- 84. LUST (Herbst 05)
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- Rosa Listen komplett im Reißwolf?
Bayern will nach öffentlichem Druck polizeiliche Speicherung
von Homosexuellen einstellen / Thüringer Landesregierung
wähnt Homokarteien aus DDR-Zeiten entweder vernichtet oder
irgendwo in Staatsarchiven
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- Pressemeldung der whk vom 29.09.05:
Im Skandal um die Erfassung Homosexueller in Computerprogrammen
der Polizei haben die Landesregierungen Bayerns und Thüringens
erneut reagiert. Hierzu erklärt das whk:
Die Fahndung von Schwulengruppen nach illegalen Homosexuellenkarteien
in den Datenbanken von Länderpolizeien hat sich ausgezahlt:
Nach wochenlangem öffentlichen Druck wird nach Nordrhein-Westfalen
nun auch die bayrische Polizei künftig sowohl auf die präventive
Speicherung des Personenmerkmals homosexuell verzichten
als auch auf die Speicherung von Personen, die von der Behörde
- ohne Vorliegen einer Straftat - an polizeibekannten Homosexuellentreffpunkten
kontrolliert werden.
Dies geht aus einer Antwort der Münchner Landesregierung
auf eine Schriftliche Anfrage der bayerischen SPD-Landtagsabgeordneten
Helga Schmitt-Bussinger hervor. In einem Schreiben an den CSU-Landsinnenminister
Günther Beckstein hatte die SPD-Innenpolitikerin die Staatsregierung
aufgefordert, nicht nur die Speicherung mutmaßlich homosexueller
Personen künftig zu unterlassen, sondern insbesondere die
bereits gespeicherten Daten umgehend und nicht erst beim Verstreichen
der üblichen Regelfristen zu löschen. Erst dann sei
die diskriminierende und das Persönlichkeitsrecht erheblich
verletzende Praxis wirklich beseitigt, so Schmitt-Bussinger.
Das whk teilt vorbehaltlos die Ansicht der SPD-Politikerin, daß
die Entscheidung des Münchner Innenministeriums langst überfällig
war. In einer Pressemitteilung der SPD-Landtagsfraktion vom 28.
September hatte Schmitt-Bussinger erklärt, die Behörde
habe nach wochenlangen zögern allein auf öffentlichen
Druck von interessierten Bürgern und Parlamentariern
reagiert. Unklar ist jedoch, ob die bislang offenbar nicht ganz
legal gespeicherten Daten gelöscht werden sollen oder bereits
gelöscht worden sind und ob dieser Vorgang vom bayerischen
Landesdatenschutzbeauftragten überwacht wurde bzw. wird.
Nicht bekannt ist ferner, ob die betroffenen Personen schriftlich
über die Löschung ihrer Daten informiert werden sollen,
wie es verschiedene Schwulengruppen in den letzten Wochen immer
wieder gefordert hatten.
Nach Bekanntwerden der heimlichen Erfassungspraxis im Mai hatte
Bayern entsprechende Speicherungen zunächst bestritten.
Später gab die Landesregierung jedoch an, dass allein die
Codenummer 901 (Aufenthalt von Homosexuellen) seit
1983 in 126 Fällen im polizeilichen Datenverarbeitungsprogramm
IGPV vergeben worden sei. Nach Ansicht des whk dürfte angesichts
regelmäßiger Kontrollen und Razzien insbesondere an
Münchner Schwulentreffpunkten die tatsächliche Zahl
aller erfassten Homosexuellen weitaus höher liegen, zumal
allein die Münchner Polizei seit mehr als zwanzig Jahren
erwiesenermaßen polizeiliche Lockspitzel an Schwulentreffpunkten
einsetzt.
Infolge der AIDS-Hysterie hatte in den achtziger Jahren der damalige
Münchner Kreisverwaltungsreferent Peter Gauweiler (CSU)
schwule Kneipen, Bars und Saunen kontrollieren und schließen
lassen. Deren Besucher wurden regelmäßig als AIDS-Risikopersonen
bei den Gesundheitsämtern gespeichert und mussten sich zum
Teil zwangsweise von den Behörden auf eine HIV-Infektion
testen lassen. Im Jahr 1995 war zudem bekannt geworden, dass
die Polizei in die Pässe ausländischer Stricher Vermerke
wie Homo-Szene und Homo-Strich eintrug.
Es ist anzunehmen, dass diese Vermerke auch in den Polizeidateien
vorgenommen wurden. Die bereits 1983 von der CSU-Stadtratsfraktion
in einem Antrag gebrauchte beleidigende Formulierung, Besucher
von Schwulentreffpunkten seien soziallästig,
war sogar von der Münchner Staatsanwaltschaft bestätigt
worden.
Unterdessen hat der Thüringer Innenminister Karl-Heinz Gasser
(CDU) zu einer vom whk angeregten Anfrage der PDS-Landtagsabgeordneten
Susanne Hennig in Sachen Rosa Listen Stellung genommen. Zum möglichen
Verbleib der von ostdeutschen Bürgerrechtlern aufgedeckten
Homokarteien aus DDR-Zeiten erklärte Gasser am 15. September
im Erfurter Landtag, Datenbestände der DDR-Volkspolizei
seien beim Neuaufbau der Thüringer Polizei nicht übernommen
worden. Sie wurden entweder vernichtet oder den Staatsarchiven
übergeben.
In welchen Archiven genau sich die Akten befinden und ob sich
dort tatsächlich Unterlagen befinden, konnte Gasser allerdings
nicht angeben. Auf konkrete Nachfrage der PDS-Abgeordneten geriet
Gasser ins Trudeln: Wir schließen nicht aus, dass
sich in den Staatsarchivunterlagen so etwas befinden könnte,
wir können das allerdings nicht sagen, weil entweder aus
den Polizeicomputern und Akten die Vernichtung erfolgte und der
Rest den Staatsarchiven gegeben wurde, ohne dass wir sagen können,
in irgendeiner Staatsarchivakte der Tausend oder Zehntausend
befindet sich irgendein Hinweis, dort ruhen sie, glaube ich gut,
stotterte der Innenminister laut amtlichem Plenarprotokoll.
Menschen mit Interesse am Verbleib der DDR-Homokarteien riet
Gasser sichtlich verärgert, sich da um weitere Forschungen
zu kümmern, wir haben dafür keine Zeit! Das whk
erinnert Gasser daran, dass in der DDR Homosexuelle, sofern sie
sich beispielsweise unter dem Dach der Kirche homopolitisch betätigten,
nicht in erster Linie bei der Polizei, sondern Dienststellen
des Ministeriums für Staatssicherheit erfasst wurden. Offen
bleibt demnach die brisante Frage, ob diese sensiblen Daten des
damaligen DDR-Geheimdienstes möglicherweise in die von der
Bundesregierung nicht bestrittenen Homo-Datensammlungen des Bundesamts
für Verfassungsschutz und anderer Sicherheitsbehörden
übernommen wurden und bis heute von ihnen genutzt werden.
Angesichts der wochenlangen Vernebelungstaktik der Behörden
scheint für das whk erhöhtes Misstrauen gegenüber
den Verlautbarungen von Landesinnenministern nicht allzu übertrieben.
Das whk fordert homosexuelle Beamte mit Zugang zu Polizeicomputern
auf, weiterhin Beweise für die illegale Speicherung von
Homosexuellen auch in den Bundesländern zu sammeln, die
sich zu dieser Frage bislang nicht geäußert haben
- wie etwa Berlin.
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