84. LUST (Herbst 05)
 
Urlaub und Badefreuden
Über Urlaubsbekanntschaften, Freundschaften, die den Urlaub überdauern, über Urlaubsgefahren und wie uns die Heimatszene nach dem Urlaub vorkommt.

1. Der Urlaub
Jeden Morgen aufstehen, wenn man noch etwas schlafen möchte. Und dann jeden Morgen auf der Straße im Stau und im Geschiebe der ganzen Pendler, die ebenso missmutig in ihren Autos sitzen, dort noch frühstücken, sich rasieren, die Zähne auspulen, mit sich selbst reden, sogar die Bildzeitung lesen stehen und fahren. Jeden Morgen dann die Kolleginnen und Kollegen, mit denen uns die Lüge verbindet, dass man glücklich ist diesen Beruf zu haben. Na ja, der Beruf ist es nicht, der uns das Leben so trostlos erscheinen lässt, es sind die Bedingungen drum herum. Besonders die Unfreiheit, das Untergeben sein unter Vorgesetzte, und das über Jahre und ohne sichtbares Ende, das Folgen von Sachzwängen statt Neigungen, das alles ist nahezu unerträglich und wenig zufriedenstellend. Täglich begibt man sich für viele Stunden scheinbar freudig in diese unerträglich Situation. Dann Feierabend, zurück im Stau.

Auch der Feierabend ist verplant: noch ein bisschen einkaufen, essen, bisschen Glotze glotzen, alles bereit machen, damit der Arbeitstag morgen wieder reibungslos funktioniert. Und nun ist schon wieder Schlafenszeit. Das war es mal wieder für heute.

Und die Monate verstreichen. Oh nein, da gibt es doch auch noch das Wochenende. Anfänglich gibt man sich kreativ und individuelle, später schleichen sich auch hier immer die gleichen Rituale ein. Und schnell ist wieder Sonntag Abend. So verstreichen die Wochen, Monate, Lebensjahre. Ist das ein Leben?

Ein Leben ganz ohne Hoffnung ist eigentlich nicht lebbar. Man müsste wahnsinnig erden oder aufrührerisch, was die gleichen Folgen hätte. Aber worauf sollte man die Hoffnungen setzen: Einerseits, indem man sich darüber klar wird, das dies der Genuss des Lebens ist, der Alltag. Und die kleinen Freuden des Alltags und des Feierabends und des Wochenendes, die ermöglichen vielleicht irgendwie, dass man Hoffnungen hat. Aber Halt!

Mindestens einmal im Jahr wird alles anders sein: da liegt man dann im Bett, so lange man möchte, da fährt man mal am Morgen ganz andere Strecken, da geht man in eine ganz andere Wohnung, da sieht man ganz andere Gesichter, da lernt man ganz andere Menschen kennen, da erlebt man, dass man lebt. Es ist dies die Möglichkeit, aus dem Korsett, in das uns der Alltag stellt, auszusteigen und ein neuer Mensch zu sein.
 
1.1. Urlaub als Mittel zur Zufriedenheit
Die Gedanken an den nächsten Urlaub ermöglichen es, dass man täglich die Arbeit macht und seine KollegInnen erträgt. Und schließlich: das Geld für den Urlaub muss doch irgendwie und irgendwann auch verdient werden, also erträgt man die Arbeitswelt noch etwas. Die Hoffnung auf den Urlaub lässt uns Vieles ertragen. Und bei dem täglichen Kleinkrieg sonnt man sein Gemüt in der Hoffnung auf den Urlaub. Und beim Rüffel durch den Chef, bei den Herabsetzungen und dem verhalten von KollegInnen, die im zähen Kleinkrieg versuchen, unsere gute Arbeit als ihre auszugeben, und ihre Fehler auf uns zu schieben, bei allem dem denkt man, dass es doch noch ein bisschen erträglich ist, weil ja das schöne freie Urlaubsleben lockt, wo man zumindest für einige Zeit das alles vergessen kann.

Die tägliche Arbeit, das Gefängnis des Arbeitslebens mit seinen Regelmäßigkeiten ist nur zu ertragen, weil man weiß, dass die Erholung, die Zeit zum Atem Holen, die Möglichkeit auf uns zukommt, in der wir ferne Länder, andere Menschen usw. erleben können. Wir überwintern auf der Arbeitsstelle und im täglichen Einerlei, um uns dann in die Sonne zu legen. So lässt sich das ertragen, so kommt man zurecht.
 
1.2. Urlaub als Projektion der Freiheit
Der Feierabend, der Schrebergarten, der Chat im Internet, das Wochenende, der Sex am Wochenende, der Urlaub so, wie wir ihn uns wünschen und erträumen, das alles ermöglicht uns, die Gefangenschaft des Arbeitsalltages zu ertragen. “Wie ist man frei, wenn man Gefangene ums ich hat, und alle angstbedrückt, gramgebückt, chefgeknickt, geldverrückt ...” singt Georg Kreisler in seinem Lied “Freiheit ist die Kneipe nebenan”. Und genau das drückt den Gedanken dieses Referates aus.

Alles ist scheinbar anders im Urlaub. Uns man ist ja selber schuld, wenn man keinen Abenteuerurlaub macht, von dem man bisweilen liest oder hört, sondern sich einer Tourismusfirma anvertraut, und da kann es dann ja abenteuerlicher kommen, als man erwartet hat.
Was mich einengt, möchte ich im Urlaub abwerfen. Was mich anödet und langweilt, dem möchte ich im Urlaub entfliehen. Und endlich möchte ich auch einmal Zeit für mich selber haben: ausruhen, vielleicht etwas Lesen usw. Und daraus ergeben sich im Grunde zwei gegensätzliche Urlaubsbedürfnisse: die Reise in ein anderes Land und das zu Hause bleiben; endlich mal Zeit haben, das kleine Paradies des Zuhauses für sich genießen. Letztere Sehnsucht tauch in den Medien seltener auf, weil niemand dafür Werbung bezahlt. Daher versuchen Viele, am Urlaubsort, ein kleines Zuhause herzustellen: Der Garten um den Camping-Wagen oder das Zelt zum Beispiel.
 
1.3. Urlaub zu Hause
Wer nicht mehr daran glauben kann, dass er auf einer Reise so viel anderes erleben kann wie zu Hause, wer endlich Zeit haben möchte, mal etwas länger am Abend auszugehen, wer Vieles, was sein Zuhause benötigt, nun endlich einmal in Ordnung bringen möchte, oder endlich einmal ein lange bereitgelegtes Buch zu lesen, der freut sich auf den Urlaub zu Hause. Aber auch, wer täglich viele Stunden auf der Arbeit ist, wer aus beruflichen Gründen viel Rumfahren muss, der sehnt sich vielleicht gar nicht danach, im Urlaub auch wieder wegzufahren, sondern endlich auch einmal sein Zuhause zu genießen. Nun leben ja viele Menschen unserer Szene nicht alleine, und so ist nicht sicher, dass die Bedürfnisse nach Zuhause auch erfüllt werden. Aber es gibt auch andere Gründe, weshalb der Urlaub zu Hause die Bedürfnisse nicht erfüllen kann.

Ich sitze zum Beispiel auf dem Balkon, das gute Buch vor mir, etwas zu trinken neben mir. Ich lese in dem Buch und meine Blicke schweifen auf die Blumenkästen. Was sehe ich da, das schöne harmonische Bild der Kästen wird gestört durch eine Unkrautpflanze, die ich nicht sehen konnte, als ich nicht saß und sie von dieser Perspektive her sehen konnte. Na gut, reißen wir sie raus. Das macht Dreck, der weggeräumt werden muss. Bei der Gelegenheit sehe ich noch etwas in der Küche, dass ich schnell aufräume, und der Fernseher mit einer blöden Gerichtsverhandlung hält mich fest. Dann sehe ich, es ist jetzt Zeit das Abendessen zu machen und der schöne Lesenachmittag ist weg. Es geht nicht zusammen: Augarbeiten von Liegengebliebenen und die Ruhe beim Lesen.

Das Lokal, in dem ich endlich einmal länger bleiben wollte, ist plötzlich nahezu leer, weil die meisten Gäste eben keinen Urlaub haben, und die, die Urlaub haben, sind weggefahren. Das Leben hier ist eben vollkommen auf die Arbeitswelt ausgerichtet.
Und die Traumprinzen sind auch nicht da, weil sie nie da waren. Und kam mal einer vorbei, dann in fester Beziehung. Der Urlaub zu Hause erfüllt die Erwartungen kaum, weil er mit der Vorstellung des Alltages überlagert wird. Man spart auch nicht so viel, denn nun gibt man zu Hause deutlich mehr aus. Und ist der Urlaub zu Hause zu Ende, fühlt man sich, als wäre nur ein Wochenende zu Ende. Also vielleicht mal wieder eine Urlaubsreise?
 
2. Die Urlaubsreise
Schon ein halbes Jahr früher werden die Kataloge gewälzt und der Spartakus ausgewertet. Die Wahl des Urlaubsortes wird je schwieriger desto mehr Personen ihre offenen und ihre heimlichen Urlaubsbedürfnisse darin unterbringen wollen. Nun ist der Ort festgelegt, es werden die Medikamente überprüft, die man möglicherweise benötigt, mögliche Versicherungen überprüft und abgeschlossen, die Urlaubszeiten in den Unternehmen festgelegt, alles ist also vorbereitet worden.

Die Reise selber gehört schon zum Urlaub. Mit dem Auto zum Beispiel biegt man jetzt nicht ab, wo es zur Firma geht, sondern fährt geradeaus in die Freiheit, von Stau zu Stau, von Tankstelle zu Tankstelle mit erhöhten Benzinpreisen, mit Straßenmaut, doch es geht in die Freiheit des ausgewählten Urlaubsortes.

Die Bahn-, Schiffs- oder Flugreise beginnt auch am ersten Tag. Gut, das Schlange Stehen am Schalter, die Gepäckwaage, ein Teil der mitreisenden Leute, das alles wäre entbehrlich, aber es geht in die Freiheit des Urlaubs. Es geht zum Ziel der Träume, auf das man so lange gewartet hat, auf das man sich so sehr gefreut hat, da sind ein paar Widerwärtigkeiten doch kein Problem, man übersieht sie einfach.
 
2.1. Das Land der Träume
Das Land der Träume ist voll von freundlichen Menschen mit einer völlig anderen Mentalität, glaubt man und erlebt man jetzt. Sie bedienen uns und lesen uns die Wünsche von den Augen ab. So wie sie, gehen unsere bekannten zu hause nicht mit uns um. Klar, die wollen nur unser Geld, aber es ist trotzdem schön, derart behandelt zu werden.

Man sieht Landschaften, die man sonst nur von den bunten Monatskalendern kennt. Man entdeckt ein geschmiedetes Hausschild, an dem man zu Hause achtlos vorbeiläuft. Das Licht, das Wetter, die Gerüche und die Geräusche, alles ist anders und daher freundlicher als zu Hause. Und hier wimmelt es von Traumprinzen und Prinzessinnen, eine(r) schöner als der/die andere.

An den schlecht aussehenden Plätzen schaut man großzügig vorbei, da man ja mehr Lust hat, die schönen Seiten zu sehen. Schließlich ist es ja das Erlebnis, auf das man sich psychisch abstützt.

Man geht spazieren, fotografiert irgendwelche Häuser, Bäume und als schön empfundene Menschen. Man besucht Sehenswürdigkeiten und entspannt sich im Schatten mit kühlen Getränken. Was kann es Besseres geben? In den Cafés und Kneipen versucht man, nicht nur mit den netten Wirtinnen und Wirten, sondern auch mit gut aussehenden Einheimischen ins Gespräch zu kommen, und so hat man den Eindruck, dass man einen Eindruck von Land und Leute bekommt. Der Urlaub auch noch als Bildungsreise.
 
2.2. Anders wohnen
Auch wenn es nur ein Zelt ist oder ein Wohnwagen, wenn es eine Ferienwohnung ist oder ein Hotelzimmer ist, wenn es ein Ferienbungalow ist, es ist hier anders als zu Hause. Und weil es anders ist und Urlaub, ist es erst einmal besser. Es die Schnitt gegenüber dem täglichen, was uns die Urlaubsreise lieben lässt. Manch eine(r) überlegt sich, ob man hier vielleicht seinen Altersruhesitz errichten soll, denn das Rentenalter ist ja der große Urlaub. Ein Urlaub, der nicht mehr durch Arbeit beendet wird. Im anders Wohnen lässt man alles hinter sich, was man im Laufstall des Alltags, des täglichen Lebens nicht mehr sehen mag.
 
2.3. Anders essen
Mit einer Urlaubsreise sind auch entweder Restaurants verbunden, oder das Essen auf dem Campingplatz, auch das ist anders als die tägliche Hausmannskost oder es scheint so, es ist anders als das Kantinenessen. Und es ist ja vielfach tatsächlich anders, je nachdem, wo man in Urlaub ist. Naja, Montezumas Rache usw. Die Darmbakterien sind das nicht gewöhnt oder bekommen Rivalen. Da sucht man dann die Lokale am Urlaubsort, in denen mit dem Fremdartigen nicht übertrieben wird. Mal ein Wiener Schnitzel zu Abwechslung?
 
2.4. Die Urlaubsbekanntschaft
Auf dem Campingplatz trifft man Leute, die sich mit den selben Schwierigkeiten rumschlagen wie man selber: Duschmöglichkeiten, ruhestörender Lärm, unangenehme Gerüche und Geräusche usw. Man verabredet, diese Bekanntschaft fortzusetzen, aber befindet man sich dann zu Hause im Laufstall des Alltages, gibt es gar keine reale Grundlage dieser Bekanntschaft mehr. Man trifft Menschen im Hotel, weil man am selben Tisch das Frühstück und das Mittag- oder Abendessen einnimmt. In Appartement oder im Urlaubsbungalow befreundet man sich beim Besuch des kleinen “Supermerkado” oder abends in der Bodega, in der Disco. Auch hier trifft zu, dass man die Grundlage verliert, wenn man wieder zu Hause ist, es sei denn, dass eine sexuelle oder eine Liebesbeziehung der Hintergrund der Bekanntschaft war.
 
2.4.1. Urlaubsaffären
Im Urlaub lernt man natürlich auch andere Menschen kennen, weil man sie für sexuell erotisch empfindet. Und die Kontakte gelingen leichter. Es kann sich um andere TouristInnen handeln die ebenso nach neuen Erlebnissen suchen, oder eben um Einheimische, die sich gerne aus diesem Grund in der Nähe der TouristInnen aufhalten. Eine solche Affäre beginnt relativ leicht, man ist ja im Urlaub ein bisschen lockerer und mit einer rosa Brille versehen.

Urlaubsaffären, besonders, wenn es um eine Verliebtheit geht, leiden natürlich daran, dass sie in der Regel zu Ende sind, wenn der Urlaub zu Ende ist. Dies ist zumeist aus der Distanz der Wohnorte begründet. Aber wenn diese nicht vorliegt, ist es in dem Umstand begründet, dass die betreffenden Beteiligten im Alltagsleben anders sind als im Urlaubsleben. Immerhin ist das Urlaubsleben doch auch ein Verhaltensurlaub vom Alltagsverhal-ten. Und es ist bekannt, dass der umgekehrte fall auch häufig vorkommt. Junge bzw. frische Partnerschaften kommen meist beim ersten gemeinsamen Urlaub in eine Krise.

Ich will hiermit nicht behaupten, dass aus Urlaubsaffären nie eine längere Freundschaft werden kann, aber die Bedingungen dafür sind zumeist recht schlecht. Deshalb aber sollte man sich zum Zeitpunkt des Urlaubs seine Affäre(n) aber nicht schlechtreden lassen, sondern genießen. Aber um hinterher nicht traurig zu sein, sollte man wissen, dass sie wahrscheinlich dann zu Ende sind, wenn der Urlaub zu Ende ist. Naja, und dann noch eines: Der Traummann, die Traumfrau, der Traumboy usw. am Urlaubsort lebt manchmal einfach davon, von Touristen eine zeitlang ausgehalten zu werden, denn im Urlaub ist man in der Regel etwas freigiebiger.
 
2.4.2. Sextourismus
Genau genommen ist ja jeder Tourismus auch Sextourismus, weil man sexuelle Bekanntschaften im Urlaub wohl kaum ausschließen möchte. Es sei denn, man ist mit seinem/seiner gegenwärtigen Sexpartner/in unterwegs. Aber das ist ja (uneingestanden) nur eine vorübergehende Phase, was man natürlich nicht wahrhaben möchten, so lange man sich in diesem unnatürlichen Zustand befindet. So lange die Lust nach eine Urlaubsergänzung einer bestehenden sexuell funktionierenden Partnerschaft nicht gegenseitig akzeptiert ist, sondern uneingestanden funktioniert, kann nicht ehrlich über Gefühle gesprochen werden. Schlimmer ist, wenn Sex in der Beziehung kaum oder überhaupt nicht mehr stattfindet, und die Beziehung dennoch als wertvoll und gut empfunden wird. Dann darf diese Beziehung aber nicht zur Institution des gegenseitigen Verhinderns von Sexualität sein, eher käme es dann darauf an, füreinander Verständnis zu haben oder sich gegenseitig zu unterstützen.

In den Urlaubsregionen finden sich viele jüngeren und älteren Menschen, die sich auf die eine oder andere Art prostituieren. Es ist nicht immer klar, wo die Grenze zwischen Freundschaftsgeschenken und der Bezahlung für Sex zu ziehen ist. Das ist vielleicht auch gar nicht notwendig, wenn es sich um die jeweils freiwilligen Handlungen zwischen Menschen handelt. Bezahlte körperliche Dienstleistungen können nicht aus der Sicht irgendeiner verlogenen Doppelmoral bewertet werden.

Es gibt aber nicht nur bei uns, sondern auch in den Urlaubsländern Strukturen des Prostitutions-Arbeitsmarktes, bei dem wenig Gemeinsamkeit mit freiwillig eingegangenen Dienstleistungsverhältnissen zu erkennen sind, sondern eher mit Sklaverei. Die Arbeitsbedingungen in allen Berufen verschlechtern sich zusehends für die ArbeitnehmerInnen. Und da kann ein Mensch doch nicht mit ruhigem Gewissen seinen Vergnügungen nachgehen, wenn er fürchten muss, dass die Geschäftspartnerin oder der Geschäftspartner und in Wirklichkeit gar nicht gegenübertritt, sondern nur deren Sklave oder Sklavin.

Für mich ist das Lustvolle an meinen Sexerlebnissen, dass ich die Lust eines Partners an meinem Körper erlebe. Wer gar keine Lust an meinem Körper empfindet, erzeugt in mir auch gar keine Lust.
 
3. Das Urlaub-Ende
Der Urlaub von 3 Wochen ist der ideale Urlaub, denn in der 1. Woche sieht man viel Neues und muss sich dabei auch ein bisschen orientieren, wo es einem gefällt. In der 2. Woche kann man dann alles richtig genießen, was man entdeckt hat. In der 3. Woche im Prinzip genießt man auch noch, aber was einem so alles nicht gefällt, drängt sich einem auch immer weiter ins Bewusstsein. Man sieht die Unterdrückung der Dienstkräfte unterschiedlicher Art. Man sieht mit offeneren Augen all das, was uns zu Hause auch eher stören würde. Oftmals denkt man sich, ob berechtigt oder aus Unkenntnis unberechtigt: “Also bei uns zu Hause würde es das nicht geben.” Es fallen einem überhaupt immer mehr Dinge auf, die einem zu Hause besser gefallen. Man sehnt sich auch wieder nach dem Freundeskreis zu Hause. Vielleicht fallen uns auch Dinge ein, die wir zu Hause noch zu erledigen haben, und die wir mit Erfolg verdrängt haben.

Es lässt sich nicht mehr übersehen, wir bereiten uns gedanklich, wenn das Urlaubende näher kommt, auf die Rückreise und die Zeit nach dem Urlaub vor. Es kann sein, dass wir denken: hier kommen wir das nächste Jahr wieder her, was nicht bedeutet, dass wir das dann auch einhalten. Oder wir sagen, dass wir im nächsten Jahr mal wo anders hinfahren wollen. Das tun wir dann meistens auch.
 
3.1. Zurückkehren
Mit dem Auto durch die Staus, dem Flugzeug usw. zurück. Bei jedem Kilometer in Richtung der eigenen Wohnung lebt man ja schon schrittweise wieder in der eigenen Wohnung. Und je näher man kommt, freut man sich auch darauf, bald wieder zu Hause zu sein. Man hofft, dass mit der Wohnung in der Zwischenzeit nichts passiert ist, dass die beste Freundin die Blumen gegossen hat und dass niemand eingebrochen ist. Es war ja im Urlaub irgendwie schön gewesen, aber zu Hause ist auch schön, auf eine andere Weise schön. Die Reise war anstrengend und man ist froh, endlich wieder zu Hause zu sein.
 
3.2. Erinnerungswerte
Die Fotos auf der Digitcam werden auf den Rechner runtergeladen. Wenn man sie ausdruckt und Freunden und Kollegen zeigt, sind diese merkwürdig uninteressiert beziehungsweise eher höflich interessiert.

Das kann ja auch nicht anders sein, denn mit den speziellen Foto verbindet der Reisende Erlebnisse, die gefühlsmäßig besetzt sind, die sich beim Betrachten einiger griechischen Steine dem Betrachter natürlich gar nicht erschließen können. Er kann es nicht mit den Augen des Urlaubers sehen, der z.B. die historischen Zeugnisse des Humanismus aufsuchen wollte und verzaubert war von der Sonne, den freien Tagen, den Geräuschen, den Gerüchen und den netten Menschen um ihn herum.

Und so ergibt es sich dann nach dem Urlaub, wenn Freunde oder KollegInnen sich treffen, um vom Urlaub zu erzählen. Keiner will zuhören, niemand interessiert sich wirklich für die Urlaubsbilder, alle warten nur, dass sie endlich dran sind, um von ihrem Urlaub erzählen zu können.
 
4. Der Urlaub als Alltag
Die Urlaubsindustrie, vom Reisebüro über die Hotels bis zu den Club-UnterhalterInnen, haben natürlich den Urlaub als Alltag. Aber es gibt auch Menschen, die immer Urlaub haben. Ich meine nun nicht Arbeitslose, obwohl dies ein urlaubsähnlicher Zustand sein könnte, wenn genügend Geld da wäre. Ich meine auch nicht die Fettaugen auf der Gesellschaftssuppe, denen die Dividenden scheinbar automatisch in die Taschen fließen, die es nicht nötig haben, zu arbeiten. Mir geht es hier eher um Menschen, die ständig in ihrer Berufsarbeit eingebunden sind und die sich darauf freuen, einige Zeit dieses Eingebundensein nicht zu fühlen.
 
4.1. Arbeit für den Urlaub
Wir kennen Menschen, die für den Urlaub der TouristInnen arbeiten oder gearbeitet haben, denn in unserer Szene gibt es eine ganze Reihe von ihnen. Das Problem der Urlaubsbeschäftigten ist, dass sie im wesentlichen saisonell beschäftigt sind. Ihre Lage ist in der Regel nicht so besonders. Wer im Urlaub offene Augen hat, bekommt das auch mit und kann seine Lage nicht mehr so sehr genießen.
 
4.2. Urlaub ohne zeitliche Grenze
In den Arbeitsjahren, die sich der Rente nähern, tröstet man sich auch ständig mit der Aussicht, dass einem der ganze Laden schon bald mal kreuzweise könnte. Besonders heutzutage entwickeln sich diese Gefühle rapide, da die politische Lage in Deutschland so aussieht, dass alleine die kleinen Leute, die täglich in den Betrieben arbeiten, auch noch ständig erpresst, stärker getriezt, ständig in den Medien für alles verantwortlich gemacht werden.

Die Sozialsysteme werden so lange geändert, bis sich mit ihnen Gewinne für Kapitalanleger realisieren lassen. Und zu allem Überfluss wird behauptet, dass die Rente nicht mehr der Preisentwicklung angepasst werden könne, da man nicht alle Schulden auf die junge Generation übertragen dürfe. Deshalb also sollen die Menschen, die jetzt Rentner sind und bald werden, zukünftig auf einen Teil ihrer erworbenen Rente verzichten.

Dennoch, auf die Rente freut man sich aufgrund der immer widerwärtigeren Arbeitsbedingungen dann ständig mehr. Es ist dies wie ein Urlaub, der nicht mehr aufhört, es sei denn, mit dem Tod. An den denkt man zu Beginn der Rente aber noch nicht so richtig, obwohl einem natürlich schon klar ist, dass man diese Phase als körperlicher oder geistiger Pflegefall oder direkt mit dem Tod beenden wird. Und wenn man nachrechnet, dass man nun schon so 65 Jahren oder mehr lebte, und wenn man weiß, dass es vielleicht bis 75 oder höchstens ungefähr 85 Jahren geht, weiß man, dass dieser Urlaub so lange auch nicht mehr dauert. Und je älter man wird, um so misstrauischer wird die Umwelt. Und so versuchen die ältesten der Alten täglich ihrer Umwelt zu beweisen, dass sie noch nicht dement oder anderweitig behindert sind, weil dies noch einige Zeit in Freiheit bedeutet.

Wer aber nun neu ein Rentner ist, denkt daran nicht, weil er noch eine Zeit des Urlaubs von der Arbeit zu erarten hat. Und nun stellen sich ihm zwei dann zwei Möglichkeiten, wenn die eine finanziell durchführbar ist.

4.2.1. Grenzenlose Urlaubsreise
Es gibt viele alte Menschen, die sich eine Ferienwohnung oder ein Ferienhaus in ihrem bevorzugten Urlaubsland besorgt haben, um gerade dort, wo sie sich in den Arbeitspausen am wohlsten fühlten ihren Lebensabend verbringen zu können. In vielen Urlaubsländern gibt es Menschen, die hier ihren Lebensabend verbringen. Allerdings werden sie schnell merken, dass die netten Menschen im Restaurant, wo sie im Urlaub immer so nett bedient wurden, zunehmend alltäglich werden, wenn man ihnen im Alltag begegnet. Sie erweisen sich dann als so aufmerksam oder unaufmerksam, wie es die entsprechenden Leute in Deutschland sind. Außerdem ist die Gesundheitsversorgung für alte Menschen vielleicht doch nicht so gut, und falls die betreffende Person ein Pflegefall wird, tauchen neue Probleme auf
 
4.2.2. Grenzenloser Urlaub zu Hause
Das ist die Urlaubsform des RentnerInnendaseins für die meisten der alten Menschen. Nicht nur, weil sie sich die andere Form nicht leisten können, sondern weil sie sich in den vertrauten Strukturen wohl fühlen. Das Leben ist für die Betreffenden tatsächlich anfänglich wie Urlaub. Dieser Urlaub wird dann zunehmend zur Routine, zum Alltag. Die Abwesenheit von Erwerbsarbeit wird dann zunehmend für normal gehalten, das tägliche Leben verliert also den Urlaubscharakter. Wenn Urlaub zur Normalität wird, ist er kein Urlaub mehr.
 
Zwangsurlaub
da gab es einmal eine Zeit, in der Arbeit als Zwang empfunden wurde, nämlich weil man die Erwerbsarbeit für entbehrlich hielt, nicht aber den Lebensunterhalt, den man dafür bekommt. Nun bekommt man den auch nicht mehr, sondern der Staat zahlt das Arbeitslosengeld II weiter, obwohl man arbeitet, denn man erhält ein derart niedriges Gehalt, dass man davon nicht im geringsten leben kann. Man hat also die Löhne der sogenannten 3. Welt hier im Lande, nicht aber die Preise. das ist also das „Reagieren auf die Globalisierung“, von dem die 4 Regierungsparteien unter Schröder und Merkel reden.

Warum arbeitet man denn dann überhaupt? Erwerbsarbeit ist nämlich kein Zuckerschlecken, war es nie, ist es trotzdem immer weniger. Man wird nicht mehr als Partner behandelt, sondern so, als sei man ein Zwangsarbeiter. „Humanität am Arbeitsplatz“ taucht auch als gewerkschaftliche Forderung nicht mehr auf. Und den Zwangsurlaub hat man, wenn man trotz aller Unterwerfungen und dem Geld, das man mitbringt, damit man arbeiten darf, keine Stelle dafür findet.

Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit wird dieser Zwangsurlaub genannt. Ich habe das so formuliert, um den Kopf ein bisschen klarer zu bekommen, meinen, denn dies anders zu formulieren wäre ein selbstbetrügerische Heuchelei.

Macht doch wenigstens den Balkon-Urlaub daraus und werdet nicht depressiv, wenn Euch momentan niemand für Lohnarbeit benötigt. So doll ist es nämlich auch nicht, wenn man für wenig Geld die Launen von Vorgestzten erträgt, und das auch noch freiwillig.
 
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