82. LUST, Frühling 05
 
Witze und Stimmungsmusik
“Haste den gehört, da kommt ein Schwuler beim Arzt ...” Welche Funktionen Witze und Geschichtchen beim Diskriminieren von Minderheiten haben, welche befreiende Wirkungen sie auch haben, und wie sich eine Frau mittleren Alters fühlt, wenn sie singt: “Gib acht auf den Jahrgang, der Wein muss alt und jung das Mädchen sein ...”
 
Schunkeln bei Schunkelmusik und mit dem entsprechenden Alkoholpegel erzeugt ein angenehmes Gemeinschaftsgefühl. Man ist Teil einer sich freuenden Gemeinschaft. Und die eingängigen Melodien drängen auch schon von innen zum Mitsingen nach außen. Man ist in einer Stimmung, die Sorgen vergessen lässt und endlich einmal hat man den Anschein von Frohsinn und Lebensglück. Wenn nun hier jemand auftauchen würde, die mitgesungenen Texte analysieren würde, der Wäre ein Feind. Er würde das schöne Gefühl zerstören und mit der kalten Analyse auch in die kalte Welt zurückführen, die so viel Glückseliges nicht zu bieten hat.

Gemeinsames Lachen über Witze, hat über das oben Gesagte hinaus noch den Effekt, dass man Ablachen kann. Ablachen? Das ist ein lustvoll aggressiver Akt, bei dem man sich zum Beispiel über das Missgeschick solcher, die man nicht leiden kann, freut. Andere helfen, sich überlegen zu fühlen, indem die Mächtigen und Feinde in menschlicher Erbärmlichkeit gezeigt werden. Gibt es Witze, die keine Aggressivität beinhalten? Ja, die gibt es, aber sie sind deshalb lustig, weil über die Aggressiven gelacht wird, was eine mittelbare Aggressivität darstellt. Beim Vortragen von Referaten z diesem Thema überlegen die Zuhörer, ob sie mir aus ihrem Repertoire widersprechen können, erzählen ein Beispiel, wo dies nicht der Fall sei, und sind dann sauer, wenn ich diesen Witz analysiere. Denn das zerstört ja das gute Gefühl.

Dieses Thema beinhaltet in Wirklichkeit drei Themen, nämlich die Fastnachtszeit und ihre humoristischen Rituale, die Schunkellieder und die Witze. Dabei kann ich auf schon einmal von mir Geschriebenes zurückgreifen, denn so neu ist dieses Thema ja nicht, aber dennoch natürlich immer wieder aktuell.
 
1. Fastnacht, Sollbruchstelle der Moral
(Dieses Kapitel des Artikels erschien in der 74. Ausgabe der LUST. Aber ohne diese Aussagen würde das Ganze nicht rund.)
”Am Aschermittwoch, ist alles vorbei ...” singen im katholischen Köln und Mainz bedauernd die ansonsten ach so braven Katholiken. Und was ist am Aschermittwoch vorbei? Wir kümmern uns hier also um die stabilisierende Funktion des geregelten Normbruchs.
Zugegeben, nicht nur die Fortsetzung des weströmischen Imperiums in heutiger Zeit, die katholische Kirche, profitiert von menschlicher Doppelmoral, wir tun es auch.

Andere Religionen haben ihre Formen der Doppelmoral, aber bei Fastnacht geht es um den Katholizismus, den ich hier näher betrachte. Er prägte immerhin eine große Epoche unserer Geschichte und die Geschichte seines Einflusses als prägende Kraft ist noch nicht zu Ende.

Zum Thema: Der Oberste Brückenbauer (Pontifex Maximus), wie sich der jeweilige Cäsar in Rom, Byzanz und dann Konstantinopel seit Augustus (und lange vor der Christianisierung) nannte und wie sich heutzutage der Papst in Rom nennt, dieser Stellvertreter des einen Gottes “auf Erden”, in der einen heiligen Kirche, der katholischen. Dieser oberste Wächter über gut und böse, recht und unrecht, Himmel und Hölle verwaltet, in prachtvollen Gewändern gekleidet, das, was vom Heiligen Römischen Reich übrig blieb. Wie das Christentum unter Kaiser Konstantin um ca. 300 zur Herrschaftsideologie der römischen Imperiums wurde, so verbreitete sich das Christentum über die Welt überall dort hin, wo christliche Heere beziehungsweise die Heere christlicher Staaten die Staatsgebiete vergrößerten und über die Welt ausbreiteten.

Mit ihnen verbreiteten sich die Mönche und die Priester, die z. B. Frauen einredeten, ihre Jungfräulichkeit (also ihre Geschlechtslosigkeit) sei ein heiliges Gut. Sie brachten auf diese Weise die Frauen um ihre Macht über die Sexualität, nämlich die Macht, ihre sexuelle Gunst nach ihren Interessen zu verschenken und die Sexualität der anderen zu verhindern. Im Gegenteil, die Kirche kontrollierte die Menschen nun bis ins Ehebett hinein. Sie entschied nach der Hochzeitsnacht, ob sich auch diese Frau den Doktrinen der Kirche unterworfen hatte oder eben nicht, indem das über der Straße gespannte Bettuch den roten Fleck der Unschuld vor aller Welt aufzuweisen hatte. Das kennt man allerdings auch aus anderen Religionen.

Die Priester, die sich auf diese Weise die sexuelle Macht der Frauen aneigneten, konnten nun, wie einst die Frauen, bestimmen, wer mit wem sexuell verkehren darf und wer nicht. Sex, über den jeder Mensch ausreichend verfügt, wurde so zur Belohnung der Unterwerfung. Und die Tatsache der Periode machte Frauen unrein, verkündeten sie und hielten mit dieser Begründung die Frauen von den Stätten fern, wo auch die weltlichen Entscheidungen fielen, den Kirchen. Die monatliche Blutung war der Kirche der Beweis der Unreinheit der Frau.

Sie redeten den pubertierenden Jungen ein, dass das Entdecken ihres eigenen Körpers, dass das lustvolle entspannende Ausstoßen von drängenden Sekreten eine Sünde vor Gott sei, dass der erotische Blick auf einen anderen Menschen ein Blick des Satans sei, des Verderbers, dass also der sogenannte Samenerguss eine sündhafte Selbstbefleckung sei. Und die Jungs glauben es und es geschieht natürlich trotzdem.

So wurde den Menschen das zur Last, was ihnen eine Lust sein könnte, ihre so vielfältige und schöne Sexualität. Überall zwischen die Menschen, wo sich diese lustvoll begegnen könnten, schiebt sich die Hand eines Kirchenmannes. Und in der schwitzigen Enge des Beichtstuhles mussten die dadurch neuerlich in Erregung versetzten Knaben den Priestern stöhnend von ihren Sünden berichten, so detailliert wie möglich, denn das Maß der auferlegten Buße war davon abhängig, und auch so mancher Priester wurde so in Erregung versetzt, wenn er von Erregendem hörte. So kommt es wohl, dass so mancher Priester selber Hand an sich oder die Knaben legte, oder auch an weibliche Personen, eben je nach eigener Neigung. Und wer die Hand dazwischenhält, dem mag sie im eigenen Interesse bisweilen zittern oder ausrutschen.

Es ging und geht zumindest heute der Kirche nicht (mehr) so sehr um die Strafe, sondern um das Einsehen, dass man schuldig wurde vor Gott, dass man also auch schuldig wurde gegenüber dem Brückenbauer zu Gott, dem Stellvertreter Gottes und obersten Repräsentanten der Kirche, dem Staatsoberhaupt des Kirchenstaates, dem Nachfolger des römischen Kaisers. ”Der Mensch wurde in Sünde empfangen und in Sünde geboren ...” Da kannste nichts machen, du bist schon Sünder durch deine Geburt.

Da Sexualität beziehungsweise sexuelles Begehren natürlich einfach immer wieder entsteht, war das die geniale Geschäftsidee, gerade hier die bewachte Schranke zwischen Hölle und Himmel einzubauen, es folgten eben einfach immer wieder viele neue Sünden nach, die die Macht der Kirche vergrößerten, die Macht, die durch die Aneignung des Zuganges zur menschlichen Sexualität entstand, wozu eben auch Staatsmacht nötig ist, nämlich durch die entsprechende Gesetzgebung.

Und weil Sexualität, die man ja doch liebt, auch wenn man sich hinterher schuldig fühlt, eine Sünde zu sein hatte, lernten die treuen Untertanen Roms eben ihre Sünden zu lieben.

Überall, wo z.B. spanische Armeen hinzogen und auch dem kirchlichen Machtapparat den Weg bahnten, bahnten sie auch der Sünde den Weg, dem lustvollen Sündigen, dem die Reue zu folgen hat. Und so ist uns unsere Sexualität oftmals nicht eine schöne aber eben auch alltägliche Sache, sondern sie ist eine Sünde, eine lustvolle Sünde. Der ach so verwerfliche Trieb, Satan hat uns dazu verführt oder ein Geschöpf Satans: “Ich war ihm hilflos ausgeliefert, mich trifft keine Schuld”, sagt der Ertappte und weiß, dass es nicht so ist. Und es macht Lust, ein schlechtes Gewissen zu haben, Lust, Sündhaftes im Verborgenen zu tun, oder eben auch in manchen Fällen das Heimliche und Verborgene allen Menschen zu zeigen, sich sexuell mehr oder weniger Öffentlich darzustellen.

Auch das Essen hat hier so seine Geschichte. In der katholischen Kirche gibt es im wesentlichen zwei Fastenzeiten, die Zeiten vor den großen Festen Ostern und Weihnachten. Und jeder katholische Christ, “der über 18 Jahre ist und das 60. Lebensjahr noch nicht begonnen hat”, der soll sich in dieser Zeit reinigen, in dem er wenig isst, jedoch besonders kein Fleisch zu sich nimmt. Und da Jesus am Freitag gekreuzigt worden sei, soll auch jeden Freitag kein Fleisch gegessen werden. Aber keine Tugend ohne Sünde, und so interpretierten die Mönche, dass Fisch ja kein Fleisch sei. Also züchteten sie in ihren Klosterteichen die fettesten Karpfen und fanden die raffiniertesten Gewürze, und so entstand eine Schlemmerkultur gerade deshalb, weil sie fasten sollten.

Bekannt ist, dass der Biber wegen der Fastenzeit aus Europa weitgehend verschwunden war, denn weil er im Wasser schwamm, war er ein Fisch und konnte also gegessen werden. So ist das also mit der Sünde. Die Lust an den sinnlichen Genüssen wird dadurch erst noch gesteigert, verruchter und verfeinerter.

In der einschlägigen Literatur unserer Szene liest man bisweilen, dass man ruhig einen möglichst frommen Katholiken verführen solle, weil der uns die größten sexuellen Genüsse verspreche. Denn wenn er nun mal sündige, dann täte er es aber auch richtig. Und hinterher, wenn der Druck der Sekrete der Entspannung gewichen ist, kann er ja die Schuld auf uns schieben, wir hätten es so raffiniert angestellt. Und dann kann er sich ganz verworfen vorkommen und Buße tun, eine Anzahl von Vaterunser beten und einige Kerzen stiften. Man geht zur Beichte und die Sünden werden verziehen, und man ist dann von ihnen befreit, braucht danach vorerst überhaupt kein schlechtes Gewissen mehr zu haben. Eine großartige Erfindung im Dienste der Sünde.

1.1. Die Fasten-Nacht
In der Nacht vor Beginn der Fastenzeit wurde aber noch einmal so richtig gefressen und gesoffen und ge..., denn selbstverständlich musste man sich vorher mit allem noch einmal reichlich zufrieden stellen, bevor das Darben und der Verzicht dann begann. Die Nacht des Schlemmens wurde um den Tag davor verlängert, denn das machte einfach mehr Lust als die Zeit danach. Bald wurden drei Tage daraus, dann auch die vorhergehende Woche und seit dem 19. Jahrhundert feiert und schlemmt man die Zeit vom Dreikönigstag (6. Januar) bis zum Aschermittwoch. Somit wurden die beiden großen Kirchenfeste durch Feiern und Sündigen nahezu verbunden. St. Martin habe ja seinen Mantel am 11.11. mit einem Bettler geteilt. Das leitet eine vorweihnachtliche Fastenzeit ein. Und der Tag des St. Martin, der 11.11., ist auch der Tag des Schlemmens, der Völlerei und der Ausschweifung vor der ruhigen Zeit, die am 24.12. endet. Man bereitet sich erst einmal mit der fetten Martinsgans auf die karge Zeit der inneren Einkehr vor. Seit man nun noch denn 11.11. als Beginn der Fastnachtsfeiern ansah, hat man die Intensität des Feierns wieder eher auf die letzten Tage vor den Aschermittwoch verlegt, denn was zu viel ist, ist einfach zu viel.

Überall, wo sich die römische Kirche in der Welt hin verbreitet hat, da finden wir die gigantischsten Fastnachtsfeiern, von Rio über Venedig nach Köln, Mainz und München. Aber der Charakter dieser Ereignisse ist doch ganz unterschiedlich. Der Tanz der Marktfrauen auf dem Münchener Viktualienmarkt führt zum Auftreten von verwegen an- oder ausgezogenen Männern in Frauenkleidern, in Köln tätscheln sich die Gardemitglieder auf der Bühne gegenseitig den Arsch und trotz des in unseren Breiten doch recht kalten Wetters findet man auf den Straßen so manche nackte Haut.

Es sind wohl regional unterschiedliche Moralzwänge, gegen die in den verschiedenen Gegenden des weströmischen Einflusses in der Fastnachtszeit genussvoll verstoßen wird. So ist z.B. die kalvinistische Baseler Fastnacht und die badisch-alemannische Fasnet nach außen hin eher prüde, aber die als Hexen verkleideten jungen Männer machten in dieser Maske Jagd auf junge Mädchen und leisteten sich so Manches in diesem prüden protestantischen spießbürgerlichen Klima. Denn der Protestantismus ist die kleinbürgerliche, die spießbürgerliche, kurz: die bürgerliche Antwort auf den sinnesfreudigen Adel mit Klerus, der seinen Spielraum weitgehend in der katholischen Kirche hatte. “Als der Adel stürzte stand wenigstens sein Schwanz”, meinte Gerhard Zwerenz in einer früheren Konkret-Ausgabe, als er das verspießerte Kleinbürgertum angriff, denn sein Roman “Rasputin” wurde seinerzeit von spießbürgerlichen Tugendwächtern angegriffen.

Auch die unterschiedlichen Jahrhunderte hatten unterschiedlichen Einfluss auf die Art des Feierns. Der lustvolle Normbruch hatte nach außen hin ganz unterschiedliche Ausdrucksformen, er wurde in rituellen Handlungen immer wieder eingefangen und in gewünschte Bahnen gelenkt. Die Fastnachtsbräuche des Mittelalters sind besonders gut in den Städten fassbar, und hier wesentlich von Erscheinungsformen des öffentlichen Festwesens geprägt. Bis ins 14. Jahrhundert dominierten zur Fastnachtszeit Reiterspiele der Patrizier (die frühbürgerliche Handelselite, Nachkommen des römischen Adels), dann entwickelte sich ein vielseitiges Maskenbrauchtum.
Den vielfach exzesshaften Handlungen im Spätmittelalter folgten im 16. Jahrhundert Schau- und Vorführbräuche der Handwerker. In der Barockzeit blühte die Fastnacht als prunkvolles Kostümfest an den Fürstenhöfen und beeinflusst in ihren Ausformungen die großbürgerliche Fastnacht, die Fastnacht des Geldadels, in den Städten des 19. Jahrhunderts.

Was die Leute drückte, wurde thematisiert. In der hochpolitischen Zeit der bürgerlichen Revolution gegen den Adel wurde die Narretei wie eine Gegenregierung (der Elferrat) zelebriert, und das Bürgertum, einstmals fortschrittlich und revolutionär, prägt auch heute noch die politische Fastnacht, allerdings nunmehr eher traditionell bis reaktionär. Ach, falsch, die Geschichte geht ja weiter, heutzutage muss es kommerziell erfolgreich sein.

Ob nun in Europa die großen Feste mit viel Alkohol und dem Rausch der nächtlichen Seitensprünge den Kern des Normbruches darstellen, oder ob in Südamerika nahezu nackte Leute eine erotische Faszination erzeugen und wohl auch erleben, überall folgt auf das ausgelassene Leben dann der Katzenjammer, die Buße und Reue und die demonstrative Abkehr von der Sünde sowie die erneute reumütige Hinwendung zur Kirchenmoral.

Die Potentaten des heutigen römischen Reiches und ihre Berater sind keine Dummköpfe. Sie wissen, dass nur das Wechselspiel von Norm und Normbruch, von Himmel und Hölle, von Tugend und Laster auf Dauer letztlich ihre Macht erhält. Und so ist der Normbruch mit seinen Schuldgefühlen genau so ein bewusster Teil ihres Einflusses wie die moralische Normierung unseres Lebens.
 
2. Schunkellieder
Was wäre die rheinische Fastnacht ohne die Lieder, die in angeregter Stimmung aus vielen Kehlen gesungen werden, die Texte sind allen bekannt und die Melodien sind flach aber eingängig, so recht geeignet für Blasmusik, die ohne Verstärkung Säle und Festzelte füllen kann. Vielfach gibt es auch Vorsänger, die nur ein paar Worte zu singen brauchen, dann weiß der Saal bescheid und fällt mit ein.
Als ich im Rheingau eine Zeitlang in einem Männergesangverein mitgesungen habe (2. Bass), war es unvermeidlich, dass ich auch in Schunkelsituationen geriet. Mir gefiel das nicht so, denn mir taten dabei immer die Gesäßknochen weh. Möglicherweise war ich da an diesen Stellen nicht so gut gepolstert wie heute. Dann konnte es passieren, dass die schunkelnden Reihen nicht alle in eine Richtung schunkelten, sondern irgendwo war ein armer Mensch, der sich abwechselnd strecken musste und dann von beiden Seiten angerempelt wurde. Die Liedertexte sind mir noch in Erinnerung, und ich bekenne, dass ich sie damals auch mitsang, ohne darüber nachzudenken, denn das braucht man dann nicht.

Man macht nur den Mund auf und die Umweltgeräusche, die Musik und die sehr lauten Stimmen in der Ohren machen das andere. Nach einiger Zeit kennt man dann alle Texte und kann beim entsprechenden Alkoholgehalt wie ein Automat an diesen Geräuschen teilnehmen. Ich weiß nicht wirklich, ob man sich geborgen und aufgehoben fühlt, man fühlt sich aber als Teil dieser Gemeinschaft. Da gibt es Walzerlieder, wie “Fliege mit mir in die Heimat; Schön ist die Liebe im Hafen, Wir kommen alle alle alle in den Himmel; Wer soll das bezahlen; So ein Tag, so wunderschön wie heute; In München steht ein Hofbräuhaus; Lustig ist das Zigeunerleben, Geh‘n wir mal rüber, geh‘n wir mal rüber zum Schmidt seiner Frau, Du kannst nicht treu sein, Trink trink Brüderlein trink, Auf und nieder, immer wieder, Es gibt kein Bier auf Hawai, Nach Hause, nach Hause , An der Nordseeküste.. usw. Die Liste wird jedes Jahr durch neu auf den Markt gekommene Lieder ergänzt.

Und dann gibt es Marschlieder, wie z.B.: “Humba Humba Humba Tätarä, Ich kauf mir lieber einen Tirolerhut, Jetzt trink ma no a Flascherl Wein, Mein Vater war ein Wandersmann, Rucki Zucki, Muss i denn zu Städtele hinaus, Wozu sind die Füße da, zum marschieren, Horch was kommt von draußen rein holarie, holaro, Von den blauen Berger kommen wir, Einer geht noch, einer geht noch rein. Und Ole Ole Ole Ole.”

Die Lieder im Walzerrhythmus werden mit Liedern im Marschrhythmus abgelöst, dann wieder welche, wo Schunkeln unmöglich ist.
“Heut gehn mer widder gar nit mehr, gar nit mehr, gar nit mehr, heut gehn mer widder gar nit mehr haam. Bis die Alt Zwetschkenkuchen (ausgesprochen: Quetschekuche) backt und kei schepp Schnut mehr macht, heut gehen mer widder gar nit mehr haam.” Dieses relativ schnell gesungene Liedchen verdreht vielleicht den Ehe-Alltag der Sänger, die angeblich so lange saufen, bis die Ehefrau auch über das Saufen nicht mehr böse ist und sich freut, dass sie überhaupt noch zurückkommen. Und der Zwetschkenkuchen ist außerdem noch das Synonym für die weibliche Geschlechtsöffnung. Das gefällt dann den Sängern am besten. Überhaupt geht es in diesen Liedchen entweder darum, dass man noch weiter saufen soll oder dass man nun durchaus auch mal fremd gehen soll.
 
2.1. Die Trinklieder
“Trink, trink, Brüderlein trink, lass doch die Sorgen zu Haus! (Wiederholung). Meide den Kummer und meide den Schmerz, dann ist das Leben ein Scherz, (Wiederholung)”. Also, man soll die Sorgen auf zu Hause verdrängen, dann will man nicht mehr so schnell heim und trinkt auch mehr. Und man soll an Sorgen und anderes Unangenehmes nicht denken. Und dann, alkoholumnebelt und in gleichfalls saufender Gemeinschaft ist das Leben ein Scherz. Man darf aber nicht aufwachen. Erfolgsrezept zur Lebensbewältigung: “Schütt die Sorgen in ein Gläschen Wein ...”, wie Willi Schneider mit markanter Stimme in den Weinlokalen aus dem Lautsprecher zu hören war. “Wenn Du im Rheinland bist, gib acht auf den Jahrgang, wenn Du ein Mädchen Küsst, gib acht auf den Jahrgang. Denn es ist wichtig, und immer richtig: der Wein muss alt und jung das Mädchen sein.” Also beim Saufen alten Weines darf man alt sein, wer angemacht werde will, der/die muss jung sein. Ob die schunkelnden älteren Frauen das Mädchen einfach in einen Burschen für sich insgeheim übersetzen? Denn an den Alten im Bett wollen sie nun wohl nicht mehr so gerne denken. Dieses heimliche Übersetzen kennen ja Lesben du Schwule auch, wenn sie sich in Spielfilmen in einer solchen Form in die Rollen versetzen, dass sie gut damit leben können.
 
2.2. Lieder zum Seitensprung
“Du sollst mir treu sein für drei tolle Tage, du sollst mich küssen, das ist Deine Pflicht. Du sollst mir alles, alles Liebe sagen, nur nach dem Namen frag mich bitte bitte nicht”, hier kommt wohl der Frauenanspruch beim Fremdgehen zum Tragen. Diese Aufforderung zum Seitensprung ist nämlich schon wieder mit einem Treueanspruch verknüpft, die verinnerlichte Moral ist auch beim Ehebruch anwesend. Dies kommt auch bei folgendem Lied zum Ausdruck:

“Du kannst nicht treu sein, nein, nein, das kannst du nicht, wenn auch dein Mund mir wahre Liebe verspricht. In deinem Herzen Hast du für viele Platz; darum bist du auch nicht für mich der richt’ge Schatz.”

Wie bei den Witzen wird auch bei den Schunkelliedern die Realität zum Wunschdenken verdreht, so fühlt man sich dann wohl.
Aber das alles gilt ja nicht ewig, denn die Fastnacht ist ja kurz vor der traurigen Fastenzeit angesiedelt. Und wie die römischen Feldherren bei ihren Triumphmärschen durch Rom ins Ohr gesagt bekamen: “Bedenke, dass Du sterblich bist”, so werden die Feiernden auf das Fasten vorbereitet: “Am Aschermittwoch Ist alles vorbei. Die Schwüre von Treue, sie brechen entzwei, von all deinen Küssen, darf ich nichts mehr wissen, wie schön es auch sei (manchmal auch: es bleibet dabei), dann ist alles vorbei.”

Dann folgt der Katzenjammer und die Beichte, dann ist der Alltag mit seiner Moral wieder da. Während der Feierzeit kann man die Gedanken noch durch ein Spottliedchen ablenken: “Wir kommen alle, alle, Alle in den Himmel, Weil wir so brav sind, Das sieht selbst der Petrus ein, Er sagt: „Ich lass gern euch rein, Ihr wart auf Erden schon Die reinsten Engelein!“

Zu allem im Leben passt natürlich auch noch: “Wer soll das bezahlen, Wer hat das bestellt, wer hat so viel Pinke-pinke, wer hat so viel Geld?” Könnt Ihr Euch noch an die plüschigen Schwulenlokale der 50er und 60er Jahre erinnern, dort war der beliebteste Schlager, gerade zur Fastnachtszeit ein Sehnsuchtslied älterer vereinsamter Schwuler ein Lied, gesungen von Bernd Klüver: “Der Junge mit der Mundharmonika singt von dem was einst geschah, in silbernen Träumen von der Barke mit der gläsernen Fracht, die in sternklarer Nacht Deiner Traurigkeit entflieht.”
 
3. Witze
Gibt es Witze für, von, über, gegen Lesben? Eigentlich nur einzelne, welche, schon für andere Leute vorhanden waren und nur auf Lesben umgedreht wurden. Wir haben versucht, richtige Lesbenwitze zusammenzutragen, es ist uns aber nicht gelungen. Möglicherweise hat dies damit zu tun, dass Lesben in der Stammtischmeinung die Frauenrolle nicht derart in Frage stellen, wie Schwule dies mit der ach so verwundbaren Männerrolle offensichtlich tun, zumindest in der Beurteilung der Stammtische. Solltet Ihr irgendwelche richtigen Lesbenwitze kennen, sendet sie uns bitte zu. Was sind eigentlich richtige Witze?
 
3.1. Definition
Kleine Erzählungen, die bei den Zuhörern, zumindest aber beim Erzähler, Heiterkeit hervorrufen.
 
3.1.1. psychologische Definition
Witze beinhalten Sachverhalte, die Angst auslösen (verunsichern). Sie dienen dem Angstabbau oder der Abreaktion von Spannungen.
 
3.1.2. soziologische Definition
Witze werden erzählt, um durch Abgrenzungen Gemeinsamkeiten zu erzeugen. Innerhalb von sozialen Gruppen sollen sie die Rangordnung und die Rollen entstehen lassen oder festigen.
 
3.1.3. politische Definition
Es gibt politisch progressive und reaktionäre Witze. Die politische Satire ist progressiv. Sie versucht, politische Personen zu entlarven, zumeist feierliche Stimmungen, z.B. nationalistische oder religiöse Verklärung, sie versucht, emanzipatorische Aufklärung zu bewirken. Reaktionäre Witze diskriminieren Menschen wegen unangepassten oder außergewöhnlichen Verhaltens und erzeugen einen Anpassungsdruck. Hierzu gehören auch die offen rassistischen Witze. “Unpolitische” Witze habe zumeist letztere Funktion.
 
3.1.4. medizinische Definition
Witze bewirken eine vorübergehende Entladung von psychischen Verkrampfungen. Sie können nicht wirklich befreien, weil dadurch die gesellschaftlich-politischen Ursachen der psychischen Verkrampfungen nicht beseitigt werden. Während des Entladungsvorgangs verzieht sich das Gesicht krampfartig, die Patienten ringen nach Luft, das Gesicht rötet sich, vielfach werden Tränen abgesondert, häufig entweicht die Luft hustend oder in schrillen Schreien. Die Geräusche sind umso lauter, je stärker die Verkrampfung ist. (Dies sollte übrigens ein Witz sein!)
 
3.2. Witze konsumieren
Wenn Witze erzählt werden, können nicht immer alle lachen. Das Verstehen der Pointe ist nicht immer von der Bildung abhängig, sondern von den Einsichten in bestimmte Bereiche. Aber auch bei Verstehen der Pointe muss nicht jeder lachen.
Lachen muss der, der an dieser Stelle irgendwie verkrampft ist, nicht nüchtern darüber nachdenken kann. Am häufigsten wird über das Missgeschick anderer gelacht. Schadenfreude wird offensichtlich als sehr witzig empfunden. Je mehr Missgeschicke und ähnliches man selbst erlebt, umso mehr Situationen anderer wird man als witzig empfinden.

So gesehen kann man grob schließen, dass niedere soziale Schichten, die durch ein Korsett von Tabus und Ängsten in ihren Rollen gehalten werden, mehr Dinge als witzig empfinden als beispielsweise ein gebildeter Mensch, dem die Zusammenhänge klarer sind, der sich aufgrund seines sozialen Status zu wehren gelernt hat und deshalb solche Befriedigungen durch Witze nicht nötig hat. Doch das ist wohl ein Trugschluss, derart gebildet sind die Gebildeten wohl nicht. Di sogenannten gebildeten brauchen für ihre Witze immer die Dummen, die keine Bildung haben. Als besonders humorlos in diesem Bereich mag der gelten, der eher Mitgefühl als Schadenfreude empfindet.
3.3. Normierung und Normbruch
Der Witz bietet aber die Möglichkeit des verbalen Normbruchs, nicht nur im Bereich der Schadenfreude. Für Kinder mag vielleicht schon die Aussprache eines sogenannten schmutzigen Wortes witzig sein, bei Erwachsenen sind es eher gewisse Verhaltensweisen. Der Normbruch ist ja im Prinzip progressiv, kann sich aber auch als einfache Enthemmung reaktionärer oder diskriminierender Tendenzen zeigen, die durch größere Ängste oder Tabus oberflächlich zurückgehalten werden.

Man sollte aber bedenken, das “schlimme Wort” bleibt weiterhin schlimm und wird im Witz geradezu als schlimm bestätigt; das schlimme Verhalten bleibt weiterhin schlimm, der Mensch (der sich schlimm verhält) wird als lächerlich schlimm oder (in Ausnahmefällen) als verwegen schlimm hingestellt. Das Letztere wäre progressiv, weil es den Normbruch in irgendeiner Form positiv bewertet. Der Witz von Minderheiten könnte derart sein: etwa nach dem Motto „Na und? Nun erst recht!“ oder ähnlich.
 
3.4. Witze erzählen
Der Witz-Erzähler verfolgt die Absicht zu renommieren. Dies gelingt ihm am besten, wenn er bestehende Vorurteile bestätigt. Daher übt er einen Anpassungsdruck aus. Oder er verfolgt die Absicht des Normbruchs. So erzeugt z.B. der erotische Witz in einem Männerkreis durchaus ein erotisches Verhältnis zwischen diesen Männern, selbst wenn die Witze heterosexuell sind.

Ist der Witz-Erzähler am schwulen Kontakt interessiert, so wird er seine Witze eher alleine einem Partner erzählen, ohne soziale Kontrolle durch die anderen, er kann dann auch besser auf Reaktionen reagieren. Der Anmachversuch in einer Gruppe wird wahrscheinlich scheitern, selbst wenn der andere wollte. Er kann nicht positiv reagieren, und die anderen Gruppenteilnehmer spielen ja schließlich auch mit und reagieren in ihrem eigenen Interesse.

Der Witz-Erzähler muss vor einer Menge ankommen. Er muss den Zuhörern einerseits verständlich sein und dann auch noch die Stimmung treffen, vielleicht noch steigern. Das geht eigentlich nicht durch einen deutlichen Normbruch oder durch intellektuelle Aufklärung, zum Beispiel über die Struktur von Witzen. Es geht besser durch das Verächtlichmachen eines Verhaltens, das alle als verächtlich empfinden (und wenn nicht, müssen sie vorgeben, es verächtlich zu finden, zum Beispiel wenn es über Homosexuelle geht). Man kann dann in schenkelklatschender Gemeinsamkeit verweilen.
 
3.5. Minderheiten-Witze
Jeder Mensch ist eine Minderheit und somit alleine. Um nicht alleine sein zu müssen, hat er die Sehnsucht nach Gemeinsamkeiten mit anderen. Die großen Manipulationsorgane ihrerseits erklären uns, was alles Gemeinsamkeiten sind. Wer darauf hereinfällt (also nahezu alle), kommt ständig in die Lage, Gemeinsamkeiten zu beweisen und sich von denen zu distanzieren, die diese Gemeinsamkeiten nicht in allen Punkten aufweisen. Dies geschieht z.B. durch gemeinsame Kleidung, angewöhnte Verhaltensweisen (Wie geht ein Mann?), durch die Mode, durch verächtliches Reden, also auch durch Witze.

Wer dieses System durchschaut, verhält sich vielleicht anders, wird aber nicht nur von niemandem verstanden, sondern sogar aggressiv verfolgt. Wer sich teilweise anpasst, kompensiert sein teilweises “Fehlverhalten” durch Überanpassung in anderen Bereichen. Denn wer das ganze Prinzip nicht ablehnt, ist über irgendeine Ecke immer wieder ideologisch integrierbar. Sogenannte Minderheiten sind in irgendeiner Form zumeist überangepasst. Dadurch stabilisieren sie das Prinzip. Ein Jude kann durchaus Schwulenwitze erzählen und ein Türke Judenwitze und ein Schwuler Türkenwitze (oder umgekehrt).

Minderheitenwitze sind keine politische Satire. Sie werden nicht von der betreffenden Minderheit gegen die arrogante Mehrheit als Aus- und Abgrenz-ungsmittel verwandt. Die Minderheiten haben hierbei nichts zu lachen. Höchstens bei solchen Witzen, bei denen die Minderheiten unter sich noch Minderheiten ausmachen, wenn z.B. “normale Schwule” sich von Tunten, oder “schmutzigen alten Männern” abgrenzen. Oder wenn zum Beispiel die Knabenliebhaber von Situationen erzählen, die im Leben für sie niemals zutreffen, nämlich dass ihnen massenhaft junge Kerls zulaufen und alle genau das wollen, was sie ersehnen. Diese Witzform gibt es bei allen unstillbaren Sehnsüchten.

3.6. Die Schwulenwitze der Heten
Wie andere Minderheitenwitze sind Schwulenwitze merkwürdige Kurzgeschichten über Schwule aus heterosexueller Sicht. Sie sollen abgrenzen und verächtlich machen. Daran ändert auch das tragikomische Verhalten, dass sich manche Schwule darin gefallen, solche Witze zu erzählen, nichts. Ich möchte diese Witze in vier Kategorien einteilen: 1. Entlarvung, 2. der lächerliche Schwule, 3. Analtrauma, 4. der lustvolle Normbruch.
 
3.6.1. Entlarvung
Ein wegen eines homosexuellen Kontaktversuchs straffällig gewordener Schwuler wird deshalb vor den Richter geführt. “Oh, Detlev”, ruft der überrascht aus und stürzt auf den Richter zu, “hier arbeitest du also!”

Anruf beim Polizeirevier: “Bitte kommen sie schnell, hier in der Straße prügeln sich die Nutten mit den Schwulen!” “Hoffentlich gewinnen wir”, antwortet der Polizeibeamte.

Die größte Angst vieler Schwuler ist es, von Heten als schwul erkannt zu werden. Und wirklich, Heten-Männer und Heten-Frauen sind zum großen Teil daran interessiert, herauszufinden, ob jemand schwul ist. Eigentlich wäre es ja egal, aber man kennt ja die Witze und weiß, welche Vorstellungen sich hinter dem Urteil “schwul” verbergen. Für den Hetero oder die Hetera ist aber die Erkenntnis alleine deshalb wichtig, um den möglichen Rivalen bzw. Sexpartner ausfindig machen zu können.

Jeder Schwule kennt die Situation, die sich daraus ergibt, dass die Kollegen, Mitschüler usw. wissen, dass man schwul ist. Ihr Verhalten ändert sich. Man wird mehr beobachtet, und da die Heteros natürlich auch ihre Vorurteile haben, wird das Leben schwieriger. P1ötzlich wird vieles auf die Homosexualität zurückgeführt, was allen passieren kann, z.B. wenn im Betrieb etwas vorfällt. Es bereitet so manchem Hetero Lust, herauszufinden, dass irgendjemand Hochstehendes “nur ein Schwuler” ist. So ist bei den Witzen dieser Kategorie der Entlarvte meistens irgendwie hochstehend oder eine Respektsperson, die durch die Entlarvung erniedrigt wird. Besonders amüsiert den Hetero, wenn die Schwulen so blöde sind, dass sie sich gegenseitig fertig machen, wie im ersten angegebenen Witz.
 
3.6.2. Der lächerliche Schwule
Bei diesem Witz kommt es häufig auf den Erzähler an, beziehungsweise auf seine Interpretationskunst. Er muss das, was Schwule sagen, ganz besonders tuntig bringen. Viele Heteros können dies überraschend gut. (Auch bei dem letzten Satz akzeptiere ich das Negative der Tunte und versuche den heterosexuellen Erzähler mit dieser Diskriminierung niederzumachen.) Der Schwule wird als Mensch dargestellt, der ständig vergeblich versucht, wie ein “richtiger Mann” zu sein, was immer das auch ist. Er wird auch als jemand dargestellt, der ständig Männer anmacht, in der Absicht, sich von ihnen durchficken zu lassen, der aber dabei keinen Erfolg hat.

Zwei Männer gehen durch die Straßen. Sagt der eine: “Ich bin so geil, dass ich einen Hund ficken könnte. “Sagt der andere (besonders tuntig): “Wau wau!”

In diesen Witzen sind Schwule keine Männer, stehen noch unter der Frau, die ja sowieso als niedriger als der Mann angesehen wird. Detlev sagt im Bus zu einer Frau: ”Wären sie nicht ganz gerne manchmal ein Mann?” Die Frau antwortet: “Und Sie?”

Das Lächerliche ist also das Nicht-Einhalten der Männerrolle. Der Anmachvorwurf kommt auch aus den Erfahrungen des Heteros, der es entsetzlich findet, in einer Weise angemacht zu werden, wie Männer eben um ihre gewünschten Sexualpartner werben. Das fällt ihnen jedoch erst dann auf, wenn sie selbst Objekt sind. Schwule sind also lächerlich, weil sie Männer anmachen, sind tuntenhaft und unmännlich. Sie finden keine Erfüllung (finden keine Partner), führen ein lächerliches Leben usw. Es ist also nicht erstrebenswert schwul zu sein.
 
3.6.3. Das Analtrauma
Für die Heteros ist der Analverkehr offensichtlich das Bemerkenswerteste an der schwulen Sexualität. Da wünschen die Schwulen, dass man ihnen einen Presslufthammer in den Darm steckt oder im Darm einen Schirm aufspannt, Fürze seien Liebesgeflüster der Schwulen und anderes mehr. Hier scheint der Knackpunkt für die Heteros zu sein, den Männersex bedeutet offensichtlich, ficken und nicht gefickt werden.

Die zusammengekniffenen Arschbacken machen den Heteromann aus. Und genau das ist ja auch die Achillesferse des Heteros, genauer gesagt, das ist die weiche Stelle, wo das Drachenblut nicht hinkam und Siegfried verletzlich war, wo der böse Hagen sein Schwert reinsteckte. Einige Witze dieser Art sind auch über Frauen zu hören, die sich nicht so gerne bumsen lassen wollen. Vielleicht bildet sich so mancher Witz-Erzähler ein, die Schwulen (oder die Frauen) würden sich so gerne gerade durch ihn in dieser Weise auf masochistische Art demütigen lassen, denn sein Kummer ist ja, dass diese Bestätigung seiner Männlichkeit selten ist.
 
3.6.4. Der lustvolle Normbruch
Der Normbruch geschieht durch das Bejahen von Homosexualität und Partnerwechsel. Witze dieser Art werden von Heten gebracht, die eher Bisexuell sind, oder sie werden von Schwulen gebracht, die in Ansätzen ihren Trotz zum Ausdruck bringen

Treffen sich zwei Schwule. Fragt der eine: “Wohin fährst du denn dieses Jahr in Urlaub?” Antwortet der andere: “Nach Marokko.” “Du Schwein”, sagt der eine, wohl wissend, was in Marokko möglich ist. “Aber nein”, meint der andere, “wo denkst du hin. Ich fahre doch mit meinem Freund.” Daraufhin der eine: “Du dummes Schwein!” Der Normbruch des Fremdgehens wird hier positiv bewertet.
“Ich habe mich verliebt!” sagt Paul zu seiner Mutter in Belfast. “In wen denn?” fragt die Mutter. “In Mike, den Sohn des Bäckers”, antwortet Paul. “Was für eine Schande! Der ist doch protestantisch!” antwortet die Mutter.

Der Hetero lacht hier wohl darüber, dass die Nordiren so im Religionszwist vernagelt sind, dass sie das Naheliegende und Schwerwiegende nicht mehr erkennen können. Der Schwule lacht darüber, dass er durch einen größeren Konflikt entlastet ist und dass solche Vorurteile allesamt unsinnig sind. Es kommt also bei vielen Witzen auch auf die Auslegungsmöglichkeiten aufgrund der eigenen Identität an.

Was ist das! Hat zweiundzwanzig Schwänzchen und macht trallala. Es ist der Wiener Knabenchor (Name der Stadt variabel).
Man kann bei den hier vorgefundenen Witzchen eigentlich keine Diskriminierung der Schwulen entdecken und die singenden Knaben werden hier als potenzielle sexuelle Wesen dargestellt.
 
3.7. Schwule erzählen ihre schwulen Witze
Wie Joachim S. Hohmann beschreibt, erzählen Schwule auch gerne schwulendiskriminierende Witze, allerdings in der Absicht, zu erklären, dass sie so nicht sind wie diese da. “Das ultimative schwule Witzebuch” vom Verlag Bruno Gmünder lebt genau davon. Genauer gesagt, sie leben davon, dass hier genau das beschrieben und kritisiert wird, was man selber schon entweder amüsiert oder kritisch beobachtet hat, so dass man den Eindruck hat, der Witz sitzt.

Der Herausgeber Manni Meier macht sich auch im Vorwort nicht Gedanke um Diskriminierung, bestenfalls eine kleine Anmerkung über diesen Zusammenhang macht er noch: “Ob es politisch vielleicht immer noch nicht korrekt zu sein scheint, über Schwule Witze zu machen? Was ist an schwulen Witzen so komisch und an Schwulenwitzen so diskriminierend? Und welche Witze sind denn nur wirklich geschmacklos?” Es will also nicht Diskriminierung entlarven oder vermeiden, er will vermeiden, dass man sie ihm krumm nimmt. Die Leute sollen ohne viel nachzudenken ablachen können.

“Der Schwule” ist hier entmenschlicht, ein Typus zum Ablachen. Und wenn dann ein Witz erzählt wird heißt es meistens: “Da treffen sich zwei Schwule”, oder “Da geht in Berlin ein Schwuler zum Bäcker und wartet auf die warmen Berliner” usw. Und welche antischwulen Vorurteile werden hier bedient? Alle denkbaren:
 
3.7.1. Schwule, besonders die femininen, sind boshaft
Was mach den Unterschied zwischen einer Tunte und einen Tumor? Der Tumor kann gutartig sein.
 
3.7.2. Schwule sind Frauenfeindlich
Schwule habe zwar ihre beste Freundin, aber was ihr eigentliches sexuelle Leben betrifft, da halten sie die Frauen raus: Was mach ein schwuler Regenwurm im Salat? Er wirft erst einmal alle Schnecken raus.
 
3.7.3. Schwule wollen sich immer ficken lassen
Wie bekommt man vier Schwule auf einen Barhocker? Indem man den Hocker umdreht.
Was sag der schwule Hans, wenn er sich auf das Gesicht von Pinocchio setzt? Los, jetzt lüg was.
 
3.7.4. Schwule sind oberflächlich und egoistisch
Ein Schwuler findet eine Flasche mit einem Flaschengeist. Der sagt, “Du hast einen Wunsch frei”. Sagt der Schwule: “Ich möchte eine GUCCI-Sonnenbrille”. Der Geist erwidert: Dann bist Du schwul, also oberflächlich und egoistisch. Ist Dir klar, dass überall auf der Welt die Kinder hungern?” “Okay okay, ist ja gut”, antwortet der Schwule gequält, “GUCCI-Sonnenbrillen für alle!”
 
3.7.5. Schwule sind übertrieben weibisch
In einer Klappe steh ein Mann vor dem Becken und fragt den Hereinkommenden: “Würden sie mir bitte die Hose aufmachen und meinen Schwanz herausholen”? Hans will betroffen dem offensichtlich Behinderten helfen und tut es. Als der Mann mit Pinkeln fertig ist fragt Hans: “Soll ich ihnen die Hose wieder zumachen?” “Nein danke”, antwortet der, “meine Nägel sollten jetzt trocken sein”
Wie viel Schwule braucht man, um ein Glühbirne auszuwechseln? Fünf. Einer besorgt den Champagner, einer macht die Schnittchen, einer dekoriert die Wohnung, einer telefoniert und einer macht dem Elektriker die Türe auf.
Woran erkennt man, dass der Wohnungseinbrecher schwul ist? Die besten Sachen sind weg und der Rest ist geschmackvoll umdekoriert.
 
3.8. Ergo
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass der diskriminierende Schwulenwitz nicht dadurch besser wird, dass er von Schwulen erzählt wird. Er hat dann eine andere Funktion: denn er sortiert unter den Schwulen. Die guten Schwulen sind so wie der Erzähler, die lächerlichen Schwulen sind so, wie der Erzähler nicht sein oder wirken möchte. Was ist der Maßstab, was ist die Position des Guten? Es ist die vorgefundene Normalität in der Gesellschaft, die selbstverständlich von einem heterosexuellen Standart mit klaren Geschlechterrollen ausgeht, durch die auch die Heten normiert werden.
 
4. Was tun?
Wenn schon Humor, dann bitte auf Kosten eines diskriminierenden Verhaltens oder auf Kosten reaktionären Verhaltens, zum Beispiel über Macho-Männer und tuntige Frauen, religiöse oder nationalistische Schwulenfeinde. Über diese jedoch Witze zu machen, ist schwierig, weil die Reaktionäre und Diskriminier dann, wenn es sie trifft, sauer werden, manchmal gewalttätig werden und bis zum Mord gehen können. Menschen, die sich mühsam die Mehrheitsrollen erarbeitet haben, sind in dieser Frage nämlich absolut humorlos. Sie lachen lieber über solche, die den Standart nicht erreicht haben.

Es ist leider wahr, dass es immer noch leichter ist, Sympathien zu ernten, indem man auf abweichende Minderheiten, die sich nicht so gut wehren können, einschlägt, als dass man das angeblich Normale infrage stellt.
 
5. Literatur
Für diesen Beitrag habe ich nur wenig Literatur herangezogen, das meiste stammt also aus meinen eigenen Arbeiten. In diesem Zusammenhang zu nennen und zu bewerten wären im wesentlichen nur zwei Bücher:
 
5.1. Hoffentlich sind die Jungs auch pünktlich
Darstellung und Selbstdarstellung des homosexuellen Witzes von Joachim S. Hohmann (Hrsg.) und Roland Schopf, erschienen 1976 im Verlag rosa Winkel, Berlin, 6,50 DM, ISBN 3-921495-02-4

Dieses alte und abgegriffene Büchlein (vergriffen ist es sicher auch), das mir 1987in die Hände fiel, untersucht analytisch den Zusammenhang zwischen Diskriminierung und Witz und nennt Beispiele dazu. Es wurde so zum Anreger meines Artikels über Schwulenwitze, den ich im August 1987 in unserer damaligen Zeitung NUMMER (Vorgänger der LUST) veröffentlichte. Dieser Artikel über den Witz ist hier Artikel integriert.

Roland Schopf lästert in seinem Beitrag “Der Witz eine sexuelle Minderheit als Mehrheits-Phänomen”, dass man in Deutschland kein Buch ohne wissenschaftlichen Diskurs herausgeben könne, und dann beginnt er mit seinen “Ansätze(n) zu einer Soziologie des Homosexuellen-Witzes”. Dass Bücher wissenschaftlich begleitet werden, das hat sich nun freilich deutlich geändert. Heute wäre man froh, wenn es zumindest in Ansätzen noch so wäre. Schopf meint hier: “Wenn wir mit Tocquvilles klassischer Definition übereinstimmen, dass Demokratie, die er als Mehrheitsherrschaft bezeichnet, ihren Freiheitsgrad dadurch nachweist, wie sie sich der Minderheit gegenüber verhält, dann müssen wir auch alle Repressalien und Unterdrückungsmechanismen gegenüber Homosexuellen als das nehmen, was sie sind, als Gradmesser nämlich des Bewegungsspielraums, den uns unser Gesellschaftssystem lässt.” (a.a.O. S. 6)
 
Er meint, dass ein Witz, je nach Schärfe, vom Lächeln über unangepasstes Verhalten, als Warnung also, bis zur Schranke der Ausgrenzung geht. Joachim S. Hohmann nennt seinen Beitrag “Die Angst und das Gelächter” Individualpsychologie des homosexuellen Witzes. Er berichtet, dass er in der Szene, wo er Schwulenwitze sammeln wollte, keinen einzigen Mann fand, der welche kannte, denn in der schwulen Gemeinschaft würden sie nicht erzählt, lediglich in der heterosexuellen Gemeinschaft sei dies üblich. Wohl aber würden in der homosexuellen Szene u.a. Tuntenwitze erzählt, da Tunten wegen ihrer Unmännlichkeit komisch seien. Da grenzt er sich aber von den Tunten selber ab, denn der übliche Schwulenwitz ist ja, dass Schwule keine Männer seien. Hohmann beschreibt dann noch, dass bei den in der schwulen Subkultur erzählten Witze am schlimmsten die Tunten und die Päderasten seien. Diskriminierten Minderheiten würden Eigenschaften und Verhaltensweisen unterstellt, die jeder Mensch habe aber nicht haben dürfe. Im Anhang dann finden wir in diesem Buch eine Witze-Sammlung vor. Einige Beispiel aus dieser Sammlung finden sich in diesem Artikel.
 
5.2. Kommt ein Schwuler beim Arzt
Das ultimative schwule Witzebuch von Manni Meier (Hrsg.), Illustrationen von Andreas Rohde, erschienen 2003 im Verlag Bruno Gmünder, 72 Seiten zu XX Euro, ISBN 3-86187-379-0

Der Klappentext des Büchleins lautet: “Über sich selbst lacht man am besten – oder? Hier kommt das erste schwule Witzebuch! Oh je – darf man über Schwule überhaupt Witze machen? Und wenn, dann was für welche? Wie stehts mit dem schwulen Humor und worüber lacht eigentlich der Hetero, wenn er über Schwule lacht? Diese Sammlung der besten Schwulenwitze und der schärfsten schwulen Witze ist voll von schönen, derben und spritzigen Pointen – und so manches kommt von Andreas Rohde gezeichnet einfach noch besser! Als prächtige Zugabe geben prominente Schwule der Republik hier ihren persönlichen Lieblingswitz preis.”

Das Problematische der schwulendiskriminierende Erzählungen, über die auch Schwule lachen, ist den Autoren offensichtlich bewusst und sie machen gar keine Trennung zwischen ihnen und solchen der schwulen Selbstbehauptung. Das finde ich nicht so gut. Irgendeine Analyse kann man in diesem Buch nicht vorfinden, es dient eben nur der Belustigung. Der Käufer dieses Buches erwartet auch gar keine Analyse oder Aufklärung, sondern schlicht Input, um vielleicht in einer Runde etwas erzählen zu können. Einige wenige Witze, die oben im Artikel als Beispiel angegeben wurden, stammen aus diesem Buch. (js)
 
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