- 81. LUST, Winter 04/05
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- Heterosexualisierte Schwule und Lesben
Ich kenne aber einen anständigen Schwulen und eine
ordentliche Lesbe. Die benehmen sich nicht so wie du, sagen
uns die toleranten Heten.
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- Als ich davon berichtete, dass ich mich um
heterosexualisierte Schwule und Lesben kümmern wollte, fühlten
sich sofort eine Reihe von Heterosexuelle angegriffen. Sie befürchteten,
dass ich ganz normale Verhaltensweisen kritisieren
würde. Was aber ist ganz normal? Nun, das ist
doch klar. Ganz normal ist, was den gesellschaftlichen Normen
entspricht. Die Gesellschaft schreibt uns vor, wie Mann
normal ist und wie Frau normal ist. Gegen AbweichlerInnen
gibts dann den entsprechenden gesellschaftlichen Druck,
der vom Stirnrunzeln über Schneiden bis hin zum Totprügeln
gehen kann. Wir Lesben und Schwule kennen das doch, nicht nur
in den Medien, sondern auch im Bekanntenkreis, wenn man auf uns
grinsend oder verständnislos reagiert, oft ist das verständnisvolle
reagieren ebenso peinlich.
Andererseits, Lesben und Schwule sind recht schnell bereit, ihresgleichen
zu kritisieren. Sie bevormunden sich gegenseitig, und wenn ich
frage, warum sie dies eigentlich machen, bekomme ich oftmals
als Antwort: die Heten könnten glauben, wir alle seien so.
So? Wie denn so? Sie meinen also, entsprechend der Moral der
Heten geht dieses mein Verhalten nicht durch, und sie selbst
möchten vor den Heten lieber wie eine(r) von ihnen dastehen,
also ohne dass man dort über sie grinst oder so.
An unseren Treffpunkten werden wir weit häufiger als bei
dem oben beschriebenen Erscheinungsformen von solchen Verhaltensweisen
belästigt, die der heterosexuellen Doppelmoral entsprechen.
Heterosexuelle Doppelmoral? Nun, man kritisiert an anderen, was
man sich selbst gelegentlich rausnimmt, daran aber nicht denken
möchte. Und so kritisieren sich Lesben bzw. auch Schwule
gegenseitig.
Das ist indes gar nicht verwunderlich, werden wir doch rundum
von ihr umgeben, der heterosexuellen Doppelmoral. Das Coming-out
ist ein längerer Prozess und Rückschläge sind
an der Tagesordnung. Andererseits ist es aber auch ärgerlich,
wenn Lesben und Schwule, die in ihrem Coming-out schon etwas
weiter gekommen sind, sich ständig mit Problemen auseinander
zu setzen haben, die ihnen von Lesben und Schwulen gemacht werden,
die noch nicht so weit sind.
Der Hintergrund dieser moralisierenden ZuchmeisterInnen aus unserer
eigenen Szene ist ihre Angst, vor den Normen und Urteilen der
offiziellen und auch heterosexuellen Welt nicht bestehen zu können.
Da hat mann doch im Freundeskreis immer am lautesten über
scheinbare Schwule gehetzt, und nun ist mann selber tatsächlich
einer. Und hat frau nicht immer darauf geachtet, dass anderen
Frauen klar ist, wie sehr sie sich von Lesben unterscheidet,
doch nun hat frau sich selber als Lesbe erkannt. Da ist es dann
doch nicht unwichtig, wie mann/frau sich in der Szene verhält,
denn die bisherigen Normen und Urteile hat mann/frau ja noch
immer vollkommen verinnerlicht.
Viele finden es anfänglich selber schlecht, abweichend von
den bisherigen eigenen Lebensplanungen und Wertmaßstäben
zu sehen, wenn sie sich als Lesben/Schwule wiederfinden. Und
ängstlich schauen sie sich in der Szene um, damit sie ja
nicht mit denen in einen Topf geworfen werden, über die
sie noch vor Tagen öffentlich so gelacht haben. Wenn man/frau
nun schon mal lesbisch/schwul ist, dann aber bitte nicht derart
lächerlich. Und so überschütten sie alle Lesben
und Schwule mit Vorwürfen, die nicht dem Vollendeten Bild
von moralischen Heten entsprechen. Und das sind meistens die,
die einen einigermaßen Gangbaren Weg für sich in ihrer
speziellen Lage gefunden haben.
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- Schwulenkram
Einem politischen Partner in einem der Bündnisse, in denen
Mitglied zu sein wir für nötig halten, zeigte ich vor
Jahren einmal unsere Lesben- und Schwulenzeitung NUMMER. Nicht
alle Ausgaben sind Glanzlichter. Es war dies aber eine gut gelungene
Ausgabe mit vielfältigem Inhalt. Hier ging es um das Open-Ohr-Festival
und die politischen Diskussionen dort. Dann ging es um Lesben-
und Schwulenbücher, aber auch um feministische und linkspolitische
Literatur. Es ging um Veranstaltungen, Filme, um Musik. Aber
alles nur Schwulenkram, sagte der junge Mann. Bezeichnend
war auch, dass er den sogenannten Lesbenkram nicht
für bemerkenswert hielt, denn den konnte er irgendwie in
seine normale Welt integrieren. Lesben gibts eben in seiner
Welt irgendwie. Das geht nicht an ihn. Aber Schwule? Er fasste
die Zeitung beinahe mit spitzen Fingern an, beim flüchtigen
Durchblättern, damit ja nichts an ihn kommen sollte. Ich
überlegte mir, ob ich die linke Verbandsliteratur nun Hetenkram
nennen sollte? Ihm fällt ja nicht auf, wo überall man
von der sogenannten Normalität ausgeht.
Das wäre natürlich ungerecht, denn es ging hier ja
tatsächlich um eine Vielzahl von politischen Zusammenhängen.
Und alle diese Zusammenhänge betreffen ja schließlich
auch die Menschen der Lesben- und Schwulenszene. Aber natürlich
geht der dahinter mitschwingende unausgesprochene Hintergrund
vom heterosexuellen Zusammenleben der Menschen aus. Und warum
stört mich das nicht? Nun, im Laufe meines Lebens habe ich
mir angewöhnt, dies für selbstverständlich zu
halten. Später dann, als ich so mache mehr oder weniger
geglückte Coming-out-Phase hinter mich brachte, als ich
Hetiges nicht so einfach für selbstverständlich hielt,
lernte ich, mich Interessierendes simultan zu übersetzen,
um es für mich nutzbar zu machen.
Oft ertappte ich mich dabei, dass ich den Inhalt dieser Bücher,
wenn ich zitierte, in meiner Übersetzung zitierte, und im
Buch war das so natürlich nicht zu finden.
Der hetige Blick ist uns in unserem Leben selbstverständlich
geworden. Und die männliche hetige Identität ist damit
verknüpft, sogenannte Männlichkeit ständig beweisen
zu müssen. Und das schwappt in unsre Szene immer wieder
hinein. Das ist nicht verwunderlich, und das ist natürlich
nichts, dessen wir uns zu schämen hätten, aber es ist
leider eine Tatsache.
Toleranz und Akzeptanz, wem eigentlich
gegenüber?
Da beschwert sich eine junge lesbische Frau am Infostand der
ROSA LÜSTE über die Motive auf den frechen Buttons,
da diese angeblich Heten diskriminieren würden, denn sie
hält wohl Homosexualität immer noch für eine Eigenschaft,
deren frau sich zu entschuldigen hat. Eine ältere lesbische
Frau in einem Gay-Buchladen nimmt die LUST in die Hand und meint
zu den dort vorgestellten Frauenfotos aus Mein heimliches
Auge aus dem Verlag Claudia Gehrke, dass solche Bilder
aus dem Verkehr gezogen gehören. Das sind aber Bilder von
Frauen über Frauen für Frauen gewesen, erklärten
wir. Egal meinte sie. Die dargestellte sexuelle Lust ist offensichtlich
schlecht, vielleicht auch peinlich, auch für eine Lesbe
und wenn es sich um die Lust zwischen Frauen handelt. Vielleicht
gerade, weil es sich um die Lust zwischen Frauen handelt. Weil
sich Frauen prostituieren, wenn sie Lust empfinden, erkennen
lassen, und erleben? Sind lustvolle Frauen Schlampen, weil sie
auf andere Frauen ansteckend wirken?
Da meint eine verständnisvolle heterosexuelle
Frau bei einem der Runden Tische, die schon wieder aus der Mode
gekommen sind, dass sie mehr Verständnis für homosexuelle
Menschen entwickeln könnte, wenn sich Homosexuelle bei den
CSD-Umzügen normaler verhalten würden. Unser Einwand
war, was denn Normalität anderes als Anpassung sei, dass
Normalität doch ein seltsamer Maßstab für uns
sei, wenn man uns verstehen wolle. Man habe uns so zu verstehen
und akzeptieren, wie wir nun mal seien und uns wohlfühlen
würden. Das führte zu ihrem Unverständnis. Und
ein anwesender schwuler Mann, der Mitglied in einer konservativen
Partei ist, meinte, man müsse schließlich nicht von
einem CSD-Wagen heruntermastubieren. Auf diese krasse Weise und
mit solchen seltsamen phantasievollen Unterstellungen glaubte
er also, (s)eine konservative Moral verteidigen zu müssen.
Solche ZuchmeisterInnen in unseren eigenen Reihen helfen überhaupt
nicht, Lesben und Schwule zu ermutigen, einen eigenen Weg für
sich zu entwickeln, der nicht von irgendwelchen Tugendwächtern
vorgezeichnet ist.
Beim Frankfurter CSD wurden wir wegen des frechen Buttons von
einer Hetenfrau und dann auch ihrem Hetenpartner angegriffen,
Heterosexuell? Nein Danke. Das sei Diskriminierung.
Sie sei Mitglied im LSVD und setze sich für die Homo-Ehe
ein und habe es nicht verdient, derart diskriminiert zu werden.
Sie und ihr Partner verlangten ultimativ, den Button zu entfernen,
denn beim CSD ginge es ja darum, dass sich alle gegenseitig tolerieren.
Also, das muss man den toleranten Hetinnen und Heten wohl mal
erklären: beim CSD ging es gerade nicht um eine verwaschene
Toleranz, sondern um den selbstbewussten Kampf für die eigene
Lebensart.
Warum empfindet diese Frau sich hier eigentlich diskriminiert?
Sie und ihre Lebensart wird eigentlich nur vom Buttonträger
als Hete, nicht als Mensch abgelehnt, was doch sein Recht ist.
Oder will sie etwa den Versuch machen, eine Frau zu lieben? Sie
will also von Schwulen (und sicher auch von Lesben) geliebt werden,
weil sie für die Homo-Ehe eintritt? Und wir haben gefälligst
ihr dankbar zu sein, nach ihren Regeln zu leben, um toleriert
zu werden? Das ist eben wohl der Unterschied zwischen Toleranz
und Akzeptanz.
Hallo Hetenmann, wenn Du uns humorvoll fragst, wer in unserer
Beziehung Mann und wer Frau sei, dann gehst Du davon aus, dass
das Muster einer Heterobeziehung das Muster per se, und eine
Beziehung mit Geschlechtrollentrennung eine Beziehung per se
ist, und dass das traditionelle Geschlechtsrollenverhalten zwischen
Mann und Frau in einer heterosexuellen auf Ehe ausgerichtete
Beziehung das Frauenverhalten per se und das Männerverhalten
per se sei. Und du, lesbische Frau oder schwuler Mann, wenn du
ebenfalls solche Fragen stellt, dann merkst du anscheinend nicht,
wie hetig du urteilst.
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- Homo-Ehe versus Beziehungsnetz
Die studentische Schwulenbewegung der Nach-68er zeichnete sich
durch Kessheit und lustvolle Schlauheit aus. Und so wurde man
sich nach einigen Jahren des befreiten Auslebens, was uns vorher
verwehrt wurde einig, dass wir die Formen des schwulen Zusammenlebens
untersuchen sollten, um Schwulen im Coming-out Vorschläge
machen zu können. Na, wie leben schwule Männer? Lässt
sich das schwule Leben in seiner Unterschiedlichkeit irgendwie
als Beziehungsform definieren?
Natürlich finden wir in unserer Szene ganz unterschiedliche
zwischenmenschliche Verhaltensweisen vor. Es ist aber ein Irrtum,
anzunehmen, die einen leben eben so und die anderen so. In Wirklichkeit
lebt jeder von uns in ganz unterschiedlichen Modellen durch die
Phasen des Lebens. Und wie kann man Beziehung definieren? Gibt
es die richtige Beziehung und andere Beziehungsformen,
die nicht richtig sind? Gehört Sex unbedingt in eine Beziehung
und ist alle beziehungsmäßige verschwunden, wenn die
Sexualität kaum mehr stattfindet? Manche sehen das so.
Meine Erfahrung ist, dass schwule Männer dann doch recht
pragmatisch mit der Form des Zusammenlebens umgehen. Man lebt
so zusammen, wie es unter den gegebenen Umständen jeweils
möglich ist. Es ist nicht Möglich, den Beziehungspartner
in seinen Bedürfnissen und Sehnsüchten so zurechtzuformen,
dass er in ein durch uns kreiertes oder von außen übernommenes
vorhandenes Beziehungsmodell passt. Er möchte doch nur mit
jemanden, vielleicht mit uns, glücklich sein. Da ist doch
was. Was soll daran schlimm oder falsch sein?
Gut, wir sehnen uns auch nach Menschen, die uns gegenüber
Verbindlichkeit empfinden. Die werden ein offenes Ohr auch für
unsere Probleme haben. Und andere gibt es, die uns spüren
lassen können, was ein schwuler Mann ist. Bisweilen trifft
das zusammen, aber das ist nicht oft so. Und wenn es so ist,
kann das länger andauern oder nicht. Und in der Zwischenzeit
lebt man ja auch und möchte nicht alleine sein und auch
spüren, was ein schwuler Mann ist, jeder nach seinem Geschmack.
Wir nannten unsere Beziehungsstrukturen Beziehungsnetz.
Unser Leben ist nicht so wie bei den Heten geartet (auch wenn
wir einige Zeit in einer Zweierbeziehung eng zusammen leben).
Es ist nicht so geartet, dass da durch viele Gebräuche,
Gesetze, Gewohnheiten eine Infrastruktur für eine schwule
Familie besteht. Wir haben teilweise auch unter den Heten Freundschaften,
die uns etwas geben, aber eben nicht das schwule zwischenmännliche
Gefühl. In ihrer Summe sind die näheren und ferneren
Beziehungspartner das, was wir wohl benötigen.
In die Maschen unseres persönlichen Beziehungsnetzes, in
dem wir in der Mitte sitzen, sind mehr als nur eine Person eingeknüpft,
auch wenn dort eine Person uns plötzlich ganz nahe ist.
Dadurch verschiebt sich natürlich das Geflecht etwas. Andererseits
brauchen wir ganz allgemein nicht nur einen Menschen und haben
wir auch nicht nur einen Menschen. Und jeder Mensch ist das Zentrum
seines eigenen Beziehungsgeflechtes oder Beziehungsnetzes.
Bei der Sommerschwüle in Mainz waren auch zwei Menschen
anwesend, die sich mit ihrem Infostand als die grüne
Jugend vorstellten. Als ich mit dem männlichen Exemplar
dieser Jugend über unterschiedliche Formen schwulen Lebens
sprechen wollte, die sich jeweils aus dem Leben eines schwulen
Mannes bilden und so ihre Berechtigung haben, überraschte
er mich mit der Bemerkung, dass es Zeit werde, dass die schwulen
Männer endlich anständig würden, anstatt sich
derart auszuleben, wie sie es bislang täten (wenn das doch
so wäre). Und dies geschehe durch die Homo-Ehe. Was ist
denn anständig? Ein jungendlicher schwule Zuchtmeister
der älteren Schwulen mittels Ehemoral?
Ein heterosexueller linker Ideologe verstieg sich in einem Vortrag
über Homosexualität und Islam in die Bemerkung, dass
die Schwulen durch die Homo-Ehe endlich zivilisiert würden.
Schwule würden sich etwas bezüglich des freien schwulen
Lebens vormachen.
Nun ist ja wahr, dass es Schwule gibt, die sich da etwas vormachen.
Aber das freie schwule Leben ist nur ein aufgebauter
Popanz. Nur wer sich in eine eheähnliche Beziehung gemäß
der Heten-Ehe gibt, ist zivilisiert, die anderen sind eben unzivilisiert.
Merkt Ihr, was da auf uns zukommt? Die Homo-Ehe ist kein weiterer
emanzipatorischer Schritt, sondern ein integrativer Schritt.
Da kommt die weitere Integration der Homosexuellen, eine weitere
Heterosexualisierung der Homosexuellen auf uns zu. Alleine der
Spruch, dass wir uns nur in der sexuellen Objektwahl von den
Heten unterscheiden, verschleiert vieles, was für unser
Leben bedeutungsvoll ist.
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- Über den Unterschied und seine Perspektiven
Da ist die sogenannte narzistische Kränkung
der Lesben und der Schwulen. Tillmann Moser nannte diesen Zusammenhang
einmal so. Es handelt sich um eine Schädigung der Selbstliebe,
die sich in der unstillbaren Sehnsucht nach Anerkennung
ausdrückt, wie das Martin Dannecker nennt. Denn unser Coming-out
ist schon recht schwierig und im übrigen auch zwischen Lesben
und Schwulen unterschiedlich.
Die Pubertät, die ohnehin ein problematisches Stadium eines
Menschen ist, führt bei vielen schwulen Männern schon
zum ersten Schritt im Coming-out, während schwul
noch eines von vielen bedeutungslosen Schimpfwörtern ist.
Die männlichen Coming-outler erkennen an sich andere Faszinationen
als es die altersgleichen Kraftmeier zum Ausdruck bringen, sie
können in den Angeberei-Szenen entweder nicht mithalten,
oder sie übertreffen die anderen, allerdings dann mit erfundenen
oder übersetzten Geschichten. Nun könnte
man einwenden, die jugendlichen heterosexuellen Kraftmeier und
Angeber lügen auch. Aber sie befinden sich dabei gedanklich
in gesellschaftlich anerkannten Bahnen, die sie wirklich zu erreichen
hoffen, während die schwulen Angeber wissen, dass sie mit
ihrem Verlangen nur Diskriminierung und Verachtung hervorrufen
würden. Nur ein kleiner Teil der Schwulen hatte heterosexuelle
Erfahrungen vor, während oder nach ihrem Coming-out.
Bei Lesben ist die Hinwendung zur homosexuellen Variante menschlicher
sexueller Faszination meist später, zumeist nach den ersten
normalen also heterosexuellen Erlebnissen oder Beziehungen.
Viele von ihnen haben Kinder. Dies ist zumindest eines der Resultate
unserer umfangreichen Sexbefragung. Nun ist die lesbische Faszination
an der Frau nicht aus Abscheu gegenüber dem Mann entstanden,
wie man vielleicht vermuten könnte. Im Gegenteil empfinden
sie zumeist immer noch Zuneigung gegenüber den Männern,
mit denen sie verbunden waren. Sondern der gesellschaftliche
Druck zur Heterosexualität wirkte sich bei ihnen nachhaltiger
aus und verhinderte das Coming-out für eine längere
Zeit. Und Menschen kann man mögen und auch lieben, unabhängig
davon, ob sich die erotische Faszination als tragfähig erweist.
Wir fanden keine nennenswerte Anzahl lesbischer Frauen unter
den Befragten, die sich negativ über die erlebte Heterosexualität
äußerten. Doch das zwischenmenschliche und sexuelle
Leben mit einer Frau zeigte sich als faszinierender und tragfähiger.
Schwule leiden an der Aufmerksamkeit, die ihnen in abfälliger
Weise ständig gezollt wird. Im Gegensatz zu schwulen Männern
leiden lesbische Frauen nicht in erster Linie an Diskriminierung,
Gewaltandrohung und Verächtlichmachung, sondern an der Ignoranz
der Gesellschaft ihnen gegenüber. Heterosexuelle Frauen
ignorieren ie nur, während schwule Männer sie nur als
Bündnispartnerinnen wahrnehmen. Sie werden also nur von
anderen Lesben positiv als Lesben wahrgenommen, und das auch
nicht genügend. Die strahlende Glitzerwelt ist heterosexuell
und gelegentlich auch schwul. Lesbischsein sorgt selten für
Schlagzeilen und wurde (in Deutschland) im Gegensatz zum Schwulsein
auch staatlich nicht verfolgt. Achtung erwirbt sich eine Frau
durch ihre Attraktivität für Männer, nicht aber,
wenn sie sich dieser Form der Achtung entzieht. (Heterosexuelle)
Männer versuchen ihr Lesbischsein offiziell einfach zu ignorieren,
wenn sie sich Sex zwischen zwei Frauen vorstellen, an dem sie
teilzunehmen wünschen.
Hella von Sinnen als lesbische Sichtbare, wurde durch
einen aus der männlichen Transenszene stammenden Künstlername
und über schwule Shows einigermaßen bekannt und stellt
eine Ausnahme dar, die nun in der Comedy-Szene gelegentlich auftreten
darf, als Ulknudel, nicht als Lesbe, von der man halt weiß,
dass sie nebenbei auch noch lesbisch ist.
Derart psychisch ausgestattete schwule Männer und lesbische
Frauen sind tatsächlich nicht nur durch die sexuelle Objektwahl
von Heten unterschiedlich. Und auch bei der Objektwahl ist das
anders, denn fast jeder schwule Mann war schon einmal in einen
Hetenmann verliebt, der diese tiefe Freundschaft genoss, Gewinn
aus ihr hatte, und uns unser ständige Begehren für
ihn vorwarf. Je tiefer wir die Freundschaft empfinden, umso kläglicher
wird dort unsere Rolle. Man lernt also, gegenüber absolut
unschwulen Männern Distanz zu halten, von den gewalttätigen
Männern unter ihnen ganz abgesehen. Der Hetenmann jedoch
sieht alle vorhandenen Frauen als seine potenziellen Partnerinnen
an.
Die verliebte lesbische Frau findet zwar die beste Freundin,
überall ist auch Küsschen und Händchenhalten drin,
aber deren Gespräche drehen sich über Jungs beziehungsweise
Männer und dann über Kinder und später deren Partnern
und Kinder, nie über lesbisches Verliebtsein und die erotischen
Sehnsüchte.
Das alles ist die gesellschaftliche Dominanz und alle halten
das für normal, denn Heten finden sich dort wieder. Nur,
wie finden wir uns unter diesen Bedingungen dort wieder? Wir
gelten hier eher als lächerlich und als Versager und auch
als, wie man gelegentlich hört oder liest, als bevölkerungspolitische
Blindgänger, denn den Heten geht es ja offensichtlich nicht
um unmoralischen Sex, sondern ständig um den
Versuch der Vermehrung.
Was uns bleibt, das ist, uns ein Leben lang da irgendwie auf
die unterschiedlichste Weise durchzuschlängeln und Wege
zu finden, die uns ein bisschen Lebensglück bescheren können.
Das kommt auf unsere Mitmenschen an, ob wir glücklich werden
können, Mitmenschen aus allen Szenen.
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- Die unstillbare Sehnsucht nach Anerkennung
Lesben und Schwule haben also die unstillbare Sehnsucht nach
Anerkennung, heißt es. Und was ist das, Anerkennung? Und
von wem wollen wir anerkannt werden?
Viele Männer suchen die Anerkennung durch Frauen, weil sie
sich schon als Kind ständig die Anerkennung der Mutter verschaffen
mussten. Das trifft Hetenmänner wie schwule Männer.
Die Mutter war mächtig, ständig anwesend und konnte
jede Regung erkennen und kontrollieren. Mutterrolle, persönliche
Macht und gesellschaftliche Ohnmacht, so wurde sie in der
Feministischen Theorie definiert, im Zusammenhang der problematischen
Mutter-Tochter-Verhältnisse. Kinder sind hilflos und wehrlos
gegenüber der Psycho-kontrolle, der sie durch die Mutter
ausgesetzt sind.
Zur Macht der Mutter gehört es dann auch, dass die Kinder
merken, sie ist vom Vater verliehen. Das geschieht, wenn sich
die Mutter mit dem Vater rausredet, wenn sie mit dem Vater droht
und wenn die Kinder beobachten können, wer wirklich das
letzte Wort hat. Kinder lernen dadurch, dass man sich der Macht
des Vaters über die Mutter bedienen kann. Aber auch Freundinnen
der Mutter können funktionalisiert werden, die auf Besuch
kommen. Diese Verhaltensweisen scheinen Mädchen besser zu
erlernen, das sagen jedenfalls die entsprechenden Analysen der
Mutter-Tochter-Problematik.
Jedenfalls merken Kinder (und dort besonders Jungs), dass es
einerseits gut ist, sich des Wohlwollens des jeweils Mächtigsten
zu versichern. Andererseits merken Kinder (besonders Mädchen),
dass Machpersonen schwache Stellen haben, dass sie auf andere
Menschen angewiesen sind, die nicht unbedingt in der Hierarchie
sehr weit oben stehen.
Könnte es sein, dass normalerweise Jungens irgendwann mit
dem Vater um die Gunst der Mutter rivalisieren und dass aus der
Gruppe der Jungs, die mit der Mutter um die Gunst des Vaters
rivalisieren die schwulen Jungs entstammen? Und dass normalerweise
die Mädels mit der Mutter um die Gunst des Vaters rivalisieren
und aus der Gruppe der Mädchen, die um die mit dem Vater
um die Gunst der Mutter rivalisieren die Lesben stammen? Das
wäre in dieser Form wohl zu weit hergeholt, und wir werden
dies sicherlich unter einer anderen Fragestellung noch genauer
untersuchen.
-
- Anerkennung und Hierarchie
Wer Anerkennung sucht, befürwortet die hierarchische Ordnung,
von der auch er profitieren möchte. Und sehr schnell bemerken
homosexuelle Menschen, dass es die Sexualität ist, auf die
sie reduziert werden, wenn man sie diskriminiert. Also wollen
sie auf anderem Felde Anerkennung erringen, um als Mensch gesehen
zu werden. Das aber verschafft ihnen nicht die Anerkennung ihrer
Sexualität.
Und die Anerkennung ist um so wertvoller, je machtvoller die
Menschen sind, deren Anerkennung man sucht. So kommt es, dass
man Schwule beobachten kann, die besonders um die Anerkennung
der miesesten und oft auch schwulenfeindlichsten Obrigkeiten
buhlen. Lässt sich so das Phänomen der vielen homosexuellen
Männer in der katholische Kirche erklären, die zur
Macht über das Denken noch den Vorteil hat, die mütterlichen
Tugenden der Psychokontrolle zu besitzen?
Wird die Mutter dann schrittweise durch die altersgleiche Peergroup
entmachtet, kann sich das Mädchen und der Junge durch Freundschaften
mit Mitschülerinnen und Mitschüler schrittweise von
der Mutter lösen. Neue Hierarchien entstehen in diesen Gruppen.
Und hier zeigt sich dann, ob sich ein Mensch dadurch Anerkennung
verschafft, dass er zwar die gleiche Wertigkeit mit den anderen
empfindet, aber mit seinen Talenten besonders gut zum Erfolg
der Clique beitragen kann, wodurch ihm Anerkennung zufliegt,
oder ob er lediglich um die Führung der Clique rivalisiert,
weil er keine konstruktiven Talente hat und sonst keine Anerkennung
erringen könnte.
- Die Möglichkeiten der Emanzipation bewahren
Die Lesben- und Schwulenszene ist keine Bewegung, sondern eine
Subkultur, also eine Unterkultur der vorherrschenden Kultur.
Sie ist in ihrem Erscheinungsbild vom Spielraum abhängig,
den die Gesellschaft ihr und den homosexuellen Individuen gewährt.
Als homosexueller Mensch kann man dazu beitragen, den Spielraum
zu beschneiden oder zu vergrößern.
Natürlich wollen alle ihren eigenen persönlichen Spielraum
vergrößern. Aber was vergrößert den eigene
Spielraum? Auch wenn es im Moment persönlichen Vorteil zu
versprechen scheint, führt das Beschneiden der Möglichkeiten
der anderen zur Beschneidung der eigenen Entfaltungsmöglichkeiten.
Wer die Lesben und Schwulen nach Möglichkeit so möchte,
dass sie sich vor den Lebensformen kaum unterscheiden, die die
Hetenwelt für moralisch hält, gibt den Heten-Moralapostel
Waffen in die Hand, die sie gegen die Lesben- und Schwulenszene
anwenden können, die sie aber auch gegen solche Heten anwenden,
die auch diese Form der Moral zu überwinden suchen. Das
müssten unsere verbündete werden. Stattdessen bekommen
sie es nicht nur mit den Heten-Moralaposteln zu tun, sondern
mit moralinsauren Lesben und Schwulen noch dazu.
Gibst es aber da nicht allgemeine Werte und einen allgemein verbindlichen
Anstand, an den sich alle Menschen zu halten haben, auch die
Lesben und Schwulen? Natürlich gibt es die. Aber die werden
von Fall zu Fall immer gemäß der eigenen Interessenslage
interpretiert. Und daher finde ich, dass es erst einmal, bei
der Entscheidung, wie man leben möchte, nichts gibt, was
sich von selbst versteht. Wir haben das Recht, alles zu hinterfragen,
was mit dem Anspruch des selbstverständlichen auf uns zukommt.
Wir haben zudem das Recht, für unsere eigenen Interessen
einzutreten, auch wenn diese dem allgemeinen Urteil widersprechen.
Es sei denn, wir würden die souveräne Entscheidung
eines anderen Menschen über sich selbst nicht akzeptieren.
Und schließlich, wir haben das Recht, ein Umfeld zu erstreiten,
in dem wir uns so entfalten können, wie es für uns
angenehm und lebenswichtig halten.
Niemand kann für die Schwulen oder die
Lesben sprechen, und für alle eintreten zu wollen,
ist auch sehr anmaßend. Für manche schwule Männer
würde ich als schwuler Mann nicht eintreten wollen, denn
zu fremd ist mir ihr Weg, sich profilieren zu wollen. Aber wie
sie ihre Beziehung, ihr schwules Leben einzurichten versuchen,
auch wenn ich es so nicht machen würde, wie sie ihrer sexuellen
Neigung nachgehen und wie im Detail sie sexuell miteinander verkehren,
das muss ihnen überlassen sein und für ihr Recht, das
selbst zu entscheiden, müssen wir füreinander eintreten.
-
- Was müssen wir also tun?
Kleine generationsübergreifende Freundeskreise von Lesben,
Schwulen, oder Lesben und Schwulen, die sich regelmäßig
treffen und so auch zwischenmenschlich etwas für sich selbst
in unserer Gemeinschaft tun, können dazu dienen, dass wir
wieder im Sinne einer Bewegung handlungsfähiger werden.
Dort unterhält man sich über die Erfahrungen des täglichen
Lebens, was jedem von uns den Rücken stärkt und uns
helfen kann, unsere Ziele nicht aus den Augen zu verlieren. Man
lernt sich als Mitmensch kennen, was dazu führen kann, dass
das übliche oft recht boshafte Profilieren auf Kosten anderer
in der Szene unterbleibt, ein wichtige Voraussetzung für
Gemeinsamkeit und Grundlage für gemeinsame Handeln.
Was könnten denn unsere Ziele sein? Sind die denn nicht
zu vielfältig? Nein, keine mit Parteipropaganda verknüpfte
oder mit religiösen Dogmen angereicherten Ziele möchte
ich hier auflisten. Im Theaterstück Galileo
sagt dieser zu einem Mönch: Die Bahnen der Gestirne
kann ich doch zugunsten der Kirche nicht so berechnen, dass sich
auch die Ritte der Hexen auf Besen damit erklären lassen.
Also will ich hier mal versuchen, Elementares aufzulisten, um
was es uns gehen müsste, und habe hoffentlich nichts Wesentliches
vergessen:
1. Es muss das Recht jedes mündigen Menschen sein, sich
den oder die PartnerInnen zu suchen, die er begehrt, selbstverständlich
sofern die entsprechenden begehrten Menschen dies auch wollen.
2. Es muss das Recht jedes mündigen Menschen sein, den oder
die PartnerInnen abzulehnen, die er nicht mag, auch wenn irgend
welche Menschen dies anders wollen.
3. Es muss das Recht aller Menschen in frei eingegangenen Lebensgemeinschaften
sein, so zusammenzuleben, wie jeder von ihnen es will und wie
jeder der Beteiligten dies selbst für gut und erbaulich
hält. Gegenseitige Bevormundung ist kein Beweis für
Liebe. In dieser Frage versteht sich nichts von selbst, denn
wir sind keine heterosexuellen Ehepaare, denen alles vorgegeben
ist. Außenstehende haben sich da mit ihren Vorstellungen
nicht einzumischen, sofern nicht ein Eingreifen aus anderen Gründen
nötig wäre, zum Beispiel bei Gewalt und Unterdrückung.
4. Es muss das Recht jedes mündigen Menschen in oder außerhalb
einer Lebens- oder Liebesgemeinschaft sein, frei zu entscheiden,
ob, wann und mit wem er geistige oder körperliche Kontakte
pflegt, da der Wille jedes erwachsenen Menschen zu respektiren
ist. Niemand muss etwas gegen seinen Willen machen und niemand
muss gegen seinen Willen auf etwas verzichten. Kinder sind in
Lebensgemeinschaften kein Freiwild oder Besitz und deshalb besonders
vor Gewalt, Unterdrückung, sexuellen Übergriffen und
auch vor ungewollten Zärtlichkeitsbelästigungen wie
den Tantenkuss zu schützen.
5. Wir sind untereinander in eigenen Reihen keine Feinde oder
Gegner, auch wenn wir in Einzelfragen unterschiedliche Interessen
haben, sondern potenzielle PartnerInnen, zumindest aber Menschen,
die das Leben der anderen nachvollziehen wollen oder können
und deshalb verteidigen. Wir unterstützen uns deshalb gegenseitig
bei den Versuchen, das Lebensglück zu finden, auch wenn
uns dieser spezielle Weg persönlich nicht liegen würde
beziehungsweise z. B. die sexuelle Besonderheit uns fremd ist.
Wir sind gegenseitig keine Spießer sondern großzügig,
denn wir haben alle genug Liebe und Sexualität in uns.
Um diese für uns so lebenswichtigen Lebens- und Liebensrechte
überall verständlich machen zu können, müssen
wir uns überall, wo wir leben, für den entsprechenden
Freiraum einsetzen und gegen folgende Personen oder Organisationen
Stellung beziehen:
1. Personen und Organisationen, die uns vorschreiben wollen,
welche Form des Zusammenlebens und des Liebens gut und welche
schlecht sei, versuchen uns zu entmündigen. Es ist aber
unser Leben, um das es uns geht. Das trifft auch Religionsgemeinschaften
und politische Organisationen.
2. Personen und Organisationen, die uns dafür sündig
nennen, dass wir lieben, wen wir lieben, und dass wir sexuell
tun, was uns Lust bereitet, beleidigen uns und können nicht
von uns anerkannt oder unterstützt werden.
3. Personen und Organisationen, die Menschen nach unterschiedlichen
Merkmalen oder Gesichtspunkten in bevorrechtigt und benachteiligt
einteilen wollen, diskriminieren ganze Menschengruppen, was wir
nicht dulden können, auch wenn es nicht um uns, sondern
um andere Gruppen von Menschen geht.
4. Personen und Organisationen, die sich dadurch Vorteile verschaffen
wollen, dass sie andere Menschen traurig machen, demütigen,
ihnen ihr Lebensglück verweigern wollen, ihnen keine Chancen
lassen wollen, sind von uns zu bekämpfen, denn wir haben
es auch durch unser eigenes Verhalten selbst in der Hand, ob
jemand glücklich oder traurig ist.
5. Personen oder Organisationen, die dann bedeutungslos werden
oder untergehen, wenn sie nicht demütigen oder unterdrücken,
sollen ruhig bedeutungslos werden oder untergehen.
- Wir haben viel zu tun und können deshalb
nur dann die eigenen Hände in den eigenen Schoß legen,
wenn uns das Lust macht. (js)
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