- 81. LUST, Winter 04/05
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- 10 Jahre »Mahnmal Homosexuellenverfolgung«
19942004
Es sind, auf den Tag genau,
10 Jahre vergangen, seit wir mit einer Feierstunde in der Paulskirche
und der Übergabe hier am Platz der dann 1995 nach
Klaus Mann benannt worden ist das »Mahnmal Homosexuellenverfolgung«
der Öffentlichkeit und der Stadt Frankfurt anvertraut haben.
In meiner Erinnerung ein sehr bewegter und bewegender Tag mit
dem Rosemarie Trockels »Engel« ganz sichtbar das
Gesicht der Stadt und vielleicht auch etwas im Lebensgefühl
vieler Menschen, sogar unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung,
verändert hat. Ein ernster Tag auch, der in den Reden alles
noch einmal aufgerufen hat, wofür dieses Mahnmal steht und
wovon die Inschrift auf dem Sockel spricht:
Homosexuelle Männer und Frauen wurden im Nationalsozialismus
verfolgt und ermordet. Die Verbrechen wurden verleugnet, die
Getöteten verschwiegen, die Überlebenden verachtet
und verurteilt. Daran erinnern wir in dem Bewusstsein, dass Männer,
die Männer lieben, und Frauen, die Frauen lieben, immer
wieder verfolgt werden können.
Der »Frankfurter Engel« ist Träger einer Botschaft,
von der wir damals nur hoffen und wünschen konnten, sie
werde gehört und verstanden: »Ich betrachte dieses
Mahnmal als Auftrag für mich als politisch Handelnde, als
Auftrag für Toleranz, Liberalität und Humanität
gegen Intoleranz, rabiate Gewalt und Ignoranz einzustehen
auch dann, wenn das wieder schwieriger sein wird als heute.«
(Kulturdezernentin Linda Reisch, am 11.12.1994).
Heute, 10 Jahre danach, steht der »Engel«, nach wie
vor unbehelligt, an seinem Platz. Und dieser Platz ist zu einem
Ort des Gedenkens mitten im Leben geworden. Zu jeder Jahreszeit,
zu jeder Tages- und Nachtzeit wird dieser Ort besucht, begangen,
durchschritten, passiert, er wird benutzt, mit und ohne ein Innehalten.
Aber, ganz gleich auch wie, mir erscheint es oft so, als geschehe
es nie ohne eine leichte Berührung der Passanten durch den
Engel, durch seine ganz besondere Gestalt.
Das Leben in der Stadt ist weitergegangen und manches hat sich
in den letzten 10 Jahren weiter verändert: Die Regenbogenflagge
vor dem Römer zum CSD, die Oberbürgermeisterin, die
in diesem Jahr erstmals die Teilnehmer des CSD durch eine Rede
beehrt hat, »runde Tische« zur Schwulen- und Lesbenpolitik
sowohl in Wiesbaden im Sozialministerium als auch hier in Frankfurt.
Politische Gesten, die nicht viel Geld kosten, das ja, aber auch
ein Ausdruck der Bereitschaft miteinander zu reden, auch zu streiten,
zur Auseinandersetzung also, in der deutlich werden kann, was
möglich ist, aber auch und immer wieder, wo die Grenzen
des Möglichen gezogen werden.
Selbstverständlicher ist manches geworden, aber nicht alles
ist selbstverständlich, was mit schwulem und lesbischem
Leben in Zusammenhang steht. Gewalt gegen Schwule und Lesben,
offene und versteckte, sind immer noch und immer wieder an der
Tagesordnung. Und dass das Lichten des Unterholzes an der Friedberger
Anlage mehr ist als ein stadtgärtnerischer Eingriff, nämlich
auch ein »Säubern« der Anlage von den mehr oder
auch weniger flüchtigen sexuellen Kontakten schwuler Männer,
das ist offensichtlich, und dass solches »Treiben«
stört und also »zurückgeschnitten« werden
soll.
Die Möglichkeiten und die Grenzen des Möglichen sind
in den zurückliegenden Wochen wieder einmal beispielhaft
deutlich gemacht worden:
Da ist zum einen die Verhinderung eines, durch sein homosexuellenfeindliches,
aber auch frauenfeindliches Gedankengut ins Zwielicht geratenen
Kandidaten auf dem Posten eines EU-Kommissars durch anhaltenden
öffentlichen und parlamentarischen Widerspruch.
Und da ist zum anderen das Gegenbeispiel aus Hessen: Hans-Jürgen
Irmer, Landtagsabgeordneter, stellvertretender Vorsitzender der
CDU-Fraktion und deren bildungspolitischer Sprecher, hat in seiner
Hauspostille, dem »Wetzlarer Anzeiger«, neben vielen
anderen Absonderungen, die seine altbekannte Frauen- und Fremdenfeindlichkeit,
sein gestörtes Verhältnis zur Verfassung und seine
reaktionäre Gesinnung offenbaren, sich auch über die
Homosexualität und die Homosexuellen geäußert:
Homosexualität, so sagt er, sei »veränderbar«,
und in Hessen werde nicht genug getan, damit Homosexuelle »diese
Neigung überwinden«.
In einer »stürmischen Debatte« im Hessischen
Landtag hat sich die CDU-Fraktion einstimmig hinter ihren »Rechtsaußen«
gestellt. Es müsse unstreitig sein, »dass so etwas
gesagt werden darf«, meint dazu der Fraktionsgeschäftsführer
Gotthardt.
Es ist gesagt worden. Und wer sich davon nicht distanziert, der
drückt damit noch einmal und einstimmig die ganze Verachtung
für alle diejenigen aus, die Herr Irmer angreift, nicht
nur die Homosexuellen. Diese Haltung der CDU-Fraktion ist der
eigentliche Skandal. »Rüffel« hinter verschlossenen
Türen und Distanzierungen »im Vertrauen« ändern
daran nichts. Wozu ein »runder Tisch« zur Schwulen-
und Lesbenpolitik, wenn die Lesben und Schwulen, die daran Platz
nehmen, in der Öffentlichkeit gegen verbale Gewalt nicht
verteidigt werden.
Armselig auch die Reaktion des Sprechers der »Lesben und
Schwulen in der Union«, der in einem Interview zu dem Vorgang
(FR 30.11.04) seiner Partei »ein aufgeklärtes Bild
der Homosexualität« attestiert. Es muss ein Bild von
jener »brutalst möglichen Aufklärung« sein,
für die Roland Koch steht. Die politische Verwahrlosung,
sie beginnt oben, im Kopf und in der CDU Hessen von oben her.
Dass die Schwulen und Lesben in der CDU auch noch die linke Wange
hinhalten, wenn ihnen die rechte noch vom ersten Schlag brennt,
das ist gewiss nicht christlich, das ist feige. Wenn auch den
Lesben und Schwulen in der Union die prekären Mehrheitsverhältnisse
im Landtag wichtiger sind als Respekt und Anstand, dann sind
sie ein freiwilliges Beispiel dafür, dass Zivilcourage zuletzt
kommt, dann wenn es nichts mehr kostet. Damit aber ermöglichen
Kleinmütigkeit, Kumpanei und Machtkalkül Herrn Irmer,
seine Parteifreunde zur Solidarität mit ihm zu erpressen.
Die Botschaft des »Frankfurter Engels«, sie wird
auch weiterhin von brennender Aktualität sein. In ihrem
Blick auf den Engel schreibt Melanie Spitta: »Alle
Menschen sind gleich viel wert: Wir Zigeuner leben danach.
Aus Angst vor Entdeckung und Diskriminierung dürfen sich
Homosexuelle nicht verstecken, sie müssen ihre Weise zu
lieben als etwas Selbstverständliches ansehen und von dieser
Gesellschaft Achtung und Akzeptanz fordern; für ihr Tun
einstehen, nicht sich selbst bemitleiden und in Larmoyanz ausbrechen.«
Dem habe ich nichts mehr hinzu zu fügen, außer dass
der »Frankfurter Engel« jetzt auch im Internet steht
und seine Botschaft verkündet unter: www.frankfurter-engel.de.
Frankfurt am Main, den 11.12.2004
(Rede am »Mahnmal Homosexuellenverfolgung« anlässlich
des 10 Jahrestages am 11.12.2004 von Dr. Herbert Gschwind für
die »Initiative Mahnmal Homosexuellenverfolgung«)
IMH e.V. · Lenaustraße 97 · 60318 Frankfurt
am Main · mail@frankfurter-engel.de
(Zitate von Linda Reisch und Melanie Spitta aus: Der Frankfurter
Engel. Ein Lesebuch, Eichborn 1997.)
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