88. Ausgabe, Herbst-LUST 06
 
EMMA-Kampagne gegen das: „HOMO-DENKMAL
Mal wieder die Frauen vergessen!
Der Entwurf des Denkmals für die homosexuellen Opfer in der NS-Zeit muss ergänzt werden: um die lesbischen Opfer. Da sind sich alle einig. Doch wie konnte es überhaupt dazu kommen

Berlin-Friedrichshain, März 1940. An der Wohnungstür von Hildegard Wiederhöft und Helene Treike klingelt die Gestapo. Eine Nachbarin hatte dem Blockwart gemeldet, “dass es sich bei den beiden Frauen um abnorm veranlagte Personen handelt”.

Verhaften können die Herren das Frauenpaar nicht, denn lesbische Liebe steht nicht ausdrücklich unter Strafe. Doch die Gestapo zwingt die beiden Frauen, sich sofort zu trennen, legt eine Kartei über sie an und stellt Helene Treike, die sie für den “männlichen Teil” der Beziehung hält, unter Beobachtung, um “nötigenfalls weitere Maßnahmen ergreifen zu können”.

Ab Juni 2007, pünktlich zum Christopher Street Day, soll in Berlin ein Mahnmal an die “im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen” erinnern. Gegenüber dem Holocaust-Mahnmal mit seinen 2.711 Stelen wird im Tiergarten eine 3,60 mal 4,50 Meter große kastenförmige, gekippte Skulptur stehen, die bewusst Eisenmans Stelenform zitiert.

Wer durch die kleine quadratische Öffnung ins Innere des Betonquaders blickt, sieht ein projiziertes Filmbild in Endlosschleife: zwei sich küssende Männer. So will es der Entwurf des von der neunköpfigen Jury (sieben Männer und zwei Frauen) prämierten Künstlerpaares Michael Elm-green und Ingmar Dragset.“

So beginnt ein Artikel in der Sept/Oktober-Ausgabe der EMMA, mit dem eine Kampagne ins Leben gerufen werden soll. Der Zorn der Emma entzündet sich hauptsächlich an dem küssenden Männerpaar.

Wie kann man darstellen, dass Lesben und Schwule in dieser Zeit ein schweres Leben hatten, dass Schwule sogar schon für einen Kuss strafrechtlich verfolgt wurden bis hin zum Tod im KZ, dass ein Verschweigen der Homosexualität, wenn es möglich war, die Rettung bedeuten konnte? (LUST)
 
Die Erinnerung an das Unrecht wach halten, die verfolgten und ermordeten Opfer ehren und ein sichtbares Zeichen gegen Intoleranz, Feindseligkeit und Ausgrenzung gegenüber Schwulen und Lesben setzen
LSVD-Positionen zur Denkmalsdiskussion
Es ist ein großer Erfolg, dass der Bundestag 2003 die Errichtung eines Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen beschlossen hat. Die langjährige Arbeit des LSVD und der Initiative „Der homosexuellen NS-Opfer gedenken“ hat schließlich die Mehrheit des Parlaments überzeugt, dass auch dieser Opfergruppe würdig gedacht werden muss. Das Denkmal soll laut Bundestagsbe-schluss die verfolgten und ermordeten Opfer ehren, die Erinnerung an das Unrecht wach halten und ein beständiges Zeichen gegen Intoleranz, Feindseligkeit und Ausgren-zung gegenüber Schwulen und Lesben setzen.
Die Aufgabenstellung durch den Bundestag ist damit sehr komplex. Im Kunst-Wettbewerb zum Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen hat die Jury mehrheitlich den Entwurf des Künstlerduos Michael Elmgreen und Ingar Dragset zur Realisierung empfohlen. Er nimmt Bezug auf das gegenüber liegende Holocaust-Denkmal. Als Grundform ist eine Stele geplant. Durch ein Fenster, das schräg in eine Ecke eingeschnitten ist, sieht man ein projiziertes Filmbild einer Kussszene zwischen zwei Männern.
Das Konzept von Elmgreen und Dragset leistet eine künstlerisch beeindruckende Annäherung an die Aufgabenstellung. Gleichwohl halten wir eine weitere inhaltliche Kon-turierung für notwendig, um auch Lesben sichtbar in die Gestaltung des Gedenkortes einzubeziehen. Dazu organisiert der LSVD einen öffentlichen Diskussionsprozess.

1. Historische Fakten würdigen, das Gemeinsame suchen
Das Denkmal darf keinen Lesben ausschließenden Charakter bekommen. Das Denkmal soll auch ein Lernen aus der Geschichte im Sinne eines „Nie wieder“ symbolisieren. Gerade für die Aufgabe, gegenwartsbezogen ein Zeichen gegen Aus-grenzung zu setzen, dürfen Lesben nicht unsichtbar bleiben. Hier muss am Entwurf weiter gearbeitet werden. Der LSVD setzt sich für eine Erweiterung des Konzepts ein, das den künstlerisch beeindruckenden Entwurf inhaltlich optimiert.
Gleichzeitig muss für die Aufgabe, die Erinnerung an das Unrecht wach zu halten, die Aussage des Denkmals auch weiterhin den historischen Fakten standhalten. Unterdrückt wurde jede Form gleichgeschlechtlicher Liebe. Verfolgung aufgrund der Homosexualität mit Gefahr für Freiheit, Leib und Leben war im Nationalsozialismus aber auf homosexuelle Männer konzentriert. Nur der Kuss unter Männern war schon strafbar. Das muss eine Erweiterung des Entwurfes berücksichtigen.
2. Ergänzende Information notwendig
Die Geschichte der nationalsozialistischen Homosexuellenverfolgung ist der breiten Öffentlichkeit bis heute wenig bekannt. Das Denkmal sollte daher durch eine ergänzende Information flankiert werden, die knapp die bekannten historischen Tatsachen zur nationalsozialistischen Homo-sexuellenverfolgung zusammenfasst.
Die Nationalsozialisten haben 1935 die totale Kriminalisierung männlicher Homosexualität angeordnet. Dafür wurde der § 175 des Reichsstrafgesetzbuchs in der Tat be-standsfassung radikal entgrenzt und im Strafmaß massiv verschärft.
Zwischen 1935 und 1945 wurden ca. 60.000 Verurteilungen ausgesprochen. Die verurteilten Männer kamen in Gefängnisse, Zuchthäuser und Haftarbeitslager. 5.000 bis 10.000 Schwule wurden wegen ihrer Homosexualität in Konzentrationslager verschleppt, wo sie zumeist den „Rosa Winkel“ tragen mussten. Nur die wenigsten überlebten die Lager.
Der § 175 galt in der Bundesrepublik in der Nazi-Fassung unverändert bis 1969 fort.
Lesbische Beziehungen wurden nicht strafrechtlich verfolgt. War den Nazis die Homosexualität inhaftierter Frauen bekannt, bedeutete das dennoch verschärfte Bedrohung. Insgesamt ist aber die Situation lesbischer Frauen im Nationalsozialismus „kaum mit eindeutigen Ver-folgungskriterien zu belegen“ (Dr. Claudia Schoppmann, Vortrag im vorbereitenden Kolloquium für den Kunstwettbewerb zum Denkmal, 2005). Schwule und Lesben erlebten aber gemeinsam die Zerschlagung ihrer Infrastruktur durch die Nazis. Lesben lebten eingeschüchtert und waren in ihren Entfaltungsmöglichkeiten eingeschränkt. Es war eine „Zeit der Maskierung“.
Die begleitende Information sollte fachhistorisch abgesichert werden, damit sie Besucherinnen und Besuchern den Stand der Forschung präsentiert.
LSVD - Pressestelle Öffentlichkeitsarbeit Willmanndamm 10, 10827 Berlin Tel.: (030) 789 54 763, Fax: 789 54 779 erreichbar Mo - Fr 14.00 bis 18.00 Uhr
 
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