- 86. LUST, Frühling 06
- Der Karikaturenstreit
- Karikatur (zu italien. Caricatura, eigentlich
Überladung von caricare überladen,
übertrieben komisch darstellen), satirisch komische
Darstellung von Menschen oder gesellschaftlichen Zuständen,
meist bewusst überzogen und mit politischer Tendenz.
Eine Karikatur muss das, was hier ironisch dargestellt werden
soll, derart auf ein paar Striche verkürzt darstellen, dass
das Typische übertrieben zum Ausdruck gebracht wird. Sie
übertreibt ganz bewusst, um dadurch Kritik zu üben.
In der politischen Auseinandersetzung wie auch im Bereich des
Mythos und Volksglaubens, aber auch in der Darstellung von körperlichen
Deformationen wurden seit dem antiken Ägypten, im antiken
Griechenland und in Rom Karikaturen benutzt. Die Karikatur soll
verletzen, betroffen machen, kritisieren, denn sie ist ein Mittel
der Auseinandersetzung. Es gibt keinen Karikaturenstreit, denn
das wäre eine begriffliche Verdoppelung: Karikatur ist Streit.
Wenn man niemanden persönlich verletzen möchte, weil
ja körperliche Besonderheiten, Religion oder Moral usw.
die Sache des einzelnen sind, bleibt im wesentlichen noch der
karikierende Angriff auf die Politik, denn von Politik sind viele
Menschen betroffen, das ist nicht die Sache des einzelnen in
seiner freien Entscheidung.
Der politische Gegner verbindet mit einem solchen Angriff vielleicht
die Hoffnung der Bloßstellung oder der Aufklärung,
wie er sie versteht. Es ist legitim, im Meinungsstreit das Typische
eines politischen Gegners bloßzustellen. da wäre es
dem aufklärerischen Ziel gegenüber geradezu abträglich,
wenn man aus der politischen eine persönliche Auseinandersetzung
macht, wenn man das Persönliche angreift.
Wie aber, wenn ein politischer Gegner seine politischen Absichten
mit Religion begründet? Er versucht sich so politisch unangreifbar
zu machen. Denn das Persönliche, die Religion, die eine
Privatsache eines jeden Menschen ist, das darf nicht angegriffen
werden, weil das Persönliche aus der Politik rauszuhalten
ist. Vor solche Anmaßungen müssen sich die betreffenden
Religionsgemeinschaften aufs schärfste Distanzieren.
Leider haben es die Religionsgemeinschaften aber an sich, dass
sie Einfluss auf das politische Geschehen nehmen wollen. Damit
sind sie dann aber nicht mehr unangreifbar mehr, weil sie dann
schlicht zu einer von vielen politischen Parteien werden, gegen
die anzugehen jedes politischen Gegners Recht ist. Politisch
handeln und nicht kritisiert werden wollen, weil man angeblich
nicht politische Interessen, sondern eine höhere Macht repräsentiert,
ist nicht nur perfide und verlogen, sondern erzwingt von den
politischen Gegnern auch, sich entweder einer Gegenreligion zu
bedienen oder der Aufklärung.
Die Karikaturen in Dänemark waren, so finde ich, treffend,
denn es fühlten sich die Richtigen getroffen, nämlich
die Leute, die ihre politischen Absichten religiös verschleiern.
Wenn der Prophet Mohammed als Turban eine Bombe trägt, wird
entlarvt, dass hier der Islam von politischen Gewalttätern
missbraucht wird. Und wenn der Prophet den Märtyrern sagen
muss, dass ihm die Jungfrauen ausgegangen seien, so wird das
Versprechen der 72 Jungfrauen für jeden Märtyrer hier
mit Logik infrage gestellt. So stellten diese Karikaturen für
sie eine gewisse Gefahr dar, nämlich die Gefahr der Entlarvung.
Deshalb fälschten sie noch 3 Karikaturen hinzu, die so plumpe
persönliche Beleidigungen darstellten, dass die in den ursprünglichen
Karikaturen verborgene Aufklärung nicht mehr wirken konnte.
Denn in den Fälschungen wurde der Prophet als Schwein dargestellt.
Das haben die zu verantworten, die ihre politischen Absichten
mit Religion tarnen und die vor solchen Mitteln nicht zurückschrecken,
nämlich die Besudelung der eigenen Religion.
Von September bis Januar brauchten sie wohl, die darauf folgende
Kampagne vorzubereiten. Die dänische Fahne ist gut geeignet,
denn auf ihr ist ein weißes Kreuz vor blaßrotem Hintergrund
zu sehen. Sie musste in großer Anzahl vorhanden sein. Und
dann mussten gerade die gefälschten Bilder in Umlauf gebracht
werden, die anderen vielleicht mit, damit klar wird: der Westen
will nur scheinbar aufklären, in Wirklichkeit jedoch Diffamieren.
Die Karikaturen zielten nicht auf die Religion, sondern auf den
politischen Missbrauch der Religion, und den Missbrauchern ist
es gelungen, mittels ihrer Fälschungen und mittels ihrer
gut vorbereiteten Kampagne, ein großes Aufsehen in der
Welt zu erreichen, Menschen einzuschüchtern, Menschen ermorden
zu lassen und ihre Konturen zu verwischen.
Islamische Menschen sagten der verblüfften deutschen Bevölkerung,
sie würden auch die christliche und die jüdische Religion
vor solchen Angriffen schützen, womit aber nicht der politische
Missbrauch der Religion, sondern der Aufklärungsversuch
mittels Karikaturen gemeint war. Dann meldeten sich die christlichen
Kirchen zu Wort, die auch die Karikaturen verurteilten und die
Gewalt für überzogen kritisierten.
Nun scheint wieder Ruhe eingetreten zu sein. Aber es hat sich
etwas geändert: Die lange (vollständige) Fassung der
Kölner Stunksitzung (die Fastnacht der Linekn) wurde vom
WDR in diesem Jahr nicht gesendet, sondern nur eine geschnittene
Kurzfassung. Ulrich Deppendorf, WDR-Fernsehdirektor: Es
gibt sicherlich das Gebot, ich sag mal fast, der Satirefreiheit.
Aber es gibt auch die WDR-Programm-Grundsätze, und die sagen
halt, in einem Absatz, in einem Paragraphen: Die religiösen
Überzeugungen der Bevölkerung sind zu stärken
und zu achten. Und wir haben hier Gefahr gesehen, beziehungsweise
eine Verletzung dieses Programmgrundsatzes, und deswegen habe
ich entschieden, dass diese Szene nicht gezeigt wird. Der
Sketch, in dem Papst Benedikt XVI. und der Kölner Kardinal
Meisner zusammen unter die Decke schlüpfen und sich ein
Gute-Nacht-Küsschen geben, beschäftigt auch die Staatsanwaltschaft.
Eine Entscheidung über die Anzeige eines Besuchers aus Münster,
der sich von dieser Szene religiös verletzt fühlte,
gibt es allerdings erst nach Karneval.
Das Gegenteil des religiösen Missbrauchers ist aber nicht,
nun eine andere Religion besonders zu schützen, sondern
die Aufklärung. (js)
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