80. LUST, Herbst 04
 
Homosexualität bei Tieren
“In der Natur gibt es so etwas nicht!”, sagen Biologisten zu Lesben und Schwulen. In Grunde würden sie uns ja gerne sagen, es führt nicht zum Nachwuchs. Aber sie machen ja auch ständig Sex ohne Nachwuchs. Also kommen sie uns mit der Natur. Schauen wir mal, was es in der Natur so alles gibt.
 
Gelegentlich habe ich darauf hingewiesen, dass ich ein 68er Fossil bin. Wir 68er mit unserer Sexrevolte, die Teil der Jugendrevolte mit sozialistisch-anarchistischen Träumen war, wir mussten uns von den älteren MitbürgerInnen der Adenauer-Republik sagen lassen, wir trieben es ja wie die Tiere. Wir würden also sexuell einfach das machen, was uns Spaß macht, wir wären also unzivilisiert. Denn als zivilisierter Mensch unterdrückt man offensichtlich seine Bedürfnisse und benötigt für alles Entbehrungen und einen höheren Grund.
Rechtfertigung durch Tiere?

Und heute werden wir Schwulen und Lesben von Leuten beschimpft, die sich wohl nach “Recht und Ordnung” der Adenauer-Zeit zurücksehnen oder nach einer noch weiter zurückliegende Zeit, weil wir nicht so seien wie die Tiere. Und dabei haben die Leute, die uns biologistisch angreifen, gleich noch eine für ihre Polemik geeignete Tiergattung ausgesucht.

Die Tiere? Na wie machen es denn “die Tiere”? Sie machen es recht unterschiedlich. Kaum eine Tiergattung gleicht in ihren Verhaltensweisen einer anderen. Was wird in der antihomosexuellen Polemik gemeint? Sind es die Fische oder die Vögel oder die Insekten, die uns als Maßstab dienen sollen? Meinen diese Leute die Krusten- oder die Schalentiere, die Schnecken oder die Bandwürmer, die Vierfüßler oder die Vierhänder?

Müsste ich mir als schwuler Mann nun eine Tiergattung raussuchen, die so etwas Ähnliches macht wie ich, um mich vor solchen Zeitgenossen zu rechtfertigen, damit sie mich nicht mehr diskriminieren? Das bringt nichts, das kann ich Euch versprechen, denn diese Leute würden entweder einfach abstreiten, dass es so ist, oder das Gegenteil von mir behaupten oder aber sagen, das habe ja keine Bedeutung, denn der Mensch sei zum Beispiel eben nicht mit dem Bonobo verwandt. Es sind Schwulenhasser, Lesbenhasser, Homosexualitätshasser oder überhaupt Sexhasser, ihnen geht es nur um eine neue Begründung, da ihnen die alte nichts mehr nutzt.
Wer uns zum Beispiel treuherzig anspricht und die Ursache der Homosexualität herausfinden will, will es deshalb, weil er/sie nach Möglichkeiten sucht, wie man die gelebte Homosexualität verhindern kann. Offensichtlich ist die Ablehnung der Homosexualität die psychologische Stütze für die einseitige Heterosexualität, für die festgelegten Männer- und Frauenrolle und die Ordnung in den Beziehungen. Oft aber sind es schwache Persönlichkeiten, die deshalb jemanden unter sich brauchen, über den sie sich stellen können. Und wenn die eine Argumentation deutlich als zu blöde erscheint, nehmen sie eben ne andere. Wir müssen uns schon mit Ursachen beschäftigen, aber nicht die Ursachen unserer sexuellen Neigung.
 
Ursache der Homosexualitätsfeindschaft
Es ist in unseren Reihen gerätselt worden wie es dazu kommt, dass es Menschen gibt, die anderen ihre Lust nicht gönnen. Und man hat ganz vielfältige Erklärungen dafür, von denen nicht alle auf jeden einzelnen dieser beschränkten Menschen zutreffen. Da gibt es einerseits die Religions- oder Moralgeschädigten, die, um ihre eigenen sexuellen Neigungen in sich bekämpfen wollen, gegen das Lebensglück anderer Menschen vorgehen. Menschliche Monster, die sich irgendwelche komischen Sachen ideologischer oder religiöser Art ausgedacht haben, um sich selbst über andere zu stellen. Oft haben sie Einfluss auf die Gesetzgebung genommen und rechtfertigen damit diese Unmenschlichkeiten. Es mag eine ganze Reihe von Gründen für dieses anmaßende Verhalten geben, aber einzig dieses Verhalten stellt das Problem dar und nicht die Fähigkeit des Menschen, einfach aus Lust Sexualität mit anderen Menschen zu erleben.

Also, wenn es überhaupt gar keine Tiere gäbe, die sogenannte homosexuelle Praktiken erkennen lassen, hätte das irgendeine Bedeutung für uns Menschen? Natürlich nicht: wenn homosexuelle Praktiken nach unserer körperlichen Ausstattung möglich sind und wenn es Menschen gibt, denen dies Lust bereitet, dann wird’s auch gemacht, und irgendeinem Dritten geht das gar nichts an, auch wenn er ein Mitmenschen ist, ein Tier fände es ohnehin nicht bemerkenswert.
 
Typisch Mensch: gegenseitiges Bevormunden
Der Unterschied zwischen den Menschen und den Tieren in Fragen der Sexualität scheint zu sein, dass Menschen eben einerseits ihre Sexualität kultivieren, je nach kultureller Prägung, andererseits, dass es Menschen gibt, die ihre eigene Sexualität oder die ihrer Mitmenschen zu unterschiedlichen Zwecken funktionalisieren, vielleicht, um damit Geld zu verdienen oder Macht über andere zu bekommen. Das ist nicht verwunderlich, da wir in einer Gesellschaft leben, in der alles Menschliche als Schwäche gesehen wird, das wirtschaftlich genutzt werden kann. Schließlich gibt es dann noch Menschen, die brutal oder schlau ihren Willen gegen andere Menschen durchsetzen. Davor ist Schutz nötig.

Und wenn man sich durch all die Dressurbemühungen gekämpft hat, und nun das ist, was man sein sollte, dann möchte man auch nicht mehr gefährden lassen, was man wurde. Und die Homosexualität, besonders die von Männern, scheint besonders für heterosexuelle Männer ihre erworbene Identität gefährden zu können. Anders ist der Hass, mit dem manche heterosexuelle männliche Jugendliche uns verfolgen, kaum zu verstehen. Aber auch für heterosexuelle Frauen scheint besonders männliche Homosexualität immer wieder ein Grund zu sein, sich profilieren zu können. Ist es dort die Konkurrenz? Immerhin akzeptieren viele Männer, auch schwule Männe, das Urteil von Frauen über andere Menschen. Das ist aber ein anderes Thema.
 
Wie machen es “die Tiere”?
Das ist nicht zu beantworten, denn sie machen es gänzlich unterschiedlich. Sie sind ja auch gänzlich unterschiedlich. “Die Tiere” an sich gibt es nicht.

Und die Homosexualität, lässt sich die eindeutig definieren? Bin ich schwul, wenn ich irgendwann mal im Leben mit einem Mann gefummelt habe? Da man ja nicht einmal definieren kann, wann man einen Menschen als lesbisch oder schwul bezeichnen kann, ist dies beim Definieren tierischer Sexualverhalten noch schwieriger. Geht es um das sexuelle Aufreiten oder um andere sexuelle Spielereien? Sind außerhalb biologischer Verrichtungen (Nachwuchs erzeugen) zu beobachtende Verhaltensweisen als lustvoll zu definieren oder solche homosexuellen Verhaltensweisen, die dem Nachwuchszeugen dienen? Oder geht es um eine über die sexuellen Verrichtungen hinausgehende Bindung? Ihr seht, Vergleiche hinken ohnehin immer.

Und das Definieren “einer Menschenclasse”, die durch die “räthselhafte Natur” eben ohne eigene Schuld einfach gleichgeschlechtlich empfindet, das gibt es erst seit Ulrichs, zumindest in der wissenschaftlichen Literatur. Vorher war alles entweder mehr oder weniger akzeptiertes menschliches Verhalten, und seit dem Christentum mehr oder weniger verfolgte Sünde.

Ist zur männlichen Homosexualität ein Penis notwendig, um sie als solche zu definieren? Oder reicht es, dass zwei männliche Störche ein Nest beziehen und miteinander balzen, oder auch zwei weibliche Störche? Das alles ist also nicht so einfach.
 
Schnecken
Schnecken können nicht homosexuell sein, aber auch nicht heterosexuell. Sie können nicht einmal als männlich oder weiblich definiert werden, weil sie beides gleichzeitig sind. Wenn sich, sagen wir mal, zwei von ihnen begegnen und wenn es um die Vermehrung geht und nicht um das gegenseitige Wegfressen von Nahrung, dann entscheidet sich während der Begegnung, bei welcher Schnecke ein kleines rüsselartiges Gebilde hervortritt und in die andere Schnecke eindringt und die Eier befruchtet. Kann man nun die Schnecke als vorübergehend weiblich bezeichnen, die dann die befruchteten Eier legt, und die andere Schnecke mit dem Rüsselchen als vorübergehend männlich? Denn bei der nächsten Begegnung könnte es andersherum passieren. Nein, es ist immer noch das gleiche Tier, was eben beides kann. Das Definieren als männliche oder weiblich ist hier wohl nur aus der Warte eines Wesens möglich, dem diese Unterscheidung von irgend einer Bedeutung ist.

Insekten
Bei den staatenbildenden Insekten gibt es einige, die als männliche Insekten geboren sind, die Masse ist geschlechtslos bis auf einige, die besonders gefüttert und betreut werden, aus denen sich sogenannte Königinnen entwickeln und die dann als weibliche Eierlegemaschinen fungieren. Diese dann “weiblichen” Wesen mit einem riesigen Eierlegeapparat werden entweder einmal in ihrem Leben befruchtet, (z. B. bei den Bienen, Wespen usw.) und das Sperma reicht dann für alle zu produzierende Eier, die männlichen Bienen usw. (Drohnen genannt), werden dann nach der Begattungszeit von den Geschlechtlosen (von uns Arbeiterinnen genannt) getötet. Bei den Termiten krabbeln einige winzige Männchen um das gigantische weibliche Geburtswesen herum, um sie gelegentlich zu befruchten.
 
Homosexualität? Nun gut, die geschlechtslosen Tiere betrillern sich ständig gegenseitig, um Informationen weiter zu geben. Ob man das mit Liebe gleichsetzen kann? Das wäre aber sehr abenteuerlich, hier so etwas zu erkennen. Es ist nur das Kommunikationssystem. Bei all diesen staatenbildenden Insekten entwickeln sich die Männchen aus den unbefruchteten Eiern, die Arbeiter und Königin aus den befruchteten.

Die Spinnen und die Gottesanbeterinnen werden von den kleineren Männchen begattet und während dessen oder unmittelbar danach aufgefressen. Hier würde man sich, sofern individuelle Entscheidungsmöglichkeiten vorhanden wären, vielleicht männliche Homosexualität wünschen.

Bestimmte Wanzen (Xylocaris macilipennis) haben keinen Penis und schon gar keine Vagina, die sogenannten Männchen haben einen sogenannten Penisdorn, den sie durch die Haut anderer Wanzen bohren und ihren Samen dort hinein injizieren. Treffen sie auf Weibchen, dann sind diese befruchtet. Treffen sie auf Männchen, dann geben diese angebohrten Männchen beim Anbohren von Weibchen die genetischen Merkmale des Anbohrers weiter. Dieses als Homosexualität zu definieren ist fragwürdig, weil dies ja hier letztlich nur eine raffinierte Form der geschlechtlichen Vermehrung ist.

Die Fruchtfliegen werden in der Wissenschaft genutzt, weil aufgrund ihres kurzen Lebens und der schnellen Vermehrung Beobachtungen über viele Generationen durchgeführt werden können. Man hat nun beobachtet, dass bei einer Temperatur von über 32 Grad die Zuwendung der gesamten Population zum eigenen Geschlecht stattfindet. Bei Wärme werden sie also lesbisch oder schwul?
 
Reptilien
Bei den Salamandern und den nordamerikanischen Schwanzlurchen legt das Weibchen das Kinn auf den Schwanz des Männchens, das dadurch angeregt wird, ein Spermapaket auf den Boden zu legen, das dann das nachfolgende Weibchen mit der Geschlechtsöffnung aufnimmt. Es gibt aber auch viele Männchen, die ihr Kinn auf den Schwanz des vorauslaufenden Männchens legen und dieses anregen, ihr Spermapaket abzulegen. Dieses wird dann nicht aufgenommen sondern geht für die Vermehrung verloren, da es zertrampelt wird.
 
Ob das Kinn auf den Schwanz legen Lust bereitet? Aber es gibt nun Webchen, die ihren Kopf auf den Schwanz des nachfolgenden zweiten Männchens legen, das seinerseits nun ein Spermapaket ablegt, das dann vom Weibchen aufgenommen wird. Also ein Täuschungsmanöver, um das erste Männchen davon abzuhalten, sein Sperma weiterzugeben? Die Biologen behaupten das.

Unter den Reptilien gibt es so viele Arten, dass man sie nicht gemeinsam betrachten kann. Aber es gibt auf einer Insel nähe Madagaskar eine Eidechsenart von der es keine männlichen Exemplare gibt, sondern nur eierlegende, also Weibchen. Es sind dies unbefruchtete Eier, in denen nur Weibchen zustande kommen, was Ähnlichkeit mit dem Klonen hat. Dass diese Reptilien auf einer Insel leben, macht es möglich, dass sie bisher überleben konnten, ohne dass durch geschlechtliche Einkreuzungen die Evolution auf Änderungen oder Gefahren reagieren konnte. Es gibt auch das Verhalten bei ihnen, als ob eine Begattung stattfände, aber da beides Weibchen sind, hat dies nichts mit der Vermehrung zu tun. Ist dies nun weibliche Homosexualität? Nach strenger Definition wohl schon.
 
Vögel
Homosexualität, also sogenannte sexuelle gleichgeschlechtlichen Paarbeziehung lassen sich bei viele Vogelarten beobachten. Biologen versuchen nun, einen biologischen Zweck für dieses beobachtete Verhalten zu finden, da diese sexuellen Akte ja nicht der Vermehrung dienen: Schon 1975 postulierte Edward O. Wilson, der “Vater der Sozio-Biologie”, dass Homosexualität “nützlich” für den Menschen sein könnte, weil sie womöglich mit altruistischem Verhalten verknüpft sei. (Altruismus ist Selbstlosigkeit. Die konnten wir allerdings weder bei Schwulen noch bei Lesben feststellen).

Wilson argumentiert: Beteiligen sich Homosexuelle etwa an der Aufzucht der Kinder von Verwandten, dann fördern sie indirekt auch die Verbreitung des eigenen Erbguts. Das kommt also beim biologischen Denken heraus. Wir sind also als KindergärtnerInnen, Kranken- und AltenpflegerInnen geboren, weil wir uns nicht biologisch reproduzieren? Als Beleg für diese Theorie führt Wilson vor allem Vogelspezies an, bei denen kooperative Brutpflege üblich ist und “Helfervögel” unter Verzicht auf eigenen Nachwuchs die Jungtiere naher Verwandter betreuen. Und da wir Menschen nun von diesen Vögeln abstammen, ist dies ja auch für unsere Homosexualität irgendwie logisch. Oder? Er meint weiter: Der afrikanische Marmorweber etwa lebt in großen Kolonien mit gemeinschaftlichen Brutsystemen und “Helfern”. Und manche davon verzichten tatsächlich auf eigene Nachkommen.

Wilsons Theorie allerdings widerspricht, dass vor allem die brütenden Männchen “regulärer” Partnerschaften zusätzlich auf gleichgeschlechtlichen Sex aus sind. Mit primitiv-evolutionären Regeln sind also offenbar die sozialen Muster kaum zu deuten. Je subtiler das Sexualleben von Tieren unter die Lupe genommen wird, desto größer und bunter erscheint die Palette erotischer Verhältnisse - und desto mehr Erklärungen für gleichgeschlechtliches Tun provoziert sie, falls man es überhaupt für Sinnvoll hält, sich solch eine absurden Frage zu stellen. Partnerschaften wie Sexualität haben vielleicht doch nicht nur biologische Aspekte, auch bei Tieren nicht. Auf jeden Fall lassen sich bei vielen Vogelarten gleichgeschlechtliche Partnerschaften beobachten: Sumpfhühner, Königspinguine, Rosa Flamingos und Elstern und nicht zuletzt die Vögel, die für den menschlichen Nachwuchs so bedeutungsvoll zu sein scheinen: die Störche.
 
Wasserbewohner
In den Flüssen, Seen und im Meer gibt es so ziemlich alles, was es auch an Land gibt, von Insekten über Schnecken und Reptilien bis hin zu Säugetieren ist hier so ziemlich alles zu finden. Viele Fische haben keine körperlichen Begattungsorgane und die Befruchtung findet außerhalb des Körpers statt. Lässt sich da Homosexualität feststellen?
 
Oder denken wir zum Beispiel an die Seepferdchen. Das Männchen bekommt nach der Befruchtung vom Weibchen die befruchteten Eier in seine Beuteltasche gesteckt, und dies sieht wie eine Penetration aus. Das Männchen versorgt nun die Brut bis zum Schlüpfen und kümmert sich auch danach noch eine Zeit um die Kleinen.

Sogenannte Pseudo-Weibchen sind männlichen Süßwasserfische bei zahlreichen Arten, die sich unerkannt unter die Weibchen mischen und von den viel größeren Männchen nicht weggebissen werden, weil sie nicht erkannt werden. Und dann, wenn das Weibchen ihre Eier gelegt haben und das Männchen sein Sperma darüber verstreuen will, fressen diese kleinen Pseudo-Weibchen das Sperma auf oder fächeln es davon, um das eigene Sperma darüber zu verstreuen. Etwas Homosexuelles kann ich hier kaum erkennen, und als Frauen getarnte Männer bei uns Menschen machen dies ja nun nicht unbedingt, um Frauen besser befruchten zu können. Es zeigt nur, wie vielfältig die Natur ist.

Je intelligenter und differenzierter die Verhaltensweisen der Tiere sind, desto öfter entdecken die Forscher auch Verhaltensweisen, die sie als homosexuell definieren.

Besonders wenn es sich um männliche homosexuelle Handlungen handelt, fallen diese Verhaltensweisen den Forschern als homosexuell auf, die sie dann aber nicht benennen können, weil sie Angst haben, selbst für schwul gehalten zu werden. Doch der Tierforscher Lothar Frenz hat das Schweigen gebrochen und homosexuelle Delfine beobachtet: “Ein starkes Band verbindet die beiden Delfinmänner. Beinahe ihr ganzes Leben lang ziehen sie gemeinsam durch die Meere, schützen sich gegenseitig vor angreifenden Haien - und während der eine ruht, wacht der andere über ihn. Stirbt einer von ihnen, bleibt der Witwer oft allein. Ungefähr drei Viertel aller männlichen Großen Tümmler leben in solchen gleichgeschlechtlichen Partnerschaften - und haben regelmäßig miteinander Sex: Mit den Flossenspitzen und der Schnauze stimulieren sie einander die Genitalien oder dringen mit erigiertem Penis in den Geschlechtsschlitz des Gegenübers ein. Fernsehstar Flipper, der “Freund aller Kinder” - schwul?”
 
Säugetiere
Nicht nur Flipper, auch männliche Gorillas leben häufig in Junggesellentrupps und verkehren über Jahre hinweg sexuell bevorzugt mit einem Partner des gleichen Geschlechts - bis hin zum Samenerguss. Auch weibliche sexuelle Verbindungen wurden beobachtet. Löwen treiben es mitunter mit Löwen und Löwinnen mit Löwinnen. Weibliche Warzenschweine erregen sich bei homosexuellen Spielen, ebenso Makaken und Seehunde. Be den Makaken ist Analverkehr unter männlichen Tieren beobachtet worden. Auch bei Meerschweinchen wurde Homosexualität belegt. Bei den amerikanischen Dickhornschafen werden die im Rivalitätskampf um die Weibchen unterlegenen Böcke ebenso besprungen wie die Weibchen, und junge männliche Dickhornschafe drängen sich gerne in die Nähe der starken großen männlichen Schafe und werden auch von ihnen besprungen.

Wer schon einmal auf dem Bauernhof lebte oder lebt, hat sicherlich schon beobachtet, wie Kühe gegenseitig aufreiten, wie man das nennt. Nun ist das so, dass Kühe (und auch Stiere, wenn sie es dürften) es riechen, wenn eine von ihnen empfangsbereit ist. Und das scheinen die anderen Kühe auch irgendwie anregend zu finden, denn sie verhalten sich, als seien sie Stiere, reiten schwerfällig mit ihrem Vorderteil auf das Hinterteil der Kühe auf, doch da ist natürlich kein Penis, der sich nun in die empfangsbereite Kuh hereinschiebt, sonder das Euter (die Brüste der Kühe) schwabbelt dort rum.

Die weiblichen Fleckenhyänen haben am unteren Hinterleib, wo bei den Männchen ein Penis ist, einen Pseudo-Penis, einen schlauchartigen Auswuchs, der beim Sexspiel zwischen ihnen in Erektion gerät, so dass sie ihn sich gegenseitig einführen können.

Über Ratten wird behauptet, dass sie homosexuell miteinander dann verkehren, wenn ihre Population zu groß wird. Man versucht also einen evolutionären Sinn in der Homosexualität zu erkennen, weil für viele Wissenschaftler Sexualität nur etwas mit Vermehrung zu tun hat und in “der Natur” nur das stattfindet, was im Sinne der Evolution einen Sinn macht. Wenn es also zahlreich in der Natur Homosexualität gibt, dann müsse das einen biologischen Sinn haben.

Lothar Frenz beschreibt den folgenden Zusammenhang: Bei mehr als 450 Spezies haben Forscher homosexuelle Verhaltensweisen beobachtet; der amerikanische Biologe Bruce Bagemihl hat sie ausführlich beschrieben. Unzweifelhaft ist Homosexualität also nicht nur ein menschliches Phänomen, sondern gehört zum Verhaltensrepertoire vieler Tiere, zumindest von Säugern und Vögeln.
Dabei haben Wissenschaftler Jahrhunderte lang die „verbotene Liebe“ unter Tieren vertuscht, verheimlicht, umgedeutet oder ganz einfach nicht wahrnehmen wollen. Es konnte nicht sein, was nach herrschender Auffassung nicht sein durfte. Dazu kam bei manchen Forschern auch die Furcht, wegen der Beschäftigung mit diesem Phänomen selber für homosexuell gehalten zu werden.
Nur wenige gestehen so freimütig die eigenen inneren Widerstände ein wie der kanadische Biologe Valerius Geist. Bei langjährigen Beobachtungen von Dickhornschafen in den Rocky Mountains stellte er fest, dass die männlichen Tiere sich zwar zur Brunstzeit dem anderen Geschlecht zuwenden, sonst aber das ganze Jahr über in Rudeln leben und unter Männern verkehren: “Noch immer zucke ich zusammen, wenn ich daran denke, wie der eine Widder den anderen mehrfach bestieg. Zunächst habe ich das „aggressosexuelles“ Verhalten genannt, doch schließlich musste ich einräumen, dass diese Wildschafe tatsächlich eine homosexuelle Gemeinschaft entwickelt haben. Mir vorzustellen, dass diese wunderbaren Geschöpfe „schwul“ sind, das war mir zunächst einfach zu viel.”

Die meisten Tiere, auch das zeigt die Auflistung des Amerikaners Bagemihl, verhalten sich weder ausschließlich hetero-, noch homosexuell, sondern das Spektrum der Beziehungen reicht von gelegentlichen Seitensprüngen zum gleichen Geschlecht bis zu fast lebenslangen Bindungen. Dabei beteiligen sich auch gleichgeschlechtliche Paare an der Aufzucht von Jungen: „Schwule“ Schwarze Schwäne stibitzen anderen Paaren die Eier, männliche Kapuzen-Waldsänger-Paare adoptieren verlassene Küken, und „lesbische“ Möwen lassen sich zwar durch einen Möwen-Mann befruchten, wenden sich danach aber wieder der Auserwählten zu und brüten mit ihr gemeinsam.

Nach Bagemihls Auffassung hat sexuelles Verhalten oft gar nichts mit „zweckvoller“ Fortpflanzung in evolutionärer Sicht zu tun, sondern geschieht einfach aus Spielfreude und purer Lust:
Die Männer der Manatis, der gemütlich wirkenden karibischen Seekühe, vergnügen sich in Gruppenorgien; männliche Vampirfledermäuse hängen Bauch an Bauch und belecken einander, wobei sie dem erigierten Glied des anderen besondere Aufmerksamkeit zollen; Walrossbullen masturbieren nicht nur regelmäßig allein vor sich hin, sondern befriedigen sich beim Treiben im flachen Wasser auch gegenseitig.

Homosexuelles Verhalten ist also schon in der Tierwelt verwirrend komplex. Beim Homo sapiens bestimmen obendrein Moral und Kultur die gelebte Sexualität: Manche Gesellschaften fördern ein bestimmtes Verhalten oder tabuisieren und verbieten es. In vielen Ländern ist Homosexualität noch immer strafbar, in einigen islamischen sogar mit dem Tode bedroht.

Bei den Sambia dagegen, einem Volk auf Neuguinea, gehört gleichgeschlechtlicher Verkehr in Form von oralem Sex für junge Männer zur „Mannwerdung“. Und bei vielen amerikanischen Indianerstämmen gab es bis ins 20. Jahrhundert so genannte „Berdachen“ oder „Two-Spirits“: Manche Männer und Frauen lebten in der sozialen Rolle und Kleidung jeweils des anderen Geschlechts, verkehrten sexuell aber auch mit Mitgliedern des eigenen.

Wer also homosexuelles Verhalten beim Menschen untersucht oder möglichen „Schwulen-Genen“ nachspürt, steht vor einem Dilemma: Er muss zunächst klären, ob er ein biologisches Phänomen erforscht oder eine soziale, Wandlungen unterworfene Sitte.
 
Affen
So sind die Bonobos, neben den Schimpansen die nächsten Verwandten des Menschen, als wahre Sex-Akrobaten bekannt. Mehrmals täglich treiben es diese Affen in vielfältigen Stellungen und in jeder denkbaren Kombination: Männer mit Männern, Männer mit Frauen, Frauen mit Frauen, Männer mit Kindern und Frauen mit Kindern. Die Erklärung der Verhaltensforscher für das „ungezügelte“ Leben der Bonobos: Damit bauen diese Menschenaffen Spannungen innerhalb ihrer Gruppe ab - schaffen also „Frieden durch Sex“.

Die These von dem Abbau aggressiver Spannungen wird auch bei den Rhesus-Affen und anderen Affenarten wie die Languren vertreten, wenn Männchen dem Pascha-Mann das Hinterteil präsentieren und der Pascha aufreitet. Auch das Aufreiten von Weibchen auf ein brünstiges Weibchen wurde beobachtet, begleitet von heftigen Beckenbewegungen. Offensichtlich sind weibliche Orgasmen dabei von WissenschaftlerInnen nachgewiesen worden, und zwar aufgrund der Untersuchung der Herzfrequenz und des Zustandes der Gebärmutter (durch Durchleuchtung beobachtet) während dieser weiblichen homosexuellen Handlungen.

Das homosexuelle Repertoire der männlichern Bären-Makaken wie bei Beobachtungen folgendes auf: manuelle Stimulation der Genitalien (Masturbation), wobei ein Partner seine Hand am Penis des anderen auf- und abrieb, manchmal gegenseitig, orale Stimulation durch Lecken und Saugen am Penis (Fellatio), manchmal gegenseitig; Aufreiten, Beckenstöße, manchmal mit Einführung des Penis in den Anus. “Besonders auffällig war die stark sexuell getönte Beziehung zwischen dem ranghöchsten Männchen der Gruppe und einem Heranwachsenden. Der Ältere unterstützte ihn bei aggressiven Auseinandersetzungen. Der Heranwachsende pflegte sich mit dem Rücken in das Bauchfell des Älteren zu kuscheln, der die Arme um ihn legte und dabei den Penis des Jüngeren in der Hand hielt. (...) Die Begegnungen zwischen dem Älteren und dem Jüngeren hatten jedoch einen ganz anderen Charakter; waren sie doch nicht nur von jenem positiven Gesichtsausdruck begleitet, der zum Vorspiel von Kopulationen gehört, sondern auch von aufgeregten Zähneklappern (einer soziopositiven Verhaltensweise), Umarmungen und gegenseitigem Lippenklappern. Manchmal wandte sich der Ältere gleich nach der Kopulation mit einem Weibchen wieder einem homosexuellen Kontakt zu. Das legt nahe, dass nicht ein Mangel an Sex mit Weibchen die Ursache der Beziehung war, sondern dass die Homosexualität Ausdruck einer starken emotionalen Bindung der beiden Tiere war.” (Volker Sommer in “Wider die Natur? Homosexualität und Evolution” S. 130 f, Beck Verlag München 1990)
 
Ergo
Wenn es also angesichts der Tatsachen nicht so einfach möglich ist, zu behaupten, die Welt bestehe aus zwei Geschlechtern und das Geschlechtsverhalten sei immer auf das Gegengeschlecht gerichtet, wenn also das Argument “wider die Natur” gar nicht redlich ist, bleibt etwas ganz anderes auf uns hängen: wir Menschen benehmen uns wie die Tiere. Nicht wie alle Tiere, sondern eben wie solche, die über die entsprechenden Organe verfügen, die unseren Organen ähnlich sind. Nur eines unterscheidet uns wohl von all diesen Tieren, nämlich dass wir ständig meinen, was die anderen Menschen da machen ist falsch, nur was uns gefällt ist richtig. Tiere bringen sich gegenseitig auch nicht deshalb um, weil ihnen das Geschlechtsverhalten anderer nicht gefällt.
 
Menschen
Je differenzierter die Möglichkeiten einer Gattung sind, umso mehr kommt es auf Fähigkeit an, sich an wechselnde Bedingungen anzupassen. Und der Umgang mit den unterschiedlichen Bedingungen wird erfolgreicher, je mehr die Gesellschaft dieser Gattung die einzelnen Wesen auf die Eventualitäten des Lebens vorbereitet. Dies vergrößert die Entfaltungsmöglichkeiten der Individuen.
 
Ein Regenwurm kommt mit allem, was er zum Leben braucht, zur Welt. Er muss keine Muttersprache erlernen, den aufrechten Gang und anderes. Je differenzierter die Fähigkeiten eines Wesens sind, umso stärker wirken Erziehung und Gesellschaft der Mitwesen auf das Wesen ein, die biologischen Grundlagen bilden nur eine Palette von Möglichkeiten. Rudelbildende Säugetiere erziehen ihre jungen Tiere, und am erfolgreichsten ist darin der Mensch. Denn der Mensch ist schließlich nichts anderes, als eine Affenart, die in ihren Reihen gesellschaftliche Strukturen entwickelt hat, die weit über die biologisch-natürlichen Grundlagen hinausgehen.

Sexualität hat für uns Menschen viele unterschiedliche Funktionen. Zwischenmenschlich bringt sie ihn dazu, aufeinander zuzugehen beziehungsweise uns gegenseitig abzulehnen. Sie ist direkt und indirekt Grundlage für menschliches gesellschaftliches handeln. Gesellschaftlich ist Sexualität eine von vielen Motivationen für Strukturen und Ziele, und zwar für konstruktive wie für destruktive gesellschaftliche Ziele. Das macht aus der Sexualität ein Objekt des gesellschaftlichen Zugriffes.

Individuell bringt sie den Menschen dazu, Zufriedenheit und Lust zu empfinden. Das Unterbinden der sexuellen Entfaltung der Menschen führt zu persönlichen Tragödien und Katastrophen. Biologisch gesehen führt Sexualität bisweilen auch zur Nachkommenschaft.

Homosexualität ist ein wesentlicher Teil der einen menschlichen Sexualität in ihrer Vielfalt. Die Sexualität lediglich an den Zeugungsvorgang zu orientieren bedeutet, das Lustvolle, das zwischenmenschlich Bedeutungsvolle der Sexualität zu negieren. Homosexualität finden wir in allen menschlichen Kulturen und in allen Zeitaltern, von denen wir wissen, vor.

Was unterschiedlich ist, ist der Umgang mit ihr und, daraus folgend, die Form ihres Auslebens. Homosexualität ist somit ein wesentlicher Teil der einen menschlichen Sexualität.

Homosexualität dient vor allem der Lust und der zwischenmenschlichen Zufriedenheit. Es ist kein Zufall, dass die größten Anfeindungen gegen die Homosexualität von den Menschengruppen ausgehen, die am brutalsten, am perfidesten die Menschen gesellschaftlich unterdrücken und gesellschaftlichen Weiterentwicklungen verhindern möchten.

Profiteure der Unterdrückung sind politische und religiöse Führer, hinter ihnen steht die wirtschaftliche Vorteilsnahme.
Und, etwas individueller gesehen, das gegenseitige Einmischen in das sexuelle Leben anderer wird hauptsächlich von den Individuen betrieben, die mit sich selbst am wenigsten zurechtkommen.

Aber diese Individuen können uns damit leider auch sehr gefährlich werden, besonders, wenn die Gesellschaft dazu verhetzt wird, dass sie die menschliche Vielfalt nicht achtet. Und dadurch bekommen dann ausgerechnet diese menschlichen Monster Oberwasser. (js)
 
Nachtrag
Im Januar 1992 fanden wir im Wiesbadener Kurier folgende Meldung vor, die gut zum Thema passt:
 
Berührte Gärtner Delphin unzüchtig?
LONDON (dpa) Ein britischer Gärtner, der wegen sexuellen Missbrauchs eines Delphins angeklagt war, ist von einem Gericht in der Stadt Newcastle-upon-Tyne jetzt freigesprochen worden.
Die Jury sah es nicht als erwiesen an, dass der 39-jährige Alan Cooper den Delphin “Freddy” beim Spielen an der Küste Nordenglands sexuelle erregt haben soll.
Der Vorfall ereignete sich bereits im September vergangenen Jahres, als eine Gruppe junger Leute von einem Ausflugsboot aus Alan Cooper beim Spielen mit dem Delphin beobachtete. Cooper habe den wilden Delphin, der erstmals vor fünf Jahren in der Amble-Bucht aufgetaucht war, durch Streicheln regelrecht “angetörnt”, berichteten die Augenzeugen.
Die Verteidigung führte dagegen einen Delphin-Experten als Zeugen an, der den Penis des Tieres als “Finger der Freundschaft” bezeichnet hatte, den das Tier während des Spiel “ohne sexuelle Hintergedanken” erigiere.
 
In dieser alten Zeitungsmeldung ist so ziemlich alles drin, was wir in dem Artikel behandelt haben:
1. Warum muss ein Wesen sexuelle “Hintergedanken” haben, wenn es sich mit einem anderen Wesen wohlfühlt und dann tut, was auch wohlfühlens ist? Wenn Sexualität nicht in irgendeiner Form tabuisiert oder für Ehe und Sozialversicherungen funktionalisiert ist, sind “Hintergedanken” nicht nötig.

2. Junge Leute haben dies beobachtet und den Mann angezeigt? Also als ich jung war, haben uns die Alten, die staatlichen Strafgesetze und die Kirche versucht, unsere sexuellen Experimente zu unterbinden. In der Sexrevolte der 68er Jahre ertrotzten wir uns das Recht, sexuellen Bedürfnissen nachzugehen, dies war dann auch die Wiedergeburt zahlreicher Emanzi-pationsbewegungen:
der Frauenbewegung, der Lesbenbewegung und nicht zuletzt der Schwulenbewegung. Heute scheinen die nachwachsenden Generationen an realen sexuellen Befriedigungen wieder stärker gehindert zu sein, und damit empfänglicher für kostenpflichtige Ersatzbefriedigungen, die durch Doppelmoral abgesichert ist.

3. Das ist typisch menschlich und im Sinne religiöser und moralischer Verklemmung, wenn sofort jemand Denunziert wird, den man bei scheinbar lustvollem Tun beobachtet. Vorwand ist, man wolle das Opfer schützen, das solch ein Tun nicht verstehe.
Wie kann dieser Delfin ein Opfer sein, wenn er leicht wegschwimmen könnte, sofern ihm dies unangenehm wäre? Hier toben sich die menschliche Unterdrückungen und Selbstunterdrückungen aus.

4. Der Strafe kann man entgehen, wenn man das ganze als rein, also geschlechtslos, hinstellt und nicht als unrein, also lustvoll. Und dann braucht man einen anerkannten Experten, der den Leuten vor Gericht mitteilt, dass ein Delfin bei einer Erektion rein, also geschlechtslos ist. (js)
 
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