88. Ausgabe, Herbst-LUST 06
 
Hartz IV
oder das Arbeitslosengeld II

Die Bundesrepublik Deutschland ist lt. Grundgesetz ein Sozialstaat. Das in der Bundesrepublik bisher bestehende System der sozialen Sicherung lässt sich ursprünglich auf drei grundlegende Gestaltungsprinzipien zurückführen (1. das Ver-sicherungs-, 2. das Versor-gungs- und 3. das Fürsorgeprinzip), von denen jedes einen Teilbereich in Hinblick auf seinen organisatorischen Aufbau und seine sozialpolitische Zweckbestimmung prägt.
 
Gestaltungsprinzipien
1. Durch die Sozialversicherung sind in der BRD ursprünglich etwa 90% der Bevölkerung vor den wirtschaftlichen Risiken der Krankheit, der Erwerbsunfähigkeit, des Arbeitsunfalls, der Berufskrankheit und des Alters geschützt.

Die gesetzlichen Sozialversicherungen sind im wesentlichen solidarisch aufgebaut, das heißt konkret z.B. bei der Krankenversicherung: jede(r) Versicherungspflichtige Arbeitneh-merIn zahlt in Höhe seiner Möglichkeiten ein (Prozentualer Anteil des Lohnes) und erhält nach den medizinischen Notwendigkeiten. Durch die Pflicht zur Zuzahlungen wurde dies schrittweise zum Nachteil der Versicherten modifiziert. Nur im Bereich Rente und Arbeitslosigkeit (ALG I) erhält der Versicherte Leistungen entsprechend der Höhe seiner Einzahlung. Dieses gesamte solidarische Prinzip ist durch politische Eingriffe der Regierungen allerdings schrittweise verändert worden, denn die Sozialversicherungen, die weder staatlich noch privat sind, sondern Körperschaften des öffentlichen Rechts, sind durch einen Staatsvertrag an gesetzliche Zugriffe durch den Staat gebunden, eventuelle Überschüsse werden dem Staat in Form von Krediten übereignet, für eventuelle Unterdeckungen hat der Staat einen Ausgleich aus Steuermitteln zu zahlen. Zumeist sind die Gründe für eine Unterdeckung auch nicht im Verantwortungsbereich der Versicherten, sondern im Verantwortungsbereich der staatlichen Sozialpolitik.
 
Der Staat kann sich aber dieser Zuzahlungspflicht an die Sozialversicherungen durch Gesetzesänderungen entziehen.
 
2. Die Versorgungsleistungen, die der Staat einbringt, werden aus Steuermitteln, also von allen Bürgern, finanziert. Ein Versorgungsanspruch wird nicht durch Beitragszahlungen, sondern durch andere Vorleistungen erworben. Die Versorgung ist eine Entschädigung der Gesellschaft für diejenigen, die der Allgemeinheit besondere Dienste leisteten (z.B. die Beamten) oder die besondere Opfer auf sich nehmen und dadurch gesundheitliche oder wirtschaftliche Nachteile erlitten (z.B. Kriegsopfer oder Vertriebene).
 
3. Das Fürsorgeprinzip kommt vor allem dort zur Geltung, wo die anderen Prinzipien und Einrichtungen des sozialen Sicherungssystems vor individuellen Notsituationen versagen. Fürsorge in Form der Sozialhilfe wird zum Beispiel erst dann gewährt, wenn jemand keine oder nur unzureichende Versicherungs- oder Versorgungsleistungen erhält und sich auch nicht selbst aus seiner Lage befreien kann.
Anspruch auf Sozialhilfe oder Arbeitslosenhilfe besteht also nur bei Bedürftigkeit, sie ist von Vorleistungen unabhängig und wird ganz aus öffentlichen Mitteln aufgebracht.
 
Im Falle der Arbeitslosigkeit ...
... wird die Arbeitslosenversicherung in der Regel für ein Jahr wirksam, also das Arbeitslosengeld, und später dann, falls keine angemessene Arbeit gefunden werden konnte, wurde die Arbeitslosenhilfe bezahlt.
 
Vor den Hartz-Reformen
Arbeitslosengeld: Arbeitslosengeld in Höhe von 63% (mit Kindern 68%) des letzten durchschnittlichen Netto erhält, wer arbeitslos ist, dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht, die Anwartschaft erfüllt (also vorher beitragspflichtig gearbeitet hat), sich beim Arbeitsamt meldet und einen entsprechenden Antrag stellt.

Arbeitslosengeld wird in der Regel längstens für 1 Jahr gezahlt. Die Dauer der Zahlung hängt davon ab, wie lange man vorher beitragspflichtig gearbeitet hat.
 
Arbeitslosenhilfe: Personen, die keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben, aber dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen und bedürftig sind, erhalten Arbeitslosenhilfe. Bedürftig bedeutet, dass die Betroffenen unter Einbeziehung des Vermögens und des Einkommens aller anderer Familienangehöriger ihren Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten können. Die Arbeitslosenhilfe beträgt etwa 58% (bei Kindergeld 56%) des letzten Nettoarbeitsverdienstes und wird ohne zeitliche Begrenzung gezahlt. Es ist dies eine stattliche (steuerlich finanzierte) Fürsorgeleistung.
 
Seit den Hartz-Reformen
Die rotgrünen Bundesregierung (mit Zustimmung des schwarzgelben Bundsrates) hatte das alte Sozialsystem entscheidend geändert, denn das oben genannte Modell war nur wirksam vor den (nach dem ehemaligen VW-Manager Hartz benannten) Reformen.

Die Bundsanstalt für Arbeit ist eine Bundesbehörde. Sie hatte die Aufgabe, die Arbeitslosenversicherung und die Arbeitslosenhilfe zu bearbeiten, sowie die Arbeitsförderung und Arbeitsvermittlung durchzuführen. Sie wurde nun in Bundesagentur für Arbeit umbenannt.
Die ehemaligen Arbeitslosenhilfe-EmpfängerInnen erhalten nun keine von ihrer bisherigen Lohnhöhe abhängigen Beträge mehr und werden mit den arbeitsfähigen Sozialhilfe-EmpfängerInnen im Alter von 15 bis 65 im sogenannten Arbeitslosengeld II zusammengefasst, genannt auch Hartz IV, das im wesentlichen auf dem finanziellen Niveau der Sozialhilfe angesiedelt ist. Das ALG II bedeutet ein deutliche Verschlechterung für einen großen Teil der ehemaligen Arbeitslosenhilfe-Empfäng-erInnen und keine wirkliche Verbesserung für die bisherigen Sozialhilfe-EmpfängerInnen im Alter zwischen 15 und 65 Jahren, die als arbeitsfähig gelten. Grundlage des ALG II ist das Sozialgesetzbuch II. Demnach ist das ALG II eine Versorgungsleistung im Sinne des Fürsorgeprinzips.
 
Regierungspropaganda
In der regierungsnahen Medien, und das sind seit Bildung der Großen Koalition nahezu alle großen Medien, wird ständig die “Nachbesserung” des ALG II verlangt, was im Grunde nur eine weitere Kürzung der Bezüge der ALG-II-Bezüge bedeutet. Die “Argument” werden ständig gebetsmühlenartig wiederholt:
 
Die Sozialleistungen sind im Vergleich zu den Nachbarländern zu hoch. Der Spiegel schrieb am 29.05.06: “In Großbritannien und den USA z.B. liegt das Fürsorgeniveau deutlich niedriger”.
In Wirklichkeit liegt die so genannte “income-based jobseeker allowance” für Alleinstehende derzeit bei 57,45 Pfund pro Woche, dies entspricht einem monatlichen Regelsatz von Knapp 360 Euro. In Deutschland gelten 345 Euro. Hinzu kommt in Großbritannien auch die Übernahme der Mietko-sten für Langzeitarbeitslose.
 
Der Regelsatz ist zu hoch, denn mit dem ALG II bekommen manche Menschen mehr Geld, als sie mit Arbeit verdienen würden. “Wer arbeitet, muss mehr Geld haben als der, der nicht arbeitet”, sagte Bundeskanzlerin Merkel.
Dann müsste man einen Mindestlohn einführen und nicht die Löhne immer weiter drücken, und dann das ALG II weiter senken. Wovon sollen denn die Menschen leben? Der Regelsatz ist nicht höher als die frühere Sozialhilfe, aber die Verdienststruktur in der Bundesrepublik hat sich geändert. Heute gibt es zum Beispiel für die abgabenfreien 400-Euro-Jobs keine zeitliche Begrenzung mehr. Und so ackern inzwischen auch Halbzeitkräfte zum Niedriglohn als 400-Euro-Jobberinnen ohne Sozialversicherungsschutz.
 
Immer mehr Leute beziehen Hartz IV, weil das ALG II zum Missbrauch einlädt. “Der Missbrauch muss eingedämmt werden”, sagte populistisch Baden-Württembergs CDU-Ministerpräsident Öttinger.
In Wirklichkeit hat die Bundesagentur für Arbeit 26 Millionen Euro zu viel gewährtes ALG II entdeckt, das sind 0,4 % der im ersten Quartal 2006 bezahlten Summe. Die Bundesagentur für Arbeit schätzt die “Missbrauchsquote” auf 5 bis 6 % der EmpfängerInnen, wobei sich laut Agentur darunter auch Leute befinden, die sich bei Job-aufnahme nicht rechtzeitig abgemeldet haben. Ageblich werden im Jahr 30 Milliarden an Steuern hinterzuge, hier von Missbrauch zu sprechen wäre da angemessener. Der SPD-Finanzminister der rotgrünen Bundesregierung Eichel hatte während seiner Amtszeit vergeblich versucht, wenigstens 5 Milliarden Euro an hinterzogenen Kapitalsteuern auf im Ausland deponiertes Geld wohlhabender deutscher Anleger zurückzuholen.
 
Die Kosten für Arbeitslosigkeit steigen ins Unermessliche.
Die Kosten für Arbeitslosigkeit sind insgesamt gefallen und nicht gestiegen. Im April 2006 wurden von der Bundesagentur für Arbeit (BA) und vom Bund (für SGB II und III zusammen) insgesamt 4,582 Mrd. Euro ausgegeben und damit 199 Mio. Euro weniger als im April 2005 (4,784 Mrd. Euro). Nach Prognosen werden BA, Bund und Kommunen voraussichtlich 0,8 Mrd. Euro weniger für Arbeitslosigkeit ausgeben als geplant und dies, obwohl die Kosten für den Bund voraussichtlich 2 Mrd. Euro und die der Kommunen um 1,2 Mrd. Euro steigen. Das liegt daran, dass die Ausgaben für die Versicherungsleistung ALG I deutlich zurückgegangen sind, und zwar 270 Mio. Euro pro Monat oder 10,9% im Vergleich zum entsprechenden Zeitraum des Vorjahres (November 2004 bis April 2005).

Schon bei Einführung von Hartz IV sind Ein-sparpotenziale eingerechnet worden, die irreal und daher auch nicht zu erreichen waren. Obwohl 2004 rund 18 Mrd. Euro für Arbeitslosenhilfe ausgegeben worden sind, plante die rotgrüne Regierung für ALG II nur 14 Mrd. ein. Insgesamt sollten die zusammengelegte Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe 26 Mrd. Euro kosten, obwohl sie schon 2004 27,6 Euro kosteten. Der zu erwartende Anstieg von Kosten ist mit dem zu erwarteten Anstieg der Bezieherzahlen zu erklären: Die Bezieherzahlen der alten Arbeitslosenhilfe stiegen von 1,707 Mio. im August 2002 auf 2,261 Mio. im Dezember 2004. Daraus ergeben sich jährlich zusätzliche Kosten in Höhe von 2 Mrd. Euro. 2005 wäre die Zahl der Arbeitslosenhilfebezieher voraussichtlich auf 2,5 Mio. angestiegen. Der Anstieg der Kosten für Hatz IV ist also in Wirklichkeit das Steigen der Langzeitarbeitslosigkeit und der Armut trotz Arbeit. Und die Lanzeitarbeitslosigkeit ist weiterhin rapide im Steigen begriffen, was natürlich dann auch die Kosten für ALG II steigen lässt.
 
Wozu diese Propaganda?
Diese gesamte Propaganda der regierungsnahen Medien dient dazu, weitere Einsparungen auf Kosten der ALG-II-BezieherInnen zu rechtfertigen, wie sich dies im SGB-II-Optimierungsgestz zeigt. Es soll ab 1. August 2006 in Kraft treten, 1,5 Milliarden Euro Einsparung einbringen und erfasst 50 Maßnahmen. Hier die wichtigsten Maßnahmen:

Sofortiges Jobangebot: Wer zum 1. Mal ALG II beantragt, und in den 2 Jahren zuvor keine Leistungen der Arbeitsagentur erhalten hat, soll künftig sofort in einen Ein-Euro-Job, eine Weiterbildung oder eine andere Maßnahme vermittelt werden. Mit diesem Sofortangebot soll die Arbeitsbereitschaft des Antragstellers überprüft werden. Die Regierung erhofft sich durch diese Maßnahme einen Rückgang der Neuanträge um etwa 10%. Ersparnis: ca. 280 Millionen
 
Kontrolleure: Das neue Gesetz schreibt Joncentern vor, flächendeckend Außendienste zu schaffen, die die ALG-II-Haushalte überprüfen sollen. Die Regierung erhofft sich dadurch die Aufdeckung von ca. 90.000 Missbrauchsfällen. Einsparung bis zu 440 Millionen Euro.

Auskünfte: Private Stellen, z.B. Call-Center, können von den Behörden beauftragt werden, telefonisch Daten bei ALG-II-Empfängern abzufragen. Dadurch soll herausgefunden werden, wer unrechtmäßig Leistungen erhält. Erhoffte Einsparung bis zu 300 Millioenen Euro.
 
Datenaustausch: Zwischen den Behörden wird der Informationsaustausch verstärkt, um Vermögen aufzuspüren, das ALG-II-Empfänger nicht angegeben haben. So sollen künftig Anfragen bei den Finanzbehörden möglich sein, um zu erfahren, ob Konten oder Aktiendepots bestehen. Beim KFZ-Bundesamt in Flensburg darf erfragt werden, welche Fahrzeuge der Betroffene hat. So kann man beurteilen, ob das Fahrzeug den angegebenen Vermögensverhältnissen entspricht. Erhoffte Einsparung bis zu 500 Millionen Euro.
 
Sanktionen: Bisher führt die Weigerung, eine zumutbare Arbeit anzunehmen, für die Dauer von 3 Monaten zu einer Kürzung des AKG II um 30 %. Wohn- und Nebenkosten bleiben unberührt. Künftig wird nicht nur die Regelleistung gekürzt, sondern auch die Wohn- und Nebenkosten. Führt bisher eine erneute Arbeitsverweigerung nur in den ersten drei Monaten zu einer weiteren Kürzung um nochmals 30%, so wird dieser Zeitraum künftig auf ein Jahr erweitert. Wer also innerhalb eines Jahres zweimal eine angebotene Tätigkeit ablehnt, bekommt 60% weniger Leistungen vom Jobcenter. Bezieher vom Arbeitslosengeld I, die wegen einer Pflichtverletzung eine Sperrzeit von der Arbeitsagentur bekommen haben, können bei Bedürftigkeit in dieser Zeit ALG II beantragen. Bisher erhalten sie den vollen ALG-Regelsatz. Künftig sollen sie 30% weniger erhalten. Bei Hilfsbedürftigen unter 25 Jahren entfallen bei Pflichtverletzungen die Regelleistungen ganz und gar. Sie erhalten nur noch Sachleistungen (Lebensmittelgutscheine ect.). Da dies zu erheblichen Härten führt, soll für diese jungen Hilfeempfänger eine flexible Regelung geschaffen werden.
 
Bedarfsgemeinschaft: Wenn zwei Personen in einer Wohnung leben, müssen sie zukünftig beweisen, dass keine eheähnliche Gemeinschaft besteht. Wenn beide eine eigene Bedarfsgemeinschaft bilden wollen. Bisher müssen die Jobcenter das Gegenteil nachweisen. Die Behörden können künftig davon ausgehen, dass eine eheähnliche Gemeinschaft in einem gemeinsamen Hauhalt besteht, wenn eine von 4 Kriterien erfüllt ist: 1. Die PartnerInnen leben länger als 12 Monate zusammen; 2. Sie haben gemeinsame Kinder; 3. Sie verfügen über ein gemeinsames Konto; 4. Sie sind verantwortlich für die Versorgung von Angehörigen. Die alleinige Behauptung der Partner, dass sie nicht füreinander einstehen also keine eheähnliche Gemeinschaft bilden, reicht nicht aus, um die Vermutung des Jobcenters zu widerlegen.

Nichteheliche Gemeinschaften, als gleichgeschlechtliche Partner, die zwar zusammenleben jedoch nicht nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz verpartnert sind, werden künftig genauso behandelt wie eheänliche Gemeinschaften. Ihr jeweiliges Einkommen wird bei der Prüfung der Hilfsbedürftigkeit zusammen herangezogen.
 
Vermögen: Vorgesehen ist eine Senkung des Grundfreibetrages von derzeit 200 Euro auf 150 Euro pro Lebensjahr. Die Höchstgrenze für Vermögen, das nicht beim ALG II berücksichtigt wird, liegt dann bei 9.750 Euro. Was darüber hinausgeht, wird auf das ALG II angerechnet. Im Gegenzug soll der Altersvorsorgefreibetrag von derzeit 200 auf 250 Euro pro Lebensjahr erhöht werden, mit einer Höchstbegrenzung auf 16.250 Euro. Diese Maßnahme soll dazu dienen, mehr Vermögen für die Altersvorsorge der ALG-II-Empfänger anrechnungsfrei zu lassen. Auch der Vermögensfreibetrag für Kinder wird abgesenkt, auf 3.100 Euro. Damit soll verhindert erden, dass in Bedarfsgemeinschaften mit Kindern deren ungenutzte Freibeträge von Familienangehörigen genutzt werden.
 
Kinderzuschlag: Familien, die nach Ausschöpfen ihres Arbeitslosengeldes I Anspruch auf Arbeitslosengeld II und den befristeten Zuschlag hätten, können diesen oft nicht in Anspruch nehmen, weil sie vorrangig Anspruch auf Kinderzuschlag haben. Künftig sollen Familien frei wählen können, welchen Zuschlag sie nehmen.
 
Babyausstattung: Es wird nun klargestellt, dass zu einer Erstausstattung nicht nur die Babybekleidung gehört, sondern auch ein Kinderwagen und Kinderbett.
 
Warmwasserkosten: Die Kosten für Strom und Warmwasser gehören nicht zu den Unter-bringungskosten, für die die Kommunen zuständig sind. Sie müssen aus der laufenden Regelleistung bestritten werden.
 
Umzugskosten: Die Gemeinden werden verpflichtet, bei notwendigen Umzügen von ALG-II-Empfängern die Kosten für den Umzug zu übernehmen und die Zusicherung der Übernahme der Aufwendungen zu erteilen.
 
Mietkosten: Zieht ein ALG-II-Bezieher aus einer Wohnung mit angemessener Miete in eine andere, die zwar teurer ist, aber immer noch im Rahmen liegt, so werden für die neue Wohnung nur die bisherigen niedrigeren Kosten übernommen.
Das gilt nicht, wenn der Umzug notwendig und von der Arbeitsagentur genehmigt ist.
 
Pflegegeld: Nicht auf das ALG II angerechnet wird auch weiterhin Pflegegeld für das erste Kind.
Pflegegelder für die Betreuung weiterer Kinder werden aber künftig als Einkommen beim ALG II angerechnet: Für das 2. und 3. Kind wird das Pflegegeld je zur Hälfte, für das 4. und 5. Kind zu 75% angerechnet.
Ab dem 6. Kind erfolgt die Anrechnung des Pflegegeldes (es wird mit 202 Euro pro Kind und Monat angesetzt) in voller Höhe. Damit soll verhindert werden, dass Kindespflegeschaft zum Gelderwerb dient.
 
Der Ein-Euro-Job
EmpfängerInnen des Arbeitslosengeld II können oder sollen sogenannte 1-Euro-Jobs annehmen, und das geschieht auf folgender Grundlage:
 
1. Das Gesetz
Mit dem am 1.1.2005 in Kraft getretenen Sozialgesetzbuch II (SGB II) hat der Gesetzgeber die Grundsicherung für arbeitsuchende bzw. arbeitslose aber arbeitsfähige Personen geregelt, die keinen Arbeitslosengeldanspruch besitzen bzw. deren Anspruch ausgelaufen ist.

Nach § 7 Abs. 1 SGB II sind leistungsberechtigt alle Personen zwischen dem 15. und 65. Lebensjahr die erwerbsfähig sind, hilfebedürftig und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Zusätzlich können nach § 7 Abs. 3 SGB II auch Personen Leistungen erhalten, die mit erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einer Bedarfsgemeinschaft leben.

Neben Geld- und Sachleistungen wie ALG II, Leistungen für Unterkunft und Heizung, Sozial- und Einstiegsgeld gehören zu den Leistungen der Grundsicherung auch Leistungen zur Eingliederung in Arbeit.

Nach § 14 SGB II müssen die Leistungsträger (Bundesagentur für Arbeit, Sozialamt) erwerbsfähige Hilfebedürftige mit dem Ziel der Eingliederung in Arbeit umfassend unterstützen. Diese Leistungsträger haben unter Beachtung der Grundsätze von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit alle erforderlichen Leistungen für die Eingliederung in Arbeit zu erbringen.

Eine Form der Eingliederung neben der Begründung von Arbeitsverhältnissen ist die Schaffung von Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwendungsentschädigung nach § 16 Abs. SGB II.

Diese Form der Förderung wird im Volksmund und in der Öffentlichkeit als “Ein-Euro-Job” bezeichnet. Dabei muss aber beachtet werden, dass neben der Mehraufwandsentschädigung von z.B. 1 Euro pro Stunde auch das ALG II gezahlt wird und die Leistungen als Einheit zu sehen sind. Bei der Ausgestaltung hat sich der Gesetzgeber an die früheren Regelungen des § 19 Abs. II BSHG (Bundessozialhilfegesetz) angelehnt.

2. Beteiligte Personen
Mit der Schaffung und Durchführung von Arbeitsgelegenheiten im Sinne des § 16 Abs. 3 SGB II sind 3 Rechtsträger im Sinne eines “Dreiecksverhältnisses” beteiligt.

Zunächst gibt es den Leistungsempfänger, das ist der “erwerbsfähige Hilfebedürftige”, d.h. die arbeitslose Person.
Der zweite Beteiligte ist der “Leistungsträger”. Dieser ist für die Eingliederung in Arbeit und ggf. für die Leistungen zur Eingliederung verantwortlich. Es handelt sich dabei entweder um die
(1) Agentur für Arbeit oder um die
(2) Arbeitsgemeinschaft zwischen der Agentur für Arbeit und einem kommunalen Träger nach § 44 b SGB II oder um einen (3) kommunalen Träger, der von einer Option nach § 6 a SGB II Gebrauch gemacht und die Aufgaben nach dem SGB II selbst übernimmt (z.B. Kreis-Job-Center).
– Bei den weiteren beteiligten “Dritten” handelt es sich um die Person, die die Arbeit, die Arbeitsstelle oder den Betrieb zur Verfügung stellt und für die der Leistungsempfänger die Arbeit durchzuführen hat. In einem Arbeitsverhältnis, das der Ein-Euro-Job nicht ist, wäre dieses der Arbeitgeber. Hier könnte der betreffende als “Dienstherr” bezeichnet werden.
Damit gibt es also drei Rechtsverhältnisse:
– Das Verhältnis des Leistungsemp-fängers zum Leistungsträger (z.B. Arbeitsagentur),
– das Verhältnis des Leistungsträgers zum Dritten, den Dienstherren,
– das Verhältnis des Leistungsempfängers zum Dritten, den Dienstherren.
 
3. Arbeitsgelegenheiten
Der “Ein-Euro-Job” wird in sogenannten “Arbeitsgelegenheiten” durchgeführt
Für erwerbsfähige Hilfebedürftige, die keine Arbeit finden können, sollen nach § 16 Abs. 3 SGB II solche Arbeitsgelegenheiten geschaffen werden. Bedingung für Arbeitsgelegen-heiten ist: es müssen
1. im öffentlichen Interesse liegende Arbeiten durchgeführt werden,
2. diese Arbeiten müssen zusätzliche Arbeiten sein,
3. sie dürfen nicht als Arbeitsbeschaffungs-maßnahmen gefördert werden.
In diesen Fällen ist dem Arbeitslosen zuzüglich zum ALG II eine angemessene Entschädigung für Mehraufwendungen zu zahlen (Mehraufwen-dungsentschädigung).
 
Kritik der Ein-Euro-Jobs
Natütlich kann man den Ein-Euro-Job von unterschiedlichen Standpunkten her kritisieren. Hir haben wir eine Zusammenfassung der Kritikpunkte:

Aufgrund der Einführung der Ein-Euro-Jobs ist zu befürchten, dass die Beschäftigungs- und Entlohnungsbedingungen aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dadurch angegriffen werden.

Öffentliche und private Arbeitgeber könnten sich weiter aus ihrer Verantwortung zur Schaffung von regulären Arbeitsplätzen zurückziehen und dazu beitragen, dass sich Stellenabbau beschleunigt.

Dies wird unter anderem dadurch erreicht, indem eine bewusst erzeugte Unterfinanzierung der öffentlichen Haushalte forciert wird.
Durch Hinweis auf die leeren Kassen wird eine gesamtgesellschaftliche Akzeptanz erreicht, notwendige Arbeiten durch Ein-Euro-Jobs erledigen zu können.

Qualifizierte Beschäftigte werden verdrängt (z.B. in der Pflege oder in Kindertagesstätten) und faktisch ein Niedriglohnsektor in verschiedenen Bereichen eingeführt, da es sich i.d.R. nicht um zusätzliche oder ergänzende Aufgabenfelder handelt.
Somit führt der Einsatz von Ein-Euro-Jobs zu einer Beschleunigung des Stellenabbaus. Darunter leidet auch die Qualität in den Einrichtungen.
 
„Arbeitsgelegenheiten” tragen in gewissem Umfang dazu bei, dass die Statistik der Bundesagentur „geschönt” ist. Denn 1-EURO-Jobber gelten gemäß § 16 II SGB III nicht als arbeitslos.

Eine der kritischen Anmerkungen hierzu ist, dass die den Ein-Euro-Jobs zugrunde liegende rechtliche Regelung des § 16 (III) SGB II kein Arbeitsverhältnis im Sinne des Arbeitsrechts beinhaltet.

Sie ist insoweit verfassungsrechtlich bedenklich, als “damit viele hunderttausend Menschen in einen Zustand der Rechtlosigkeit oder Rechtsunklarheit versetzen werden” (Zitat aus Prof. Dr. G. Stahlmann, 1-Euro-Jobs aus rechtlicher Sicht).

Auch Handwerkspräsident Otto Kentzler hat die starke Zunahme der Ein-Euro-Jobs in Deutschland heftig kritisiert. „Bei den Ein-Euro-Jobs brechen alle Dämme”. Ihre Zahl sei 2005 auf weit über 200.000 gestiegen, die Bundesregierung peile sogar 600.000 an, so Kentzler.

Die Kommunen setzten die Arbeitslosen oft dort ein, wo sie bis vor kurzem noch Handwerksfirmen beauftragt hätten. Somit verdrängten die Jobber die regulär Beschäftigten, die dann auch in der Arbeitslosigkeit landeten.

Kritisiert wird auch, dass Menschen durch die Regelungen zu Ein-Euro-Jobs in Verbindung mit den verschärften Bedingungen des Arbeitslosengeldes II mit staatlicher Hilfe in prekäre Arbeitsverhältnisse gezwungen werden.

Dabei werden bisweilen von den Kritikern Parallelen zum Reichsarbeitsdienst im Nationalsozialismus gezogen. (Quelle: Sozialforum Wiesbaden)
 
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