86. LUST, Frühling 06
Die “rotgrüne Ära”
Hat es denn was gebracht? Wem?
Das war aber eine gute Wahl
Wie es vordem war, sei hier aufgezeigt, weil sich die Vorgänge zum Teil auch in den Unterschieden verdeutlichen. Im 13. Deutschen Bundestag, der letzte der Regierung Kohl, war die PDS über 3 Direktmandate vertreten. Er hatte sich wie folgt zusammengesetzt:
 
 Abgeordnete  CDU/CSU  SPD  Bü90/Grüne  FDP  PDS
 Frauen  42  85  29  8  13
 Männer  252  167  20  39  17
 Zusammen  294  252  49  47  30

Am 27.09.1998 (Bundestagswahl) war der Regierungssitz noch in Bonn. Kohl trat wiederum als KanzlerInnenkandidatIn an, Kohls Minister für besondere Aufgaben und Chef des Presse- und Irformationsamtes war Bohl (der dann angeblich nächtelang Akten vernichtete), in seinem Tross Frau Merkel als MinisterIn für Umwelt-, Naturschutz und Reaktorsicherheit (die verschwieg, dass die Castor-Behälter radioaktiv die Zugbegleiter anstrahlten), die klerikale Frau Nolte als Familienministerin für Frauen Senioren und Jugend (die für den Kalender der rechtsradikalen Wiking-Jugend ein Grußwort schrieb und die im Wahlkampf versehentlich verriet, dass die schwarzgelbe Regierung beabsichtigte, die Mehrwertsteuer zu erhöhen), Waigel als Finanzminister, Kinkel (FDP) Außenminister (nach Genschers Rücktritt), Kanther Innenminister (der immer forsch für “Recht und Ordnung” eintrat und das Parteienfinanzierungsgesetz der schwarzgelben Regierung als eine Einrichtung zur Kontrolle der SPD, der Grünen und der PDS ansah, aber nicht einsah, dass sich CDU/CSU und FDP auch daran halten muss, denn für die Spenden gab es angeblich “jüdische Vermächtnisse), Rühe Verteidigung, Volksschauspieler Blüm als Sozialminister (die Renten sind sicher), Seehofer Gesundheitsminister, Wirtschaftsminister Rexrodt, Wissman Verkehrsminister, Rüttgers Bildungsminister, Entwicklungsminister Spranger (der als Minister für beide ehemaligen deutschen Staaten z.B. in Nicaragua die DDR-Fahne aus der Soli-.daritätsvitrine riss) und weitere finstere Gestalten. Pastor Hinze als CDU-Generalsekretär ging mit berufsgeübter Polemik ständig gegen die Opposition vor die Medien, die ihm viel Gelegenheit gaben, sich giftspritzend über die Opposition zu ergießen).

Nach 16 Jahren wollten der bräsige Pfälzer Kohl mit diesen Leuten also auf die 20 Jahre Kohl hinsteuern. Und dann das Wahlergebnis: schwarzgelb wurde sowas von abgewählt, es reichte gut für rotgrün und die PDS kam auch noch in Fraktionsstärke in den Bundestag, da sie unterdessen in den westlichen Bundesländern 2 bis 3 Prozent erhielt. Es gab also eine deutliche linke Mehrheit jenseits von schwarzgelb. Nun wird alles besser, dachten wir uns alle. Am 27.10.98 wurde Schröder Bundeskanzler. 100 Tage Schonfrist wären bis zum 04.02.1999 gegangen. Der Bundstag setzte sich nun so zusammen:
 
 Sitze  SPD  CDU/CSU  Bü90/Grüne  FDP  PDS
 Männer  193  200  20  34  15
 Frauen  105   45  27  9  23
 Zusammen  298  245  47  43  38

1. Rotgrün in Bonn und Berlin
Alle Gesetze zum Sozialabbau und die Gesetze zum Abbau von Arbeitnehmerrechten im Betrieb, die Kohl schon verabschiedet hatte, die aber noch nicht in Kraft waren, wurden von der neuen Regierung rückgängig gemacht, die auch über eine Bundesratsmehrheit verfügte.

Der Kündigungsschutz (der erst ab 5 Mitarbeitern gültig war) galtnun nicht nur für über 20 Mitarbeiter, die Rente wurde nicht mittels des demografischen Faktors gekürzt, Krankheitstage nicht vom Urlaub abgezogen, und für die Freistellung eines der Betriebsräte waren nicht mehr 300, sondern 200 Mitarbeiter nötig.

Nach einiger Zeit wurde die Gesundheitsreform begonnen, indem man versuchte, die Steigerung der Krankheitskosten dadurch zu beschneiden, dass man die Arzneimittelkosten zu Lasten der Pharmaindustrie begrenzen wollte. Man schaffte auch die jährliche Krankenhaus-Solidaritätsabgabe der Versicherten ab. Da ging es aber los. Die Konzerne entwickelten vielleicht eine Rhetorik, viele niedergelassene ÄrztInnen empfanden sich als Pharma-VertreterInnen, denn in den Sprechzimmern hingen die entsprechenden Plakate aus.
 
1.1. Konservative Medienmacht
Es gab keine 100 Tage Schonfrist, die bürgerlichen Medien begannen sofort mit Rufmordkampagnen z.B. gegen Schröder, der machtgeil sei, und gegen Unweltminister Trittin, der die Atomkraftwerke stilllegen und alternative Energien wie Windkraft usw. fördern wollte. Hier erinnere ich mich an ein gefälschtes Foto der Bildzeitung, wo er ganz bewusst in die Nähe von gewaltbereiter Demonstranten gestellt wurde. Gegen Finanzminister Lafontaine gab es beinahe Aufrufe zum Lynchen. Als er am 11.03.1999 von allen Ämtern zurücktrat, war auch der Schmusekurs mit den ArbeitnehmerInnen schon beinahe vorbei, Auslöser dazu war wohl die verlorene Hessenwahl, was im Bundesrat aus der Rotgrünen Mehrheit ein Patt erzeugte und das Einvernehmen mit der FDP und der CDU/CSU notwendig machte. Schritt für Schritt änderte sich die rotgrüne Politik, so dass man in einer ganzen Reihe von Fragen den Eindruck bekam, die Union regiere mittels der SPD.

Erstaunlicher Weise gewann rotgrün trotzdem knapp die Bundestagswahl 2002 und begann eine 2. Legislaturperiode, aber genau betrachtet war dies nur möglich, weil es der PDS nicht mehr gelang, bundesweit 5% der Stimmen auf sich zu vereinen oder mindestens 3 Direktmandate zu erreichen, weshalb die knappe rotgrüne Mehrheit entstehen konnte. Wäre die PDS eingezogen, dann wäre es zu einer SPD-geführten großen Koalition gekommen. Nachdem Frau Merkel dann später CDU-Vorsitzende wurde, wurde bei jedem Regierungshandeln nicht die Regierung, sondern ausschließlich Frau Merkel zu den Vorgängen befragt.

1.2. Hessenwahl
Als am 07.02.99 in Hessen gewählt wurde, war über die Medien mittels rassistischer Demagogie ein Klima geschaffen worden, über die Diskussion des Staatsbürgerschaftsrechts, worauf die sich sicher fühlende hessische rotgrüne Regierung nicht angemessen reagieren konnte. Vorausgegangen war eine massiv medienunterstützte Kampagne der CDU, wo man, angeblich zur besseren Integration von Ausländern, so hieß es, „gegen die Türken unterschreiben” konnte. Aber man kämpfte nicht nur an dieser „Front”. Wir (ROSA LÜSTE, LUST) wurden erstaunlicher Weise von einem BILD-Journalisten angerufen, ob wir aus der Szene wüssten, ob die hessische Ministerin Stolterfoht (für Frauen und Sozialordnung), die vor der Wahl zurücktrat, eine Lesbe sei. Selbst wenn wir in der Szene davon gehört hätten, würde das die BILD nichts angehen, so aber versuchte die BILD dieses Gerücht in der Szene auf diese Weise wohl selber zu streuen. “Fehlstart in Bonn: stimmt gegen die doppelte Staatsbürgerschaft” lautete ein Plakat. Man sieht, mit welchen Mitteln Koch Ministerpräsident wurde.
 
1.3. Zum Stand der rotgrünen Regierung
Es bestand ja schon nach ca. 2 - 3 Jahren die Wahrscheinlichkeit, dass sich die rotgrüne Bundesregierung nicht mehr halten konnte und zurücktreten müsste, da einerseits die (zumeist unionsgeführten Wirtschaftsverbände, andererseits die Medien, die ja auch Wirtschaftsunternehmen sind, eine Dauerkampagne gegen sie führten. Auch hatten die Landtagswahlen in Hessen den Absturz von rotgrün bei allen Wahlen zur Folge gehabt, und in vielen Ministerien kam es zu seltsamen Handlungen von MitarbeiterInnen, die schnell über die Medien in die Öffentlichkeit gebracht wurden, wofür dann immer die jeweiligen MinisterInnen verantwortlich gemacht wurden.

Die Regierung stabilisierte sich dann jedoch, als sich die Gerüchte über schwarze Kassen der Kohl-Regierung erhärteten. Da Kohl sich weigerte, seine Geldgeber zu nennen, trat er vom Ehrenvorsitz zurück und Merkel wurde am 10.4.2000 mit 94% zur neuen unschuldigen Bundesvorsitzenden gewählt. Besonders auch der Landesverband Hessen unter Innenminister Kanther hatte hier viel dazu beigetragen, und statt Ministerpräsident Koch, der angeblich nichts gewusst hatte, musste sein Chef der Staatskanzlei und Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten Franz Josef Jung zurücktreten. Jung ist nun Verteidigungsminister der Großen Koalition unter Bundeskanzlerin Merkel geworden.
 
2. Welche Änderungen brachte die SPD-Grünen-Regierung?
Um zu ermessen, was sich unter der rotgrünen Bundesregierung änderte, müsste man noch Erinnerungen an die Zeit vorher, die Zeit unter Kohl haben.
 
2.1. Änderungen im Steuer- Sozial- und Arbeitsrecht
Im März 99 kam ein neues Steuerrecht, ein dreistufiges Steuerentlastungsrecht, in dem den ArbeitnehmerInnen ein kleiner Teil der Lohnsteuer erlassen wurde, aber auch der Eingangssteuersatz und die Körperschaftsteuer wurden gesenkt, letztere auf 40%, was dazu führte, dass die großen Kapitalgesellschaften (Körperschaften) davon profitierten. Zur Gegenfinanzierung wurden Subventionen und Steuervergünstigungen gestrichen, was in Teilen der Wirtschaft zornige Reaktionen hervorrief. Im April 99 trat die Öko-steuer in Kraft, in der Absicht, den Benzin- und Gasverbrauch zu reduzieren und Lohn-unabhängige Gelder zur Stützung der Sozialversicherungen, besonders der Rente, zu verwenden.

Die Arbeitskosten sollten dadurch reduziert werden und der Beitragssatz zur Rentenversicherung wurde auf 19,1% gesenkt und auf dieser Höhe stabilisiert. Die sogenannte Riester-Rente, eine private kapitalgedeckte Rente, die staatlich gefördert wird, wenn sie bestimmte Kriterien einhält, wurde als Ergänzung zur gesetzlichen Rente eingeführt und auf Grund des Einspruchs der FDP nicht obligatorisch, sondern freiwillig. Auch das Kindergeld wurde erhöht.

Für geringfügig Beschäftigte (Entgelt unter 630 Euro) sollten von den ArbeitgeberInnen nun keine Steuern mehr, die pauschal ohne Namensnennung abgegolten werden konnten, bezahlt werden, jedoch geringe Beiträge in die Sozialversicherungen, was nicht ohne individuelle Anmeldung möglich war. ArbeitnehmerInnen, die geringfügige Beschäftigung zu einer regulären Arbeit hinzufügten, musste dadurch für das gesamte Geld Sozialbeiträge zahlen, was den netto-Zuverdienst reduzierte. Die Arbeitslosen jedoch, die nur eine solche Arbeit hatten, konnten so in geringem Maße Ansprüche gegenüber den Sozialversicherungen erwerben.

Proteste aus der Wirtschaft rief das Gesetz gegen die Scheinselbständigkeit hervor, weil sich Arbeit-geberInnen davor drücken konnten, für Scheinselbständige Sozialversicherung zu zahlen, Urlaub zu gewähren und bei Krankheit den Lohn fortzuzahlen, was dadurch natürlich billiger war als ein normales Arbeitsverhältnis.

Ein Sofortprogramm gegen Jugendarbeitslosigkeit trat im Januar 99 in Kraft, indem mit Geldern des EU-Sozialfont mobilisiert wurden, die solche Arbeitgeber von den Ausbildungskosten entlasten sollten, die zusätzliche Lehrlinge einstellten.

Für die Wirtschaft tritt wegen fehlender FacharbeiterInnen am 1.8.2000 die Greenkard-Reglung in Kraft. Offensichtlich will sie die Wirtschaft die Ausbildungskosten sparen und erwartet auf dem Markt genügend gut ausgebildete Fachkräfte. Die Bundesregierung entspricht diesen Wünschen. Das aus dem Jahr 1933 stammende Rabattgesetz wird abgeschafft.

In einer Mietrechtsreform wird die Mieterseite in Hinblick auf Kündigungsfristen und Miterhöhungen besser gestellt. Statt Kilometergeld erhalten alle Berufspendler eine Entfernungspauschale, die in der Regel höher ausfällt als früher und auch die Bahn- und RadfahrerInnen einschließt.

Durch die Einführung eines demographischen Faktors soll die gesetzliche Standartrente bei 45 Berufsjahren bis zum Jahr 2030 von 70% auf 64% gesenkt werden.

Ab 1.1.2002 erarbeitete die Hartz-Kommission des VW-Konzerns den Umbau des sozial abgefederten kapitalistischen Sozialstaates zum offenen neoliberalen Kapitalismus, bei dem die soziale Abfederung Schritt um Schritt zurückgefahren wurde. Hartz 1 – 4 änderten die Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit in eine nach dem privatwirtschaftlichen Modell ausgerichteten Bundesagentur mit Job-Center. Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe wurden zusammengelegt zum Arbeitslosengeld II, genannt auch Hatz IV-Geld, was den größten Einschnitt für langzeitarbeitslose ArbeitnehmerInnen bedeutete. Mit einem Schlag wurden viele arbeitslose ArbeitnehmerInnen um all ihre Ersparnisse, um Ihr Eigenheim, um ihre private Altersversorgung gebracht. Die Zumutbarkeitsregeln wurden verschärft. Mini-Jobs wurden wieder gefördert, die Ich-AG sollte innovativen Menschen den Übergang vom Arbeitnehmerdasein zum Kleinge-werbetreibenden erleichtern.

Mit der Agenda 2010, der (wie den Hartz-Gesetzen) der schwarzgelbe Bundesrat zustimmte, zeigt sich, dass in diesen Fragen faktisch ein 4-Parteien-Koalition besteht. So stimmt die Union der sogenannten Gesundheits-Reform nur zu, wenn die Patienten pro Quartal 10 Euro bei den behandelnden Ärzten bezahlen müssen. Proteste gegen die sozialen Einschnitte sind die Folge, und besonders die SPD wird bei Landtags- und Kommunalwahlen abgestraft.
 
2.2. Staat, Regierung und Staatsbürgerschaft
Eine ganze Reihe von Gesetzen beschäftigten sich mit dem Staat selber, nämlich was der Staat zu leisten hat oder was der Staat selber als sein Recht betrachtet.

Minister Fischer gerät als ehemals “gewaltbereiter 68er” unter Druck, besonders Frau Merkel verlangt von den ehemaligen 68ern, sich von den damaligen Inhalten und Protesten zu distanzieren.
 
2.2.1 Staatsbürgerschaftsrecht
Was ein Staatsbürger ist, bestimmt jeder Staat in seiner Gesetzgebung selber. Das neue Staats-bürgerschaftsrecht machte im Gegensatz zur vorherigen Rechtsauffassung aus allen in Deutschland geborenen Menschen deutsche Staatsbürger. Mit dem 18 Lebensjahr müssen sich die junge Menschen aus Immigrantenfamilien entscheiden, ob sie ausschließliche die deutsche Staatsbürgerschaft oder die des Herkunftslandes ihrer Eltern wollen. Wer 8 Jahre lang legal in Deutschland lebt, erhält das Recht, die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen. Er/sie kann sie bekommen, wenn er/sie schriftlich bestätigt, dass er/sie das Grundgesetz und die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland einhält und (ist später dazugekommen) nachweist, dass er/sie die deutsche Sprache in Wort und Schrift in einem gewissen Maße beherrscht.

Vorher, nach dem alten Staatsbürgerschaftsrecht gab es viele Menschen, die seit Generationen in Deutschland lebten, ohne die Staatsbürgerschaft zu erhalten, währen im Ausland lebende Menschen automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft hatten, wenn sie aus Familien kamen, die aus Deutschland stammten (biologische Abstammung), z.B. Russlanddeutsche oder Rumäniendeutsche usw.
 
2.2.2. Entschädigungsfond für Zwangsarbeiter
Die Bundesrepublik Deutschland hat sich in ihrer Konkurrenz zur DDR große Mühe gegeben, dass sie international als der Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches angesehen wird. Und im Deutschen Reich unter den Nazis ist man, das ist ja bekannt, nicht gerade besonders freundlich mit den Menschen jüdischer Religion umgegangen, im Gegenteil.
 
Viele reiche jüdische Deutsche verkauften also billig ihre Besitztümer und flohen ins Ausland, wenn sie es noch konnten. Dadurch wurden viele Unternehmen “arisiert”, also nach der Nazi-Rassenideologie den Menschen der “jüdischen Rasse” weggenommen und einigen Menschen der “deutschen Rasse” gegeben. Weil während des Krieges viele Arbeiter der deutschen Fabriken nicht arbeiteten, sondern als Soldaten im Krieg waren, nahm man aus den besetzten Gebieten, besonders aus Polen, viele jungen Menschen gefangen und zwang sie, als Fremdarbeiter in den Fabriken zu arbeiten. Sie erhielten dabei keine Einzahlungen in die Sozialversicherungen, keinen realen Lohn.
 
Viele von ihnen überlebten dies nicht. Andererseits wurden durch die Arisierung und die billige Arbeitskraft der Zwangsarbeiter viele Unternehmer reicher und reicher. Und noch während des Krieges begannen sie, Unternehmen im Ausland aufzukaufen. Ihnen konnte nun egal sein, ob Deutschland unter Hitler den Krieg übersteht oder nicht. Nach dem Krieg blühte die (west)deutsche Wirtschaft auf, die sehr reichen Unternehmen stiegen immer weiter in die internationale Wirtschaft ein. Durch DM-Stützungskäufe wurde der bisweilen kränkelnde Dollar gestützt, und die USA waren bald das am höchsten verschuldete Land der Welt, Hauptgläubiger waren Deutschland und Japan, die beiden Kriegsverlierer.
 
Mit diesem Dollar-Kapital drängten deutsche und japanische Konzerne auf den amerikanischen Markt vor und verzahnten sich mit den US-Konzernen. Und heute sind deutsche Konzerne in den USA zuhause und mit den US-Konzernen verflochten. Nach dem Krieg gingen auch viele ehemaligen Zwangsarbeiter in die USA. Und findige amerikanische Anwälte ermutigten sie, die in den USA ansässig gewordenen deutschen Konzerne wegen ihrer Zwangsarbeit zu verklagen.
 
Da machte die Bundesregierung unter Schröder in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband der deutschen Industrie den Anwälten einen Vorschlag. Sie wollten “das Problem” ein für allemal aus der Welt schaffen und boten einen Pauschalbetrag von 10 Milliarden DM den Zwangsarbeitern für das erlittene Unrecht an, sofern es danach keine weiteren Forderungen geben würde. Die Hälfte sollte die Industrie zahlen, die andere Hälfte Bund, Länder und Gemeinden. Das heißt, die Hälfte zahlte der Steuerzahler und nicht die reiche Industrie.
 
Die Industrie bekam das Geld in ihren eigenen Reihen nicht so recht zusammen, zum Beispiel wehrte sich auch die katholische Kirche, für ihre Zwangsarbeiter zu bezahlen. Daher ermöglichte der deutsche Staat, vertreten durch die rotgrüne Regierung, seinen Konzernen, dass diese Zahlungen steuerlich geltend gemacht werden, was bedeutet, dass die andere Hälfte auch von der arbeitenden Bevölkerung bezahlt wird. Das ist aber überhaupt nichts Besonderes, denn der Reichtum der Konzerne wird ja immer von der arbeitenden Bevölkerung auf die eine oder andere Weise bezahlt.
 
2.2.3. Die sogenannte Innere Sicherheit
Im Zusammenhang (oder unter dem Vorwand?) der Anti-Terrormaßnahmen wird ein Luftsicherheitsgesetz verabschiedet, das in bestimmten Fällen der Bundeswehr das Recht gibt, auf Zivilflugzeuge zu schießen (2006 von Bundesverfassungsgericht gestoppt). Das Bundeskriminalamt wird Umorganisiert, es entsteht eine strategische Zentrale mit der Unterabteilung “Gruppe internationaler Terrorismus”. Der Bundestag beschließt 18.6.2004 ein Gesetz, nach dem bestimmte Strafgefangene nach ihrer Strafverbüßung in Sicherheitsverwahrung gehalten werden können (Gewalt- und Sexualstraftäter).

Die öffentliche Überwachung nimmt in vielen Bereichen zu. In verschiedenen Bundesländern taucht auch wieder unter den persönlichen Angaben die sexuelle Identität (Homosexualität) auf. Gen-Proben sollen zu Gen-Dateien führen, in denen straffällig gewordene gespeichert werden. Die Dateien großer Flächen-Gen-Tests werden angeblich wieder gelöscht.
 
2.3. Umwelt- und Verbraucherschutz
Trotz des Widerstandes aus der Stromwirtschaft wird am 25.02.2000 ein Gesetz zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien (Solar-, Windenergie, Biomasse und Erdwärme) verabschiedet. Außerdem wird der Atomausstieg (über einen langen Zeitraum hin) mit der Energiewirtschaft vereinbart.

Im Zuge der BSE-Krise wird das neue Verbraucherschutzministerium gegründet, dem das Landwirtschaftsministerium unterstellt wird. Das bisherige Landwirtschaftsministerium hatte eher das Wohl der mit der Pharmazie gemeinsam produzierenden Agrar-Industrie im Auge. Und nun werden eher biologisch produzierende Betriebe gefördert. Es gelang, die Maul- und Klauenseuche, die sich in Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden ausbreitete, durch entschlossene Maßnahmen in Zusammenarbeit mit der EU aus Deutschland fernzuhalten.
 
2.4. “Frauen und Gedöns”
In diesem beiläufigen und humorig gemeinten Schröder-Ausspruch zeigt sich, dass er sich bemüht hat, die Familie und die Emanzipationsbemühungen in einem griffigen Wort zusammenzufassen.
 
2.4.1. Frauen
Der generelle Ausschluss der Frauen vom Dienst mit der Waffe sei nicht mit dem EU-Recht über die berufliche Gleichstellung von Männern und Frauen vereinbar. Verteidigungsminister Scharping setzte im Mai 1999 eine Kommission unter Richard von Weizsäcker ein, um umfassende Vorschläge zur Strukturreform der Bundeswehr zu erarbeiten.
 
2.4.2. Das Gedöns
Trotz CDU/CSU-Mehrheit im Bundesrat wird von rotgrün im Bundestag die eingetragene Lebenspartnerschaft legalisiert, weil das Gesetz gesplittet wurde, in einen Teil der nicht zustimmungspflichtig ist und so mit einfacher Mehrheit des Bundestages beschlossen werden konnte, und in einen Teil, der der Zustimmung der Länder bedarf. Daraus entstand seltsame Situation, dass die Pflichten der Verpartnerung einzuhalten sind, die Rechte aber nicht Teil des Gesetzes sind. Es müsste der Ehe in allen Fragen gleichgestellt werden, wie das in vielen europäischen Ländern der Fall ist.

Mit diesem Gesetz erkennt der Staat erstmals homosexuelle Partnerschaften an, was im krassen Widerspruch z.B. zur Adenauerzeit steht, in der mannmännliche Homosexualität generell unter Strafe gestellt wurde. Der Staat kommt aber (bei realer Gleichstellung) hiermit nur einem Teil der homosexuellen Menschen in ihrer realen Lebenswirklichkeit entgegen. Es besteht sogar die Befürchtung, dass das Ehe-Modell mit seinem Mann-Frau-Dualismus als Vorbild (die Auffassung dass zu einer Frau ein Mann gehöre und zu einem Mann eine Frau, damit das Leben wertvoll sei), zur Disziplinierung homosexuell handelnder Menschen benutz werden kann, die nicht nach dem Dual-Modell leben möchten oder können.

Gegen diesen Ehe-Torso, diese zweitklassige Ehe, legten einige CDU-geführten Bundesländer erfolglos Verfassungsklage ein. Auch gegen das Stiefkindadoptionsgesetz, eines der letzten Gesetze von rotgrün, legte Bayern Verfassungsklage ein. Das Gesetz besagt, dass in einer homosexuellen PartnerInnenschaft das Kind des einen Partners (der einen Partnerin), dass er/sie mit in die PartnerInnenschaft bringt, vom anderen Partner (Partnerin) adoptiert werden kann.

Homosexuelle Menschen werden in der Bundeswehr gleichgestellt, können hier auch Karriere machen, sie werden also nicht, wie bisher, als erpressbar und daher ein Sicherheitsrisiko angesehen. Eine Wörner-(Kießling)-Affäre kann es also nicht mehr geben. Es gibt leider nicht nur homosexuelle Männer mit einer pazifistischen Grundüberzeugung. Wir werden eben mit der Integration normalisiert.

Die Prostituierten können nun Zugang zu den Sozialversicherungen erhalten, was einer Anerkennung ihrer Tätigkeit als Beruf gleichkommt.

Deserteure und Homosexuelle, die in der Nazizeit Unrechtsurteilen zum Opfer gefallen seine, werden mit den Stimmen von Rotgrün und PDS rehabilitiert, gegen die Stimmen von schwarzgelb.
 
2.5. Außenpolitik
Ab Oktober 98 beteiligte sich Deutschland am Angriffskrieg gegen Jugoslawien. Ab Juni 99 beteiligte sich die Bundeswehr (8.500 Soldaten) an der KAFOR im Kosovo. Die ehemals pazifistischen B90/Grünen stimmen zu.
Die Bundesregierung verurteilte in Scharfer Form die Beteiligung der Freiheitlichen Partei unter Haider an der konservativ-nationalliberalen Regierung Schüssel in Österreich.

Das Verhältnis zwischen Deutschland und China wird durch Besuch von Schröder und dem chinesischen Gegenbesuch normalisiert, wobei wirtschaftliche Fragen im Mittelpunkt stehen.

Durch Besuch und Gegenbesuch (14.6.2000) wird im Verhältnis zwischen Deutschland und Russland ein “Neubeginn” vereinbart.

Nach der Wahl von Bush kam es während des Antrittsbesuches von Schröder am 29.3.01 zu einer offenen Kontroverse wegen Bushs Ausstieg aus dem Kyoto-Prozess und dem Ausstieg der USA aus dem Internationalen Gerichtshof (IGH) und wegen der Verweigerung des Rechts auf konsularischen Beistand deutscher Strafgefangener in den USA, ein Verstoß gegen die völkerrechtlich verbindliche Wiener Konsularkonvention.

Aufgrund zunehmender Meinungsverschiedenheiten mit den USA in Hinblick auf dessen “die Achse des Bösen”, sieht die Bundesrepublik ihre Verhandlungsbemühungen konterkariert.

Die Regierung schließt einen Einsatz der Bundeswehr mit Kampfauftrag in Afghanistan aus, sie schließt auch einen Einsatz im Irak aus. Deutschland, Frankreich, Belgien und Luxemburg, nach dem Regierungswechsel dort auch Spanien stellen sich gegen die US-Intervention im Irak. Frau Merkel, die Oppositionsführerin, reist demonstrativ in die USA.

Es kommt zu Kontroversen zwischen Deutschland und Polen, auch wegen eines Zentrums der Vertreibung, das in Berlin eingerichtet werden soll.
 
3. SPD-Taktik und nun?
Selbst als nach 2002 die rotgrüne Koalition nahezu nur noch Gesetze machte, die auch von der CDU/CSU und FDP stammen könnten, hatte sie in den Medien eine sogenannte schlechte Presse, und selbst reine Unions-Gesetze wurden von der unionsgeführten Ländermehrheit blockiert. Nach der Landtagswahl in Schleswig-Holstein zeigte sich SPD-intern, dass ein Teil der führenden Mitglieder mit einer großen Koalition liebäugelten. Andererseits fanden sich in der SPD viele Mitglieder nicht mehr wieder, und es entstand außerhalb der SPD die WASG aus ehemaligen SPD-Mitgliedern, die sich unter Lafontaine der längst sozialdemokratisierten PDS näherte. Der 15. Bundestag setzte sich wie folgt zusammen:
 Abgeordnete  SPD  CDU/CSU  Bü/Grüne  FDP  PDS  Parteilos
 Frauen  105   45  27   9   2   -
 Männer  144  202  28  38   -   1
 Zusammen  249  247  55  47   2   1

Für Schröder war klar, dass er politisch nur noch einigermaßen weiter kommen konnte, wenn er die Union gewinnen konnte, mit ihm eine Koalition einzugehen, um die Blockadesituation zu beenden. So wartete er auf eine Gelegenheit, die rotgrüne Koalition platzen zu lassen. Die Gelegenheit ergab sich nach der Wahl in NRW. Er versuchte eine von ihm geführte große Koalition durch vorgezogene Neuwahlen zu erreichen. Die Union versuchte, die neoliberale Politik, mit der sie die SPD vor sich hergetrieben hatte, bei dieser Wahl in eigener Regie zu führen. Dazu bekam sie bei weitem keine Mehrheit. Die PDS und die WASG zusammen zogen im September 2005 deutlich in den Bundestag ein, und wenn die SPD nun eine linke Partei wäre, hätte sie eine linke Bundestagsmehrheit gegen schwarzgelb gehabt. Doch Schrö-der hatte das Pech, bei der vorgezogenen Bundestagswahl um wenige Stimmen hinter der Union zu liegen, so dass es zwar zur großen Koalition kam, jedoch nicht unter seiner Führung. So schied er als glückloser Politiker aus der direkten Politik aus.
 
3.1. Die Große Koalition
Der 16. Deutsche Bundestag setzt sich wie folgt zusammen:
 Abgeordnete  CDU/CSU  SPD  FDP  Linke  Bü90/Grüne
 Frauen   45   80   15   25   29
 Männer  181  142   46   29   22
 Zusammen  226  222   61   54   51

Die große Koalition hat 3 sogenannte Oppositionsparteien, von denen sich die FDP als Oppositionsführerin sieht. Real gesehen argumentiert die FDP immer noch gegen die frühere SPD-Grünen-Koalition, sie trifft dabei den SPD-Teil der großen Koalition, mit dem Ziel, möglichst bald schwarzgelb herzustellen.

Die Bü/Grünen sind in der Situation, dass sie nicht direkt gegen schwarzgelb argumentieren können, weil sie sich von der neoliberale Politik, die sie mitgetragen haben, nicht distanzieren können. Die einzige Opposition gegen diese informelle 4-Parteien-Koalition ist sie sozialreformerische Linke. Deren Meinung zu den verschiedenen Vorgängen wird aber in den Medien nicht zur Kenntnis genommen, während die FDP oft das Interpretationsrecht erhält.
 
3.2. Ausblick
Wie es weiter geht? Nun man sieht es schon. Einerseits arbeitet die Große Koalition relativ konfliktfrei zusammen, wobei die SPD-Minister für die bösen unsozialen Entscheidungen zuständig sind, wie Münteferings Vorstoß zum Vorziehen der Rentengrenze auf 67 kurz vor den Landtagswahlen in Rhenland-Pfalz, Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und der Kommunalwahl in Hessen.

Die Außenpolitik scheint sich wieder ein wenig zu den USA hin zu verschieben. Zumindest ist statt der engeren Freundschaft mit Russland und Frankreich zumindest gegenüber Russland ein eher distanzierteres Verhältnis entstanden.

Statt eine Verbraucherschutzministerin existiert wieder ein Landwirtschaftsminister, der die Förderung der kleinen Bauern mit gesunden biologischen Erzeugnissen zurückstellt, weil er für alle gleichberechtigt da sei, der aber besonders die Gentechnik fördern will. Das ist derzeit wohl der deutlichste Paradigmenwechsel.

Die Medien und die Industrie drücken nun wahrscheinlich weiter, um einer schwarzgelbe Regierung so bald wie möglich den Weg zu ebnen.

Es kann aber auch sein, dass nun entweder eine Zeitlang wechselnd geführte große Koalitionen regieren werden, die aber weder weitere gesellschaftspolitische Modernisierungen noch die Widerherstellung des Sozialstaates erreichen kann. Eher driftet sie in Richtung von schwarzgelb, auch ohne schwarzgelber Koalition.

Linke Sozialdemokraten, die noch nicht in die WASG eingetreten sind, wie beispielsweise Wowereit, der in Berlin mit der PDS koaliert, werben mit der Aussicht einer “linken Koalition” aus SPD, Bü/Grüne und Linke.
 
4. Zusammenfassung
Die rotgrüne Koalition war wohl tatsächlich eine Koalition der 68er. Die 68er Revoluzzer hatten große, allerdings miteinender divergierende Ziele. Herausgekommen ist die partielle Modernisierung der bestehenden Gesellschaftsordnung zugunsten der Wirtschaftsinteressen der bisherigen wirtschaftlichen Nutznießer dieser Gesellschaft. Z.B. wurde aus der Befreiung der Sexualität die kommerzielle Sexindustrie mit ihren verschiedenen Facetten usw. Die rotgrüne Regierung hat auch eine ganze Reihe von wichtigen Reformen durchgeführt, die ganz allgemein die Gesellschaft modernisieren. Was angesichts des konservativen Drucks bleiben wird, ist wohl der Ausbau der Arbeitswelt im neoliberalen Sinne, weg vom Sozialstaat. Vielleicht lassen sich einige gesellschaftspolitische “Errungenschaften” wie Verpartnerung von Lesben und Schwule verteidigen, kaum jedoch die Familienstruktur ganz allgemein modernisieren. Es kann auch zu einer Renaissance der Religionen bis hin zum Fundamentalismus kommen, was ganz gut einerseits mit Neoliberalismus und andererseits mit Sozialstaat zusammen gehen kann. (js)
 
Dein Kommentar zum Artikel: hier

 Zum Artikelarchiv

 Zur Artikelhauptseite

 Zur LUST-Hauptseite