- 87. Ausgabe, Sommer-LUST 06
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- Das Weltbild des konservativen schwulen
Mannes unserer Tage
Gespräche mit Menschen, die nicht dem eigenen Freundeskreis
angehören, die nicht unbedingt ein ähnliches Bild über
die Verhältnisse in der Gesellschaft haben, sind deshalb
wichtig, weil man von deren ideologischen Strukturen und politischen
Entscheidungen lernen kann. Es nutzt ja nichts, weil deren gesellschaftliche
Auffassung unserem eigenen Denken so fremd ist, wenn man verdrängen
will, wie derzeit die gesellschaftlichen Mehrheiten konservativ
beeinflusst werden, einschließlich der Mehrheiten in unserer
Szene.
1. Das Gespräch
Ach weißt Du, sagt er aufgebracht, Du
erzählst hier schon beinahe eine Stunde, was Ihr als Gruppe
in der Vergangenheit so alles gemacht habt, und von den Parteien
und was Ihr gemeinsam mit dem Republikanern besprechen wollt.
Interessiert Dich denn nicht, was andere Leute dazu meinen? Interessiert
Dich denn nicht, was man heute dazu sagt? Interessiert Dich nicht,
wie z.B. jungen Leute das alles sehen? Es sagte nicht:
Wie ich das sehen, oder wie wir´ das sehen,
weil er nicht so recht erklären könnte, was wir
ist. Aber er griff weiter an: Du erzählst von dem
Mahnmal, das Ihr´ haben wollt. Gib doch zu, dass
Du´ das haben willst. Wen interessiert denn sonst
ein Mahnmal? Meinst Du in den Lokalen interessiert irgend jemanden
ein solches Mahnmal? Homosexuelle auf dem gemeinsamen
Gedenkstein sagt aus, dass Homosexuellendiskriminierung oder
-Verfolgung in den Katalog der Greueltaten gehört, deren
sich die Nazis bedient haben, erkläre ich unser Anliegen.
Als Hintergrund für dieses Argument steht die langjährige
Politik der Schwulenbewegung, in der Gesellschaft die Diskriminierungen
gegen uns als genau so anrüchig zu kennzeichnen wie gegen
andere Opfergruppen der Nazis.
Seinem emotionalen Ausbruch vorangegangen war mein Bericht, dass
in Wiesbaden Initiativen und Parteien 20 Jahre lang versucht
haben, ein gemeinsames Mahnmal für alle Opfergruppen des
deutschen Nazistaates zustande zu bringen, und dass das von einer
Mehrheit von CDU, FDP und Republikanern im vergangenen Jahr gekippt
worden ist, und dass das neue Wahlergebnis der Stadtverordnetenwahl
da keine Besserung gebraucht hat.
Wie interpretiere ich nun diesen gefühlsmäßigen
Ausbruch des Gesprächspartners? Also analysiere ich, was
ich gehört habe: Er hat sich über meinen Bericht geärgert,
das war deutlich. Aber warum? Nehme ich ihn intellektuell ernst,
dann haben ihn die Inhalte gestört. Er hat sich nicht über
die CDU geärgert, dass sie mit den Republikanern paktiert
hat gegen die (auch homosexuellen) Opfer des Nazistaates. Er
hat sich wohl stattdessen über unser Anliegen geärgert,
dafür zu sorgen, dass das gemeinsame Mahnmal doch gebaut
wird und dass auf diesem die Homosexuellen nicht fehlen dürfen.
Nicht ohne Bosheit verwechselte er die Parteien, mit denen wir
darüber gesprochen hatten, mit den Republikanern. Warum
aber war er so sauer?
Ich kann nur annehmen, er steht der CDU in irgend einer Form
nahe. Also hat ein Denkmal unnötig zu sein, taugt nichts,
damit die CDU aus der Schusslinie kommt, so könnte dann
wohl seine Logik sein, denn der Pakt der Union mit den Reps ist
ja gerade in dieser Frage schon recht bezeichnend.
Ihr kritisiert die LSU (Lesben und Schwulen in der Union),
aber die hat es geschafft, dass die Wiesbadener CDU-Direktkandidatin
Köhler beim Ball der Aidshilfe eine Rede gehalten hat. Ist
das denn nichts? ruft er aus. Ich denke: Na ist es
denn ein Vorteil, dass diese CDU-Frau jetzt in einer Weise auftritt,
als sei die Union plötzlich für die Menschen unserer
Szene wählbar?
Ich antworte: Ja, das ist doch ihre Aufgabe von Lesben
und Schwulen in der Union, wie es zum Beispiel die Aufgaben der
HUK ist, in der Kirche für eine andere Haltung gegenüber
homosexuellen Menschen einzunehmen. Aber ich finde ihre Reklame
zugunsten der Union unter den Schwulen nicht gut. Ich finde beim
LSU-Wahlkampf für die CDU nicht gut, dass homosexuelle Menschen
ausgerechnet eine Partei wählen sollen, von der uns immer
wieder große Schwierigkeiten gemacht wird.
Tja, natürlich, uns werden ja gar keine Schwierigkeiten
gemacht, sondern nur mir werden Schwierigkeiten gemacht,
weil ich solche überzogenen Forderungen wie z.B. das Mahnmal
habe, könnte er nun denken, auch wenn er es nun nichts dazu
sagt.
Ich nenne als Beispiel die erneute Verfassungsklage Bayerns,
diesmal gegen die Stiefkindadoption. Ja, sagt er,
der Stoiber lebt ja noch im Mittelalter.
Soll mich das irgendwie trösten? Oder will er mir hier etwas
über sein Menschenbild mitteilen? Ist das denn eine Sache
eines einzigen rückständigen Menschen, der noch im
Mittelalter lebt und nicht Sache eines aktuellen konservativen
Menschenbildes, hier am Beispiel homosexueller Menschen angewandt?
Jeder sucht sich aus dem konservativen Weltbild das raus, was
ihm passt und ignoriert einfach, was ihm nicht passt?
Er wechselt plötzlich zum Thema Jugendgewalt an den
Schulen, spricht von der antiautoritären Erziehung,
die daran schuld sei und die es angeblich irgendwann und irgendwo
einmal real gegeben habe. Jeder im Raum weiß, dass dies
nun ein Ablenkungsmanöver ist. Wir waren damals und
sind heute noch gegen autoritäres Verhalten. Andererseits
sind Fachautoritäten wichtig, und das haben wir früher
auch so gesehen.
Aber ich selber bin ein bisschen irritiert und auch angeschlagen,
weil dessen Aussagen ja in der Szene keine Einzelmeinung mehr
darstellen. Das Argumentieren meines Gesprächspartners macht
mir bewusst, was derzeit in der Schwulenszene und überhaupt
in der Gesellschaft los ist.
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- 2. Die liberalkonservative Ideologie
Im Gegensatz zu unserer emanzipatorischen Weltanschauung, die
der Aufklärung, der sozialen gegenseitigen Verbindlichkeit
und dem Humanismus verpflichtet ist, finden wir zunehmend überall
in der Gesellschaft ein konservativliberales Weltbild vor.
Während unser Weltbild, Gesellschaftsbild und Menschenbild
inhaltlich zusammenpassen und einen logischen Zusammenhang darstellen,
ist es bei Menschen mit einem anderen Weltbild genauso, und sie
haben infolgedessen das andere Gesellschafts- und Menschenbild,
das mit ihrem Weltbild einen Einheit bildet.
Die konservativ-liberale Ideologie ist konservativ, was die Identität
gegenüber Staat und Wirtschaftsordnung betrifft, sie ist
liberal, was die Freiheit der Wirtschaft gegenüber der Gesellschaft
und die soziale Frage betrifft. Dieses Weltbild ist gegenwärtig
auch der Trend in der Gay-Szene, wenn auch nicht durchgängig.
Das ist deshalb so bedauerlich, weil diese Ideologie so angelegt
ist, dass sie zynische Formen der Menschenverachtung beinhaltet
und keine wirkliche Abgrenzung gegenüber Rechtsaußen
aufweist.
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- 2.1. Das Menschenbild
Aus unserer Sicht ist der Mensch ein soziales Wesen, das Erlernen
des Menschseins in der jeweiligen menschlichen Gesellschaft macht
das Menschliche der Affenart Mensch aus. Der Individualismus
ist eine wichtige Errungenschaft in der Entwicklung des sozialen
(gesellschaftlichen) Wesens Mensch. Der Individualismus, ein
Kind der Aufklärung, befreite den Menschen von der geistigen
Gängelung mittels der Religion; das auf naturwissenschaftliche
Erkenntnisse beruhende technische Zeitalter ist ein anderes Kind
der Aufklärung und diese beiden Bereiche bedingen einander.
Der Konservativismus ist für die ideologische Bindung an
Religion und Staatsdoktrin, den Hintergrund bildet das Wirtschaftsinteresse
der marktwirtschaftlichen Oberschicht. Er beinhaltet aber zumindest
teilweise eine gewisse soziale Verantwortung gegenüber den
Arbeitnehmern und Abhängigen. Konservative haben nämlich
gelernt, dass das Unterdrücken von unruhig oder rebellisch
gewordenen ArbeitnehmerInnen teurer sein kann als kleine beruhigende
soziale Zugeständnisse.
Der Liberalismus geht von der individuellen Freiheit des Menschen
aus, ist hier ohne Individualismus nicht denkbar. Er stellt sich
aber gegen soziale Strukturen in der Gesellschaft zum Schutz
Benachteiligter, denn der Liberalismus verneint deshalb die soziale
Verantwortung der Menschen füreinander, weil das mit seinem
Glauben an das individuelle Schicksal und die individuelle Leistung
zusammenhängt. Ein Händler z.B. weiß: der Gewinn
des einen ist der Verlust des anderen. Und wenn jeder seines
Glückes Schmied ist, dann ist das Glück des einen für
das Unglück des anderen verantwortlich. Aber der Verlierer
dieses Handels ist aus liberaler Sicht selber dafür verantwortlich,
denn er hatte ja die Freiheit, es anders zu machen. Deshalb ist
soziale Verantwortung nur sinnvoll, wenn sie sich rechnet. Soziale
Verantwortung kann sich nur rechnen, wenn man damit wieder Geld
machen kann, zum Beispiel mit privaten Versicherungen, deren
Ziel es primär ist, Gewinne zu realisieren, statt durch
solidarische Versicherungen.
Bei der gegenwärtigen konservativ-liberalen Grundströmung
in der Gesellschaft richtet sich das liberale Element vehement
gegen soziale Hilfsstrukturen in der Gesellschaft, und das konservative
Element richtet sich gegen die emanzipatorische Befreiung des
Individuums von den beiden Herrschafts-Ideologien Religion und
Nationalismus.
In dem o.a. Textbeispiel wird von dem konservativen Schwulen
der Stoiber nicht als Repräsentant eines politischen Interesses
gesehen, der eine ganz bestimmte Klientel von WählerInnen
bedient, um einer bestimmten sozialen Schicht zu dienen. Er wird
als Mann gesehen, der eine Auffassung vertritt, die aus der Zeit
sei.
Das individuelle Bewusstsein dieses Menschen Stoiber, so wird
das gesehen, verändert die Politik. Das Bewusstsein verändert
das Sein, die Idee verändert die Materie, am Anfang war
das Wort, das die materielle Welt schuf. Dieses idealistische
Weltbild, von der Idee ausgehend, die die materielle Welt erzeugt
oder verändert, ist die Essenz des religiösen und des
konservativen Denkens, davon abgeleitet ist der Mensch eben schuldhaft
böse, dumm oder uneinsichtig, bedarf der (konservativen
oder religiösen) Führung. Er ist Gegner, wenn er nicht
gewinnbringend dient, da er dann nicht nützlich, sondern
schädlich ist.
Und so finden wir in konservativer Argumentation kategorische
Urteile über Menschen: Das ist ein mieser Mensch, ein machtgieriger
Mensch, eine Null, ein Versager, ein Verbrecher, ein Hungerleider.
Dieser Mensch muss infolgedessen daran gehindert werden, den
anderen Menschen zu schaden.
Der andere Mensch ist ein Siegertyp, ein erfolgreicher Mensch,
ein Führertyp oder großartiger Unternehmer oder Politiker.
Er ist charakterlich korrekt, deshalb ist an seinen Entscheidungen
nicht zu zweifeln. Ihm muss der Weg bereitet werden.
Ein Mensch ist dies oder das, ein für allemal. Und so bin
ich als Linker schwuler Mann ein schlechter Mensch, der (ihnen)
keinen Nutzen bringt, ein für allemal.
Damit es klar ist: das linke Menschenbild geht von der gegengesetzten
These aus, treffend formuliert von Marx: Das Sein prägt
das Bewusstsein. Unter welchen Bedingungen und Verhältnissen
ein Mensch lebt, das beeinflusst seine Interessenslage und seine
Auffassung darüber sowie seine Meinung über den Menschen
und die Gesellschaft. Ein Mensch ändert sich im Laufe seines
Lebens aufgrund unterschiedlicher Lebensbedingungen. Man muss
Rahmenbedingungen schaffen, die es dem Menschen ermöglichen,
sich zu entfalten und sich zu emanzipieren.
Immerhin entspringt aus dem konservativen Menschenbild auch eine
andere Gesellschaftspolitik als es das durch das eher progressive
(emanzipatorische, linke) Menschenbild nahe legt. So versucht
man in der konservativen Gesellschaftspolitik einzelne Menschen,
die für die konservativen Zeile nützlich erscheinen,
aus den Armuts- und Elendsgebieten bzw. niedrigen sozialen Schichten
aufsteigen zu lassen, die Gebiete und Schichten im Übrigen
aber so zu belassen, denn man sieht ja in der Differenz den eigenen
Vorteil. Nach dem progressiven Menschenbild möchte man sowohl
die Lage der unteren Schichten insgesamt verbessern wie auch
die Situation in den Armuts- und Elendsgebieten, da man vom Grundsatz
her die Gleichwertigkeit des Menschen sieht und die Realität
der Gleichwertigkeit anstrebt.
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- 2.2. Wir und die GegnerInnen
Homosexuelle Menschen werden und wurden in der Regel von religiösen
oder konservativen Menschen und Regierungen verfolgt. (Auch in
angeblich linken Gesellschaften gibt es in gesellschaftlichen
Fragen konservative bzw. religiöse oder pseudoreligiöse
Strukturen).
Prof. Martin Danecker spricht vom unstillbare(n) Wunsch
nach Anerkennung der schwulen Männer. Dies führt
Tilmann Moser auf eine narzisstische Kränkung
zurück, die die Gesellschaft jungen homosexuellen Männern
bei ihrer Mannwerdung zufüge, also eine Beschädigung
der Selbstliebe. Vielleicht ist es dieser Umstand, der zu den
bizarren Verhaltensweisen der Überanpassung gerade an die
GegnerInnen führt.
Da gibt es Parteien und PolitikerInnen, die aufgrund ihres eigenen
Profils und ihrer Zielsetzung das eine oder andere Zugeständnis
ihren homosexuellen MitbürgerInnen machen, daß diese
aber eher links sind, beeindruckt das die konservativen Schwulen
nicht.
Und dann gibt es Parteien (und die PolitikerInnen dieser Parteien),
die uns und unsere Lebensart ständig angegriffen haben,
die dazu beigetragen haben, dass über 50.000 schwule Männer
in der jungen Bundesrepublik verurteilt wurden, ihre bürgerliche
Existenz verloren, von dem Druck auf die Menschen unserer Szene
ganz zu schweigen. Sie haben sich nur quantitativ und nicht qualitativ
geändert, denn sie strengen noch immer zum Beispiel Verfassungsklage
gegen die Verpartnerung von Homopaaren und die Stiefkindadoption
an usw.
Und genau von solchen Leuten wollen die konservativen Schwulen
ihre Anerkennung erhalten. Am glücklichsten wären sie,
wenn auch noch der Papst sie besonders anerkennen würde,
und wenn es nur dafür wäre, dass sie selber an einer
neuen Schwulenhatz beteiligt wären. Und ihre Feinde
wären die bewegten Schwulen, die sich das nicht gefallen
lassen wollten.
Das sich Andienen, gerade an unsere historischen
GegnerInnen macht zum Teil nicht mal bei unseren schärfsten
GegnerInnen halt, den rassistischen Nazi-Führern und den
Nazi-Banden. Und so kommt es, dass es die Gay-Family oftmals
mit Leuten in Behörden und Parteien zu tun bekommt, die
ihre eigene Karriere in minderheitenfeindlichen Strukturen gemacht
haben und weiter machen wollen, obwohl sie selber einer Minderheit
angehören, meist dort unerkannt, manchmal neuerdings aber
auch offen.
Sie sind zwar z.B. schwul, aber das wissen sie erst einmal hintan
zu stellen, denn sie sind ja Anhänger eines konservativen
Weltbildes. Und ein Konservativer will ja nicht die Verbesserung
für alle, sondern im Gegenteil braucht er ja Leute unter
sich, er will somit das Beste nur für sich. Und daher ist
es der Wunsch konservativer Schwuler, möglichst normal
zu sein (dann vielleicht einen Hausboy zu haben, der ihnen die
übrigen Probleme beseitigt?).
Die gewünschte Normalität hält sich im täglichen
Leben von vielen konservativen Schwulen in Grenzen, eine Homo-Ehe
mit einem Mann vom gleichen Stand soll es schon sein, obwohl
gerade ihre Partei dagegen vorging.
Man benötigt für solche egoistischen Ziele eine stark
hierarchische Gesellschaft mit wenig Möglichkeiten für
die unteren Schichten und die Minderheiten, sich dagegen zu wehren.
Konservative Politik hat keine Trennschärfe gegenüber
den Nazis. Wir wissen ja aus der Geschichte, dass Mussolini und
Hitler nur eine Chance hatten, die Macht zu ergreifen, weil sie
durch die Konservativen unterstützt wurden. Das nur nebenbei
und solch eine Situation ist gegenwärtig nicht in Sicht.
Wir dürfen aber nicht vergessen, dass Berlusconi in Italien
nur an die Macht kommen konnte, weil er in sein Parteienbündnis
eine neofaschistische Partei mit aufnahm. Wäre so etwas
auch in Deutschland durch die CDU/CSU denkbar?
Kommen wir aber zurück zum konservativen Denken in der Schwulenszene.
Um nun konservative Lesben- bzw. Schwulenpolitik zu machen, benötigen
konservative Schwule (von Lesbenpolitik kann man hier nicht wirklich
sprechen) Themen, bei denen gegenüber der Gesellschaft moralisch
argumentiert werden kann, denn damit könnte man als CDU-Unterorganisation
nach außen gehen. Nun ist bekannt geworden, dass es in
Deutschland im Jahr 2005 bezüglich HIV statt wie sonst ca.
2.000 doch 2.500 Neuinfektionen gegeben hat. Sofort wurde die
Öffentlichkeit alarmiert und besonders die Aids-Hilfe unter
Druck gesetzt, die öffentliche Gelder für Präventionsarbeit
(Aufklärungsarbeit) erhält. Da gleichzeitig bekannt
wurde, dass sich neuerdings eine Reihe von Schwulen öffentlich
als Barebacker darstellen (die also ohne Sattel reiten
wollen), war natürlich klar: dadurch sind die höheren
Zahlen zu erklären. Vielleicht ist es notwendig zu erklären,
dass dies ja auch die natürliche Form von Sexualität
ist, und dass Sex mit Hilfsmittel (beispielsweise Pariser) eigentlich
eine Zumutung ist, die für sexuelle Handelnde nur durch
die HIV-Prävention einsehbar ist. Nun gibt es Barebacker
im gleichen Sero-Status, also beide negativ oder beide positiv,
von denen kann eigentlich keine nennenswerte Steigerung der Neuinfektionen
kommen. Sogenannte Bareback-Parties: Wer dort hingeht, weiß,
dass er sich infizieren kann. Es sind dies also entweder schon
Infizierte, oder solche, die es nicht mehr interessiert, nach
Jahren von safer Sex, ob sie sich infizieren oder nicht. Wie
kann die Aidshilfe auf Leute einwirken, die das Risiko kennen
und sich so entscheiden? Schließlich ist Aids in Europa
von einer tödlichen zu einer ansteckenden chronischen Krankheit
mutiert. Die Aids-Hilfe muss immer noch in einer Weise argumentieren,
dass sich Menschen freiwillig selber schützen.
Der Doppelmoral der Moralisten entsprechend, denn niemand ist
ja gefährdet, der sich auf die eine oder andere Art selber
schützt, fordert die LSU ein Strafgesetz gegen Barebacking,
und es fand sich auch gleich eine junge ansonsten profillose
CDU-Abgeordnete, die das parlamentarisch umsetzen will. Aber
dieses Ansinnen fand wegen ihrer Absurdität kein großes
Kampagnen-Echo in den Medien, und so wurde wohl eine Gesetzesinitiative
gegen Veranstalter von Safer-Sex-Parties daraus, deren Schicksal
ungewiss ist. Argumentiert wurde, wie bei Konservativen üblich,
mit der angeblichen kindlichen Unschuld junger Schwuler. Nämlich
es könnten Jugendliche im coming-Out in ihrer Unwissenheit,
von älteren Schwulen verführt, in solche Parties geraten.
Trifft dies das Problem, wirklich die Neuinfektionen einzudämmen?
Man sollte stattdessen die Mittel für Präventionsarbeit
nicht kürzen und sich bei den Aidshilfen bessere und neuere
Präventionskampagnen ausdenken.
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- 2.3. persönliche Zukunftswünsche
Wie will ich leben? Nicht alleine. Ich brauche Mitmenschen. Ich
bin durch andere Menschen ein Mensch geworden, indem ich z.B.
eine Sprache erlernte mit Begriffen, die zum Begreifen nötig
sind. Nun ist es nicht so einfach, Mitmenschen zu finden in einer
Gesellschaft, die sich Mühe gibt, ständig Unmenschen
zu erzeugen.
Ich möchte eigentlich mein ganzes (verbleibendes) Leben
lang mit Menschen zusammenleben, bei denen ich sicher sein kann,
dass sie nichts machen würden, was mir und uns schaden würde.
Diese Menschen nenne ich meine Familie, genauer: meine Wahlfamilie.
Das gemeinsame Leben (das Sein) prägt das Bewusstsein. Wir
würden uns daher gegenseitig gut verstehen. Ich möchte,
dass wir zusammen einigermaßen zufrieden leben können.
Und dann möchte ich, dass diese Zufriedenheit auch andere
Menschen haben können, und dass niemand sie entbehren muss,
so lange er/sie es so mag. Er/Sie soll auch immer schönen
und zufriedenstellenden Sex haben, das gehört schließlich
auch dazu. Ach ja, da man ja auch älter wird: lange und
bezahlbare Gesundheit.
Wäre ich konservativ, würde ich dieses Zukunftswünsche
für naiv und lächerlich halten. Harmoniesehnsüchte
würde ich nach außen vorgeben und erwarten, dass andere
sie mir gegenüber erfüllen. Vielleicht würde ich
auch an Harmonie glauben. Sie wären aber real falsch, weil
mein individuelles Glück von der Disharmonie, von den Gegensätzen
abhängig wäre. Ich wäre ja an dem Gegensatz von
Macht und Ohnmacht, Reichtum und Armut, Oben und Unten usw. interessiert,
und zwar so, dass ich immer auf der Gegensatzseite wäre,
die nach meiner konservativer Auffassung als die bessere Seite
gelten würde.
Für meinen Gewinn bräuchte ich den Verlust des anderen,
für meine Zufriedenheit bräuchte ich die Dienste des
anderen, auf dessen Zufriedenheit ich nicht zu achten brauche,
es sei denn, ich wäre dazu genötigt. Gütig sein
kann nur der Sieger. Auf jeden Fall bräuchte ich immer das
Unglück der anderen für meinen Vorteil. Mit einer globalen
Harmonie könnte ich nichts anfangen. Und weil ich das den
potentiellen Opfern nicht ins Gesicht sagen möchte, weil
ich mich selber auch nicht so sehen wollte, würde ich Nebelkerzen
werfen. Dazu wären kategorische Feindbilder aber vor allem
Religionen recht dienlich.
- 2.4. Gesellschaftsbild
Da haben die Konservativen anscheinend eine ganz andere Fiktion
als die an Emanzipation interessierten Menschen. Und weil
der Mensch ein Mensch ist, drum hat er Stiefel im Gesicht nicht
gern. Er will unter sich keine Sklaven sehn und über sich
keine Herrn; schreibt Brecht in einem seiner berühmten
Songs. Damit kein Mensch ein Sklave eines anderen sein muss,
muss er sich von den Zwängen emanzipieren, die anderen Macht
über Menschen gibt. Emanzipation ist für niemanden
möglich, der sie nicht aus seinem inneren Verlangen heraus
will.
Zur Emanzipation gehört aber in erster Linie, dass man lernen
kann und will, damit man auch mit einigem Erfolg seine Emanzipation
betreiben kann. Man muss nämlich einen realistischen Blick
auf das Zusammenspiel der Kräfte in der Gesellschaft haben.
Wenn dann niemand mehr einen Sklavenherrn über
sich duldet, ist nicht nur die individuelle, sondern auch die
gesellschaftliche Emanzipation erreicht, also eine Gesellschaft,
in der die Freiheit des einzelnen die Voraussetzung der Freiheit
aller ist.
Das konservative Gesellschaftsbild möchte die gesellschaftlichen
Unterschiede konservieren also erhalten, und begründet wird
das religiös oder nationalistisch, also nicht mit der wahren
Interessenslage: es geht darum, sich der Vorteile aus diesen
Differenzen zu bemächtigen. Und daher verbreiten Konservative
auch ein Weltbild, dass die Opfer dieser Ordnung fesseln soll.
Bei ihnen ist immer viel von Werten, Moral, Anstand, Tugend und
Ehre die Rede. Ansonsten sind sie für starke staatliche
Kräfte (Polizei, Geheimdienste nach innen und nach außen,
Militär usw.), für scharfe Gesetze und harte Strafen,
die diese Ordnung schützen sollen. Ihre eigenen Gesetzesübertretungen
sehen sie nicht so eng, das es da ja um höhere Ziele
geht.
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- 2.5. Formen politischer Auseinandersetzungen
Wer das Denken nicht attackieren kann, der attackiert den
Denkenden, sagt Andre´ Heller in einem seiner Texte.
Konservative kämpfen gerne mit der persönlichen Diffamierung
zu einem ihnen passenden Zeitpunkt, wo der Gegner sich nicht
wehren kann, und somit mit der gesellschaftlichen Auslöschung
des politischen Gegners.
3 Tage vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg machte
die Bildzeitung mit der SPD-Spitzenkandidatin auf, die in einer
Radiosendung mit Lügendetektor 3 Monate vorher zugegeben
hatte, auch schon mal einen Orgasmus vorgetäuscht zu haben.
In der gleichen Radiosendung gab laut msn-Focus-News der CDU-Ministerpräsident
Oettinger zu, schon mal gekifft zu haben. Während das Kiffen
damals wohl gerade aus konservativer Sicht strafwürdig war,
ist ein vorgetäuschter Orgasmus eigentlich eine private
Sache. In der Bildzeitung macht sich aber eine Nachricht gut,
die als Nachricht abartige Sexualität dargestellt werden
kann, besonders 3 Tage vor der Wahl und besonders gegen eine
SPD-Kandidatin, auch wenn da gar nichts abartiges dran ist sondern
nur Privates. Las man den Artikel genauer, wurde in ihm nur kritisiert,
dass die Politikerin öffentlich über ihre Sexualität
gesprochen hatte, was sie uns gegenüber ja eher sympathisch
macht, aber wir sind nicht die Zielgruppe der Bildzeitung.
Sexuelle Denunziation gehört zu den beliebten politischen
Waffen der Konservativen. Denn diese Waffe verfängt gerade
bei eher vom Sexualneid und konservativen Wertevorstellungen
beeinflussten Menschen, die an die konservativen oder religiösen
Ideologie glauben und selber Verzicht üben, bis auf die
Seitensprünge unter Schuldgefühlen. Und das sind sehr
viele Menschen, wie man sieht.
Man weiß ja, dass selbst der US-Präsident Clinton
in die konservative Sexualfalle tappte. Dass Konservative Meinungsführer
selber dabei keineswegs auf sexuelle Erfüllung verzichten,
sei nur nebenbei vermerkt. Sie laufen auch kaum Gefahr, sexuell
denunziert zu werden, denn die politischen GegnerInnen der Konservativen
können sich nicht erlauben und halten oft auch nichts davon,
Menschen persönlich sexuell zu diffamieren und negative
Stimmungen im Zusammenhang von Sexualität zu erzeugen. Sie
trennen das politische Öffentliche vom Privaten. Das Tabu
vor der Privatsphäre halten Konservative nur in den eigenen
Reihen ein, denn eine Krähe ... Es sei denn, einige gezielte
Bemerkungen um die angebliche Homosexualität der Mitbewerberin
ebnet dem Konkurrenten den Weg in das Amt des Ministerpräsidenten
in einem konservativen Land.
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- 3. Emanzipatorische politische Arbeit?
Das kann man von den Konservativen nicht erwarten, dass sie an
der Emanzipation solcher Menschen interessiert wären, die
besonders von konservativ denkenden Menschen so gesehen werden,
dass diese mit Recht unten sind. Im Gegenteil sind
sie daran interessiert, die ungleichen Verhältnisse, das
Oben und das Unten zu konservieren.
Und die Lesbenbewegung wie die Schwulenbewegung sind daher genauso
GegnerInnen der konservativen Ziele, wie z.B. Gewerkschaften,
die verschiedenen Aufklärer und die unterschiedlichsten
Emanzipationsbewegungen.
Und was ist mit den neuen Lesben- und Schwulenverbänden
in den Kirchen und in der Union? Sie sind in solchen Fragen wirklich
Teile der Lesben- und Schwulenbewegung, als sie die Kirche(n)
und die konservative Partei mit ihrer Anwesenheit in eigenen
Reihen konfrontieren. Sie sind aber objektiv GegnerInnen der
Lesben- und Schwulenbewegung (mit ihren emanzipatorischen Zielen),
wenn sie öffentlich als Schwule für die Kirchen und
die konservativen Parteien mit deren anti-emanzipatorischen Bestrebungen
werben. (js)
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