88. Ausgabe, Herbst-LUST 06
Die US-Regierung und die Evangelikalen
Die Trennung von Religion und Wissenschaft
hat in Europa das freie Forschen in den Naturwissenschaften zu
einem riesigen Sprung nach vorne geführt. Daraus folgte ein
wissenschaftlich-technischer Sprung und die Industrialisierung,
aber auch der nicht vom religiösen Aberglaube geduckte Mensch.
In den USA versucht die evangelikale Rechte, diese Trennung wieder
aufzuheben. Dazu benutzen sie das Konstrukt des Intelligent Designe.
Schon am 20.08.06 gab es um 08,30 Uhr im Südwestfunk einen
Vortrag zu dem Thema, das in der Überschrift dieses Artikels
steht. Am Montag, 19.09.06 ab 20,40 Uhr fand in Arte ein Themenabend
statt, bei dem es um das Phänomen der evangelikalen Rechten
ging.
Intelligent Designe
wird als Wissenschaft vorgestellt, deren Ursprung im sogenannten
Kreationismus liegt. Dies richtet sich gegen die Trennung zwischen
Wissenschaft und Religion.
Der Schulausschuss der High School in der kleinen Gemeinde Dover
hatte in den Lehrplan des Biologieunterrichts einen Passus aufgenommen,
der besagte, dass den Schülern neben der darwin-schen Evolutionstheorie
auch ein christliches Schöpfermodell, die so genannte Intelligent-Design-Lehre,
vorgestellt werden sollte. Empörte Eltern wehrten sich, und
so kam es zum Prozess.
Das Urteil lautete: Intelligent Design sei Religion und habe im
Biologieunterricht nichts zu suchen. So wurden die christlichen
Fundamentalisten rechtzeitig gestoppt. Jetzt versuchen sie es
erneut unter der angeblich wissenschaftlichen Lehre der Kreationisten.
Amerika ist weit weg, sagten sich damals die meisten
Europäer. Doch die Dokumentation in Arte am 19.09.06 um 20,40
Uhr zeigte, dass Intelligent Design und Kreationismus - das ist
die bibelgetreue Auslegung der Schöpfungsgeschichte - längst
in Europa angekommen sind, und zwar auf Schulen und in Lehrplänen,
gefördert auch von einigen Kultusministern. Zu den gesellschaftspolitischen
Zielen gehört auch die Bekämpfung der Selbstbefriedigung,
Sexualität vor der Ehe, der Homosexualität und der Abtreibung.
Folter im Namen Gottes
Eine neue Art von Verbrechen an Kindern hat Europa erreicht: Teufelsaustreibung
im Namen Jesu Christi. In England wurden mehrere Fälle schwerer
Misshandlung bekannt, zuletzt starb ein Kind nach einer wochenlangen
Tortur. Die Opfer gehören zur afrikanischen Gemeinde in England,
die Täter sind Verwandte, oft die eigenen Eltern, begleitet
vom allerhöchsten Segen evangelikaler freier Kirchen. Die
britische Polizei hegt den Verdacht, dass die Kinder in den Kongo
verschleppt werden, um dort exorziert zu werden.
Die Dokumentation begleitet Richard Hoskins, Londoner Religionssoziologe
und Afrika-Fachmann, der von Gerichten und Scotland Yard beauftragt
wird, plötzlich verschwundene Kinder zu suchen, in den Kongo.
Dort sucht er unter anderem nach Londris, einem zehnjährigen
Jungen, der in England als Sohn kongolesischer Eltern geboren
wurde.
Der Film zeigt den Alltag einer durch Bürgerkrieg, Korruption
und Armut völlig aus den Fugen geratenen Gesellschaft. Die
Menschen fliehen in die Religion, um ein Stück Hoffnung zu
suchen, und finden, auf schreckliche Weise, buchstäblich
den Teufel: Exorzismus an kleinen Kindern, gelehrt und durchgeführt
von freien evan-gelikalen Kirchen im Namen Jesu Christi
Jesus Revolution Army
Sie sehen gut aus, sind gut gelaunt und präsentieren ihre
christliche Botschaft in hippen Events. Bunte Flugblätter,
die vom Leben Jesu erzählen, spannende Websites, Konzertourneen,
Tanz und Gesang dienen als Werkzeuge einer Jugendkultur, die strengstes
Bibelverständnis propagiert. Hinter der lockeren Fassade
herrscht militärische Disziplin. Die Ausbildung zum Missionar
der Jesus Revolution Army dauert vier Monate. Täglicher Morgenappell,
das Tragen von Uniform, Bibeltraining und Flirtverbot gehören
zu den Regeln.
Das Autorenteam besucht eine der Missionsschulen in Oslo und trifft
auf die 20-jährige Christel, für die es nicht immer
einfach ist mitzuhalten. Erst seit vier Monaten in der Army, ist
die Münchnerin hin und wieder irritiert über die harten
Leitlinien. Jeanette aus Dänemark hingegen steht radikal
hinter dem, was die Jesus Revolution Army und die buchstabengetreue
Auslegung der Bibel verlangen.
Dazu gehört die Bekämpfung des Bösen in Form von
Drogen, Abtreibung, Homosexualität, Unkeuschheit und die
Emanzipation der Frau.
Die Jesus Revolution Army unterhält in fünf europäischen
Städten Basislager und missioniert dieses Jahr in 400 europäischen
Städten. Sie dringt in ein spirituelles Ödland vor und
erfüllt die Sehnsucht nach Sinn, nach klaren Regeln und exzessiver
Spiritualität. Eine der Missionarinnen meint in einem Interview:
Es geht auf der Welt so viel durcheinander, weil Frauen zu dominant
sind und daher Männer nicht mehr Männer sein können.
popular culture
In der Wissenschaftssendung im 3. Progamm
des Südwestfunks am Sonntag, dem 20.08.06 um 8,30 Uhr, fand
ein Vortrag Prof. Dr. Alexander Stephan statt mit folgendem Titel:
Left Behind: popular culture, religiöser Fundamentalismus
und Politik in den USA des George W. Bush.
Anders als die Randerscheinungen in anderen Gebieten der Erde,
hat die evangelikale Rechte in den USA die popular culture
erreicht, sie ist zur vorherrschenden kulturellen Strömung
in den USA geworden. Mehr als 60% der Amerikaner glauben, dass
die Lehre von der Entwicklung der Arten von Ch. Darvin nicht stimmt,
weil sie der Schöpfungsgeschichte widerspricht.
Sozialsysteme können ruhig abgebaut werden, da die Menschheit
ohnehin kurz vor dem weltweiten Krieg zwischen gut und böse
stehe, in dem viele Menschen sterben werden und nur die guten
übrigbleiben. Zu den Bösen gehört übrigens
auch der Papst in Rom. 40% der Menschen in den USA geben an, dass
sie Wiedergeborene sind, und auch der US-Präsident Bush ist
ein Wiedergeborener Christ. Wenn das ganze Geld, was in diese
Bewegung fließt, für Sozialprogramme ausgegeben würde,
würden viele Menschen nicht aus Armut ihr zufließen.
(js)
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