- 80. LUST, Herbst 04
-
- Rechtschreibung und Schulpolitik
- In der Sommerpause diesen Jahres überraschte
uns der Springer-Verlag und der Spiegel, dass sie zur alten Rechtschreibung
zurückkehren wollten. Schnell äußerten sich CDU-Sprecher
zugunsten der alten Rechtschreibung und die SPD/Grünen-Bundesregierung
will an der neuen Rechtschreibung festhalten. Dann äußerte
sich der Ministerpräsident von Niedersachsen, dass sein
Land aus der Kultusministerkonferenz austreten wolle. Erleben
wir eine neue Runde des Kulturkampfes in Deutschland? Was war
der Kulturkampf?
-
- In den Jahren 1971 bis 1975 habe ich an der
Frankfurter Uni studiert, und zwar um ein sogenannter Sekundarstufe-1-Lehrer
zu werden. Während meiner Studienzeit tobte in der Bundesrepublik
ein Kulturkampf um die Schule. Als angehender Deutsch- und Gemeinschaftskundelehrer
(Sozialkunde, Geschichte, Erdkunde) erfuhr ich, dass die politische
Parteilinie bezüglich der Rechtschreibung im wesentlichen
zwischen der SPD (auf ihrer Seite die damalige F.D.P.) und der
CDU ausgetragen wurde. Die SPD, die deutlich links von der heutigen
SPD stand, vertrat die Ansicht, dass die Schule keine Barriere
für Arbeiterkinder darstellen sollte, auch eine berufliche
Karriere machen zu können.
In der damaligen Zeit war nämlich das Bildungssystem immer
noch nicht in der Lage, ausreichend höherqualifizierte Arbeitskräfte
für den technischen Bereich, für die Produktion zu
bilden. Der Bau der Mauer 1961 hatte den ständigen Zufluss
gut ausgebildeter Ingenieure und Facharbeiter gestoppt, und dies
wirkte sich immer negativer für die wachsende Wirtschaft
aus, die aus dem dreigliedrigen Schulsystem (Volksschule, Realschule,
Gymnasium) einfach zu wenig gut ausbildbare Schüler bekam.
Mit der Einführung einer Förderstufe oder einer integrierten
Gesamtschule sollte die Trennung in die 3 Schulzweige überwunden
werden. Die Einführung der BaföG sollte eine qualifizierte
Berufsausbildung vom Gehalt der Eltern freimachen.
Deutsch und Rechtschreibung sollte nicht mehr die alles entscheidende
Barriere für schulisches Weiterkommen sein, was besondere
Entrüstung bei der Union hervorrief, garantierte doch das
bisherige Verfahren, dass gerade ihre Söhnchen aufgrund
der Rechtschreibleistungen nach der 4. Klasse den leichten Weg
in die Gymnasien fanden.
-
- Und in dieser Zeit wurde von den Kultuspolitikern,
besonders der SPD und der FDP eine Rechtschreibreform verlangt,
die unsere sehr bizarren Groß- und Kleinschreibregeln (der
alten Rechtschreibung) erleichtern sollte. Es wurde argumentiert,
dass besonders für Kinder der Arbeiterklasse das Erlernen
völlig unlogischer Regeln, die im Widerspruch zur mathematischen
Logik und zu den Naturwissenschaften standen, deren Kapazität
und Zeit unsinnigerweise in Anspruch nahmen. Mit ein paar logischen
Regeln statt dieses Wustes an Ausnahmen und Sonderregeln könnte
man den Schulkindern viel Leid ersparen.
Und so traf sich in Wien die internationale Rechtschreibkommission,
die jahrelang arbeitete und verhandelte, um zu einer Reform zu
kommen. Es nahmen an den Verhandlungen teil: Die Schweiz, Österreich,
die DDR und für die Bundesrepublik, die ja die Kultushoheit
der Länder hatte, Hessen.
-
- Die CDU-regierten Bundesländer lehnten
eine Teilnahme daran ab. Als in Hessen vorübergehend der
CDU-Bürgermeister Wallmann Ministerpräsident wurde,
übernahm das Saarland den Part der Bundesrepublik, der damalige
Ministerpräsident dort war Lafontaine.
Dann aber fiel die DDR in den Schoß der Bundesrepublik
und unter der Kohl-Kanzlerschaft kam die Kommission dann zu Reformergebnissen,
bei denen es von deutscher Seite wohl auch darum ging, die Rechtschreibreform
ja nicht zu weit gehen zu lassen. So sind durch diese Halbherzigkeiten
der Reform zahlreiche unlogische Zusammenhänge übriggeblieben.
Diese Halbherzigkeiten dienen nun den CDU-Politikern als Argument,
wenn sie für das Wiederherstellen der alten Rechtschreibung
argumentieren. Dass der Springer-Verlag sich mit ins Boot holen
lässt, ist ja wohl nicht verwunderlich. Dass aber der eher
FDP-nahe Spiegel da mitmacht, überrascht schon, weil die
FDP ja damals zur sozialliberalen Zeit solche Reformen mit angestoßen
hatte.
Kaum wittert die Union Morgenluft, die Möglichkeit der Gestaltung
des Landes nicht nur durch ein Unionsmehrheit in den Bundesländern
durchsetzen zu können, was ja jetzt schon der Fall ist,
sondern dies auch über den Bundestag zu können, und
schon sind sie dabei, uralte Träume der Vergangenheit wiederzubeleben.
Zugegeben, die Voraussetzungen haben sich geändert. Die
dreigliedrige Gerhinpygmäenzucht reicht wohl zukünftig
vollkommen aus, wenn dieses System noch durch genügend Eliteschulen
und Elite-Unis ergänzt wird. Es gibt nicht mehr den großen
Mangel an industriellen Fachkräften, im Gegenteil, überall
wird ja entlassen.
Da reicht es doch, wenn die zukünftigen Jugendlichen möglichst
moralisch, möglichst religiös und möglichst ohne
große Kenntnisse über Zusammenhänge dann glücklich
sind, wenn sie sich einen modischen Haarschnitt schneiden lassen
können und modisch gekleidet sind. Mehr ist nicht nötig
und würde auch nur unnötiges Geld kosten, das dann
bei den Eliteschulen fehlt. Und wenn man die alte Rechtschreibung
wieder einführen würde, anstatt die neue zu verbessern,
dann könnte die Rechtschreibung auch ganz von alleine dazu
führen, dass nur die weiter kommen, die es sich leisten
können. Das funktioniert auf den US-Schulen ja auch, warum
sollte es bei uns nicht funktionieren? Dann wäre kein so
großes Gedränge bei den höheren Posten.
Und wenn dann die Schweiz und Österreich eigene Regeln haben,
könnte man dies auch zwischen den einzelnen Bundesländern
differenzieren. Das würde doch nur eine bunte Vielfalt entstehen
lassen, und wer könnte schon etwas dagegen haben. Das ist
doch lustig. (js)
-
- Dein Kommentar zum Artikel: hier
-