79. LUST, Sommer 04
 
Usere Körperwelten II:
 
Die Frau und der Knabe
„Ich nehme für alle Frauen das recht in Anspruch, an der flüchtigen Schönheit des Knaben Gefallen zu finden”, schreibt die australische Feministin Germaine Greer zu ihrem Buch „Der Knabe”. Dieses Buch ist im Gerstenberg Verlag, Hildesheim, erschienen, hat 256 Seiten mit 200 Abbildungen, 29 X 22 cm und kostet 39,90 Euro. ISBN 3-8067-2920-4
Was ist der Knabe?
„The Boy” heißt die englischsprachige Originalausgabe, und was ein „Boy” beziehungsweise in der Übersetzung „Der Knabe” ist, definiert die Autorin wie folgt: „Der Knabe ist eine männliche Person, die noch kein Mann ist.
Die Knabenzeit kann lange dauern. Sie kann nach dem Entwöhnen beginnen und unter Umständen erst 15 oder sogar 20 Jahre später enden, wenn der Heranwachsende sich mit den Insignien der Mannbarkeit schmücken darf. Sie kann aber auch stark komprimiert werden – indem man den Jungen bald aus der ihn “verweichlichenden” Gemeinschaft der Frauen herausnimmt, in Männerkleidung steckt und von ihm erwartet, das er sich wie ein erwachsener Mann benimmt. Angst zu zeigen oder zu weinen wird dann als kindliches oder, schlimmer noch, weibisches Verhalten gebrandmarkt oder gar bestraft. ...” (S. 13)
Ein „Boy” oder „Knabe” ist also ein männliches Wesen im Alter so von einem oder zwei Jahren bis so ca. 22 Jahre, bis es das Verhalten, Aussehen und die Kleidung des „Mannes” angenommen hat. Folglich ist ein Knabe nicht der natürliche Zustand eines männlichen Wesens, sondern ein gesellschaftliches Konstrukt, wie dies ja auch der Mann ist.
Und wie wird der Knabe zu einem Mann? Die Autorin berichtet über grausige Übergangsrituale bei unterschiedlichen Völkern. Und in der Sexualität? Sie schreibt: “Verhaltensweisen, die dem Ansehen eines Familienoberhauptes schaden würden, werden beim Jungen durchaus akzeptiert - schließlich ist es das Vorrecht der Jugendlichen, sich die Hörner abzustoßen. Ein Junge kann beim Sex sowohl mit Männern als auch mit Frauen den passiven Partner spielen; doch mit dem Vollzug des Übergangsritus gehören solche Spiele der Vergangenheit an, weil der Mann seinen Samen von nun an für die Fortpflanzung aufsparen muss. (Also bleiben Schwule bis in ihr hohes Alter Knaben? js) Von einem Jungen wird dieses Verantwortungsbewusstsein nicht erwartet. Er kann spontan und leichtfertig Sex haben, der überwiegend seiner eigenen Befriedigung dient. ... Die Altersgrenze, ab der Geschlechtsverkehr gesellschaftlich akzeptiert wird, mag allmählich sinken. Gleichzeitig aber steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sexuelle Beziehungen zwischen Partnern, deren Altersunterschied sehr groß ist, als pervers gebrandmarkt werden.” (S. 29 f.) Sie berichtet auch von einem sehr delikaten Übergangsritual: “Fasziniert und, wie man annehmen darf, entsetzt, berichten Ethnologen darüber, dass bei einigen Ethnien im Hochland von Neuguinea (den Sambia, Etoro, Onabasulu, Kaluli und Gurrumba) Knaben erwachsene Männer fellationieren und das Sperma schlucken, um groß und stark zu werden. Es wurde weder untersucht, was die Jungen dabei empfanden, noch, ab welchem Alter sie nicht mehr Empfänger, sondern Spender des nahrhaften Samens waren.” (S. 31)
All das lesen wir in ihrem 1. Kapitel unter dem Titel „Was ist der Knabe?” Es sind dies insgesamt 10 Kapitel, in denen die Autorin den „weiblichen Blick” auf den Knaben wirft, der sie derart fasziniert. Und das ist ja schon interessant zu lesen, weil wir es gewöhnt sind, entweder nur den männlichen Blick dargestellt zu bekommen, und zwar entweder fasziniert oder abgestoßen, und den weiblichen Blick doch nur als einen abgestoßenen und moralisierenden Blick. Ins gesamt handelt es sich hier um kulturhistorische Betrachtungen, dargestellt in Form der Interpretation der Malerei und der Skulpturen der Jahrhunderte. Hierbei ist aber die Ordnungsgröße nicht die jeweilige historische Epoche, sondern die den 10 Kapiteln jeweils zugrundeliegende Fragestellung, wodurch kulturelle Epochen mehrmals in diesem Buch auftauchen.
In unserer Gruppe haben wir unter Schwulen diskutiert, ob ein Hete die Erotik eines Jünglings ebenso empfindet, wie ein schwuler Mann dieser lustvollen und verspielten Jugenderotik verfallen kann. Wir kamen zu dem Schluss, dass Hetenmänner dieser Erotik auch verfallen, und dann, da sie diese Erotik aus Angst, schwul zu sein, vor sich selbst und anderen nie zugeben dürfen, sich mit jugendlichen Männern gerne umgeben, aber dafür Sorge tragen, dass diese jungen Männer in brutalen Mannbarkeitsriten von ihnen geführt werden, oftmals auch durch gewalttätige Übergriffe auf Schwule sich von den Ängsten der erotischen Faszination lösen wollen.

Die weiteren Kapitel des weiblichen Blickes auf den Knaben heißen:
2. Der Knabe ist schön
Nachdem wir viel über Apoll lesen, über die Abbildungen von Apoll durch die Zeitalter, erfahren wir: “Bis vor relativ kurzer Zeit wurde von den Knaben erwartet, dass sie sich hübsch machten, denn in Kulturkreisen, in denen wohlhabende Frauen sich niemals auf der Straße zeigten, zogen die Knaben alle Aufmerksamkeit auf sich. Sie wussten ganz genau, dass die strengbehüteten Bürgertöchter hinter den Gardinen standen und sie beobachteten. (...) Auch heute scheinen Jungen nicht weniger eitel als Mädchen zu sein und genauso viel Zeit vor dem Spiegel zu verbringen. Und doch tun sie relativ wenig für ihr Äußeres – mag auch noch so oft betont werden, dass der Markt der Männerkosmetik rapide wächst. Elvis Presley benutzte Kajal und Lidschatten, lange bevor Rockmusiker das Make-up für sich entdeckten, und riskierte damit, als weibisch beschimpft zu werden. Als die Mitglieder von Musikbands sich zu schminken begannen, wollten sie eine schwulenfeindliche Reaktion provozieren – um ihre angebliche Homosexualität dann abzustreiten (Und viele von uns wissen aus eigenem Erleben, was der Autorin natürlich entging, dass sie dennoch, der offiziellen Imagepflege zum Trotz, ein reicher homosexuelle Leben pflegten. js). (S. 50 f). Nachdem die Autorin von vielen Naturvölkern zu berichten weiß, in denen sich die „Knaben” alle schminkten, die dann in der Ehe dennoch als geschickte Jäger entpuppten, natürlich alles, um den Frauen zu gefallen, schreibt sie: „Die gleiche Kombination von Lust an der eigenen Verschönerung und überragenden Können finden wir in unserer modernen Gesellschaft bei David Beckham. Dem Protestgeheul seiner mit schwächerem Selbstbewusstsein ausgestatteten Geschlechtsgenossen zum Trotz spricht er mit leiser, hoher Stimme, trägt Diamanten im Ohr, einen Rock, wenn ihm gerade danach zumute ist, lässt sich die Haare stylen, posiert für Modefotos und spielt außerdem noch ganz gut Fußball. Apoll lebt.” (S.57) Ist dass der „Knabe”, der bei der Autorin diese Faszination erzeugt? Der “Knabe macht sich anmutig, indem er Attribute benutzt, die den Frauen vorbehalten sind, die sich für Männer anmutig machen, und erweist sich doch als „ganzer Kerl”? Ob da nicht ein gehöriges Maß von Sexismus und Heterosexismus in ihren Zeilen mitschwingt? Denn unabhängig davon, was ihr als schön erscheint, gibt es eben feminine Männer und sich mit femininen Attributen ausstattende Männer, was überhaupt nichts mit ihrer jeweiligen sexuellen Neigung zu tun hat.
 
3. Die Liebe ist ein Jüngling
“Amor ist immer männlich und immer jung. Er ist männlich, weil er der Aggressor ist – es gibt keinen Mythos, in dem Amor eine passive sexuelle Rolle spielt. Er ist knabenhaft jung, weil ein Knabe sexuell aktiver als ein Mann ist, häufiger Erektionen hat, mehr Sperma produziert und öfter ejakuliert. Bietet die Gesellschaft dem Knaben kein legales Ventil für seine Sexualität, wird diese sich auf andere, zerstörerische Weise ausdrücken. (...) Wer von seinem Pfeil getroffen wird, verliebt sich hoffnungslos und verfällt in sexuelle Obsession. Er bringt Chaos und Leid unter die Menschen, zerstört Freundschaften, Familien, Staaten. Wir tun heute gerne so, als seien sich kleine Jungen ihrer Sexualität nicht bewusst. Diese kühne Hoffnung ist Teil des Mythos von der Unschuld des Kindes, der sich im 19. Jahrhundert entwickelte. Zur gleichen zeit herrschte auch die weitverbreitete Ansicht, ein Kind müsse regelmäßig verprügelt werden, um ihm den Teufel auszutreiben. Möglich war die Existenz dieses Paradoxes nur durch eine Arbeitsteilung bei der Erziehung: die Mütter vertrauten, die Väter verprügelten. Im 19. Jahrhundert hatte die Erbsünde ausgedient – ein Kind kam gut und unschuldig zur Welt, was implizierte, dass es von Sexualität nichts wusste. (...) Obwohl Amor auch im 19. Jahrhundert allgegenwärtig war, hatte er seine knabenhafte Attribute eingebüßt und wurde als geschlechtsloses Kleinkind dargestellt. Der furcht erregende Knabe der Antike war vernichtet worden.” (S. 59) Nach der Beschreibung einiger in der Literatur auftauchenden Liebesgeschichten zwischen älteren Frauen und jungen Knaben schreibt die Autorin: “Überall in der Welt verführen Knaben erwachsene Männer oder Frauen, doch die Kämpfer gegen den Sextourismus des 21. Jahrhunderts sehen es ausschließlich umgekehrt. Sie lassen sich bei ihrem Feldzug von Entsetzen und Mitgefühl für Kinder leiten, die aus materieller Not gezwungen sind, mit Älteren, die sie unmöglich begehren können, Sex zu haben, für den sie nicht bereit sind. Als die große Kinderpsychologin Melanie Klein die ‘böse´ sexualisierte Mutter studierte, notierte sie in einer Anmerkung: ‘Wer verführt eigentlich wen?´” (S.77)
4. Die Kastration Amors
Hier beschreibt die Autorin u.a. die Auswirkung der Französischen Revolution auf die Darstellung des nackten Knaben. “Durch die Gründung von Kunstakademien in allen europäischen Großstädten (...) musste die Kunst frauentauglich gemacht werden. Es genügte nicht mehr, die Größe des männlichen Geschlechtsteils zu reduzieren – jetzt musste es entfernt werden. Die Liebe wurde offiziell entsexualisiert.” (S. 86) Auch einen Zusammenhang mit der Religion beschreibt die Autorin: “Nach der Plünderung von Rom durch die Westgoten im Jahre 410 fiel die heidnische Bilderwelt in Ungnade. Die strenge frühchristliche Kirche reduzierte nicht nur die Zahl der Götter auf einen, sondern ersetzte auch die Heerscharen durch biblische Engel – körperlose Geistwesen wie die menschliche Seele.“ (S. 92) Dann beschreibt sie, wie viel später die Engel wieder nackter werden. Und nach der französischen Revolution ist es erst einmal aus mit den Engeln in der Kunst, stattdessen treten Genien an die Stelle der Engel, zum Beispiel der Genius der Freiheit.
 
5. Das passive Objekt der Liebe
Ich muss an den erzwungen und unausweichlichen widerlichen Tantenkuss denken, wenn ich lese: “Die platonick Lady des Dichters John Wilmot, Earl of Rochester, mag für alle sprechen, die einen Knaben lieben: ‘Ich liebe einen Jüngling, der sich in meinen Armen winden mag und es zulässt, dass ich ihn zärtlich drücke und küsse...´. Das Objekt der Liebe, sei es männlich oder weiblich,” schreibt sie weiter, “ist der Umworbene, nicht der Werbende. Er soll nicht lieben, sondern sich lieben lassen. In der Kunst lassen sich Knaben am einfachsten dadurch zur Passivität verdammen, dass man sie schlafend darstellt.” (S. 105) es folgen zahlreiche Beschreibungen von Skulpturen, angefangen vom Barberinischen Faun, und Bildern. Das recht humorvoll gehaltene Kapitel endet mit ihrem beklagenden Kommentar: “Nun war es also offiziell: Frauen, die die Initiative zu sexuellen Kontakten ergriffen, sich an unwillige Knaben heranmachten und sie zu verführen versuchten, waren widernatürlich und unglaubwürdig. Wie überall hatten auch beim Sex die Männer die Kontrolle (Sofern es sich nicht um schwule Männer handelt. js). Eine Frau, die aktiv nach sexueller Befreiung suchte, galt als unmoralisches Weibstück und hatte ihr perverses Treiben in der Öffentlichkeit zu unterlassen. Seit Menschengedenken hatten reife Frauen und Jünglinge sich gemeinsam auf sexuelle Entdeckungsreisen begeben. Damit war es nun, zumindest offiziell, vorbei.” (S. 125)
6. Spielende Knaben
In diesem Kapitel geht es der Autorin um den tanzenden und sexuell spontan handelnden jungen Mann, den Knaben. “Dionysos ist eine Figur der Gegensätze – er ist Gott und Mensch, wild und sanft, aggressiv und unterwürfig, feminin und maskulin. Als Gott der kultischen Feier der Phallophoria ist die geschlechtliche Liebe für ihn ein unerschöpfliches Spiel. Da die neckische Figur des sexuell aktiven Knaben aus unserer Kultur verbannt wurde, hatte die Wissenschaft einige Mühe, die scheinbaren Widersprüche, die das Wesen des Dionysos´ kennzeichnen, zu erklären. War er ein Zwitter oder der Gott der Päderastie?” (S. 127 f) Am Ende dieses Kapitels erkennt die Autorin Zusammenhänge zwischen heutigen Rockstars und ihrer Fangemeinde mit Dionysos.
 
7. Der Knabe als Diener
Vom Hirtenknaben über den Botenjunge zu den Knaben, die adlige Damen zu bedienen hatten, Prügelknaben, Knappen, Tagelöhner und Strichern ist hier die Rede. In zahllosen Beschreibungen wie auf vielen Gemälden finden wir den Knaben als Diener. Die Autorin bemerkt hier in erster Linie die Demütigung der vielen namenlosen Jungen.
 
8. Der Knabe als Soldat
Es geht hier um den namenlosen Kämpfer, den Knaben. Wir lesen über die biblische Gestalt des Hirtenknaben David. Da Soldaten eher in Uniformen kämpfen, statt nackt, finden wir in diesem Kapitel wenig Abbildungen. Immerhin finden wir hier auch ein aktuelles Foto, das einen Kindersoldaten abbildet, der militärisch grüßt.
 
9. Das Sinnbild männlicher Verletzlichkeit
Hier beschreibt die Autorin, dass es zahlreiche Kunstwerke gibt, die den leidenden oder getöteten Knaben darstellen. Besonders die vielen Abbildungen des heiligen Sebastians beschreibt sie hier. Leider finde ich bei ihr keine Erklärung für die Lust, einen erotischen Leidenden darzustellen. “Das Sinnbild männlicher Verletzlichkeit ist freilich der vollkommene Leichnam Christi, dessen Erotik bis heute tabuisiert wird – obwohl er oft genug erotisch dargestellt wurde. Dieses Phänomen in angemessener Weise zu erörtern würde jedoch den Rahmen dieses Buches sprengen.” (S. 217)

Also, dann abstrahiere ich hier einmal vom weiblichen Blick weg zum schwulen männlichen Blick. Die Autorin wundert sich, dass derart viele Klöster derart viele Abbildungen des heiligen Sebastians von derart vielen Malern herstellen ließ, oft auch in Lebensgröße.
 
Könnte es sein, dass die Folterung des erotischen Körpers ein Teil der Erziehung des Mannes ist, ja nicht dieser Erotik nachzugeben? Also Kampf der Sexualität, besonders der Homosexualität? Nicht alles hat etwas mit der Unterdrückung der Frau zu tun, jedoch vieles mit dem “Weiblichen”, das gar nicht weiblich ist, sondern bewusst erotisch verspielt, was für Hetenmänner eben nur bei der Frau gesucht wird. Naja, ist halt nur so ne Idee von mir.
 
10. Der weibliche Blick
In unsrer Lesben- und Schwulengruppe haben wir diskutiert, warum zwischen Schwulen sehr oft über Sexualität, besonders die eigenen geredet wird, zwischen Lesben seltener über Sexualität, und wenn, dann nicht über die eigene, sondern eher abwertend über die der anderen. Warum ist das so? Na, weil Männer eben immer so exhibitionistisch mit ihrer Sexualität umgehen, höre ich. Und wie sind dann aufreizende Kleidung, Brustvergrößerungen usw. zu werten? Das machen wir nicht für andere, sondern für uns selbst, um uns selbst zu gefallen.
 
Tja, also: Männer sind Schweine, weil es denen oft mal offen um Sexualität geht, während Frauen ohne beabsichtigt aufreizend zu wirken um ihre Emanzipation in dieser von Männern dominierten Welt ringen und dabei von Männern nur immer missverstanden werden? Also gut, Frauen sind doch irgendwie die besseren Menschen, weil sie nicht derart bewusst sexuell sind wie die Männer, lerne ich daraus.

Die Autorin beschreibt in diesem Kapitel die Aussagen verschiedener Frauen beim Aktmalen und Betrachten männlicher Akte. Hier ist also nicht offen zu erfahren, wo die Subjektivität des weiblichen Blickes der Autorin zu erkennen ist. Aber man kann es ahnen, wie beim Brust- oder Nabelexhibitionismus von heutigen jungen Frauen: “Vielleicht müssen sich Frauen noch immer bei der Bewertung eines Männerkörpers zurückhalten – bei einem Knaben sind sie solchen Zwängen kaum unterworfen.
 
Ein Junge muss sich älteren Männern beugen, dominantes verhalten steht ihm nicht zu (Da müsste sie mal in die altersungleichen Beziehungen schauen. js). Wenn wir Passivität weiterhin als weibliche Eigenschaft betrachten wollen, haftet auch dem Knaben etwas Weibliches an. Anders ausgedrückt: Dem männlichen Geschlecht werden phallische Aktivität und Dominanz nur in der Form patriarchalischer Herrschaft zugestanden. Der Knabe, der nicht imstande ist, phallische Macht auszuüben, besitzt lediglich einen reagierenden Penis, keinen machtvollen Phallus. Folglich kann er ungestraft sexualisiert werden.” (S. 227 f)
 
Die Autorin beschließt ihr Buch und dieses Kapitel mit folgender Auffangsaussage: “Unterscheidet sich hingegen der Körper, den die Künstlerin betrachtet, so offensichtlich und eindeutig von ihrem Eigenen, weil er männlich ist, muss ihr Blickwinkel zwangsläufig zwiespältig, ja sogar herausfordernd sein. Reine Sinnlichkeit entfaltet ihre künstlerische Wirkung dann, wenn ein Kind betrachtet und gefeiert wird – anders als es sich offenbar verhält, wenn das Objekt der Betrachtung ein Mann ist. Der Knabe ist das vergessene Bindeglied. Der Knabe Eros ist imstande, die Geschlechter miteinander zu versöhnen – wenn wir uns zu ihm bekennen.” (S. 244)
 
Mein schwuler männlicher Blick
Dieses Buch ist zum darin vertiefen, weil man hier viele Informationen über die Kunstgeschichte findet, und dann oft eigenwillige und überraschende Interpretationen vorfindet. Es wird schwierig sein, dass dieser aufwendige Band seine Zielgruppe findet.
 
Schwule Männer werden hier sowohl im Text als auch in den Abbildungen zu viel angedeutetes vorfinden und zu wenig Deutliches. Hetenmänner werden es nicht kaufen, um nicht für schwul gehalten zu werden und weil sie Angst haben von der erotischen Wirkung des Jugendlichen.
 
Lesbische Frauen sind auch an Knaben nicht interessiert, zu deren Spiel ja auch der Macho gehört, anfänglich noch nicht überzeugend. Und Hetenfrauen, für die das Buch gemacht sein könnte, könnten sich möglicherweise nicht trauen, nach dem Knaben zu greifen.

Für mich als schwulen Mann war es eine interessante Begegnung mit dem weiblichen Blick dieser Autorin, teilweise Annäherung empfindend, teilweise eher Widerspruch. Ich bin froh, dass ich diesem Buch begegnet bin, und deshalb empfehle ich es Euch. (js)
 
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