- 80. LUST, Herbst 04
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- Unsere Körperwelten III
Das Bild des Mannes
In der 78. Ausgabe der LUST haben wir
uns mit der Darstellung des menschlichen Körpers beschäftigt
und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass der Zeitgeist die Kunst
stark beeinflusst.
- Es geht bei den jeweils zeitgenössischen
Malereien, Skulpturen und seit der Fotografie auch den zeitgenössischen
Fotoarbeiten am menschlichen Körper nicht nur um den Zeitgeschmack.
Gesellschaftspolitische Leitbilder haben ihre Ursache einerseits
in den Geschlechterverhältnissen und andererseits in den
wirtschaftlichen Strukturen einer Gesellschaft, was sich seinerseits
wieder in den Abbildungen des Menschen äußert.
In der 78. LUST beschäftigten wir uns zum Beispiel auch
mit der Darstellung des Gesichtes, denn das Gesicht ist der Seismograph
der Anerkennung der Individualität des Menschen. Wir kamen
zu dem Schluss, dass die heutzutage überall vorzufindenden
Gesichtsabbildungen auf Zeitschriften usw. nicht ein Ausdruck
der Anerkennung des Individuums in seiner Vielfalt ist, sondern
dass es um eine Gleichschaltung, um eine Anpassung an Leitbilder
geht.
In der 79. LUST beschäftigte ich mich um kulturgeschichtliche
Erwägungen bei der Lust der Frau auf den Knaben.
In dieser Ausgabe beschäftige ich mich noch einmal mit dem
Ausdruck in den Abbildungen des Menschen durch die Geschichte.
George L. Mosse arbeitet diese Thema in seiner 1996 in den USA
erschienenen Arbeit Das Bild des Mannes zur
Konstruktion der modernen Männlichkeit auf.
Das Buch ist dann 1997 bei Fischer erschienen und Michael Hespen
(Berlin) hat es in unsere Arbeit über den menschliche Körper
aus gutem Grund eingebracht.
Das o.a. Buch beschäftigt sich nun nicht mit den Abbildungen
und Darstellungen, sondern mit den Hintergründen der Prozesse,
die sich gesellschaftspolitisch abspielen und deren äußerlich
sichtbare Belege eben in den Abbildungen wiederfinden lassen,
wenn man versteht, sie zu erkennen. George L. Mosse geht
in seinem Buch dem männlichen Stereotyp, das in unserer
westlichen Kultur vorherrscht, auf den Grund, heißt
es im Klappentext. Die Geburtsstunde des modernen
Männerbildes schlug dabei, so Mosse, im 18. Jahrhundert,
als das Bürgertum sich ritterliche´ Ideale zu
eigen machte und, vermittelt von Winckelmann, die griechischen
Jünglinge´ neu entdeckte. Trotz aller sozialen und
kulturellen Wandlungen ist, wie Mosse zeigt, dieses maskuline
Stereotyp äußerst wirkungsmächtig geblieben.
Nach wie vor prägt es alle menschlichen Lebensbereiche
die privaten wie die öffentlichen. Diese Erfahrung machten
nicht zuletzt die Frauen.

Die moderne bürgerliche Gesellschaft mit ihrer marktwirtschaftlichen
Ordnung ist also der Entwickler des männlichen Stereotyps,
historische Filme zum Beispiel verändern als nachträglich
das Verhältnis der Geschlechter, denn: In diesem
Buch beschäftigen wir uns mit der Entwicklung eines Stereotyps,
das zur Norm wurde. (...) Stereotype objektivieren die menschliche
natur und machen es leicht, etwas auf den ersten Blick zu verstehen
oder ein Urteil zu fällen. (a.a.O. S. 11)
Die Bildung von Stereotypen bedeutet, dass Männer
und Frauen homogenisiert, nicht länger als Individuen, sondern
als Typen angesehen wurden. (aa.O. S. 13).
Wenn also nun stereotyp klar ist, wie männlich ein Mann
ist, kann man ja alle Individuen bestrafen, verächtlich
machen oder anders disziplinieren bis hin zur Auslöschung,
die diesem Bild nicht entsprechen. Das positive Stereotyp
der Maskulinität wurde jedoch auch was auf dem ersten
Blick paradox erscheinen mag durch die Exstenz des Gegenteils
gestärkt, d.h. von Männern, die nicht nur dem Ideal
nicht entsprachen, sondern auch in Körper und Seele so etwas
wie sein Gegenbild darstellen. (...) Jene, die angeblich nicht
zur Gemeinschaft anständiger Leute passten, wurden zu Anti-Typen
jenes Ideals geformt, das die Gesellschaft verehrte und das die
Männlichkeit so trefflich verkörperte. Ihnen wurden
all die Eigenschaften zugewiesen, die jene, die Augen hatten
zu sehen, sofort das Böse erkennen ließ. Der missgeformte
Körper dieser Anti-Typen galt schon als Zeichen ihrer Degeneration.
(...) Weil ein Stereotyp etwas Öffentliches ist, braucht
es klare Konturen. (a.a.O. S. 13)
Nachdem der Autor erklärt hat, wie diese Stereotypen schrittweise
zu Nationalsymbolen wurden, meint er: So wurde zum
Beispiel das Wort weibisch´ (effeminate) im 18. Jahrhundert
allgemein gebräuchlich und wies auf unmännliche Weichheit
und Zartheit hin. Die Aufteilung der Geschlechter und die Ausprägung
des idealen Männertypus blieben unverändert, obwohl
sie durch die Frauenbewegungen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts
in Frage gestellt wurden. (a.a.O. S. 18)
Das heißt also, dass es sich wesentlich um Vorurteile handelt,
wenn man einen Mann männlich sehen will und eine Frau weiblich.
Die Geschichte von Rassismus und Antisemitismus hat
bis heute die wichtige Rolle, die die moderne Männlichkeit
bei der Entwicklung von Vorurteilen spielt, sträflich vernachlässigt
ebenso der Umstand, dass die Normen, an denen solche Außenseiter
gemessen wurden, größtenteils auf Geist und Körper
des idealen Mannes´ beruhten. (a.a.O.
S. 21) Also sind Rassismus, Antisemitismus und Homophobie in
einen engen Zusammenhang zu sehen, und die Gegner der Nazis sind
bisher nicht zu bewegen, ihr Männerbild infrage zu stellen.

Das Bild der Frau als passives Wesen in Gesellschaft
und Politik blieb bis lange nach dem ersten Weltkrieg bestehen,
trotz diverser Frauenrechtsbewegungen, die für die Teilnahme
der Frauen am öffentliche Leben warben. Auch das männliche
Stereotyp ließ sich nicht so leicht überwinden
weder Stereotype noch Symbole sind leicht zu modifizieren. Dennoch
scheint es, als ob das männliche Stereotyp beständiger
war als das Frauenbild. Auch als man vom neuen Mann´
sprach, handelte es sich oft nur um den alten Mann in anderer
Gestalt, (...) doch die neue Frau´ bedeutete einen
substantiellen Wandel. (a.a.O. S. 22)
In diesem Buch machen wir die Bekanntschaft mit seltsamen Zeitgenossen,
die die bürgerliche Gesellschaft und ihre Werteordnung mit
prägten, so behauptete Johann Kaspar Lavater: Je
tugendhafter ein Wesen, desto größer seine Schönheit;
je weniger tugendhaft, desto hässlicher seine Erscheinung.
Was als schön gilt und was als hässlich, ist also von
der Anpassung an das Stereotyp abhängig, das angeblich in
erster Linie durch den Charakter und nur in zweiter Linie durch
sein Aussehen kenntlich sei. Das Gutaussehende
wurde dann zunehmend auch als das Gesunde angesehen, das Abweichende
als das Krankhafte. Die Abweichung vom Stereotyp war also das,
was als krankhaft definiert wurde. Diese Auffassung gipfelte
in dem lateinischen Satz: In einem gesunden Körper
lebt auch ein gesunder Geist, der in vielen deutschen
Schulturnhallen zu finden war und ist.

Johann Gottfried Herder meinte: Nur die Bildhauerei
kann die vielgestaltige Wahrheit darstellen; Gemälde bieten
nur eine Erzählung, durchwoben von Magie.
Un weiter: Tatsächlich wurde nur durch die bildhauerische
Darstellung die Struktur des männlichen Körpers vergegenwärtigt,
die für die Herausbildung der Norm männlicher Schönheit
so entscheidend war. (a.a.O. S. 43)
Der Mann war zunehmend ein muskulöses Wesen, das in den
Schulen auch zunehmend mehr Sport als Religion betrieb. Die
Worte eines rechten Agitators gegen Ende des 19. Jahrhunderts
fassen eine allgemeine Empfindung zusammen, die Fichte auf philosophischere
Weise teilte: Je weiblicher die Frau und je männlicher
der Mann, ... desto gesünder die Gesellschaft und der Staat.´
Jene, die nicht in dieses starre Muster für Männer
und Frauen passten, waren die Feinde der Gesellschaft; sie wurden
als Widersacher wahrer Maskulinität betrachtet.
(a.a.O. S. 77)
In einem recht ausführlichen Abschnitt werden nun die ganzen
Widersacher beschrieben, die eher Lüsternheit statt Reinheit
verkörpern und deshalb hässlich, entartet und auch
charakterlich schlecht seien. Masturbation und jegliche sexuelle
Regung, die über die Zeugung hinausgeht, war das Böse
und wurde allen nicht ganz angepassten Menschen zugeschrieben,
den Dunkelhäutigen und den Juden usw.

Juden und Homosexuelle konnten kein Ehre haben. In der darstellen
Kunst waren die Judennase und die Verweiblichung
der Männer das Symbol von Charakterlosigkeit und Schädlichkeit.
Die Außenseiter planten angeblich in einem fort Verschwörungen.
Ob von Homosexuellen oder vom Weltjudentum angezettelt, ihre
Methoden und Ziele waren im großen und ganzen dieselben.
(a.a.O. S. 94 f)
Die homosexuellen Männer glaubten aufgrund der Überzeichnung
von Männlichkeit und Weiblichkeit selber, dass sie im Geiste
Frauen seien. Für Teile der Frauenbewegung war
Androgynität als Prinzip von großer Bedeutung. (...)
So gesehen war Androgynität ein utopisches Ideal das Frauen
zu einem neuen Grad an Selbstverwirklichung verhelfen konnte.
Aber auch als Teil der Jugendkultur war sie eine Herausforderung
der modernen Maskulinität. Und trotzdem, während es
mit einem Mal normal war, dass Frauen in Männerkleidern´
herumliefen, wurden und werden Männer in Frauenkleidern
nach wie vor mit Entsetzen betrachtet. Die Maskulinität
wird auch hier gewahrt; als tief verwurzelte Tradition triumphiert
sie über Innovation. Schließlich war die Kleidung
seit jeher ein wichtiges Erkennungszeichen der Geschlechter.
(a.a.O. S. 243)
Auch in der Schwulenszene ist dieses Männerbild vorhanden:
und vielen Schwulen lag daran, trotz ihres neuen
Selbstbewusstseins ihre eigene Maskulinität zu unterstreichen.
Spukte doch das normative Ideal männlicher Schönheit
auch in den Köpfen der Homosexuellen herum, und zwar nicht
nur als Ideal, dem es nachzueifern galt, um das eigene ungünstige
Stereotyp abzuwerfen. Diese Kontinuität spiegelte sich in
Romanen wieder, deren Helden homosexuell sind: schöne
junge Männer´, ausnahmslos sehnig, muskulös und
blond, die Gesichter wie aus Stein gemeißelt (eine Beschreibung,
die an Ernst Jüngers Kämpfer erinnert), die Körper
glatt und unbehaart kurz, wie griechische Jünglinge
á la Winckelmann. (a.a.O. S. 245)

Die bürgerliche Männerrolle scheint überall festgeschrieben
zu sein. Kann das maskuline Stereotyp den Niedergang
des Patriarchats überleben? Trotz größerer Gleichberechtigung
sieht es so aus, als ob das männliche Ideal es immer wieder
schaffte, sich zu behaupten. Denn diese Ideal war nie bloß
von den sogenannten Machtverhältnissen abhängig, sondern
speist sich aus der Gesamtheit gesellschaftlicher Regeln. Die
Bedeutung der modernen Maskulinität als Kitt, der die moderne
Gesellschaft zusammenhält, sorgte letztlich für ihre
Unantastbarkeit. Diese Vergangenheit kann nicht so leicht abgetan
werden. (a.a.O. S. 250)
Wie könnte denn der Mann der Zukunft aussehen, der nicht
dem maskulinen Stereotyp entspricht? Die Menschen können
es sich gar nicht anders vorstellen, denn Männlichkeit ist
ja mit Erfolg, Stärke und Macht verknüpft. Das Stereotyp
wäre dann infrage gestellt, wenn genau diese Eigenschaften
als derart lächerlich angesehen werden, wie sie es tatsächlich
auch sind.
Der Autor kommt am Ende seiner Untersuchungen zu folgendem Schluss:
All jene, die die Gesellschaft verändern wollen,
müssen ebenso wie all jene, die nicht länger ausgrenzen
wollen, das Stereotyp der modernen Maskulinität in Betracht
ziehen. So muss ihm jede Aufarbeitung der Emanzipationsbewegungen
(ob von Frauen oder Homosexuellen) Rechnung tragen. Das Männerbild
und seine Bedeutung auszumessen leistet zugleich so steht
zu hoffen einen Beitrag zum Verständnis der Gesellschaft,
in der wir leben, und kann vielleicht sogar Ansatzpunkte für
mögliche Veränderungen bieten. (a.a.O.
S. 251)
Wir sind von der Bild- und Skulpturenbetrachtung auf die gesellschaftspolitischen
Fragestellungen gekommen. Dies scheint wichtig zu sein, wenn
man jenseits der Sensationslust Anspruch auf eine gewisse Sachlichkeit
erheben möchte. Und wo kann eine solche Arbeit geschehen
wenn nicht in der LUST? (js)
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- (Eigentlich gehören Buchbesprechungen
in der Ordner "Kultur", wo wir Filme, Musik, Bücher
vorstellen. Kultur ist nicht unpolisch, was aber nicht politisch,
sondern mehr zeitloch und ästhetisch gesehen wird. Doch
hier geht es im wesentlichen um eine inhaltliche politische Debatte,
an der wir teilnehmen. Daher sehen wir dies als einen inhaltlich
politischen Artikel an.)
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