86. LUST, Frühling 06
Die Sexrevolte der 68er
Wie war das denn überhaupt und wie haben Beteiligte das erlebt? Um was ging es damals und was ist der Trend heute? Über das Selbstverständnis der Menschen einer Generation, ihr Lebensglück betreffend.
 
Die Sexrevolte war gar keine
Gerade der Mediendonner der Bildzeitung, die damals gegen studentische Kritik an verschiedenen Erscheinungsformen der langjährigen konservativen Politik ganz besonders scharfe Volksverhetzung betrieb, gerade dieses ständige Trommelfeuer gegen alles, was ein wenig nach individuelle Freiheit roch, zwang der gesamten Bevölkerung eine Diskussion über das Für und Wider der Handlungen kleiner linker studentischer Zirkel auf.
 
Die Bundesrepublik Deutschland unter damaliger konservativer Politik
Was heute Wenige wissen ist, wie das Leben vor der 68er Revolte war. Und die Revolte, die eine ganze Generation junger Menschen ergriff, richtete sich gegen alle Bereiche, die eine gesellschaftliche Struktur ausmachen, von der Erziehung der Kinder und Jugendlichen, von der Ehemoral und den Familienzwängen über den Umgang in der Gesellschaft miteinander, der Reduzierung der Frau auf die Mutter- und, etwas doppelmoralischer und verlogener auf die Sexobjektrolle bis hin zur konservativen Außenpolitik, indem man die Politik der USA und der alten Kolonialmächten gegen alle Unabhängigkeitsbestrebungen unterstützte.

Dies reihte sich in eine ganze Kette von Unruhen und Bewegungen ein die in den westlich Industriestaaten auf der ganzen Welt zu spüren war, und mache meinen, dass der sogenannte Prager Frühling auch in diese Kette von Unruhen zu zählen sei. In jedem Land ging es natürlich auch um die dort vorliegenden speziellen Missstände.
Die Justiz und die Verwaltung waren voll aus dem vorherigen Hitlerstaat übernommen, denn nun hatte man ja im Zeichen des Kalten Krieges gegen links zu sein. Ebenso ging es mit dem auswärtigen Amt. Und so konnte es schon vorkommen, dass ein Bundesbürger aufgrund von ihm erhobener gewerkschaftlicher Forderungen oder seiner gesellschaftskritischen Einstellung den Vorwurf bekommen konnte, in Wirklichkeit kommunistischer Gesinnung zu sein, und kommunistisch zu denken, war verboten.

Engagierte Menschen sahen, dass Herr Globke aus Hitlers Propagandaministerium in Adenauers Kabinett aufgenommen wurde, dass Größen aus Nazistaat und Nazipartei zum Beispiel Ministerpräsidenten von Bundesländern wurden, dass Kanzler und sogar ein Bundespräsident eine Nazi-Vergangenheit hatten. Die ehemaligen Widerstandskämpfer gegen den Nazistaat richteten sich, gesellschaftlich isoliert, in ein eher kärgliches Leben ein, viele der Nazigrößen saßen in den Schlüsselpositionen der jungen Bundesrepublik.

Und Nazi-Vergangenheit bedeutete ja nicht, dass man damals, im Tausendjährigen Reich, lautstark auf der Straße Nazi-Sprüche rief, im Nazi-Staat ging es um die Ermordung und Unterdrückung aller aufrechter Menschen, es ging um rassistisch, nationalistisch, religiös und sexistisch gerechtfertigten Mord an ganzen Menschengruppen.
Was uns schwule Männer betrifft, galt in der jungen CDU/CSU-Bundesrepublik der von den Nazis verschärfte § 175 StGB einfach weiter. Mannmännliche sexuelle Handlungen waren allesamt verboten, was zu zehntausenden Verhaftungen und Verurteilungen (mehr als in der Nazizeit) führte. Ein polizeiliches Spitzelwesen existierte an unseren Treffpunkten mit Polizisten als “Agent Provokateur“ (Polizisten, die sich schwul stellten, eindeutige Angebote machten und dann die Leute verhafteten).

Freunde wurden unter Druck gesetzt, bis sie ihre “ungesetzlichen Taten“, die “widernatürliche Unzucht“ genannt wurden, zugaben und ihre Partner benannten. Es gab “Rosa Listen“ bei der Polizei, die aus der Nazizeit stammten und einfach weiter geführt wurden, in denen “potentielle Kriminelle“ aufgelistet wurden, denn jeder Mann, der der Homosexualität verdächtig war, konnte ja in seinem Leben irgendwann mal Sex haben und war damit ein Krimineller und Sexualverbrecher. Lesben wurden einfach verschwiegen.

Das alles führte zu Erpressungen durch eine andere Szene, die kriminell von der Notlage der Schwulen lebte, und zu zahlreichen Selbstmorden. Und das führte auch zu Morden durch aufgehetzte Bürger an Schwulen, viel häufiger als heute, und die Mörder konnten sich teilweise noch rechtfertigen, es ginge ihnen um das allgemeine Wohl oder sie seien angeblich angemacht worden usw.

Bei vielen schwulen Männern überwog die Angst, es waren dies andere Menschen mit einer anderen Identität, als wir sie heute bei selbstbewussten Schwulen kennen. Viele lebten Tarn-Ehen und sehr viele von ihnen standen in den einschlägigen Lokalen rum und beschimpften die neue Schwulenbewegung der schwulen 68er Studenten, die doch nur die Aufmerksamkeit auf uns lenken würde.

Das Bundesverfassungsgericht fand, dass das Konzentrationslager für Schwule kein “nationalsozialistisches Unrecht“ gewesen sei, sondern schlicht eine Bestrafung für kriminelle Handlungen. Das Bundesverfassungsgericht fand auch, dass der § 175 StGB zum Schutz der Jugend und der Ehe existiere und nicht verfassungswidrig sei, obwohl er homosexuelle Männer anders behandelte als homosexuelle Frauen, denn schon die Form der Geschlechtsorgane würde Männer zu Triebtätern machen, während lesbische Frauen, die weder in der Nazizeit noch in der Adenauer-Republik staatlich verfolgt wurden, aufgrund ihrer Geschlechtsorgane leichter enthaltsam leben könnten und auch ihrer Pflicht als Mutter nachkommen würden.

Das waren die Zustände, die durch die 68er Revolte bekämpft wurden und durch die Revolte und ihre Anhänger letztlich auch schrittweise zurückgedrängt wurden. Das heißt aber nicht, dass sich unter den 68ern keine Schwulenfeinde befanden. Es gab nämlich kein geschlossenes Weltbild der Revoluzzer.

Die Sexualität überhaupt war nur in der Ehe möglich und erlaubt. Eltern, die zuließen, dass ihre Kinder als unverheiratete Jugendliche in ihrem Haus oder ihrer Wohnung Sex hatten, wurden wegen Kuppelei verfolgt und bestraft.

Die Unterstützung der konservativen Bundesrepublik für den amerikanischen Vietnamkrieg war einer der Auslöser der 68er Revolte. Die Jugendrevolte war von Anfang an politisch, antiimperialistisch, antinationalistisch und sowohl anarchistisch wie auch sozialistisch. “Nehmt Euch die Freiheit, sonst kommt sie nie”, hieß es, und so handelten wir auch.

Es ging auch um Wohnraum für junge Menschen. Einerseits war die soziale Kontrolle der jungen Menschen durch die Eltern und später EhepartnerInnen beabsichtigt und erwünscht, so dass junge Leute sich einfach eigenen Wohnraum erstreiten wollten. Man wollte mit anderen Gleichgesinnten zusammenwohnen und gründete Kommunen und Wohngemeinschaften, wo dies möglich war. Dann wurden viele bürgerlichen Häuser im Wirtschaftsboom abgerissen, um Platz für Büroräume zu schaffen. Das ruinierte kleine Stadthausbesitzer und führte vor allem dazu, dass Mieter großer Stadtwohnungen in die Plattensiedlungen am Stadtrand verdrängt wurden. Es entstand der sogenannte Häuserkampf mit dem Schulterschluss zwischen den Wohnraumsuchenden Jugendlichen und Mietern, die in Häusern wohnten, die von Spekulanten entmietet wurden.

Im Frankfurter Westend gab es zum Beispiel den Häuserkampf, an dem auch gutbürgerliche Menschen teilnahmen, deren Mietshäuser abgerissen wurden. Sie bildeten die Infrastruktur bei den Straßenkämpfen. Selbst in den Kirchen in dieser Gegend fanden die Straßenkämpfer teilweise Schutz vor der Polizei, und wenn wieder mal ein Haus brutal von den Schlägertrupps der Spekulanten entmietet wurde, machten sie großen Wirbel auch in den Medien, weil die zu Hilfe gerufene Polizei erst nach einer Stunde auftauchte, ob wohl sie ja auch schneller kommen konnte, nämlich dann, wenn Häuserkämpfer die Entmieter bei ihrer Arbeit störten.

So wie unsere Eltern (und die Eltern der anderen linken Studenten und bewegten Jugendlichen) wollten wir nicht sein, das war klar. Sie hatten sich in den Aufbaujahren der Nachkriegszeit nichts gegönnt außer der sogenannten Fresswelle, und ihre Vergnügungen bestanden im alljährlichen Auftrieb über Neckermann nach Italien und später auch Spanien. Sie waren, durch die 50er Jahre beeinflusst, unglaublich spießig und verklemmt. Sie hatten (zumindest die meisten von ihnen) in den Kriegsjahren gelernt, wie man hamstert, spart, nicht auffällt und sich an alle Obrigkeit anpasst. Ihre Ideale waren nicht, eine gesellschaftspolitische Vision zu entwickeln, weil ihnen alles Gesellschaftliche und Politische suspekt war. (Einige von ihnen waren zumindest ernsthafte Antifaschisten, doch auch diese waren nun Kinder der gleichen Moral.)

Die meisten Menschen dieser Generation wollten, zumindest war dies der in den Medien vertretene Standart, persönlich im Rahmen der Marktwirtschaft so viel wie möglich erreichen, Karrieren machen und uns, den Nachwuchs, zu unpolitischen Karrieristen erziehen, die persönlichen Träume von Erfüllung dem wirtschaftlichen Vorankommen unterwerfen.

Selbst wenn sie “nur“ ArbeitnehmerInnen in untergeordneter Stellung waren, solide ihrer Arbeit nachgingen und es nicht zum Eigenheim gebracht hatten, selbst dann wollten sie, dass wir es einmal “besser“ hätten als sie, dass wir “Karriere“ machen sollten. Damals war ein solches Ansinnen auch oft von Erfolg belohnt, weil es in der Wirtschaft voranging. War dies vielleicht auch der Grund unserer eigenen wirtschaftlichen Sorglosigkeit?

Die 68er Revolte richtete sich auch gegen den unerklärten aber blutigen Vietnamkrieg der Amerikaner und die deutsche Außenpolitik, die den Krieg und zum Beispiel das blutige Schah-Regime unterstützte.

Bei den Demonstrationen gegen den Schah-Besuch 1967 wurde der demonstrierende Student Benno Ohnesorg von dem Polizisten Kurras erschossen. Er habe sich in putativer (nicht wirklicher aber doch irgendwie potentielle) Notwehr befunden, hieß es in seinem Freispruch. Das alles radikalisierte die Auseinandersetzungen immer mehr. Man darf nicht vergessen, dass wir uns als Teil einer weltweiten Bewegung empfanden, zusammen mit den Studenten im kalifornischen Berkeley und in Paris, wo es den Studenten dort gelang, zusammen mir Gewerkschaften und Teilen der Arbeiterschaft den Staat derart zu erschüttern, dass dort erwogen wurde, Militär einzusetzen.

Auch die konservativen Kalten-Kriegs-Parolen taten ihr Übriges, denn weil vieles derart verlogen war, was uns gesagt wurde, glorifizierten wir die Zustände in Osteuropa. Und heute entdecken wir im Gespräch mit Menschen aus Osteuropa, dass ihr Leben tatsächlich nicht derart schlimm war, wie man uns weismachen wollen, aber wirklich bei weitem nicht so war, wie wir es für uns erträumten.

Schüsse auf Rudi Dutschke, die hetzende Springerpresse, Mord an den Kennedys und an Martin-Luther-King, all das radikalisierte die Szene, weil man das auch auf sich bezog.

Einige der Revoluzzer verstiegen sich in die Auffassung, dass dies ein Bürgerkrieg sei und dass sie die Kämpfer gegen den Staat insgesamt seien und dass sie es mit dem Staat und ihren Organen aufnehmen müssten. Das spaltete die 68er Revoluzzer, weil ihnen nur ein sehr kleiner Teil der Szene dabei folgen wollte und es so sah. Überhaupt hat die immer höher aufgeschaukelte Gewalttätigkeit von beiden Seiten (Staatsorgane und Revoluzzer) zahllose Romantiker einer schönen demokratischeren und sozial gerechteren Welt abgeschreckt, andere in die entstehenden K-Gruppen getrieben, die sich maoistisch und stalinistisch gaben, was angesichts ihrer Bedeutungslosigkeit etwas sektiererisches hatte.

Die Jusos zum Beispiel gaben die Parole aus, den Gang durch die Institutionen wagen zu wollen, das heißt, dass man eine Veränderung der Gesellschaft dadurch hinkriegen wollte, indem man versuchte, in solche Schlüsselpositionen zu kommen, von denen aus man die Zustände verbessern könnte. Es zeigte sich aber, dass viele der höheren Posten nur zu erringen waren, wenn man die entsprechende menschenverachtende und konservative Gesinnung dazu hatte, und die galt es auch durch Taten unter Beweis zu stellen. So erreichten viele 68er zwar führende Positionen in Gesellschaft und Wirtschaft, aber von ihrem Wirken auf diesen Plätzen war man in der Szene allgemein enttäuscht.
Dennoch war die Gesellschaft nach der Studentenrevolte, der 68er Revolte, der Sexrevolte und wie man das alles noch nennen mag, nicht mehr die gleiche wie vorher. Bis in die hintersten Winkel im finstersten Bayern drangen neue Gedanken und drang neuer Lebensmut durch.

Die kommerzielle Kulturszene und die Medien machten zwar ein unpolitisches Revoluzzertum aus den Auseinandersetzungen dieser Jahre, aber das, was frech, selbstbewusst und erotisch zum Beispiel über das Fernsehen und in den Kinos bis in die tiefsten Winkel der Republik verbreitet wurde, hatte dennoch politische Auswirkungen.

Ich kann mich noch an einige Szenen als 16- oder 17Jähriger erinnern, wie ich damals in Südbayern in der Nähe von Lindau eine Zeitlang auf einem Bauernhof lebte. Die alte Bäuerin beklagte sich, dass in Isny immer mehr Evangelische leben würden, worauf der Sohn meinte, dass dies doch auch Menschen seien. Ich kann mich erinnern, wie wir mit dem Gogomobil nach Isny ins Kino fuhren und dort Filme mit Conny und Peter (Kraus) sahen, deren Kessheit (die hier heute nur Gelächter hervorrufen würde) dort in dieser Zeit absolut revolutionär waren.

Die Sprüche, die auch ich als Jugendlicher in diesem Alter von Eltern und anderen Erwachsenen zu hören bekam, waren bis dato: Lass dir die Haare schneiden (männliche Jugendliche mit langen Haaren wurden bisweilen an diesen Haaren übers Straßenpflaster geschleift), höre nicht diese Negermusik (Rock usw., eine eigentliche Jugendkultur und Jugendmusik gab es hier nicht), bei Adolf hättest du so nicht rumlaufen dürfen (und, was sollte das heißen? Doch wohl dass der Nazi-Staat immer noch als Beispiel hoffähig war), führ dich nicht auf wie in einer Judenschule, und anderes mehr.

Die gesamte Gesellschaft war gespalten, in heimlichen und offenen Sympathisierenden mit den gesellschaftlichen Umwälzungen und in Gegnerinnen dieser Revolte. Und die heimliche Sympathie der Gegnerinnen dieser Revolte für den vergangenen Nazi-Staat stand im Gegensatz zur heimlichen oder offenen Sympathie für jeden kleinen Erfolg der anti-kolonialen Bewegungen und manchmal auch den Staaten in Osteuropa.
 
Formen des Widerstandes gegen die konservative Politik
Wir Anhänger, Mitläufer und/oder Sympathisierenden und letztlich auch profitierenden dieses gesellschaftlichen Wandels, wir mussten beobachten, dass die rechtsgerichteten Militärdiktaturen (den spanischen Franko-Staat, In Portugal unter Salasar, in Griechenland der Obristen, Chile usw.) sowie Rassistenregimes (Südafrika) in der Welt durch die USA und eben durch die konservative CDU/CSU-Regierung unterstützt wurden.

Das waren die selben Leute, die Frauen benachteiligten und in die Mutterrolle drängten und die homosexuelle Männer verfolgen und einsperren ließen. Wir sahen da Zusammenhänge im Umgang mit uns und mit den Menschen auch in anderen Bereichen der Welt. Und je mehr gegen uns gegiftet wurde, und je mehr sich Menschen auf der Seite der RassistInnen usw. gegen uns outeten, begriffen wir, wer unser GegnerInnen sind und welches Weltbild sie vertraten.

Man darf nicht übersehen, dass es für diesen gesellschaftspolitischen Wandel nicht nur das subjektive Empfinden einer ganzen Generation gab, sondern dieser Wandel hatte in der Wirtschaft seine Entsprechung.

Durch die Kalte-Kriegs-Haltung der regierenden Konservativen bis hin zum krassen Nationalismus gab es seinerzeit auch keine Möglichkeiten für Unternehmen, mit osteuropäischen Staaten Geschäfte zu machen, wie es unsere westlichen Nachbarländer längst taten. Eine Grundlage des Handels mit dem Osten war die Anerkennung der DDR, was die konservativ regierte Bundesrepublik aus nationalistischen Gründen nicht vollzog. Erst nach dem Regierungswechsel fand durch Brandt eine Mini-Anerkennung statt, was Verträge und wirtschaftliche Verknüpfungen mit westdeutscher Unternehmen ermöglichte, die längerfristig das Gefüge in Osteuropa veränderte und den Zusammenbruch vorbereitete.

In den Nachkriegsunternehmen der Bundesrepublik spielte sich auch ein Wandel ab: Die Gründerväter der neuen Unternehmen mussten zu Kenntnis nehmen, dass sie von alteingesessenen Vorkriegsunternehmen Zug um Zug aus den Lücken verdrängt wurden, in denen sie in der Nachkriegszeit entstehen konnten. Entweder sie gingen unter, oder sie wandelten sich vom väterlichen Unternehmensgründer zum managergeführten Unternehmen um, die dann mit den verflochten wurden. Der gesellschaftliche Wandel war also in Maßen auch von der Wirtschaft erwünscht.

In der konservativen Gesellschaft der Adenauer-Erhard-Kiesinger-Zeit (CDU/CSU-Bundeskanzler) hing aus unserer Sicht eines am anderen. Die rassistischen Argumente gegenüber den Völkern in der sogenannten 3. Welt wie die Verfolgung und Verurteilung der Schwulen, der Diskriminierung der Frau und der Schulterschluss mit den Kirchen, die ewige “soziale Kontrolle” der Jugend bis hin zur verlogenen doppelten Ehe-Moral.

Und daher wurde von uns auch alles infrage gestellt, von der Wirtschaftsordnung über der imperialistischen Weltordnung, von der staatlich durch Gesetze sanktionierten Kirchenmoral über die Ehe zur Verfolgung sexueller Minderheiten. Es ging uns um Mitmenschlichkeit und die Freiheit für das individuelle Lebensglück in einer solidarischen und sozialen Gesellschaft.

Da diese 68er Revolte nahezu eine ganze Generation mehr oder weniger intensiv erfasste, haben wir alle, jeder an seinem Platz, dazu beigetragen, dass sich die Gesellschaft schrittweise veränderte, und so wurden eine Unzahl von kleinen und große Emanzipationsprozesse ins Leben gerufen. Das ging nicht koordiniert oder durch eine Führung gesteuert vor sich, sondern jede und jeder machte alles aus eigener Überlegung, einige schlossen sich auch in größere oder kleinere Organisationen zusammen. Und wir, die ROSA LÜSTE, sind auch eine solche eher kleiner Organisation, und wir, die Kernmitglieder und GründerInnen: Renate, Joachim und Thomas, sind auch als Individuen ständig in solchen Prozessen.

Auch unsere politischen GegnerInnen aus den konservativen Parteien wurden von der 68er Jugendrevolte mit größerer individueller Freiheit beschenkt, die sie natürlich freudig nutzten. Sowohl im Kulturbereich als auch in der Wirtschaft, eigentlich in der gesamten Gesellschaft war ein allgemeiner Aufbruch zu verspüren, die konservativen Nebel in den Köpfen verzogen sich deutlich spürbar. Eine neue Zeit der Aufklärung hatte begonnen, und hat wohl selten in der Geschichte eine Generation junger Menschen gegeben, die derart viel gelesen und gelernt hat. Das führte dazu, dass es überall billige Raubkopien wichtiger Bücher gab. Die Marktwirtschaft ist eben recht anpassungsfähig.

Wenn konservative Politiker öffentlich auftraten, um ihre Nebenkerzen zu werfen, wurden sie von pfiffigen Jugendlichen höhnisch empfangen, und so entlarvte sich so mancher von ihnen durch zornige Zitate, die dann wiederum mit guten Zwischenrufen, Applaus usw. kommentiert wurden.

Alles in allem muss man sagen, dass die 68er Revolte die Bundesrepublik verändert hat. Nicht verschwiegen werden sollten natürlich auch Entgleisungen, die sich auf der Seite der Revoluzzer abspielten, ganz besonders die sogenannte RAF (Rote Armee Fraktion), die allen Ernstes glaubte, in einem bewaffneten Bürgerkrieg die Gesellschaft in ihrem Sinne umgestalten zu können.
 
Was daraus wurde
Es sind immerhin eine ganze Reihe von Bewegungen entstanden: die Frauenbewegung, die Umweltbewegung, die Friedensbewegung, die Lesben- und Schwulenbewegung usw. Die Frauenbewegung existiert noch in Form der Zeitschrift Emma, die Umweltbewegung zeigt sich in Frau Künast und dem Bio-Siegel, Die Friedensbewegung ist in Afghanistan und am Horn von Afrika stationiert. Die Lesben- und Schwulenbewegung sorgt sich, das die Lesben und Schwulen auch brav heiraten usw.

Das Verbot unter Adenauer, den nackten Körper darzustellen, ist einer ganzen Reihe von Unternehmen gewichen, die statt befreitem Sex die Abbildung von Sex bieten. Statt einer sozialistisch-anarchistischen Gesellschaft mit zwischenmenschlicher Solidarität haben wir das Gegenteil. Statt der schönen Kommunen beziehungsweise Wohn-und-Beziehungsgemeinschaften gibt eigentlich fast nur Zweierbeziehungen in kleinen Wohnungen. Statt wirtschaftlicher Beschiedenheit, um mehr Freizeit für Politik und Kultur zu haben, wird mehr als 50 Stunden in der Woche für ein Gehalt für 20 Stunden gearbeitet, sofern man überhaupt Arbeit hat.

Wir wollen nun aber nicht ungerecht sein: es gibt kein Strafgesetz mehr gegen Homosexualität. Es gibt keine gesetzliche Diskriminierung der Frau mehr. Es wird niemand mehr wegen seiner Frisur zum Kriminellen erklärt. Der Kuppeleiparagraph ist abgeschafft usw. das ist aber nicht alles auf die 68er Revolte zurückzuführen, sondern auf Folgeentwicklungen.

Andererseits nehmen Religiosität und der Hang nach einer autoritären Gesellschaftsstruktur, der Schwulenhass und eine freiwillige Selbstmorali-sierung besonders bei den nachwachsenden jungen Menschen zu. bei den konservativen Parteien ist der Wille zum Rollback spürbar, bis hin zum Verlangen nach Einsatz der Bundeswehr im Inneren. Es geht nicht ohne eine ständige Bemühung, Erreichtes zu verteidigen und dafür Bünd-nispartnerInnen zu suchen. Es geht nicht, ohne ständig für soziale solidarische zwischenmenschliche Strukturen einzutreten statt der Spaltungsversuche durch Neiddiskussionen.
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