- 82. LUST, Frühling 05
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- Der Stellenwert des Analverkehrs
Nicht nur im Internet wird bei sexueller
Kontaktaufnahme gefragt: Bist du aktiv oder passiv?
Soll man sich auf eine sexuelle Geschlechtsrolle festlegen. Will
man das überhaupt? Über den Zusammenhang zwischen Kondom-Apellen
der Aidshilfen, heterosexuellem Sexualverhalten und dem Wandel
der Sexpraktiken bei schwulen Männern.
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- Aus einem Interview (Siehe 81. LUST auf S.
24 f.) mit Rainer Schilling, der in der Deutschen Aidshilfe in
Berlin für die Präventionsarbeit für homosexuelle
Männer und männliche Prostituierte verantwortlich ist:
Joachim: Und dann gibt es natürlich noch die Bläser,
die gerne schlucken wollen.
Rainer: Das scheint zuzunehmen. Da scheint man wenig Ängste
zu haben, seltsamerweise.
Joachim: Weil das nicht Sex ist?
Rainer: Die Clinton-Doktrin scheints.
Joachim: Die Leute behaupten, sie machen Safer Sex, das
bezieht sich aber nur auf den Pariser beim Ficken und nichts
anderem. Da gibt es Leute, die sagen, sie sind treu und wenn
ich dann bei einem anderen nur blase, das zählt ja nicht.
Rainer: Also das ist ja ganz spannend. Das hieße
ja die Heterosexualisierung der Homosexuellen. Denn die Auffassung,
dass nur die Penetration der eigentliche Sex ist und das andere
nicht, das war ja bei Schwulen früher mal ein bisschen anders.
Zum Teil ist daran natürlich die AIDS-Hilfe schuld, muss
man sagen, denn die präventive Zuspitzung aufs Kondom ist
eine Zuspitzung auf den Analverkehr und da gerät das andere
eventuell aus dem Blick. Junge Homos, es gibt ja in den Niederlanden
eine entsprechende Umfrage, finden den Analverkehr als konstituierend
für den schwulen Sex, eine Aussage, die wir natürlich
nie so senden wollten. Aber so kommt es an, wenn es so über
das Kondom in den Mittelpunkt gerät.
Joachim: Es ist offensichtlich so, bei Chat-Kommunikation
im Internet, dass Sex Analverkehr ist.
Rainer: Tja, dann brauchen wir mal wieder den Dannecker
mit einer größeren Umfrage.
Joachim: Das scheint besonders bei Jüngeren so zu
sein, so 20- bis 30-jährigen.
Rainer: Früher haben sie sich dagegen gewehrt, wenn
sie so reduziert wurden, und zwar mit Recht. Ja, das ist bedenklich.
Aber das ist jetzt in unserem Gespräch nur ein Nebenthema.
Soweit also der Auszug aus dem Interview. Er deutet an, das als
Sexualität das Bumsen oder gebumst Werden verstanden wird,
andere Sexualitätsformen werden als Petting empfunden oder
wie das in der Aufklärungszeit der 60er Jahre als Vorspiel.
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- 1. Ist das Bumsen (sich bumsen lassen)
die eigentliche menschliche Sexualität?
Wer biologisch argumentiert, sagt natürlich, dass Sexualität
dem Zeugen von Nachwuchs dient. Aber die erlebte körperliche
Nähe zwischen Menschen war immer vielseitiger, und übrigens
auch die von Tieren (Siehe 80. LUST Seite 8 ff.). Nicht die Biologen,
sondern die Menschen, die sich Vorteile davon versprechen, dass
sie eine Kontrolle über den Zugang zur Sexualität ausüben,
die menschlichen Moralapostel in der Gesellschaft, die Religionsverkünder,
gerade diese behaupten, die Sexualität auf die Natur zurückzuführen.
Dies behaupten sie besonders, wenn sie von guter und sündhafter
Sexualität reden. Ich selber empfinde es als eine üble
Beleidigung, wenn sich jemand anmaßt, einen Teil meiner
Identität frech als sündhaft oder auch
pervers abzuwerten.
Die menschliche Sexualität hat derart viele Facetten, hat
derart viele Spielarten, dass wir ihr nicht gerecht werden, wenn
wir sie auf Vermehrungsakte oder Akte, die ihnen ähnlich
sehen, reduzieren. Dieses Sortieren der Sexualität ist willkürlich
und im Grunde auch untersuchungswürdig, denn niemanden geht
es etwas an, was zum Beispiel zwei Menschen einvernehmlich miteinander
machen.
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- 1.1. Gesellschaftliches
Wie bekannt sein dürfte, wird als das stärkste aller
Unterscheidungsmerkmale zwischen Menschen das Geschlecht angesehen.
Aus der Tatsache der unterschiedlichen Geschlechtsorgane werden
eine ganze Reihe von Schlussfolgerungen gezogen, die dann tatsächlich
alle irgendwie natürlich sein sollen.
Natürlich scheint es so, aber zahlreiche Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler, die sich die Mühe machten, genauer
zu forschen fanden heraus, dass einmal die Geschlechtsrollen
(weiblich männlich) Erziehungsprodukte sind, und
die sexuelle Ausrichtung noch einmal ein Erziehungsprodukt ist.
Barbara Gissrau beschreibt dies in ihrem Buch Die Sehnsucht
der Frau nach der Frau, das Lesbische in der weiblichen
Psyche, Kreuz Verlag Zürich, 1993 auf S. 152 f.: Manche
ForscherInnen behaupten, dass aggressives Verhalten ein angeborener
Geschlechtsunterschied zwischen Junge und Mädchen sei. Jungen
seien von Geburt an aggressiver als Mädchen.
Fausto-Sterling
(1988) analysierte ein Fülle von Untersuchungsergebnissen
auf diesem Gebiet und kam zu dem Schluss, dass eine solche monokausale
Verknüpfung keinesfalls gerechtfertigt sei. Sie erwähnt
z.B. eine Studie, von Condry, in der SudentInnen ein Film über
ein Kleinkind gezeigt wurde, das verschiedenen Reizen ausgesetzt
war. Der einen Gruppe wurde gesagt, dass dieses Baby ein Mädchen
sei, die andere sollte glauben, dass es ein Junge sei. In dem
Film begann das Kind zu weinen. Die ZuschauerInnen wurden danach
gefragt, wie das Weinen auf sie wirke. Die Gruppe, die meinte,
einen Jungen vor sich zu haben, empfand das Weinen als Ausdruck
von Zorn. Die Gruppe, die das Baby für ein Mädchen
hielt, meinte, das Kind weine aus Angst. Erwachsene deuten also
das Verhalten des Kindes entsprechend anders, wenn sie es als
Junge oder Mädchen definieren. Untersuchungen haben gezeigt,
dass Eltern von Jungen diese häufiger körperlich bestrafen,
sie häufiger zu grobmotorischem Verhalten anregen als Mädchen
und von ihnen vehementer die entsprechende Jungenrolle
fordern als von Mädchen die Mädchenrolle.
All dies kann aggressives Verhalten fördern. In der
feministischen Literatur finde wir zahlreiche Arbeiten, die sich
mit der Dressur zum Mädchen beschäftigen.
1991 erschien das amerikanische 1990 in London herausgegebene
Buch Mythos Mann Wie Männer gemacht werden:
Rollen, Rituale, Leitbilder von David D. Gilmore in deutscher
Sprache. 1993 erschien es als Taschenbuch bei dtv, München.
Gilmore beschreibt, dass
heutzutage nahezu
überall auf der Welt Kulturen existieren, in der aus dem
Menschen mit Penis der Mann dressiert wird. Auch bei sogenannten
Naturvölkern, die er im o.a. Buch beschreibt, findet diese
unnatürlich Dressur statt. Diese Dressur zum Mann ist grausam
und aggressiv, die Jungen leiden an ihr und das erreichte Ziel
wird oft mit Mannbarkeitsritualen gefeiert, die immer etwas mit
Selbstunterdrückung und Körperfeindlichkeit zu tun
haben. Es scheint das größte Problem heterosexueller
Männer zu sein, für unmännlich gehalten zu werden,
und es ist ihr größter Stolz, in ihrer Männlichkeit
bestätigt zu werden. Aber auch die anderen Männer und
Frauen sanktionieren dieses Rollenverhalten. Gilmore berichtete
von Alfredo (S. 57 ff.), der in einem andalusischen Dorf lebt
und abends nicht auf der Piazza mit den anderen Männern
herumsteht, sonder Fernsehen schaut, Bücher liest usw. Schon
bald befindet er sich ständig auf dem Prüfstand der
öffentlichen Meinung. Nach einiger Zeit meint man, er sei
wohl ein Pantoffelheld. Die beiden schönen Töchter
könnten unmöglich von ihm gezeugt worden sein. Als
man noch herausfindet, dass er seiner Frau gelegentlich beim
Kochen hilft, lachte man ihn auf offener Straße aus und
machte ein angeekeltes Gesicht, wenn man über ihn sprach.
So wurde er geistig seiner Männlichkeit beraubt, denn man
behauptete, er habe auch ganz kleine Hoden.
Manifest für den freien Mann nannte Volker Elis
Pilgrim ein Buch, das schon 1979 in 5. Auflage im Trikont Verlag
erschienen ist. Hier beschreibt er, wie die körperfeindliche
Männererziehung zu Erkrankungen und Problemen führt,
die für normal gehalten werden. Er
entwickelt
hier Strategien aus der Männerrolle, aus dem Wiederholen
von gegenseitigen Beziehungserpressungen, indem das Verhalten
der Herkunftsfamilie nicht mehr wiederholt werden soll. Zu seinen
Strategien gehört das bewusste Abnabeln von den Eltern und
vor allem das bewusste aufnehmen homosexueller Handlungen, denn
ein Mann könne eine Frau nicht wirklich lieben, wenn er
nicht auch sein eigenes Geschlecht lieben könne.
Er wurde mit seinen Büchern nicht sonderlich berühmt,
sie waren nur vorübergehend in bestimmten Zirkeln in Mode.
Man behauptete, er sei halt ein Schwuler, und damit war offensichtlich
alles gesagt. Ausführlich schreibt er über die gesellschaftlichen,
emanzipativen und gesundheitlichen Vorteile des passiven Analverkehrs
von Männern.
Im passiven Analverkehr scheinen sich alle schlimmen Zusammenhänge
für einen heterosexuellen Mann zu kristallisieren, die ihm
denkbar sind. 1982 schrieb ich in meinem in Wiesbaden erschienen
Buch Wärmer leben (S. 32) frech: Dass
aber der Analverkehr von den Heteros so in den Mittelpunkt gerückt
wird, hängt damit zusammen, dass die ein so komisches Verhältnis
zu
ihrem Arsch haben. Die haben ihren
Arsch, besonders den Schließmuskel, eigentlich als Unterdrückungsinstrument
des eigenen Körpers kennen gelernt. Für uns ist der
Schließmuskel ein Körperteil, der Lust empfangen und
auf den ganzen Körper abstrahlen kann. Für den Hetero
ist dies die wunde Stelle, der verletzliche Teil, an dem der
Männerstolz sitzt. Die zusammengekniffenen Arschbacken machen
den heldenhaften Mann aus. Deren Verkrampfung ist die Männlichkeit.
Tja, du Held Achilles, die Stelle, an der dein Heldentum verwundbar
ist, ist nicht die Verse. Und Siegfrieds verwundbare Stelle,
in die Hagen seine Speer donnerte, um Siegfrieds Heldentum und
Mannesleben ein Ende zu setzen, diese Stelle liegt nicht zwischen
den Schulterblättern.
Peinlich empfinde ich heute an diesem frechen Text nicht die
Aussage, denn damals war unsere übrigens sehr erfolgreiche
Strategie die freche Provokation. Peinlich empfinde ich für
mich nur, dass ich als schwuler Mann gar keine so sehr lustvollen
Erlebnisse mit dem passiven Analverkehr machte. Ich wollte wohl
damals besonders emanzipiert wirken und gab das Erleben dieser
Lust vor.
Übrigens, die ehelichen Pflichten, das ist der
Vollzug des Geschlechtsverkehrs, der auch zum Nachwuchs führt.
Wenn da nun für die Homo-Ehe bei Scheidungen von Bedeutung
würde. Was wären denn hier die ehelichen Pflichten?
Etwa der Vollzug von Analsex?
1.2. Psychologisches
Im Jahre 1974 wurde eine Untersuchung unter dem Titel Der
gewöhnliche Homosexuelle veröffentlicht, die
Martin Dannecker und Reimut Reiche durchgeführt haben. Über
den Analverkehr haben die beiden wie folgt geurteilt:
An die anale Lust, besonders, wenn der Mann sich ihr hingibt,
sind die Vorstellungen von schmutzig, weiblich und unterwürfig
gebunden. Was wunder, dass die Homosexuellen, wenn sie offen
mit den Werten der heterosexuellen Welt konfrontiert werden,
sich das Urteil der Heterosexuelle zueigen machen und den Analverkehr,
besonders den passiven, nicht wahrhaben wollen. Sie wollen in
den Augen des heterosexuellen Mannes ebenso richtiger Mann
sein wie dieser. In einer Arbeit aus dem Institut für Sexualforschung
ist nachgewiesen worden, dass das
Bild,
das Heterosexuelle sich vom homosexuellen Mann machen, sehr stark
in die Richtung von weich, verschwommen, schwach, triebhaft,
ekelhaft, unausgeglichen geht. Die Homosexuellen haben
sich zumindest partiell zu eigen gemacht. So stimmen auch 57
Prozent der von uns Befragten der Position zu: Viele Homosexuelle
sind zu wehleidig. Sie suchen jemand, der an ihrem Unglück
schuld ist, anstatt sich zurecht zu finden und sich anzupassen.
Das Anteil des homosexuellen Selbstbildes, der direkt auf die
Identifizierung mit dem heterosexuellen Aggressor zurückzuführen
ist, dürfte auch dafür verantwortlich sein, dass die
Homosexuellen früherer Untersuchungen sich in der Frage
nach dem Analverkehr der heterosexuellen Norm unterworfen haben.
Sie haben sich den schmutzigen Analverkehr selber
nicht eingestanden und dadurch gezeigt, dass sie gar nicht so
schmutzig und unterwürfig sind, dass also Diskriminierungen
und Diffamierungen keine Berechtigung haben. (Martin Dannecker
/ Reimut Reiche: Der gewöhnliche Homosexuelle, S. Fischer
Verlag Frankfurt 1974 S. 206)
Wenn man nun nicht den homosexuellen Mann untersucht, sondern
den heterosexuellen, so sind Aussagen wie ekelhaft
ein Beleg, dass es sich hier nicht um ein begründetes Urteil,
sondern um eine emotionale Äußerung handelt. Der schwule
Mann ist für den heterosexuellen Mann offensichtlich eine
Projektion für männliches versagen, bei seinem Bemühen,
das zu werden, was man in der Gesellschaft männlich
nennt. Und der passive Analverkehr ist daher für den heterosexuellen
Mann der Beleg, dass ein schwuler Mann weibisch sei,
wozu noch kommt, dass der Darmausgang viel mit dem Schmutzwort
Scheiße zu tun hat, das in der Umgangssprache
für alles Negative benutzt wird.
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- 1.3. Lustfragen
Nicht nur der Penis und besonders dort die Eichel ist lustempfänglich.
Ich erlebe das so, dass die ganze Region um den Penis und zwischen
den Beinen äußerst lustempfänglich ist. Alle
Männer und Frauen wissen das, scheint mir. Unterschiedlich
ist nur, ob sie dazu stehen, ob sie es entwickeln und ausleben
und dann wie sie das ausleben, und das wiederum ist auch noch
davon abhängig, ob und welche Partner sie dazu finden.
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- Diese ganze Region ist durch ein Netz von
Nerven durchzogen, die ihrerseits mit dem Penis beziehungsweise
mit der Vagina verbunden sind. Gegenseitiges Küssen und
Lecken der ganzen Region wird allgemein als sehr angenehm empfunden.
Unabhängig von den gesellschaftlichen Rollen, die sich auch
in den sexuellen Stellungen zeigen, wissen das alle sexuell aktiven
Menschen. Dass aber der Darmausgang und die Harnröhre auch
Abfallstoffe nach außen transportiert, bestätigt natürlich
die Erziehung zur Reinlichkeit und Moral, in der ein Trennung
zwischen oben (Gesicht, Person) und unten (Geschlecht, Körper)
stattfindet. Zumindest die Harnröhre aber dient auch der
Reinigung des vorderen Teiles der Vagina und des Kanals, durch
den das Sperma nach außen transportiert wird. So einfach
ist das nicht mit den Begriffen sauber und unsauber. Dennoch,
Waschen ist die Grundlage für Zungen- und Mundspiele. Was
den Analverkehr betrifft, so gibt es viele passive homosexuelle
Menschen, die eine Darmspülung dem passiven Analverkehr
voranstellen. Man sollte aber diese Spülungen nicht allzu
oft durchführen, da die Bakterienflora dadurch geschädigt
wird, die den Darm schützt.
Beim passiven Analverkehr bei einem Mann wird von innen die Prostata
gestreichelt, was als lustvoll angesehen wird und was Pilgrim
mutig als vorbeugendes Mittel gegen Prostatakrebs beschreibt.
Eine ganze Reihe von Frauen wie Männer mit heterosexueller
wie homosexueller Identität kennen und lieben Analsex, eine
ganze Reihe heterosexueller wie homosexueller Frauen wie Männer
mögen vielleicht irgendwie geartete anale Lust, kaum aber
den Analcoitus. Ich würde sagen, das ist eine Geschmackfrage.
Tragisch ist nur, wenn es Menschen gibt, die sich wegen der Geschlechtsrollenerziehung
um diese Variation der sexuellen Stimulierung bringen. Das ist
nicht nur für sie selber tragisch, sondern allzu oft auch
für uns, nämlich dann, wenn wir sie als erotisch empfinden.
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- 2. Leitbilder und die Frage der Identität
Heutzutage scheint bei den nachwachsenden männlichen altersgleichen
homosexuellen Paaren der Analverkehr die Sexualität an sich
zu sein. Viele Gesprächspartner finde ich, die mir erzählen,
dass ihnen die aktive wie die passive Variation gleich viel bedeute.
Die gesellschaftspolitischen Fragestellungen um die Männer-
und Frauenrolle kümmern sie nicht, sie sind männliche
Männer und der passive Analverkehr ist kein weibliche Hingabe
für sie sondern eine sexuelle Technik, was es ja auch wirklich
ist. Dass Männer, auch homosexuelle Männer, ihre Männlichkeit
gar nicht in Frage stellen, dass Frauen, auch homosexuelle Frauen,
ihre Weiblichkeit überhaupt nicht infrage stellen. Nur ihre
individuelle Freiheit, unbekümmert um solche Fragen zu handeln,
scheint zugenommen zu haben.
Bei den männlichen Homosexuellen scheint der Analverkehr
tatsächlich zur eigentlichen homosexuellen Handlung geworden
zu sein, andere Versionen sexuellen Handelns sind offensichtlich
zu Petting, zu Vorspielen deklassiert. Noch so machohaft auftretende
jugendliche Männer wollen den passiven Analverkehr ausprobieren,
weil sie befürchten, dass ihnen das beste entgeht.
Dies unterscheidet sich doch sehr von der sexuellen Identität
der Schwulen früherer Jahre, wo die gesellschaftspolitischen
Zusammenhänge in Bezug auf Männer- und Frauenrolle
stärker in unsere Szene eingriffen, die sexuellen Varianten
jedoch einschließlich der Selbstbefriedigung als gleichwertig
angesehen wurden.
Ich führe diesen Wandel allerdings nicht so sehr auf die
Kampagnen der Aidshilfe zurück, sie hat wohl nur einen Trend
bestätigt. Es ist dies eher die Auswirkung der Normalisierung
des schwulen Lebens. Die Diskriminierung eines Mannes als unmännlich
hat in unserer Gesellschaft an Schärfe verloren und erscheint
subtiler. Da in den offiziellen Medien homosexuelle Menschen
immer deutlicher als normale Menschen dargestellt
werden, glauben die neuen Lesben und Schwulen auch selber daran,
da sie nichts anderes kennen.
Ausnehmen möchte ich nur die verkündete Geschlechtmoral
in ganzen Gruppen Jugendlicher unter 18 Jahren, in bestimmten
Immi-grantInnengruppen und sicherlich auch in den nationalistisch
geprägten Subkulturen.
3. Grundlegendes zum Analverkehr
Für alle, die hinter dem Thema eher praktische Tipps erhofft
haben, hier noch einige Tipps in diesem Zusammenhang:
Du möchtest gerne mal die so genannte passive Rolle einnehmen,
dich jemandem hingeben, neue Lustzentren deines Körpers
entdecken aber du hast Angst vor Schmerzen, bist unsicher
und weißt nicht, wie du vorgehen sollst? Dann gilt als
erstes: Rede dir nicht ein, dass alles schief gehen wird, was
nur schief gehen kann. Sicher wird es dir ungewohnt vorkommen,
einen Penis in deinen Arsch eindringen zu lassen, aber viele
Menschen genießen das sehr. Auch heterosexuelle Paare geben
sich dem Analsex hin, weil sie daran Lust empfinden. Wichtig
ist vor allem, herauszufinden, wie du diesen Sex am liebsten
magst. Dazu kannst du eine Menge ausprobieren.
Gerade beim ersten Mal möchten viele Jungs sich lieber rittlings
auf den Penis des Partners setzen, um selbst die Tiefe und die
Geschwindigkeit des Eindringens kontrollieren zu können.
Möchtest du das auch probieren, bau es einfach in das sexuelle
Spiel ein: Wenn dein Partner auf dem Rücken liegt und du
ihm einen bläst, kannst du z.B. nach einem Kondom greifen
und ihm überziehen. Dann nimmst du ein kondomverträgliches
Gleitmittel, das du in ausreichender Menge auf seinem Penis verteilst.
Wenn du nun vorsichtig auch noch dein Loch mit Gleitmittel einschmierst,
kannst du auch schon mal mit einem Finger langsam deinen Schließmuskel
darauf vorbereiten, dass er nun etwas aufnehmen soll.
Jetzt kannst du dich über deinen Partner knien. Du nimmst
seinen Schwanz in die Hand und versuchst vorsichtig, ihn in dir
aufzunehmen. Dazu musst Du allerdings deinen Schließmuskel
öffnen, statt ihn verkrampft zuzudrücken. Lass dir
ruhig Zeit: Das Gefühl wird dir ungewohnt erscheinen, vielleicht
auch etwas unangenehm. Wenn Du es zu schnell machst. Kann er
sich verkrampfen. Aber du selbst bestimmst nun, wie es weitergeht.
Bewege dich langsam, gewöhn dich an das ungewohnte Gefühl.
Du wirst merken, was dir gefällt - und wie es dir gefällt.

Andersrum: Wenn Du die appetitlichen Arschbacken siehst und er
sich ficken lassen will, zum ersten Mal in seinem Leben vielleicht,
hast Du natürlich eine große Verantwortung. Am entspanntesten
liegt er auf dem bauch oder auf der Seite. Entspannung ist das
wichtigste in dieser Sache. Erste Regel: Nichts überstürzen!
Bevor du deinen Schwanz reinstecken kannst, muss er voll steif
sein, damit kein Rumgewürge wird. Du kannst dann Gleitmittel
auf deinem Finger verteilen und sanft deinem den Schließmuskel
massieren, mit einem Finger locker eindringen. Dann vielleicht
zwei und dann drei Finger. Das ist nicht besonders erotisch für
den Partner, erleichtert ihm aber das Eindringen des Schwanzes.
Erst wenn er glaubt, dass er soweit ist, geht es dann weiter!
Gib ausreichend Gleitmittel auf deinen Schwanz (Kondom nicht
vergessen!) und setze ihn vorsichtig bei deinem Partner an. Dringe
langsam in ihn ein und gib ihm Zeit, sich daran zu gewöhnen.
Jetzt aber nicht gleich losrammeln, sondern bleibe einige Zeit
ganz ruhig in ihn, denn der Schließmuskel muss sich erst
an diese Lage gewöhnen. Nach einiger Zeit kannst Du ganz
sanft anfangen, Dich zu in ihm zu bewegen. Du wirst es an seiner
Reaktion schon merken, wenn er eine heftigere Gangart wünscht.
Vielleicht müsst ihr auch die Stellung wechseln, weil ihr
dann besser zurechtkommt. Auch beim Analverkehr gilt, dass stupides
Rein-Raus auf Dauer doch eher langweilig wird. Variiere dein
Tempo. Langsam und genüsslich, kurz und stoßartig,
mal tief und fordernd, mal sanft und zurückhaltend. Frage
den Partner, wie es ihm gefällt. Oft kann es noch schöner
werden, wenn du mit der Hüfte ein wenig höher oder
tiefer gehst, weil du damit den Winkel deines Schwanzes veränderst
und somit ein anderes Gefühl erzeugt wird. Wirst du aufgefordert,
aufzuhören oder rauszugehen, dann tu das sofort!
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- 3.1. Gesellschaftliches
Obwohl im männlich-homosexuellen Bereich weit verbreitet,
ist der Analverkehr keine ureigen homosexuelle Handlung. Sendungen
wie Ernie Reinhards Wahre Liebe und andere verbreiten
diese Tatsache, und es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Grad
der Aufklärung der Bevölkerung und dem Abnehmen von
Diskriminierungen. Daher sind solche Gruppierungen in der Bevölkerung,
die zum Beispiel Sexualaufklärung verhindern wollen und
andererseits ihre Mitglieder homosexualitätsfeindlich verhetzen
unsere gesellschaftspolitischen Gegner. Das sind im wesentlichen
christliche und islamische Sekten beziehungsweise Gruppen, oft
auch konservative oder rechte Parteien. Die sowieso. Wir müssen
uns gesellschaftspolitisch für immer größere
Aufklärung stark machen, nicht nur im Zusammenhang mit Sexualität,
und dazu beitragen, dass die Mythen der Vergangenheit verschwinden.
Unsere Solidarität sollte vor allen anderen wichtigen Formen
der Solidarität den Menschen gehören, die wegen ihrer
Homosexualität diskriminiert oder misshandelt werden.
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- 3.2. Psychologisches
Gesellschaftliche Normen und Werte werden auch von uns Lesben
und Schwule verinnerlicht. Analverkehr ist aber in unseren Reihen
weitgehend ent-ideologisiert. Ein schwuler Mann gehört nicht
mehr automatisch in die Kategorie passiver Mann,
weil er sich gelegentlich auch mal der passiven analen Sextechnik
bedient. Wer sich als Mann bumsen lässt, wird nicht mehr
unbedingt als verweiblicht angesehen. Viele nachwachsende Lesben
und Schwule haben in ihrer Szene keine Probleme mehr damit. Das
führt aber dazu, dass die Kategorien Männlichkeit für
den Mann und Weiblichkeit für die Frau von ihnen auch nicht
mehr infrage gestellt werden. Wir sind daher auch
in dieser Frage normal geworden. Das geht so weit,
dass schwule Männer glauben, sie sind nicht normal schwul,
wenn sie Analverkehr nicht so sehr mögen.
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- 3.3. Praktisches
Jeder der geil ist, kann auch Sex machen, das stimmt nicht. Gerade
über den Analverkehr muss man einiges lernen.
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- 3.3.1. Anatomie des Analbereiches
Das Arschloch, der After (Anus), besteht aus zwei Muskelringen,
wobei nur der äußere willentlich zu beeinflussen ist.
Dieser Schließmuskel wird beim Ficken und bei ähnlichen
Praktiken gedehnt - beim Fisten (Faustfick) bis zu erstaunlichen
Ausmaßen; dennoch behaupten einige Profis,
dass durch solche extreme Analdehnungen auf Dauer kein ausgeleierter
Muskel oder sogar Inkontinenz entstehen könnte.
Hinter dem Schließmuskel befindet sich bereits der Enddarm,
der auch die Ampulle genannt wird, die den Kot bis
zu seiner Ausscheidung aufnimmt und durch Druck- und Völlegefühl
signalisiert, dass dort etwas ist, was hinaus will. Im Gegensatz
zu den höher gelegenen Regionen des Darms ist sie mit sensiblen
Nerven ausgestattet, die beim Geficktwerden die angenehmen Gefühle
auslösen. Die Ampullenschleimhaut ist mit Drüsen ausgestattet,
die für ein schlüpfrig-feuchtes Milieu sorgen; das
Drüsensekret reicht jedoch nicht aus, um ausdauernden Analsex
im Sinne optimaler Gleitfähigkeit zu ermöglichen.
Der höhere Darm kann nur noch unbestimmte Dehnungsgefühle
vermitteln. Der Enddarm verläuft ca. 15cm mit dem Steißbein
und macht dann bei den meisten Menschen eine scharfe Biegung
nach links. Genau an dieser Stelle sitzt die sogenannte Kohlrausche
Falte, ab der der Dickdarm beginnt. Ab dieser Falte sollte
der Darm in Ruhe seiner Verdauungstätigkeit nachgehen dürfen.
Der gesamte Darm ist in der Bauchhöhle durch eine spezielle
flexible Haut befestigt, die zwar Bewegungen gut mitmacht, aber
auf die beim Fisten oder Einsatz größerer Schwänze
bzw. Dildos Rücksicht genommen werden muss: nicht zu tief
und nicht zu heftig!
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- 3.3.2. Die Vorbereitung
Viele haben damit Schwierigkeiten, dass beim Ficken manchmal
Kot ins Spiel kommt. War man vorher auf der Toilette, ist die
Ampulle ziemlich leer. Wer es mag und sich als Anfänger
traut, kann sich vor dem Ficken einen kleinen Einlauf machen,
dann ist die Ampulle auf jeden Fall sauber und leer.
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- 3.3.3. Klistier und Einlauf
Beide dienen der Darmreinigung. Bei einem Klistier wird mehr
oder weniger die Ampulle gespült, ein Einlauf geht etwas
weiter und bei einem hohen Einlauf wird der biegsame Gummischlauch
bis hinter die Kohlrausche Falte geführt. Für die meisten
Zwecke ist ein Klistier vollkommen ausreichend. Sollte hier ein
einmaliges Spülen nicht genügen, kann man ja nachspülen,
um eventuell nachgerutschten Kot zu entfernen.
Für Klistiere gibt es in Sexshops und im Versandhandel unterschiedliches
Zubehör u.a. einen sogenannten Spülstab aus Edelstahl,
der am abgerundeten oberen Ende mehrere Löcher hat und am
unteren Ende ein Schraubgewinde, mit dem man ihn am Schlauch
der Handbrause befestigen kann.
Ein kleines Sieb, wie man es von Wasserhähnen kennt, kann
in den Anschluss gelegt werden und verhindert, dass man sich
Rost- und Kalkpartikel aus den Wasserrohren in den Darm spült.
Ein sanfter Rinnsal genügt; starker Wasserdruck kann die
äußerst dünne und empfindliche Darmschleimhaut
verletzen. Dieses Risiko ist besonders groß, wenn man statt
eines Spülstabes den Brauseschlauch allein verwendet. Pro
Spülung sollte ca. ein halbes Liter Wasser aufgenommen werden;
drei bis fünf Spülungen müssten genügen.
Die Wassertemperatur sollte 35Grad nicht überschreiten (handwarm).
Die Warmwasseraufbereitung im Speicher sollte mit der höchstmöglichen
Temperaturstufe erfolgen, damit sich im Wasserbehälter möglichst
wenig krankmachende Bakterien bilden können.
Für Klistierhilfsmittel, in die Wasser eingefüllt wird,
solltet ihr abgekochtes Wasser verwenden, das ihr vor der Verwendung
natürlich abkühlen lassen müsst. Grundsätzlich
gilt, dass man nicht allzu oft spülen sollte, da es sonst
leicht zu Entzündungen der Darmschleimhaut kommen kann.
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- 3.3.4. Jetzt gehts los
Analsex klappt selten auf Anhieb und muss regelrecht erlernt
werden. Es gehört (vor allem bei Anfängern) ein intensives
Vorspiel mit viel Geduld und Einfühlungsvermögen als
Voraussetzung für die notwendige Entspannung dazu. Außerdem
braucht ihr wasserlösliches Gleitmittel und Kondome.
Die Ampulle kann auf erstaunliche Weise gedehnt werden, sowohl
was ihren Umfang als auch ihre Länge angeht. Wird aber anfangs
zu schnell hineingestoßen, kann es sein, dass die Ampulle
noch nicht genügend entspannt ist, und der Aktive gegen
die Kohlrausche Falte stößt. Das kann schmerzhaft
sein und man sollte dann eine sanftere Gangart oder sogar eine
Pause einlegen, bis sich wieder alles beruhigt hat. Der Anfänger
hat es schwer, das Druckgefühl, das ihm der eingeführte
Schwanz vermittelt, als angenehm zu empfinden. Allmählich
erst lernt er sich zu entspannen und zu genießen. Die wichtigste
Regel: Ficke nie ohne Kondom!
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- 3.3.5. Was tun, wenn das Kondom einmal
platzt?
Selbst wenn sich jetzt Sperma im Darm befinden sollte, ist es
besser, keine Spülung vorzunehmen, weil dadurch der empfindlichen
Darmschleimhaut kleine Wunden zugefügt werden können,
die das Infektionsrisiko extrem vergrößern würden;
das eventuell infektiöse Sperma würde außerdem
durch den Darm gewirbelt werden.
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- 3.3.6. Fakten
Die Analschleimhaut ist um etliches dünner als die Vaginalschleimhaut
und damit empfindlicher. Für den passiven Partner besteht
bei ungeschütztem Analverkehr daher immer ein hohes Ansteckungsrisiko.
Bei jedem Analverkehr kommt es jedoch zu Mikroverletzungen, durch
die sich auch der aktive Partner infizieren kann. Sowohl der
passive Partner als auch der aktive Partner gehen beim ungeschütztem
Analverkehr immer die Gefahr ein, in Kontakt mit HIV und auch
mit anderen sexuell übertragbaren Erregern zu kommen.
-
- 4. Probleme über Probleme, und die
Lust?
Ja, das ist die Schwierigkeit, für diese sexuelle Technik
Ratschläge zu erteilen. Analsex ist eine oftmals schmerzhafte
Lusterfüllung, aber der Übergang von Schmerz und Lust
ist eben sehr lustvoll. Wir sind keine heterosexuellen Eheleute,
deren Sex wie ein Zeugungsakt zu sein hat, was natürlich
in vielen Fällen auch nicht mehr so stattfindet. Analverkehr
ist kein Muss, kann eine lustvolle Bereicherung sein, ist eine
von verschiedenen sexuellen Empfindungsmöglichkeiten, hat
überhaupt nichts mit männlich und weiblich zu tun.
Ein recht guter Ratgeber für alle Fragen, die sich sexuell
für einen schwulen Mann ergeben, ist das aus dem Amerikanischen
übersetzte Buch Die Freuden der Schwulen von
Dr. Charles Silverstein und Felice Picano. Es hat 328 Seiten,
die Beiträge sind durch Zeichnungen von Joe Phillipps kommentiert.
Es ist im Bruno Gmünder Verlag in einer aktualisierten Fassung
erschienen und kostet 17,95 Euro. Mann findet hier alles, von
erotischen Szenen bis hin zu den Disco-Geflogenheiten, von nahezu
allen Sextechniken bis zu Beziehungsfragen, Massage und Schwulenemanzipation.
Rassismus, Drogenmissbrauch, Depressionen, Effeminiertheit (wird
hier als außerhalb der Norm verstanden, die zu tolerieren
ist), Eifersucht, Neid und Besitzdenken, eingetragene Partnerschaft
und Einsamkeit. Chatrooms, Gleichberechtigung und Probleme mit
den Eltern werden hier angesprochen. Weniger angesprochen werden
hier die oben beschriebenen gesellschaftspolitischen und sexualpsychologischen
Faktoren. Somit ist es ein gutes und hilfreiches Buch, das dem
Zeitgeist und somit unserer Normalität entspricht. (js)
-
- Literatur:
Martin Dannercker / Reimut Reiche: Der gewöhnliche Homosexuelle,
Frankfurt 1974, 410 Seiten, ISBN 3-1001-4801-0
Barbara Gissrau: Die Sehnsucht der Frau nach der Frau, Zürich
1993, ISBN 3-268001-44-0
David D. Gilmore: Mythos Mann, München 1993, ISBN 3-423-30354-9
Volker Elis Pilgrim: Manifest für den freien Mann, München
1979, ISBN 3-88167-024-6
Joachim Schönert: Wärmer leben, Wiesbaden 1982, ISBN
3-921495-42-3
Dr. Charles Silverstein und Felice Picano: Die Freuden der Schwulen,
Berlin 2003, Verlag Bruno Gmünder, 17,95 Euro. ISBN 3-86187-378-8
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