82. LUST, Frühling 05
 
10 Minuten Rosenmontagszug
Wie ist das denn eigentlich mit dem Rosenmontagszug?
Schon vor Monaten kam bei uns die Idee auf, einfach mal im Rosenmontagszug mitzugehen, wie es hin und wieder auch schon andere Gruppen vor uns gemacht haben. Wir (Menschen, die in verschiedenen politischen Gruppen mitarbeiten) überlegten hin und her, dachten über ein Motto nach, kamen zu verschiedenen Ideen, hatten uns aber dann entschieden, andere Schwerpunkte in unserer Arbeit zu setzen.

Doch dann kam alles anders. Als Anfang Januar verkündet wurde, dass Präsident Bush am 23.2. Schröder in Mainz treffen wird, begann eine hektische Aktivität in vielen Gruppen in Mainz und VertreterInnen dieser Gruppen und engagierte Einzelpersonen trafen sich bereits wenige Tage später, um zu überlegen, wie sie den Besuch von Mr. Bush würdigen können.

Und da war sie wieder da, die Idee beim Rosenmontagszug mitzulaufen. Das Thema war klar, hochaktuell, nach einigen Überlegungen wussten wir, was wir machen: Wir nehmen einen Bollerwagen, setzen eine Strohpuppe hinein, mit dem Gesicht von George W. Bush. Vor sich hat er ein Buch, ein schwarzes Buch. Am Wagen ist ein Schild befestigt: „Ins Goldene Buch darf Bush nicht rein, jetzt trägt er sich ins Schwarzbuch ein“. Zur Erklärung: Der Mainzer OB Jens Beutel will erreichen, dass sich Bush ins Goldene Buch der Stadt Mainz verewigt. Dazu wollten wir viele Menschen mitlaufen lassen, die mit Schildern mit unterschiedlichen Inhalten den Bollerwagen begleiten. Als Kostüme gab es zerschnittene orangene Papiertischdecken, die an das Orange der Gefangenen in Guantánamo erinnern sollten.

Intensiv arbeiteten wir an der Umsetzung dieser Idee. Durch das gleichzeitige Engagement im Aktionsbündnisses: „Not Welcome, Mr. Bush“ waren wir alle zeitlich sehr eingespannt, dennoch stahlen wir uns die Zeit, um an unserem Fassenachtswagen zu arbeiten. Wir planten und kauften ein: Hasendraht, Tapetenkleister, Stroh, Material für die Schilder und was wir so meinten zu brauchen. Dann fingen wir an zu basteln und zu werkeln. Alles auf den letzten Drücker, aber wir haben es geschafft: 10 Schilder mit Sprüchen und Karikaturen waren vorbereitet.

Das Gesicht der Bushpuppe konnten wir nur mit einem Foto kenntlich machen, welches wir ausgedruckt und auf eine Styroporkugel geklebt haben, die mit Stroh umwickelt war, da eine Bush-Maske einfach nicht aufzutreiben war.

Am Morgen des Rosenmontags transportierten wir die Einzelteile in die Stadt, bauten sie in einer Tiefgarage zusammen und trafen uns dann am Bonifaziusplatz. Kostüme wurden ausgeteilt und dann warteten wir auf eine passende Gelegenheit, zu dem Zug zu stoßen.
Wir einigten uns darauf, dass wir die erste Gelegenheit nach dem Bush-Merkel-Motivwagen des MCVs ergreifen, um uns mit unserer ca. zehn Leute umfassenden Gruppe einzumischen. Die Einreihung in den Zug trennte unsere Gruppe. Während die meisten Schilderträger vor einer Guggemusik ihre Schilder hochhielten und mit den Besuchern Fassenacht feierten, taten die Bollerwagenzieher es hinter der Guggemusik. Die Stimmung war gut, die Leute freuten sich über uns und wir über die Leute. Es schien ein schönes Ereignis zu werden, aber dann...

Nach ca. 100 Metern wurden wir von der Polizei aufgefordert, den Zug zu verlassen. Nach einigen Missverständnissen und auch teilweise rüden Behandlungen fanden wir uns bald auf dem Grünstreifen, der die Kaiserstraße teilt, mit einem Polizistenpulk von mindestens 15 Polizisten konfrontiert.

Mit der Herausnahme aus dem Zug haben wir gerechnet, nicht aber mit körperlicher Gewalt, und auch nicht damit, dass unsere Personalausweise eingesammelt werden, dass wir in einer ewig erscheinenden umständlichen Prozedur alle photographiert und gefilmt werden, die Polizei mit der Staatsanwaltschaft telefoniert, damit diese entscheidet, ob unsere lustige Aktion den Tatbestand der Diskriminierung, der Beleidigung oder einer unangemeldeten Demonstration erfüllen würde.

Nachdem wir ursprünglich lediglich Zugverbot erteilt bekommen haben, wurde uns später das weitere Auftreten in der Stadt mit unseren Schildern und dem Bollerwagen untersagt. Arme Fassenacht...
 
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