei geschützt, anfangs ungestört
demonstrieren und ihre verbrecherischen Parolen loswerden.
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- Dann wurde die Demo von ca. 70 Nazis von
der Polizei aufgelöst, weil dort rassistische Parolen gerufen
wurden.
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- Unklar ist, warum eine Demo mit einem klar
verfassungsfeindlichem Inhalt von dem Gericht in Kassel überhaupt
genehmigt wurde. Im Grundgesesetz Artikel 3, Absatz 3 heißt
es ja:
Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung,
seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines
Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen
benachteiligt oder bevorzugt werden ...
Witzig war, als ein Sprecher aus dem Lautsprecherwagen in Wir-Form
die unterzeichnenden Gruppen vortrug, zum Beispiel Wir
Gewerkschaftler, wir ... stockte er und wollte dann wohl
doch nicht sagen: Wir Lesben und Schwulen .... Er
sagte daher schlicht: Wir anderen Menschen ....
Leider waren von den Unterzeichnergruppen die Mitglieder nicht
bei der Demo, denn es waren vielleicht 150 TeilnehmerInnen.
Ein Polizistenriegel stellte klar, dass hier der Endpunkt der
Demo war, und die Kundgebung mit vielen Reden begann.
Wir haben unsere Rede dann doch nicht angemeldet, weil wir es
nicht für sinnvoll hielten, diesem
Bündnis
unsere Vorbehalte gegenüber zunehmender Religiosität
zuzumuten, das doch zum Zweck einer Kundgebung gegen Nazis zustande
kam.
Es sprachen u.a. der katholische Pfarrer und Oberbürgermeisterkandidat
der SPD Roth und der Oberbürger-meisterkandidat der Linken
Liste.
Als dann aber der moslemische Redner froh verkündete, dass
Christen und Muslime gemeinsam für eine bessere Moral in
der Gesellschaft sorgen wollen, haben wir es bedauert, unsere
Rede nicht gehalten zu haben.
- Von Christen und Muslimen wollen wir uns
unsere Moral nämlich nicht mehr vorschreieben lassen.
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- Da haben Lesben und Schwule wirkliche schreckliche
Erfahrungen machen müssen.
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- Und genau dafür haben wir uns nicht
an dieser Demo beteiligt. Ganz im Gegenteil.
Etwa 120 Demonstranten sind nicht bei der Kundgebung gewesen,
sondern versuchten, für die Nazis die Straße zu blockieren.
- Die Polizeit schloss sie in einem Kessel
ein, verhaftete 4 von ihnen und der Kessel wurde erst geöffnet,
nachdem der Nazi-Aufmarsch verboten und aufgelöst worden
war.
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- Die Nazis sind von der Polizei in einen Zug
gesetzt und nach Eltville begleitet worden, dort wurden sie dann
in kleine Gruppen aufgelöst.
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Diese Rede, deren Inhalt
wir für richtig halten, haben wir dann doch lieber nicht
gehalten, weil wir befürchtet haben, dass das Bündnis
sie vielleicht nicht hören wollte. Im Nachhinein meinen
wir, dass man uns sicher doch verstanden hätte.
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- Stoppt die Nazis!
die meisten Lesben und Schwule haben die Geschichte der Nazi-Zeit
nicht vergessen. Daran ändert sich nichts dadurch, dass
es auch Schwule und Lesben gibt, die sich unter Nazis offenbar
wohl fühlen. Überall wo es Menschen gibt, gibt es auch
Lesben und Schwule und die sind nicht klüger oder dümmer
als die übrige Bevölkerung.

Dass Lesben und Schwule gerade auch durch Religionen das Leben
schwer gemacht bekommen oder ihr Leben verlieren, braucht auch
nicht besonders betont zu werden, das dürfte hoffentlich
bekannt sein. Es gibt auch religiöse Lesben und Schwule,
was möglich ist, weil die beiden Amtskirchen in Deutschland
sich gegenwärtig mehr oder weniger zahm uns gegenüber
verhalten.
Doch ist von den unterschiedlichen Regionen auf der Welt noch
Einiges gegen uns zu befürchten.
- Wir lesen und hören in den Nachrichten, dass der Papst
sich erneut gegen die sogenannte Homo-Ehe ausspricht und christliche
Politiker auffordert, gegen die Legalisierung homosexueller Partnerschaften
tätig zu sein. Wir erfahren von der Kündigung Homosexueller
in kirchlichen Einrichtungen, die oft die einzigen sozialen Einrichtungen
sind und zu 90% von Steuergeldern finanziert werden.
- Wir lesen und hören von den Steinigungen, Verfolgungen
und Hinrichtungen homosexueller Menschen in islamischen Ländern,
von deren ständigen Diskriminierungen und Entwürdigungen
ganz zu schweigen.
- Wir lesen und hören von den Verfolgungen homosexueller
Menschen im Buddhistischen Nepal und im hinduistischen Indien.
Wir erfahren von den pogromartigen Zuständen in Moskau,
angeführt von der russisch-orthodoxen Kirche unter Beteiligung
moslemischer Gruppen und russischen Nazis, dort vereint gegen
eine kleine mutige Demonstration homosexueller Menschen.
Wir erfahren von eifernden Rabbis in Jerusalem, unterstützt
von dortigen Muslimen gegen die CSD-Parade in Jerusalem, die
dann von den Ordnungskräften in ein Fußballstadium
abgedrängt wurde und dort stattfinden musste. Gegen Homosexuelle
waren sich Vertreter jüdischer und muslimischer Organisationen
plötzlich einig.

Das Menschenrecht auf ein homosexuelles Leben hat der Brasilianische
Präsident Lula das Silva eingefordert, und bekämpft
wurde sein Antrag von den islamischen Staaten, dem Vatikan und
den USA unter Bush.
Wir wissen von den Übergriffen muslimischer Jugendlicher
auf Einrichtungen lesbischer und schwuler Menschen in Berlin
und Köln. In Deutschland tauchen nun neuerdings doch recht
viele fundamentalistische evangelikale Christen auf, die homosexuelle
Menschen "heilen" wollen und unsere Leute so oft jahrelang
in ihrem schwierigen Prozess des Selbstakzeptierens, des Coming-outs,
zurückwerfen.
Man kann daher verstehen, dass in der politisch eher unreflektierten
lesbisch-schwulen Szene keine Sympathie für das Errichten
einer Moschee existiert und dort bezüglich der angekündigten
Nazi-Demonstration eher die Haltung überwog: "Lass
doch die Nazis und die Muslime sich gegenseitig die Köpfe
einhauen. Wir mögen sie beide nicht".
So hatten wir es schwer, in unserer Szene für diese Gegendemonstration
zu werben. Und wir glauben, dass ein muslimisches Gebetshaus
nicht nur bei uns, sondern in der Gesamtbevölkerung mit
eher gemischten Gefühlen gesehen wird, denn in den Medien
wird kaum eine sorgfältige Trennschärfe zwischen dem
berechtigten Ausüben der jeweils eigenen Religion und dem
politischen Funktionalisieren der Religionen gegen die Menschenrechte
gemacht.
Doch können wir nicht hinnehmen, wenn ausgerechnet Nazis
die Ängste und Befürchtungen der Bevölkerung für
ihre Sichtweise der Dinge aus-nutzen. Und wenn sich die NPD und
andere Nazis heute versammeln, um die geplante Moschee auf dem
Gräselberg zum Anlass zu nehmen, für ihre menschenverachtende
Gesinnung Zustimmung zu erhalten, dann können wir dies nur
mit großem Abscheu sehen. Dies sagen wir gerade deshalb,
weil wir als Humanisten und der Aufklärung verpflichtete
Lesben und Schwule die religiöse Demagogie, auch gerade
die der Muslime, als eine Gefahr für uns ansehen.
Aber gerade die Nazis haben durch ihre Handlungen (wie die Geschichte
und die Gegenwart deutlich belegen) alle Rechte verwirkt, sich
zugunsten der Einhaltung von Menschenrechten zu äußern.
Das wollen sie ja auch gar nicht, denn von ihnen geht ja die
zynichste Menschenverachtung, die brutalste Bekämpfung aller
Menschenrechte aus, schon in ihren kleinen Aktionen und erst
recht dort, wo sie Gelegenheit haben, ihre verbrecherischen Interessen
zu verwirklichen.
Die Nazi-Ideologie ist keine Meinung, sondern sie ist ein Verbrechen.
Wenn wir hier zusammen mit Gewerkschaftlern, VertreterInnen demokratisch
gesonnenen Verbänden und Parteien, Christen und Muslimen
gegen diesen Naziaufmarsch demonstrieren, dann nicht aus demonstrierter
Sympathie gegenüber einem neuen Religionsverkündungsort.
Wir demonstrieren heute hier aus 2 Gründen:
1. Weil wir als GegnerInnen von Nazis dazu beitragen wollen,
dass sie ihre verbrecherische Volksverhetzung nicht offen verkünden
können.
2. Weil die Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu
einer Religion jedes Menschen ureigene Sache ist, wie auch das
gemeinsame Ausüben dieser Religion an einem gemeinsamen
Ort für die jeweils Betroffenen. Und weil kein Mensch das
Recht hat, sich in diese individuelle Entscheidung jedes einzelnen
Menschen einzumischen, oder gar Druck gegen diese individuelle
Entscheidung auszuüben. Da darf es keinen wie auch immer
gearteten Druck geben, weder von Nazis noch von Religionsgruppen.
Und so hoffen wir, dass die Gegner eines solchen Nazi-Aufmarsches
von der Bevölkerung eine konsequente und große Unterstützung
und Zustimmung erhalten werden.
Vielleicht ist ja der Unmut über diese Anmaßung der
Nazis, sich hier zu Religionsfragen zu äußern, in
der Bevölkerung so groß, dass deren Aktion gar nicht
stattfinden kann.
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