85.Ausgabe: Winter-LUST 05/06
 
Polizeispitzel in schwulen Betten?
Die bundesweite CDU-Organisation LSU (Lesben und Schwule in der Union) und die Wiesbadener CDU-Bundestagsabgeornete Köhler wollen gesetzlich gegen Barebacking vorgehen.
 
Es gauweilert wieder, und das ausgerechnet von einer Schwulen- (und Lesben-) Organisation, allerdings der CDU/CSU, die sich dem christlichem Menschenbild verpflichtet fühlt und die sich selber als konservative Kraft einstuft.

Angesichts der „dramatischen Zunahme der HIV-Neuinfektionen unter homo- und bisexuellen Männern in Deutschland“, forderten am 30.11.05 die Wiesbadener Bundestagsabgeordnete Kristina Köhler und der Bundesvorsitzende der Lesben- und Schwulen in der Union (LSU) Roland Heintze ein schärferes Vorgehen gegen die so genannte Barebacking-Szene.

Es mangele der Barebacking-Szene weniger an Aufklärung als an Einsicht. Deshalb forderte Kristina Köhler, dass notfalls auch gesetzliche Schritte geprüft werden müsse. Dies sei in anderen europäischen Ländern, so zum Beispiel in Österreich oder in der Schweiz, bereits geschehen. In Österreich etwa stelle der § 178 des Strafgesetzbuches die vorsätzliche Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten unter Strafe.

Sex sei „natürlich Privatsache“. Aber: „Hier geht es darum, dass das HIV-Virus vorsätzlich oder zumindest fahrlässig verbreitet wird“, so der Bundesvorsitzende der LSU Heintze. Dies führe seiner Ansicht nach nicht nur zu einer neuen und unkontrollierbaren Wachstumsphase der Epidemie, sondern auch zu einer unfairen Belastung der Gesundheitssysteme. „Das Verhalten der Barebacking-Szene konterkariert den Kampf gegen das Virus auf Kosten derjenigen, die unsere Hilfe brauchen, weil sie sich mit Aids infiziert haben“, so die gemeinsame Erklärung.

Anlass für die Pressemitteilung ist ein Bericht der Sendung „Report aus Mainz“ (SWR), der am Montag in der ARD ausgestrahlt wurde. Der Autor Daniel Hechler hatte sich dort zum dritten Mal mit der Bareback-Problematik auseinandergesetzt und sich sehr moralisierend in die Debatte eingeschaltet. Nach einer Anmoderation, in der Bareback als „Schwulensex ohne Kondom“ bezeichnet wurde, kamen Betroffene und Dirk Meyer zu Wort, zumindest, so lange es gewünscht war. Der Geschäftsführer der Deutschen Aids-Hilfe kam kurz mit einer verständnisvollen Äußerung zum Bareback-Verhalten zu Wort, wurde aber vor einem zweifellos folgendem „aber“ abgeschnitten. Ein derart geschnittener Erklärungsversuch Meyers, warum die DAH nicht auf Strafe, sondern Verantwortung setzt, wurde ihm als Skandal ausgelegt.

Die taz Nr. 7838 vom 6.12.2005, schrieb dazu auf Seite 14: „Dampfraumpolizei? Die Lesben und Schwulen in der Union fordern, gummilosen Sex unter Homosexuellen zu bestrafen Sie haben in der Partei ihrer Herzen nichts, gar nichts zu melden. Lesben und Schwule in der Union, kurz: die LSU, haben nun zumindest einen feinen PR-Erfolg verbuchen dürfen - und zwar im Zusammenhang mit einem Beitrag des ARD-Magazins „Report aus Mainz“: Dort wurde im Vorschein des Weltaidstages vor Männern gewarnt, die beim Sex mehr oder weniger vorsätzlich auf ein Kondom verzichten. Wie in alten, schlechten Tagen, als vom Spiegel Aids noch zur „Schwulenseuche“ hoch-gejazzt wurde, wurde in diesem Filmchen suggeriert, Schwule seien verantwortungslos - weshalb man so genannter Barebacker (Männer, die ohne Sattel reiten, heißt: Ficken ohne Gummi) habhaft werden müsse, um sie zu bestrafen. Zwar wussten auch die Unionsgesundheitspolitiker Rita Süssmuth und Heiner Geißler schon in den Achtzigern, dass eine aufklärende Arbeit nur ohne Zwang und Androhung von Sanktionen gedeiht - aber was schert das schon, wenn es um die ungeheuren Ängste von nichtschwulen Männern und Frauen geht, denen ein Schwuler ohnehin wie ein apokalyptischer Reiter vorkommt? Man stelle sich vor, wie man diese Männer erwischen will: per Razzien in Mannschaftsstärke?, Schlagstockeinsätze im Dampfraum?, verdeckte Ermittler auf Sexpartys?, Informelle Mitarbeiter („IM Stoß“? „IM Präser“?), also Denunzianten, oder gar mit Videokameras in allen einschlägigen Kneipen, Saunen und Parks?

Die LSU jedenfalls will endlich von ihren Partei-hierarchInnen ernst genommen werden - und fordert nicht die Härte des …, aber des Gesetzes: Wer barebackt, soll ins Kittchen. Immerhin: eine Bundestagsabgeordnete aus dem Hessischen hat sich erbarmt und sich der Forderung, über die alle, buchstäblich alle Gesundheitspolitiker und -arbeiter nur beschämt lachen, angeschlossen: Auch sie finde, dass man den Dingen, wie in Österreich schon möglich, den Garaus machen müsse. Ein Anruf in Wien hätte gereicht, um die Absurdität des Unterfangens zu erkennen.

Die echten Sexfreischärler, deren es ja nicht viele gibt, trifft man eben nicht dort, wo Politiker glauben, dass sie sein müssten. Sondern in privaten Zusammenhängen, auf geschlossenen Feiern … oder in Hotelzimmern auf Parteitagen, wie man aus verlässlicher Quelle hört, wenn die Rede auf den jüngsten Unionsparteitag kommt. Na, wenn das die Kanzlerin wüsste! Der LSU-Vorschlag ist eine Idee von Menschen, die das Wort Rechtsstaat auch nach neuer Rechtschreibung buchstabieren können: aber nicht dem Inhalt nach. Kontraproduktive Panikmache, das! JAF“

Das wiederum gefiel der LSU und der Bunddestagsabgeordneten Köhler gar nicht. Die junge Frau schrieb also an die taz einen Lesreinnenbief mit folgendem Inlalt:
“Sehr geehrte Damen und Herren der taz-Redaktion, zu Ihrem Artikel „Dampfraumpolizei“ vom 6.12.2005, möchte ich Folgendes klarstellen:
1. Weder die Lesben- und Schwulen in der Union (LSU) noch ich haben gefordert, ungeschützten Geschlechtsverkehr unter Homosexuellen zu bestrafen.
2. Auch in Österreich wird nicht das barebacking verboten, sondern die fahrlässige (§ 179 ÖStGB) und die vorsätzliche (§ 178 ÖStGB) Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten.
3. Den Fahrlässigkeitstraftatbestand habe ich in meiner Pressemitteilung nicht angesprochen. Ich habe nur darauf hingewiesen, dass die vorsätzliche Gefährdung von Menschen mit einer übertragbaren Handlung in anderen europäischen Ländern - etwa Österreich - als gemeingefährliche strafbare Handlung gewertet wird.
4. Ich habe mich nicht, wie Sie schreiben, gegenüber der LSU erbarmt, sondern die Pressemitteilung gemeinsam und gleichberechtigt mit dem Bundesvorsitzenden der LSU herausgegeben. Hintergrund war und ist, dass es in der homosexuellen Szene selbst eine Diskussion darüber gibt, ob das Anpreisen von ungeschütztem Geschlechtsverkehr mit sowohl HIV-positiven als auch HIV-negativen Männern in Internetforen, auf Veranstaltungen und in Sexclubs nicht verantwortungslos und unsolidarisch ist. Wenn solche „Partys“ explizit damit beworben werden, dass man hier mit seinem Leben „Russisch Roulette“ spielen kann, dann mag das Ihrem Redakteur gefallen und er mag seine Witzchen über „IM Präser“ reißen. Mir ist dabei weniger zum Lachen zumute.
5. Was Sie „kontraproduktive Panikmache“ und als „Hochjazzen zur Schwulenseuche“ bezeichnen, sieht in der Realität so aus: Das Robert-Koch-Institut konstatiert in seinem neuesten Bulletin vom 25. November 2005 eine deutliche Zunahme der HIV-Infektionen seit dem Jahr 2000. Im Jahr 2005 gab es rund 2.600 Neuinfektionen in Deutschland, davon waren rund 2.200 Männer. Insgesamt schätzt das RKI, dass rund 70 Prozent der Neuinfektionen durch homosexuelle Kontakte geschahen; begründet wird dies mit einer Veränderung im sexuellen Risikoverhalten. Ist es nicht viel eher kontraproduktiv, diese Gefahren zu verharmlosen?
Akzeptieren Sie endlich, dass Schwulsein keine politische Einstellung ist, sondern Ausdruck privater Lebensführung. Seien Sie kritisch, seien Sie ruhig links. Aber missbrauchen Sie nicht die schwule community für politische Propaganda.
Mit freundlichen Grüßen, Kristina Köhler, MdB
 
Hier unser Kommentar dazu:
Es ist ja sehr nett, wenn CDU-Frau Köhler der taz großzügig erlaubt, ruhig kritisch und links sein zu dürfen. Aber die Gay-Community oder die schwule Szene werden nicht für irgendeine Propaganda missbraucht, wenn darauf hingewiesen wird, dass eine Drohung mit dem Strafgesetz und der Polizei gar nichts bringt, um die Barbacking-Szene zu disziplinieren oder zu Maßregeln. Die ganze von der CDU geführte Barebacking-Diskussion wird moralisch geführt und sieht in schwulen Männern und besonders in der Bare-Backing-Szene Schuldige, die dem Gesundheitssystem Geld kosten.

Der Geschäftsführer der DAH Dirk Mayer kam in dem betreffen Interview mit folgendem Halbsatz zu Worte:“ Ich habe dafür persönlich und individuell Verständnis, weil Menschen keine Maschinen sind. Und wenn Menschen sich in bestimmten Situationen für Risiko entscheiden, dann kann ich das verstehen.“ Was er hier weiter sagen wollte, wurde abgeschnitten. Aber dieser Halbsatz ist doch ganz zu recht gesagt worden, wie denn sonst will man seitens der Aidshilfe die Barebacker erreichen? Auch folgender Satz, der zu Protesten der Moderatoren führte, wurde von Mayer ganz zurecht gesagt: „Ich weiß, dass das in anderen Ländern in Europa zum Teil anders gehandhabt wird. Aber aus der Erfahrung in Deutschland auch mit der Verfolgung von schwulen Männern im Dritten Reich und danach noch, wissen wir, dass an der Stelle hilfreicher ist und auch richtiger ist, auf Einsicht und Verstand sich zu orientieren und nicht auf gesetzliche Regelung.“ Genau so ist es, man benötigt die Mitarbeit der Männer in den Sexparties und auch im Gay-Privathaushalt. Dazu ist nötig, dass offen und ehrlich gesprochen werden kann, ohne Angst, sondern vertrauensvoll. In Deutschland sind die Razzien der Polizei in der Hitlerzeit und in der CDU-Adenauerzeit nicht vergessen. Und das ist übrigens auch gut so. Es geht nur mit Einsicht und Vernunft und nicht mit irgendwelchen Verfolgungsankündigungen. Ich verstehe, dass die LSU dazu nicht die nötige Sensibilität aufbringen kann, da sie sich ja in einem konservativen und christlich geprägten Umfeld aufhält und da ihre Mitglieder der gleiche Ideologie anhängen.

Wie soll denn das Barebacking-Verhalten mittels Strafgesetz beendet werden? Und wann handelt es sich um das bewusste Weitergeben einer Krankheit? Jeder, der sich in der anonymen Sex-Szene ungeschützt in sexuelle Handlungen begibt, muss davon ausgehen, dass er auf HIV-positive Männer trifft. Das muss jeder wissen, das weiß auch jeder. Anonymer Sex ohne Schutz ist gleichzusetzen mit dem Versuch, sich mit HIV zu infizieren.

Wenn bei zwei Partnern beide Männer positiv sind, wird niemand neuinfiziert. Dieses Verhalten ist trotzdem nicht ungefährlich, da eine Infektion mit anderen Krankheiten erfolgen kann, beispielsweise mit Hepatitis. Und die ist, wenn jemand ohnehin ein geschwächtes Immunsystem hat, sehr schwer wenn nicht gar überhaupt nicht zu behandeln.

In einer Sexparty mit anonymen Sex müsste nun also jemand bestraft werden. Einmal davon abgesehen, dass die Beteiligten an diesem Spiel sich nicht mit Namen und Anschrift offenbaren, wer ist denn der „Schuldige“, der zu bestrafen wäre? Der HIV-infizierte Mann, der davon ausgeht, dass hier alle auch infiziert sind, oder der nichtinfizierte Mann, der sich in eine solche Situation begibt?

Wir wissen natürlich, was als Idee hinter der Haltung steht, mittels Strafgesetz die HIV-Infektion verbieten zu wollen: wer HIV positiv ist, soll alleine auf Schutz bestehen, oder auf Sex verzichten. Kann man das von einem Menschen verlangen? Geht es darum, dass die Nichtinfizierten den gesetzlichen Schutz erhalten sollen, Barebacking zu betreiben? Natürlich auch nicht. Wenn es schon nicht möglich ist, auch ihnen homosexuelle Kontakte ganz zu versagen, dann wenigstens die unkultivierten und ungebremsten.

Die Auffassung, mit solchen Drohungen oder auch Gesetzen erzeugt natürlich nicht das Ende der Neuinfektionen, sondern sogar im Gegenteil ein Ausbreiten. Denn die Nichtinfizierten könnten so in falscher Sicherheit sich riskanter Verhalten als ohne, der Staat schützt sie schon. Übrigens, der „dramatische Anstieg von Neuinfektionen im vergangenem Jahr, nämlich nicht 2000, sondern 2600 Neuinfizierte, kann man sicher sein, dass dieser Anstieg durch die Leute geschehen ist, die sich offen als Barebacker bezeichnen?

Kann es denn nicht auch so sein, dass die gegenseitigen Treueversprechen, die das freie (kondomfreie) Sexverhalten von Beziehungen ermöglicht, und das Blasen bis zum Ende, dass dieses Treueversprechen doch nicht immer eingehalten wird, und dass gerade in der Szene, die sich den Sexparties entzieht und in Zweisamkeit lebt, auch sehr gefährdet ist, weil der Mensch nun mal ein Mensch ist? Kann nicht ein Teil der 600 zusätzlichen Neuinfektionen, die in dieser Diskussion wohl die Rede von dem „rapiden Ansteigen“ rechtfertigen, über ganz verschiedene Wege geschehen sein? (LUST)
 
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